07. Januar 2015. (red) Sie nahmen die Christen, die Juden und auch die Moslems auf die Schippe. Nun sind 12 Menschen tot. Vermutlich zehn Mitarbeiter der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo und zwei Polizisten. Drei weitere Menschen schweben in Lebensgefahr. Mindestens drei Täter haben bei einem Terroranschlag gegen 11:30 Uhr diese Menschen ermordet. Einfach so – Kugeln gegen Köpfe.
Von Hardy Prothmann
Dieses Attentat macht alle sprachlos. Auch uns Journalisten? Das ist das Ziel von Terror: „Schau Dir genau an, was wir mit denen machen, die uns nicht gefallen – die legen wir um. Einfach so.“
Typischerweise werden Journalisten im Nahen Osten sprachlos gemacht, vulgo ermordet. Ganz vorne ist Syrien, gefolgt von den Palästinensergebieten. Die Ukraine liegt auf Platz drei dieser makaberen Statistik. Dann folgt der Irak, dann Libyen. Russland ist auch so ein Land, wo man schnell mal ne Kugel im Kopf hat, damit das Denken aufhört.
In China haben kritische Journalisten die besten Chancen auf einen Platz im Gefängnis, 177 Journalisten wurden 2014 in der Türkei bedroht oder angegriffen.
Frankreich wird auf einen Schlag einen Sprung nach ganz vorne in der Statistik schaffen. 10 journalistische Köpfe wurden heute innerhalb weniger Minuten zum Schweigen gebracht.
Muslimische Länder sind in Summe die gefährlichsten
Typischerweise werden Journalisten in muslimischen Ländern am häufigsten Opfer von Verfolgung – bis hin zum gezielten Mord. Auch vor laufender Kamera, wie die Terroristen des Islamischen Staates im vergangenen Jahr gezeigt haben. Syrien ist zur Zeit das gefährlichste Land der Welt für Journalisten.
Und jetzt Paris, gerade mal 500 Kilometer entfernt von uns. Mitten in Europa. Der Herausgeber Stéphane Charbonnier („Charb“) und die Zeichner Bernard Verlhac („Tignous“),Georges Wolinski und Jean Cabut („Cabu“) sind unter den Toten. Ihren und den Familien der anderen Opfer gilt nicht nur mein Beileid, sondern mein tief empfundene Solidarität. Aber es macht mich auch einfach nur fassungslos.
In der Vergangenheit setzte der Französische Staat Büros in muslimischen Ländern in Alarmbereitschaft oder schloss sie gleich zeitweise ganz, wenn das Satireblatt mal wieder Mohammed und den Islam aufs Korn nahm – aus Angst vor Anschlägen.
Wenige Fanatiker beschämen die Mehrheit
Das muss man sich vorstellen: Angst vor Anschlägen, weil eine Satirezeitschrift Karikaturen veröffentlicht. Die mutmaßlichen Täter sollen Muslime sein. Wie bitter für alle muslimischen Gläubige, die friedlich sind – und das sind die allermeisten. Denn es bedeutet nichts anderes als dass alle, die ihren Kopf benutzen und nicht genehme Meinungen haben, um ihr Leben fürchten müssen, weil es islamistische Terroristen gibt, die ihren Glauben fanatisch missbrauchen.
Bislang musste man in Europa aushalten, dass man für unliebsame Berichte zunehmend verklagt wird – rüde Beschimpfungen aller Art, wie auch wir und andere Redaktionen immer wieder wegen unserer kritischen Texte erfahren, gehören schon fast zur Tagesordnung. Anonyme Anrufe mit Beschimpfungen oder konkrete körperliche Bedrohungen bei Demos sind fast „so normal“, dass ich nur erfahrene Mitarbeiter bei problematischen Demos einsetzen kann. Denn allein die aggressive Stimmung kann einem ordentlich zusetzen.
Lügenpresse an die Wand?
In Dresden brüllt die Masse „Lügenpresse – halt die Fresse“ und auch dort werden Journalisten konkret mit „Dich werden wir an die Wand stellen“ bedroht.
Drohungen kommen also aus allen Richtungen – gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Und je mehr Fanatiker es in den betreffenden Gruppen gibt, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht bei Drohungen bleibt. 2011 wurde bereits ein Brandanschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo verübt. Der Herausgeber hatte Polizeischutz. Das hat nichts genützt, auch der Polizist soll tot sein.
Gestorben, weil Mörder im angeblichen Auftrag ihres Herrn beschlossen haben, einfach so unter „Gott ist groß“-Rufen Menschenleben auszulöschen. Was soll das für ein Gott sein? Ein Mördergott?
Der feige Anschlag wird Wasser auf die Mühlen der Islamhasser sein. Man muss hoffen, dass es nicht zu „Gegenmaßnahmen“ kommt. In Frankreich ist der Rechtsruck enorm. Heute ist dort der neue Roman von Michel Houellebecq „Unterwerfung“ erschienen. Darin schildert der umstrittene Autor ein islamisiertes Frankreich mit einem Moslem als Staatspräsidenten. Pikant: Sozialisten und Konservative sind die „Königsmacher“ des muslimischen Präsidenten, um einen rechtsradikalen Kandidaten zu verhindern. Was in den kommenden Wochen in Frankreich los sein wird, kann man sich noch nicht vorstellen. In Paris herrscht heute der Ausnahmezustand.
Erst kommen die Scharfmacher, dann die Henker
Wir haben in Deutschland Thilo Sarrazin und Heinz Buschkowsky als Scharfmacher. Dazu Jürgen Elsässer, Oliver Janich oder Ken Jebsen. Wir haben Pop-Stars wie Xavier Naidoo mit irrem Weltbild. Wir haben den Kopp-Verlag und Pi-News.de oder kath.net.
Und wir haben jede Menge muslimischer Mitbürger, die hier zwar in Ruhe und Frieden leben, die aber alle ihre Wurzeln in der Türkei, dem nahen Osten oder den arabischen Staaten haben – und kaum eines dieser Länder ist ohne massive Konflikte oder Kriege.
Man muss klar machen, dass ein solch unfassbarer Mord nicht ohne Folgen bleiben wird. Man muss das Gespräch suchen – um Forderungen unmissverständlich zu stellen. Wir lassen uns nicht terrorisieren. Und wir achten die Meinungs- und Pressefreiheit als eines der wichtigsten Güter für freie Länder mit offenen Strukturen.
Wer Medien verachtet, verachtet die Demokratie
Der Appell richtet sich an alle – an alle, die Medien nutzen. Ob als Leser oder Teilnehmer des politischen, wirtschaftlichen, kunstschaffenden oder sportlichen Lebens. Wenn Meinungs- und Pressefreiheit gestorben sind, ist ein demokratisches Leben nicht mehr möglich. So einfach ist das.
Die Terroristen sind eine unfassbare Bedrohung. Siechend tödlich sind all die, die Journalismus nicht mehr achten, sondern sogar verachten – weil er nicht ihre Sicht der Welt wiedergibt. Und davon gibt es viel mehr als terroristische Mörder.
Denken Sie mal drüber nach.
Wir denken an die Kollegen, die 2006 vom Dachverband der Muslime in Frankreich wegen Nachdrucks der Karikaturen der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ ohne Erfolg verklagt worden sind. Jetzt, acht Jahre, später, haben drei Attentäter ihr Todesurteil für die Journalisten vollzogen. Das ist nicht satirisch, nicht lustig, sondern einfach nur todernst.
Zurück bleibt heute und dieser Tage eine fassungslose Welt ohne Humor.
Anm. d. Red.: Hardy Prothmann war 2003-2004 Korrespondent für die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen.