Heidelberg, 07. November 2016. (red/pm) Die Heidelberger Altstadt ist nachts zu deutlich zu laut. Zu diesem Ergebnis kommt die Stadt auf Grund eines Lärmgutachtens. Politische Gremien beraten ab 22. November über eine Sperrzeitverlängerung – die Gemeinderatsentscheidung wird am 20. Dezember 2016 erwartet.
Information der Stadt Heidelberg:
„Die östliche Heidelberger Altstadt mit ihrer hohen Kneipendichte ist nachts zu laut. Dies ist das Ergebnis eines neuen Lärmgutachtens, das die Stadt beauftragt hat.
Sperrzeitverlängerung gefordert
Die Zahlen lassen aus Sicht der Verwaltung nur einen Schluss zu:
Die Kneipen in der östlichen Altstadt müssen zum Schutz der Wohnbevölkerung wieder früher schließen – wochentags ab 1 Uhr (aktuell ab 3 Uhr) und am Wochenende ab 3 Uhr (aktuell ab 5 Uhr).
Eine Ausnahmeregelung für die dortigen Diskotheken soll es künftig nicht mehr geben.
Gremien beraten
In Kürze werden sich die politischen Gremien wieder mit dem Thema Sperrzeiten befassen. Die Diskussion startet mit einer öffentlichen Sondersitzung des Bezirksbeirats Altstadt am 22. November 2016.
Die endgültige Entscheidung fällt der Gemeinderat am 20. Dezember 2016.
Der zuständige Bürgermeister Wolfgang Erichson betont:
Wir bewegen uns bei diesen Lärmwerten im Bereich der Gesundheitsgefährdung.
Die Messungen zeigen, dass sich die Lärmwerte mit Beginn der Sperrzeit deutlich reduzieren. Wir schlagen daher erneut vor, dass wir versuchen, einen Interessenausgleich herzustellen: Werktags kommen wir mit dem 1 Uhr-Limit dem Ruhebedürfnis der Anwohnerschaft entgegen, dafür gewichten wir am Wochenende mit der Sperrzeit um 3 Uhr die Interessen der Gastronomen höher.“
Landesregelung nicht erfolgreich
In der Heidelberger Altstadt dürfen Kneipen und Gaststätten seit Januar 2015 entsprechend der baden-württembergischen Landesregelung wochentags bis 3 Uhr, in den Nächten auf Samstag und Sonntag bis 5 Uhr öffnen.
Die kürzeren Sperrzeiten werden in der Kernaltstadt am Wochenende gegenwärtig von 25 Betrieben voll ausgeschöpft. Wochentags sind es 9 Betriebe. Bis 2014 hatte in der Kernaltstadt eine Sonderregelung gegolten, nach der Gaststätten spätestens um 2 Uhr beziehungsweise um 3 Uhr schließen mussten.
Von der Einführung der Landesregelung hatte sich eine Mehrheit der Gemeinderatsmitglieder versprochen, dass die Besucherströme nachts entzerrt werden und dass dadurch in den Altstadtgassen mehr Ruhe einkehrt.
Richtwert deutlich überschritten
Der maximal zulässige Richtwert der „Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm“ (TA Lärm), die als Richtschnur herangezogen wird, liegt für die Nacht und für sogenannte Kerngebiete bei 45 Dezibel.
Die aktuellen Messungen belegen, dass dieser Wert nachts während der Öffnungszeiten der Heidelberger Gaststätten durchgehend überschritten werden – sowohl an Werktagen als auch am Wochenende.
Wochenenden sind am lautesten: Das Geräuschniveau steigt nachts an allen Messpunkten im Wochenverlauf jeweils von Montag bis Sonntag ansteigt.
Wochenenden besonders laut
Die Höchstwerte wurden in den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag erreicht. Teilweise wurden bis zu 43 Dezibel mehr ermittelt als es der Richtwert vorgibt.
Lauteste Nachtstunden: Vereinzelt sind in den jeweils lautesten Nachtstunden Überschreitungen von 30 bis 43 Dezibel zu verzeichnen.
Entzerrung findet nicht statt: Entgegen den Erwartungen findet durch die seit 2015 verkürzten Sperrzeiten keine Entzerrung statt.
Im Gegenteil: Die Messwerte belegen, dass es durchgehend laut ist, bis morgens um 3 Uhr beziehungsweise um 5 Uhr die Kneipen schließen. Erst dann wird es ruhiger in der Altstadt.
So ist der Lärm gemessen worden
Mit dem Lärmgutachten hat die Stadt Heidelberg das Büro „Genest und Partner Ingenieurgesellschaft mbH“ aus Ludwigshafen beauftragt; es hatte bereits im Jahr 2014 ein Lärmgutachten für Heidelberg erstellt.
Damals war der Lärm nur berechnet worden. Doch diesmal wollte die Stadt es genauer: Die (juristisch vollkommen ausreichende) Lärmberechnung ist durch Lärmmessungen ergänzt worden.
Heidelberg hat mit dieser Art der Erhebung Neuland betreten: Zwar gibt es erprobte Verfahren, beispielsweise zur Messung von Industrielärm, nicht aber für Lärm im öffentlichen Raum.
Der Vorteil: Die Qualität der Ergebnisse ist deutlich höher und sie sind realistischer.
Wochenlange Messung
Über sieben Wochen ist der Lärm an fünf Stellen in der Altstadt rund um die Uhr gemessen worden.
Die Daten zeigen also auch die Unterschiede zwischen Tag und Nacht, Werktag und Wochenende.
Messorte an Brennpunkten
Der Geräuschpegel ist an fünf Punkten in der Altstadt gemessen worden. Drei davon liegen innerhalb des Brennpunktbereiches, der im Jahr 2015 bei der Evaluation zur Sperrzeitregelung identifiziert worden war:
Ecke Untere Straße/Fischmarkt, Kettengasse und Ecke Hauptstraße/Floringasse.
Zum Vergleich ist zudem an zwei Orten außerhalb des Brennpunktbereichs gemessen worden: in der Dreikönigstraße, um vergleichend die Entwicklung in den Seitenstraßen beobachten zu können, und in der Hauptstraße auf Höhe des Kurpfälzischen Museums, um die Abwanderung in Richtung Bismarckplatz zu erfassen.
Trotz kühlem Wetter hoher Lärmpegel
Die Messungen fanden vom 13. Mai bis 3. Juli 2016 statt.
Die Besonderheit: Die Monate Mai und Juni waren überwiegend kühl mit nur vereinzelt wärmeren Tagen. Insofern ist zu erwarten, dass die Geräuschbelastung bei sehr guter Witterung noch höher ausfällt, weil mehr Menschen unterwegs sind.
Lautes Gegröle
Problematisch in der östlichen Heidelberger Altstadt ist insbesondere, dass der Lärm keinem bestimmten Betrieb zugeordnet werden kann. Er entsteht durch die Masse der Menschen, die sich im öffentlichen Raum aufhalten, während sie von Kneipe zu Kneipe ziehen.
Die Berichte des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) und der Polizei für die Jahre 2015 und 2016 zeigen, dass Ruhe- und Ordnungsstörungen in der Altstadt zugenommen haben.
Durch die Sperrzeitverkürzung bis 5 Uhr sind nun auch verstärkt zwischen 3 und 5 Uhr alkoholisierte Ruhestörer und sich lautstark unterhaltende Gäste oder Passanten in den Altstadtstraßen anzutreffen.
Aggression, Vandalismus und Schmutz
Dabei ist häufig ein hohes Aggressions- und Gewaltpotential festzustellen. Eine Zuordnung dieser Personen zu bestimmten Gaststätten ist meist nicht möglich.
Darüber hinaus gibt es nach wie vor Probleme mit Vandalismus und einer starken Verunreinigung der Straßen, insbesondere durch zerschmetterte Flaschen und weggeworfene Imbissverpackungen.
Störungen zwischen 3 und 5 Uhr, welche vor der Sperrzeitverkürzung in der Regel nur im Bereich der Discobetriebe mit erlaubten längeren Öffnungszeiten stattfanden, dehnen sich nun auf sämtliche Straßenräume aus, wo Gaststättenbetriebe von der Sperrzeitverkürzung Gebrauch machen.“