Sinsheim/Rhein-Neckar, 07. April 2014. (red) Aktualisiert. Am Samstag hat die NPD in Sinsheim eine Kundgebung mit der Forderung der „Todesstrafe für Kinderschänder“ in Sinsheim aufgerufen – im Anschluss „berichtete“ die linksautonome Plattform Indymedia und schaltete einen Kommentar frei (siehe Aktualisierung), indem zur Hatz auf den Oberbürgermeister, seine Familie und Gemeinderatsmitglieder aufgerufen worden ist.
Von Hardy Prothmann
Laut Polizei nahmen 45 Rechtsradikale an der Kundgebung teil. Dagegen protestierten Anhänger von „Die Linke“ sowie einzelne Grüppchen aus dem linksautonomen Lager – zusammengenommen zwischen 40-50 Personen. Es gab zwei kurze Sitzblockaden, die ohne Widerstand zu leisten und ohne Eingriff der Polizei beendet wurden.
Im Vorfeld hatten der Oberbürgermeister der Stadt Sinsheim, Jörg Albrecht, sowie alle Gemeinderatsfraktionen bis auf Bündnis90/Die Grünen die Bürger/innen entlang der Aufzugsroute per Postwurf aufgefordert: „Wir zeigen den Rechten die kalte Schulter.“ Oberbürgermeister und Gemeinderat waren am Samstag auf einem „Ausflug“, der schon länger terminiert war. Laut Auskunft des Oberbürgermeisters wollte man den Nazis keine Aufmerksamkeit schenken und „etwas Neues“ probieren. Als einziger Stadtrat schloss sich der Grüne Stefan Seitz den Gegendemonstranten an.
Berechtigte Kritik am „Wegschauen“
Am Verhalten von Herrn Albrecht und der Gemeinderatsmehrheit wurde zu Recht Kritik geübt – denn rechtsradikale Umtriebe einfach zu „ignorieren“ ist sicherlich kein adäquater politischer Umgang mit diesen demokratie- und menschenfeindlichen Gruppen. Auf Nachfrage bestätigte Oberbürgermeister Albrecht, dass man sich dem Thema in Kürze widme und nach geeigneteren Strategien suchen werde. Als Erklärung, warum man nicht selbst Position vor Ort bezogen habe, sagte er, dass man die Rechtsradikalen nicht aufwerten wollte. Ein typisches Dilemma, dem man aber vor allem ausgesetzt ist, wenn man entweder-oder denkt und nicht sowohl-als auch.
Auf der linksautonome Plattform Indymedia.org erschienen am Sonntag Kommentare zu einem Artikel „NPD fühlt sich pudelwohl“, indem die Verantwortlichen Oberbürgermeister und Gemeinderat vorwerfen, die Nazis regelrecht nach Sinsheim einzuladen:
Oberbürgermeister Albrecht hat mit seiner Politik des Verleugnens und Wegduckens Sinsheim endgültig als maßgeschneidertes Naziparadies empfohlen. Diese Strategie hat sich mit dem heutigen Naziaufmarsch als schlichte Förderung neonazistischer Strukturen entpuppt. Die rechte Szene dürfte diese Förderung völlig richtig als Einladung zum Wiederkommen verstanden haben.
Unsäglicher Hatz-Aufruf in den Kommentaren
Kurz darauf wurden Kommentare freigeschaltet, die an Nazi-Methoden erinnern:
Es ist an der Zeit den Namen Albrecht in die grosse Öffentlichkeit zu zerren.
Wir benötigen:
Die Adresse, die Telefon und Faxnummern, sowie die Mailadressen
Wir benötigen die Namen der Frau und der Kinder, wo gehen diese zur Schule
Wer sich als solch unfähiger Lokalpolitiker beweist, hat kein Anrecht darauf künftig unbehelligt durch die Gegend zu ziehen, und
auch die Frau und eben auch die Kinder, sofern sie mindestens 15 und älter sind, können sich jederzeit von ihrem Vater
distanzieren. Solange dies nicht öffentlich geschieht, ist davon auszugehen, dass die Denke die Gleiche ist.
Dies gilt im übrigen auch für die Politiker die an diesem Ausflug teilgenommen haben. Stellt die Namen und am besten auch Bilder ins Netz
mit der Überschrift, „diese Lokalpolitiker unterstützen Nazis“.
Erst wenn der Druck auf diese Personen groß genug wird, wenn Ihre Familien im Netz als Naziofreunde geoutet werden, kommen sie eventuell
zur Vernunft. Schreibt an die jeweiligen Vorsitzenden der Parteien.
Es ist ein Skandal. Ich hoffe das eurpoäische Ausland bekommt Wind davon. Bürgermeister Albrecht muss weg!!!!
Weitere Kommentare listeten die Privatadressen und teils Handy-Nummern der Gemeinderatsmitglieder auf. Einige Zeit später wurden die Kommentare wieder gelöscht und kolportiert, es habe sich um Fake-Kommentare von Rechtsradikalen gehandelt.
Die Frage ist: Selbst wenn das so wäre, warum wurden sie zunächst freigegeben? Aus der Nummer kommen die verantwortlichen, aber anonymen Personen bei Indymedia nicht mehr ohne eine eindeutige und glaubwürdige Stellungnahme heraus.
Wer zur Hatz auf Menschen aufruft nach dem Motto „Ich weiß, wo Du wohnst“, ist ein Gewalttäter, der Menschen unter Druck setzt, indem er Angst schüren will. Diese Methoden kennt man am ehesten von Nazis. Dass das linksautonome Lager solche Methoden – wenn auch nur kurzfristig – zulässt, ist widerlich und abstoßend. Besonders unerträglich ist, dass die Hatz sich auch gegen Frau und Kinder des Oberbürgermeisters, also unbeteiligte Personen, richtet. Was, wenn irgendjemand sich durch einen solchen Aufruf bestätigt fühlt, „entschlossen aktiv“ zu werden?
Antifaschismus mit Nazimethoden ist kein legitimer Kampf gegen rechts, noch nicht einmal nur ein antidemokratisches Verhalten. Es ist ganz klar nur eins: Terror.
Aktualisierung, 08. April, 0:20 Uhr:
Nach Hinweisen haben wir die Seite nochmals geprüft. Es ist möglich, ohne jegliche Kontrolle Beiträge und Kommentare bei Indymedia zu veröffentlichen – das war uns so nicht bewusst, weil wir von einer Anmeldepflicht ausgingen.
Mithin ist jeder Artikel und jeder Kommentar zunächst ohne jegliche redaktionelle Kontrolle erst einmal online. Das ist vor dem Hintergrund der oftmals brisanten Informationen äußerst problematisch, weil häufig persönliche Daten wie auch in diesem Fall veröffentlicht werden. Damit muss man den Betreibern (letztlich hat irgendjemand registriert und es gibt auch irgendwelche Admins) von Indymedia vorhalten, dass sie bewusst Rechtsverstöße einkalkulieren und möglich machen. Das ist inakzeptabel.
Auch der automatisierte Vorwurf, solche Kommentare könnten nur von Nazis geschrieben sein, ist nichts als heiße Luft, weil es nicht belegt werden kann. Wenn kommentiert wird, gibt es eine Reihe von Daten, die man den Ermittlungsbehörden übermitteln könnte – würde man diesen vertrauen und mit diesen zusammenarbeiten.
Liest man aber die grundsätzlichen Haltungen bei Indymedia, sind die „Bullen“ sowieso alle Nazis und versuchen nur Jagd auf Linke zu machen.
Wünscheswert wäre, wenn mehr demokratisches, rechtsstaatliches Gedankengut Einzug hielte und man die Abläufe auf eine zeitgemäße Basis bringt – denn sonst greift irgendwann das Peter und der Wolf-Prinzip.