Mannheim/Stuttgart, 07. Februar 2017. (red/me) Nach dem tragischen Tod des langjährigen Landtagsabgeordneten Wolfgang Raufelder (Grüne), der den Wahlkreis Mannheim-Süd direkt gewonnen hatte, hat seine Ersatzkandidatin Elke Zimmer am 12. Dezember 2016 als Nachrückerin das Landtagsmandat in Stuttgart übernommen. Im Interview mit dem Rheinneckarblog spricht sie über ihre unerwartete Herausforderung und die damit verbundene Umstellung in ihrer Lebensplanung.
Interview: Mathias Meder

Elke Zimmer, Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg für Bündnis 90/ Die Grünen aus Mannheim
Wolfgang Raufelder war einer der bekanntesten und beliebtesten Politiker Mannheims und der Region. Sie traten vor knapp zwei Monaten seine Nachfolge an. Ist das eine Bürde oder eine Würde?
Elke Zimmer: Vermutlich ist es beides. Ich fühle mich noch nicht als Landtagsabgeordnete. Das dauert noch. Es ging zu schnell. Ich bin noch sehr verhaftet in dem, was mein Leben bislang ausgemacht hat und in dem, was mir bisher wichtig war. Sowohl beruflich als auch familiär. Aber ich sage inzwischen auch zu meinem Beruf nicht mehr Handelslehrerin, sondern tatsächlich Landtagsabgeordnete. Auch wenn ich für meinen bisherigen Job derzeit noch zwei Stunden pro Woche tätig bin. Es ist natürlich auch eine Würde, Landtagsabgeordnete zu sein. Das ist schon etwas Besonderes, da man die besondere Verantwortung spürt. Die Leute haben nun ganz neue Erwartungen an mich. Und die möchte ich auch erfüllen.
Ich habe jetzt knapp drei Wochen realen Betrieb im Landtag hinter mir, auch wenn gerade Haushaltsberatungen sind und das nicht „der“ wirkliche Alltag in Stuttgart ist. Ich habe in den vergangenen Wochen vieles neu erlebt. Es ist auch heute noch etwas surreal. Das kommt natürlich auch durch die Art und Weise, wie mein Mandat überhaupt zustande kam. Es ging eben alles sehr schnell. Und schließlich tickt so ein Landtag auch ganz schön schnell. Da war nur wenig Zeit, sich auf diese Umstellung mal in Ruhe einzulassen.
Die Schwierigkeit, loslassen zu können
Mit dem plötzlichen Tod von Wolfgang Raufelder hat niemand gerechnet. Am Montag, den 28. November 2016 wurde er tot aufgefunden. Wie haben Sie davon erfahren und was ist dann alles passiert?
Zimmer: Ich hatte es morgens bereits erfahren und ein Satz am Telefonat war: „Elke, du weißt, was das für dich bedeutet?“. Meine erste Reaktion war „Ich lege jetzt auf“. Dann habe ich erstmal meinen Mann angerufen. Ich wusste nicht so richtig, wie mit der Situation umzugehen ist. Intellektuell weiß man, was jetzt alles auf einen zukommt. Aber bis ich das an mich habe herankommen lassen, hat das bei mir ein paar Tage gedauert. Ich musste irgendwie erstmal loslassen können. Von meinem alten Leben und auch von der bisherigen Selbstverständlichkeit, in der ich wusste, dass das Landtagsmandat die Aufgabe von Wolfgang Raufelder war. Ich hatte ihn ja wenige Tage zuvor noch im Gemeinderat gesehen. Das sind diese Momente, die man einfach nicht vergisst und an die man ständig denken muss.
Irgendwann aber mussten Sie sich dann aber der neuen Aufgabe stellen. Wie war das, als Sie als Landtagsabgeordnete zum ersten Mal nach Stuttgart gefahren sind?
Zimmer: Ich habe relativ schnell in Wolfgang Raufelders Abgeordnetenbüro angerufen, um auch dort zu signalisieren, dass ich da bin, wenn es irgendwas gibt, was getan werden muss. Es war mir klar, dass ich das Mandat annehmen werde. Sich als Ersatzkandidatin aufstellen zu lassen macht man nicht wirklich in der Absicht oder im Bewusstsein, dass so ein Fall eintritt. Aber wenn es wirklich eintritt, dann gibt es auch kein Zurück. Danach lief alles seinen Gang. Und je mehr Leute davon wussten, umso realer wurde das Ganze dann auch für mich. Am realsten war es, als ich zum ersten Mal in Stuttgart war. Das war so ungefähr zehn Tage nach Wolfgang Raufelders Tod.
Ich wollte nicht gleich am nächsten Tag nach Stuttgart fahren. Es waren alle tief betroffen und haben Zeit gebraucht. Es war für mich ein schwerer Gang, nach Stuttgart zu gehen. Für mich ist das Büro hier in Mannheim immer noch Wolfgang Raufelders Büro. In Stuttgart ist es anders. Da habe ich ihn nie erlebt. Als ich dorthin kam, waren das alles fremde Räume für mich. Dort im Büro fühle ich, dass es mein Büro ist.
Die ersten Begegnungen waren merkwürdig
Wie erlebten Sie die ersten Kontakte mit Mitarbeitern und Landtagskolleginnen und -kollegen in Stuttgart? Es war ja auch für die anderen eine schwierige Situation. Geht man da aufeinander zu oder geht man sich erstmal aus dem Weg?
Zimmer: Diese Situationen waren wirklich sehr merkwürdig. Man kommt da als neue Landtagsabgeordnete an und jeder ist versucht, dir zum neuen Amt zu gratulieren. Aber im gleichen Moment geht auch gleich der Schritt wieder zurück. Gratulieren will man da nicht wirklich. Das ist ein Moment, in dem vielen nicht klar ist, ob man gratulieren oder eher doch kondolieren sollte. Viele haben mich in Stuttgart einfach nur freundlich willkommen geheißen. Und das fand ich eigentlich eine ganz gute Ebene. Inzwischen gibt es natürlich ein paar Menschen, mit denen man beispielsweise im Ausschuss mehr zu tun hat. Mit denen spricht man natürlich auch mal intensiver über die Ereignisse. Aber es wird im Laufe der Zeit besser und inzwischen gratulieren die Menschen mir auch eher.
Auf der Trauerfeier hat auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann eine sehr persönliche Trauerrede gehalten. Wie war die erste Begegnung mit dem Ministerpräsidenten?
Zimmer: Er ist auf mich zugegangen und hat mich angesprochen. Wir hatten in der ersten Januarwoche eine Fraktionsklausur und das war für mich eine gute Gelegenheit, auch in der Landtagsfraktion anzukommen. Bei dieser Gelegenheit haben wir miteinander gesprochen und uns ausgetauscht. Wobei auch das in gewisser Weise für uns beide eine etwas surreale Situation war. Das Poltische ist in solchen Gesprächen zweitrangig. Es ging erstmals ums Ankommen.
Die Mitglieder der Grünen in Mannheim haben vor rund einem Jahr noch Wahlkampf für Wolfgang Raufelder gemacht und jetzt ist plötzlich jemand anderes die Abgeordnete. Wie begegnen einem da nun die Mitglieder? Wie begegnet man selbst diesen Mitgliedern und wie den Wählern?
Auf WR folgt EZ

Dienststempel, Elke Zimmer, MdL
Zimmer: Beim Neujahrsempfang der Grünen war ich erstmals offiziell die Landtagsabgeordnete. Aber die ersten Parteiveranstaltungen, Mitgliederversammlungen und ähnliches kommen erst noch. In meiner Gemeinderatsfraktion ist es etwas anderes. Da ging der Rollenwechsel doch recht schnell. Beim Tagesordnungspunkt „Bericht aus dem Landtag“ steht da nun nicht mehr „WR“ für Wolfgang Raufelder, sondern „EZ“ für Elke Zimmer.
Wie die Partei damit umgeht, wird man sehen. Die nächste Mitgliederversammlung wird für mich die erste sein, auf der ich das erste Mal in der neuen Funktion dabei sein werde. Ansonsten gibt es viele, die mir gratuliert haben und mir viel Glück gewünscht haben. Viele haben mir auch ihre Hilfe und Unterstützung angeboten. Es waren stets positive Rückmeldungen.
Ich erlebe es so, dass man mich in der schwierigen Situation unterstützen möchte, damit alles gut weiterläuft. Denn Wolfgang Raufelder war äußerst bekannt und hat wirklich große Fußstapfen hinterlassen. Auch von seiner Art her, wie er auf Menschen zugehen konnte. Ich weiß nicht, ob ich das je so ausfüllen kann. Wobei man danach auch nicht streben sollte, denn sonst zerbricht man daran auch. Letztlich muss man seinen eigenen Weg finden. In vielen Situationen bleibt Wolfgang Raufelder für mich Vorbild. Da gibt es viele Dinge, die möchte ich gerne so machen, wie er das gemacht hat.
Man muss sich schnell fit machen
Gibt es in einer solchen Situation eine 100-Tage-Schonfrist?
Zimmer: Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich selbst erwarten würde. Es gibt eben keinen geregelten Wechsel mit einer Übergangszeit. Aber nach 100 Tagen würde ich davon ausgehen, dass jemand das nötige Wissen hat. Diesen Anspruch habe ich jetzt auch an mich. Im Moment kann ich sicher noch nicht alles genau wissen und im Moment kann ich immer sagen: „Ich bin neu“. Aber irgendwann gilt dieser Satz nicht mehr. Das ist so wie auch in jedem anderen Job. Nach einer gewissen Einarbeitungszeit muss man fit sein.
Was mich sehr beschäftigt, ist die tiefe Verwurzelung von Wolfgang Raufelder in Seckenheim und in Friedrichsfeld. Das bedeutet für mich, dass ein Termin in der Neckarstadt oder auf dem Lindenhof emotional nochmal etwas anderes darstellt, als wenn ich irgendwann einmal einen Termin in Seckenheim oder in Friedrichsfeld haben werde. Da geht man dann mit einem schwereren Herzen hin.
Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Zimmer: Vor sechs Wochen hätte ich gesagt, die Kinder sind aus dem Haus und ich habe privat mehr Zeit und die Lebensplanung wird nun ganz neu gemacht. Mein Mann und ich hatten Pläne, wie wir diese neue Zeit gestalten wollten. Das sieht nun anders aus. Im Moment gibt es keinen Plan für in fünf Jahren. Die nächsten Landtagswahlen sind in viereinhalb Jahren. Da reicht es, wenn man sich in drei Jahren weiter Gedanken macht. Es wäre vermessen, dem heute vorzugreifen. Die Zeit wird zeigen, ob ich meine Aufgabe gut mache und ob ich das so gut mache, dass klar ist, dass ich das in Zukunft weitermache und weitermachen will. Aber das klärt sich dann. Jetzt ist erstmal Landtag angesagt.
Zur Person:
Elke Zimmer ist gelernte Bankkauffrau und war später als Diplom-Handelslehrerin an Berufsschulen tätig. Sie stammt aus Sindelfingen und lebt seit 1990 in Mannheim. Im Mannheimer Stadtbezirk Neckarau war sie neun Jahre lang Bezirksbeirätin, bevor sie 2014 in den Mannheimer Gemeinderat gewählt wurde. Dort ist sie Sprecherin der Grünen-Fraktion für Soziales, Eine Welt und demographischen Wandel. Am 12. Dezember 2016 rückte sie als Ersatzkandidatin für den verstorbenen Wolfgang Raufelder in den Landtag nach.
Anm. d. Red.: Der Autor Mathias Meder ist ehemaliger Stadtrat von Bündnis90/Die Grünen in Mannheim und weiterhin Mitglied der Partei. Wenn Mitarbeiter des Rheinneckarblog.de Mitglied einer Partei sind, berichten diese nicht über die jeweilige Partei, der sie angehören, wenn die jeweilige Partei im Fokus steht. Da dieses Interview eher den persönlichen Hintergrund thematisiert und dafür ein gewissen Vertrauen notwendig ist, wurde redaktionell entschieden, dass Herr Meder das Interview führen kann.