Mannheim, 07. September 2015. (red/ms) Der Mannheimer Ortsverband von Die Linke wirft Stadtrat Julien Ferrat „skrupellose Wählertäuschung“ und „Wählerbetrug“ vor. Herr Ferrat war bei der vergangenen Kommunalwahl 2014 über Listenplatz 3 der Partei in den Gemeinderat gewählt worden, verließ die Die Linke-Gruppierung im Gemeinderat unmittelbar im Anschluss und nahm fortan als parteiloser Einzelstadtrat sein Mandat wahr. Aktuell ist er der Familien-Partei beigetreten. Die Linke-Gruppen-Sprecher Thomas Trüper fordert Herrn Ferrat nun auf, sein Mandat als Stadtrat niederzulegen. Das wird allerdings nicht passieren.
Von Minh Schredle
Das Verhältnis von Stadtrat Julien Ferrat und der Mannheimer Linken ist seit geraumer Zeit angespannt: Ausgangspunkt für den Konflikt waren die Studierendenparlamentswahlen an der Universität Mannheim im April 2014.
Die neu gegründete Liste von die Linke.SDS hatte einen Sitz im Studierendenparlament erhalten. Doch es kam zu Neuwahlen: Einige Kandidaten der Linken und auch die notwendige Anzahl von Unterstützern, damit die Liste überhaupt zur Wahl antreten konnte, hatten auf der Liste nicht selbst unterschrieben – ihre Unterschriften waren gefälscht worden.
Knapper Zeitrahmen
Herr Ferrat hatte die Liste der Linken.SDS eingereicht. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses wurde nach einer Zahlung von 3.600 Euro an eine gemeinnützige Organisation eingestellt. Es konnte nicht aufgeklärt werden, wer für die Unterschriftenfälschungen verantwortlich gewesen ist.
Noch vor der Kommunalwahl im Mai ist Herr Ferrat allerdings aus der Partei Die Linke ausgetreten – dennoch wurde er über Listenplatz 3 der Partei in den Gemeinderat gewählt. Vom Kreisverband der Mannheimer Linken heißt es dazu:
Eine Neuaufstellung der Kandidatenliste für die Gemeinderatswahl war aufgrund der verstrichenen Fristen nicht mehr möglich.
Herr Ferrat war also schon auf Listenplatz 3 aufgestellt, die Liste geschlossen und konnte somit auf der Wahlliste nicht mehr ersetzt werden.
Listenplatz nur bedingt entscheidend
Bei Kommunalwahlen ist nicht der Listenplatz entscheidend – sondern die Anzahl von Stimmen, die einzelne Kandidaten erhalten. Es handelt sich hierbei um eine sogenannte „personalisierte Verhältniswahl“: Bei der Auszählung wird ermittelt, wie viele Stimmen eine Liste insgesamt erhalten hat. Anhand dessen wird berechnet, wie viele Sitze ihr im Gemeinderat zustehen. Diese Sitze werden anschließend an diejenigen Listenbewerber zugewiesen, die die meisten Stimmen erhalten haben.
Selbstverständlich verbessert ein höherer Listenplatz die Chancen eines Kandidaten – er ist aber nicht unbedingt das entscheidende Kriterium: Wenn drei Sitze auf eine Partei oder Wählervereinigung entfallen, heißt das nicht automatisch, dass die Kandidaten auf den ersten drei Listenplätzen in den Gemeinderat einziehen. Sollte Listenplatz 4 auf 10.000 Stimmen kommen und Listenplatz 3 nur auf 9.000 Stimmen, dann würde die Person auf Listenplatz 4 ein Mandat erhalten.
Ferrat erhält als Listenplatz 3 die drittmeisten Stimmen
Die Linke bekam nach den Wahlen 2014 drei Sitze im Gemeinderat zugesprochen. Gökay Akbulut gewann die Liste (Listenplatz 2, 10.685 Stimmen), Thomas Trüper erreichte das zweitbeste Ergebnis (Listenplatz 1, 10.233 Stimmen). Der dritte Sitz entfiel – trotz Austritt aus der Partei – auf Herrn Ferrat, der 9.370 Stimmen auf sich vereinen konnte, gefolgt von Nalan Aydin, die 8.848 Stimmen erreichte.
Es gibt keine Verpflichtung für Stadträte, für die Partei Politik zu betreiben, über deren Liste sie gewählt worden sind. Sie können – rein rechtlich – genauso gut als parteilose Einzelstadträte aktiv werden oder sogar Fraktionen oder Gruppierungen anderer Parteien und Wählervereinigungen beitreten. Jeder Gemeinde- oder Stadtrat hat ein unabhängiges Mandat inne.
Trotzdem zeigte Die Linke Mannheim ihren Missmut deutlich, als sie Herrn Ferrat aufforderte, sein Mandat als Stadtrat niederzulegen und dieser der Forderung nicht nachkam. Würde Herr Ferrat den Mannheimer Gemeinderat verlassen, könnte die/der Bewerber/in mit der folgend höchsten Stimmzahl von Die Linke für ihn nachrücken – also in diesem Fall Frau Nalan Aydin.
„Skrupellose Wählertäuschung“
Nachdem Herr Ferrat nun am 01. September bekannt gab, der Familien-Partei beizutreten, wiederholt Die Linke ihre Forderung, Herr Ferrat solle sein Mandat als Stadtrat niederlegen. Stadtrat Thomas Trüper:
Anhand seiner Aussage (Anm.d.Red.: gemeint ist Herr Ferrat), er habe weder mit Rot-Rot-Grün noch mit dem bürgerlichen Lager Berührungsängste, wird deutlich, dass Ferrat nicht die politischen Positionen vertritt, für die er in den Gemeinderat gewählt wurde. Im Gemeinderat stimmte er schon des Öfteren zusammen mit CDU, ML, MfM und AfD ab. Daher wird es nun endgültig Zeit, dass Herr Ferrat mit Rücksicht auf seine Wählerinnen und Wähler sein Mandat abgibt und Platz macht für den dritten Sitz, der der Linken zusteht.
Laut Stadträtin Gokay Akbulut vertrete die Familien-Partei teilweise sogar das Gegenteil vom dem, wofür die Linke steht:
Mit seinem Wechsel zur Familien-Partei betreibt Ferrat eine skrupellose Wählertäuschung. Die Mannheimerinnen und Mannheimer haben die Linke wegen ihrer politischen Positionen gewählt. Das, was die Familien-Partei vertritt, ist programmatisch teilweise das Gegenteil unserer Ansichten. So lässt sich nachlesen, dass die Familien-Partei dem Adoptionsrecht von Homosexuellen eher ablehnend gegenüber steht. Auch zum Thema Zuwanderung und Flüchtlinge vertritt diese Partei eine Ansicht, die nicht mit unseren übereinstimmt und sogar eine klare kulturkonservative Tendenz aufweist.
Bei der Familien-Partei handelt es sich um eine Kleinpartei, die in Baden-Württemberg bislang kaum eine Rolle spielte. Allerdings gelang es der Partei bei den Europaparlamentswahlen einen Sitz zu erhalten. Spitzenkandidat Arne Gericke schloß sich in der Folge der Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformer“ an – dieser Fraktion gehören auch AfD (2) und ALFA (5) an, sowie Vertreter der rechtspopulistischen Parteien „Die Finnen“ und der polnischen „Recht und Gerechtigkeit“.
Es ist dreist, dass Herr Ferrat einen solchen Wählerbetrug betreibt. Er blockiert unseren dritten Sitz im Gemeinderat und schwächt somit eine progressive linke Politik in Mannheim,
erklärten Hilke Hochheiden und Dennis Ulas, Sprecher von Die Linke Mannheim, gemeinsam.
„Die Wähler haben mit Vertrauen ausgesprochen“
Herr Ferrat wird sein Mandat als Stadtrat nicht niederlegen. Gegenüber der Redaktion Rheinneckarblog sagt er, er stehe der Rücktrittsforderung gelassen gegenüber:
Die Wähler haben mir das Vertrauen ausgesprochen. Das muss auch der Linke-Kreisvorstand akzeptieren.
Er werde weiterhin für die Ziele einstehen, mit denen er vor den Gemeinderatswahlen 2014 Wahlkampf betrieben hat. Seiner Ansicht nach würden die ideologischen Unterschiede zwischen Die Linke und der Familienpartei auf der kommunalen Ebene „kaum eine Rolle spielen“. Herr Ferrat bezeichnet die Familien-Partei als „Partei der Mitte“.
„Wählerbetrug“ gibt es übrigens nicht, „Wahlbetrug“ oder „Wahlfälschung“ hingegen wäre eine Straftat und ein falsch behaupteter „Wahlbetrug“ eine vermutlich abmahnfähige, unwahre Tatsachenbehauptung. Rechtsmittel gegen Die Linke wegen des Vorwurfs des „Wählerbetrugs“ wird Herr Ferrat auf Nachfrage nicht einlegen.