Heddesheim/Rhein-Neckar, 07. Juni 2011 (red/pm) Glauben Sie immer noch an den Mythos der „objektiven Tageszeitung“? Daran, dass die lokale Monopolzeitung tatsächlich das Spektrum der Meinungen abbildet? Das Pro und Kontra? Vorurteilsfrei handelt? Dann glauben Sie sicherlich auch noch an das Sandmännchen. Denn im Prinzip hat die Zeitung diese Rolle übernommen – Sand zu streuen, auf dass der liebe, zahlende Zeitungs-Abonnent gut vor sich hin dämmern kann. Der „Morgen bringt schon lange nichts mehr an den Tag“.
Von Hardy Prothmann
Die Heddesheimer Öffentlichkeit kennt mich nun mittlerweile ganz gut: In meinem Hauptberuf als engagierter Journalist verantworte ich seit gut zwei Jahren das heddesheimblog.
Diese Berichterstattung bereichert den Ort – durch Meinungsvielfalt. Statt der gewohnt langweiligen „Hurra-Berichterstattung“ im MM, „alles gut, immer schon gut, morgen auch gut – Berichte“, gibt es spannend recherchierte Themen, umfangreiche Bilderstrecken, offen ausgetragene Kontroversen, tausende von Kommentaren.
Seit gut zwei Jahren gibt es Vielfalt, Hintergründiges und Überraschendes im Ort – was hier auf dem „Blog“ dokumentiert wird. Ich verantworte als Journalist die Veröffentlichungen, die hier im heddesheimblog erscheinen. Und ich habe jeden der 4.400 Leserkommentare gelesen, die hier zu rund 1.900 Artikeln veröffentlicht worden sind.
Problem-Berichterstattung
Und es gibt eine fortwährende Auseinandersetzung mit der Berichterstattung im Mannheimer Morgen – immer dann, wenn das „nötig“ ist. Was leider häufig der Fall ist. Vor allem dann, wenn die Zeitung zugesandte Berichte als „eigene redaktionelle Leistung“ verkauft. Immer dann, wenn die Anzeigenabteilung vermutlich die Inhalte der Redaktion bestimmt. Immer dann, wenn die Zeitung nicht nur einseitig berichtet, sondern Informationen unterschlägt.
Als Journalist betreibe ich mit einem engagierten Team ein Netzwerk aus Lokalredaktionen für die Kommunen Heddesheim, Hirschberg, Ladenburg, Weinheim und Viernheim. Darüber hinaus für die Region Rhein-Neckar, arbeite nach wie vor für andere Medien und habe mit Kollegen vor kurzem das Netzwerk istlokal.de gegründet – einen Verband unabhängiger, lokaljournalistischer Internetangebote.
Bundesweite Beachtung – bundesweite Entwicklung
Bundesweit findet diese Arbeit eine hohe Beachtung. Universitäten, Firmen, Institutionen, die Kirchen laden mich ein, um einen neuen, direkten Journalismus zu erklären und darüber zu diskutieren. Allein über das „heddesheimblog“ ist über 200 Mal berichtet worden – in der FAZ, bei Spiegel Online, in der SZ, bei evangelisch.de, im DeutschlandRadio. Bundesweit entstehen ständig neue Angebote ähnlich dem „heddesheimblog“, die den Monopolzeitungen eigene Recherchen, starke Meinungsbeiträge, neue Sichtweisen entgegensetzen. Sie alle wollen Meinungsvielfalt und -freiheit befördern. Und das ist gut so.
In Heddesheim bin ich seit fast zwei Jahren Gemeinderat. Ebenso wie als Journalist vollkommen unabhängig. Ich bin ein von Bürgern gewählter Vertreter von Bürgern. Keine Partei-Marionette. Meine ehrenamtliche Funktion vertritt keine Partei, keine Fraktion – nur die Bürgerinnen und Bürger, mit denen ich in gutem Kontakt stehe. Wenn diese das wollen. Viele wollen das, aber natürlich nicht alle.
Kritische Auseinandersetzung? Fehlanzeige
In der gesamten Berichterstattungsregion des MM bin ich ein „Exot“. Journalist und Gemeinderat? So was gibt es auch bundesweit selten, ist aber noch kein einziges Mal im „MM“ thematisiert worden. Eigentlich muss und sollte eine Zeitung sich kritisch damit auseinandersetzen. Denn diese Verbindung ist nicht „einfach“ und sollte genau beobachtet werden. Ich leiste das selbstkritisch immer wieder – ein „Blick von außen“ wäre mir willkommen.
Tatsächlich hat der Mannheimer Morgen in den vergangenen zwei Jahren nicht eine einzige Frage an mich gestellt. Weder persönlich durch einen Redakteur, noch per Fax, Brief oder email. Nicht eine. Tatsächlich bin ich aber immer wieder „Teil“ der Berichterstattung – und zwar immer dann, wenn es aus Sicht dieser angeblich objektiven Zeitung „Negatives“ zu berichten gibt.
Tatsächlich versäumt die Zeitung seit zwei Jahren jeden journalistischen Ehrgeiz, einem unbequemen Zeitgenossen, mal „auf den Zahn zu fühlen“. Meine Positionen im direkten Kontakt zu thematisieren. Stattdessen ergötzt sich die Zeitung geradezu an Kontroversen, die mich immer als Provokateur darstellen und eine Koalition aus „Wackeldackeln“ im Gemeinderat, die alles abnicken, was der Bürgermeister Michael Kessler ihnen vorschlägt, als die, die „geschlossen“ gegen „den Prothmann“ auftreten.
Alles wie immer? Wohl kaum.
Wer „der Prothmann“ eigentlich ist, hat der MM nicht ein einziges Mal versucht, herauszufinden. Doch das sollte man als zahlender Zeitungsleser eigentlich erwarten dürfen. Das sollte jeder journalistische Ehrgeiz wissen wollen – nicht so beim „MM“.
Aktuell hat der „MM“ zwei Tage Zeit gehabt, meinen Leserbrief zu veröffentlichen. Das ist nicht geschehen. Warum nicht? Aus „Platzgründen“? Wohl kaum. Der MM hat erst im Herbst seine Seiten „Rhein-Neckar“ von drei auf sechs erweitert.
Ich bin fast sicher, dass der „MM“ den Leserbrief nicht veröffentlichen wird. Rechtliche Bedenken können keine Rolle spielen – die Verantwortung liegt bei mir. Es geht vielmehr darum, dass der „MM“ von mir als Instrument der politisch-gesellschaftlichen Willensbildung benannt wird. Und als Problem. Auch im Leserbrief. Weil der Zeitung jede Fähigkeit zur Selbstkritik fehlt, ist das natürlich aus Sicht der Redaktion und ihrer Chefs „unerhört“.
Deswegen verschweigt die Zeitung das lieber. Denn das kann sie ganz gut – schweigen statt öffentlich machen.
Selektion vs. Objektivität=Realität
Von einer Zeitung, in der Meinungsvielfalt und ordentlicher Journalismus nicht viel gilt, ist auch kaum eine andere Reaktion zu erwarten. Lustig ist das allemal – denn die „Holzköppe“ (in der Internetbrachne werden Zeitungen „Holzmedien“ genannt) denken tatsächlich, dass alles, was nicht in ihrer Zeitung steht, auch nicht „stattgefunden hat“.
Das hat es aber. Anbei lesen Sie meinen Leserbrief an den „MM“ – wie so oft erfahren Sie aktuell und exklusiv über das heddesheimblog davon. Falls der „MM“ den Leserbrief doch noch bringen sollte, ist er eine Information von „Gestern“ – auch das kann Sinn machen, um der „Chronistenpflicht“ nachzukommen.
Falls der „MM“ den Leserbrief, den ich als Gemeinderat, also als ein unabhängig gewählter Vertreter der Heddesheimer Gemeinde geschrieben habe, nicht veröffentlichen sollte, kann sich jeder selbst einen Reim darauf machen, wie tief diese Zeitung gesunken ist. Und wie sehr diese Zeitung jeden journalistischen Anstand verloren hat und sich wohl fühlt als „Verlautbarungsmaschine“ für Bürgermeister, Verbandssprecher und alle, nur nicht für die Leserinnen und Leser.
Leserbrief zum Kommentar von Frau Görlitz über das Thema Edeka am 28. Mai 2011
Sie fragen sich in Ihrem Kommentar am 28. Mai 2011, „warum man darüber zwei Stunden diskutieren musste?“ „Darüber“ meint Umbau- und Erweiterungspläne der Edeka am Standort Heddesheim.
Meinen Sie Ihre Frage ernst? Mal abgesehen davon, dass nicht zwei Stunden diskutiert worden ist, sondern eine Präsentation stattgefunden hat, dann Fragen gestellt wurden und dann diskutiert wurde?
Der Gemeinderat hat die Pflicht, sich im Sinne aller Bürgerinnen und Bürger intensiv mit Bauvorhaben zu befassen und Vor- und Nachteile abzuwägen. Der Gemeinderat hat keinerlei Pflicht, die Interessen von Unternehmen über die der Bürgerinnen und Bürger zu stellen.
Und Journalismus hat die Pflicht, möglichst genau und zutreffend zu berichten.
Leider kommen Teile des Gemeinderats und der Mannheimer Morgen diesen Pflichten nicht nach.
Ihre Berichterstattung ist nicht zutreffend. Edeka hat keineswegs von sich aus „prompt eine weitere Bürgerbeteiligung angeboten“. Erst durch die von den Grünen Gemeinderäten und mir angeführte Diskussion ist dieses „Angebot“ entstanden, das allerdings unter den Möglichkeiten einer umfangreichen Bürgerbeteiligung bleibt.
Insgesamt vier Mal musste ich dazu meinen Antrag formulieren, eine möglichst umfassende Bürgerbeteiligung vorzunehmen – kein Wort davon in Ihrem Bericht. Dieser Antrag sollte ebenso wie der ähnliche Antrag des Kollegen Reiner Edinger (Grüne) vor dem FDP-Antrag „auf eine beschleunigte Beratung zu einem Aufstellungsbeschluss“ beschlossen werden.
Beide erweiterten Anträge hat Bürgermeister Michael Kessler als solche nicht anerkannt und eine Ablehnung empfohlen, für die sich die Mehrheit im Gemeinderat dann auch ausgesprochen hat.
Eine Bürgerbeteiligung ist keineswegs so lächerlich, wie Sie das in Ihrer Berichterstattung darstellen, „man hat ja mitreden dürfen“. Sie dient dem Vorbringen von Sorgen und Bedenken, aber auch von Ideen und Sachverstand, die ein Projekt positiv beeinflussen können. Und vor allem dient sie dem sozialen und politischen Frieden. Der ist im Ort dank der sturen Hau-durch-Haltung des Bürgermeisters und der Mehrheit im Gemeinderat in Heddesheim dahin.
Das von Ihnen geschilderte Bedrohungsszenario ist journalistischer „Unfug“. Edeka hat erst vor wenigen Jahren in das Tiefkühl- und Frischelager investiert und die hohe Attraktivität des Standorts betont. Es wäre „ökonomischer Unfug“ diesen in naher Zukunft komplett aufzugeben, nur weil man möglicherweise kein Getränkelager bekommt.
2009 argumentierten die „Pfenning“-Befürworter, man müsse den Wegfall der „250 Fleischwerk-Arbeitsplätze“ kompensieren. Durch „Pfenning“ sollen angeblich 1.000 Arbeitsplätze entstehen, also eine Kompensation plus 750 weiteren Arbeitsstellen. Jetzt wird wieder argumentiert, durch das Getränkelager würden die Arbeitsplätze kompensiert. Bürgermeister Kessler und Teile des Gemeinderats kannten bereits seit 2007 die Erweiterungspläne – wer eins und eins zusammenzählen kann, weiß, dass die Heddesheimer Bürgerschaft konsequent hinters Licht geführt wird – unterstützt durch eine selektive Berichterstattung dieser Zeitung.
Anmerkung der Redaktion:
Hardy Prothmann ist freier Journalist und verantwortlich für das heddesheimblog. Er ist außerdem Gemeinderat in Heddesheim und hat bei der Kommunalwahl 2009 auf Listenplatz 11 der FDP-Liste als unabhängiger Kandidat diese Liste mit einem Vorsprung von 20 Prozent zum FDP-Vorsitzenden Frank Hasselbring gewonnen. Seither nimmt er als partei- und fraktionsfreier Gemeinderat die unabhängigste Position im Gemeinderat ein. Die Funktion als Gemeinderat beschneidet ihn enorm in seiner Funktion als Journalist. Als Journalist ist er an „Veröffentlichung“ für die Allgemeinheit interessiert – als Gemeinderat ist er in Teilen einer Verschwiegenheit verpflichtet, die seinen Brotberuf als Journalist behindert.