Ludwigshafen, 06. Juli 2013 (red/ld) Die Bewohner der Parkinsel haben Angst. Nach dem Großbrand der Lagerhalle sind ihre Häuser und Gärten mit schwarzen Rußsprenkeln übersät. Kinder, die im Garten spielen kommen mit schwarzen Fingern wieder ins Haus. Das Zeug ist hartnäckig, lässt sich kaum abwaschen. Niemand weiß, ob es giftig ist. Völlig ungiftig sagt die BASF. Obst waschen, schälen und den Rasen mähen, rät Dr. Sebastian Kevekordes, Leiter des Gesundheitsamts Ludwigshafen. Bei der gestrigen Versammlung sah es nicht so aus, als würden die Anwohner auf diese Aussagen vertrauen.
Von Lydia Dartsch
Die Platanen in der Hafenstraße direkt neben der abgebrannten Lagerhalle haben eine Menge abbekommen. Halbseitig verkohlt sind sie. Die Blätter fallen von den Bäumen. Wo es sommerlich grün sein sollte, liegt braun-schwarzes, trockenes Laub. Um alle Blätter zu entsorgen und die Bäume zu erhalten, wurden gestern begonnen, die Äste der Platanen zu stutzen – die Abfälle in extra dafür vorgesehenen Behältern gesammelt. Sondermüll.
Nach einer nur halbherzigen Kommunikation über zwei Wochen hinweg hatte die Stadt am Mittwoch reagiert und für gestern eine Bewohnerversammlung einberufen. Gut 170 Bewohnerinnen und Bewohner waren der Einladung in die Aula des Geschwister-Scholl-Gymnasiums gefolgt. Oberbürgermeisterin Dr. Eva Lohse (CDU) wollte Fragen beantworten und hatte sich dazu Experten eingeladen: Peter Friedrich, Kommandant der Feuerwehr Ludwigshafen, Rainer Ritthaler, Bereichsleiter Umwelt der Stadtverwaltung, den Beigeordneten Dieter Feid sowie den Ortsvorsteher der Südlichen Innenstadt Christoph Heller, den Leiter der Hafenbetriebe Franz Josef Reindl, die Leiterin der Abteilung Umwelt und Genehmigungen bei der BASF Dr. Linda von dem Bussche und den Leiter des Gesundheitsamts Dr. Sebastian Kevekordes.
„Größter Brand der Nachkriegszeit“
Dr. Lohse und Herr Feid lobten die Arbeit der Feuerwehr und des Katastrophenteams am 22. Juni. Die Bewohnerinnen und Bewohner stimmten dem applaudierend zu: Über 600 Menschen seien an dem Einsatz beteiligt gewesen, sagte Dieter Feid. Feuerwehrkommandant Friedrich bedankte sich bei den Anwohnern für die schnelle und reibungslose Evakuierung. Es sei der größte Brand in der Nachkriegszeit gewesen.
Harald Krug erläuterte die ersten 60 Minuten des Einsatzes: Danach war um 12:54 Uhr ein Anruf bei der Feuerwehr eingegangen, es brenne ein Elektroverteiler auf dem Dach der Lagerhalle in der Hafenstraße. Drei Minuten später, um 12:57 Uhr, wurde die Feuerwehr alarmiert. Um 12:59 Uhr löste die automatische Brandmeldeanlage (BMA) aus. Während der Anfahrt zum Gebäude wurden weitere Feuerwehren alarmiert. Um 13:01 Uhr traf das erste Fahrzeug bei Brand ein.
„An aktive Brandbekämpfung war nicht zu denken“
Herr Krug zeigte ein Foto: Eine Flamme schlägt auf dem noch intakten Hallendach. In diesem Bereich habe auch die BMA Alarm ausgelöst. Die Feuerwehrleute haben zuerst die Halle erkundet, sagte er:
Sie berichteten von elektrischen Lichtbögen an der Decke mit starkem Geräusch. Daraufhin haben sie die Halle fluchtartig verlassen.
Der Feuerwehrzug 03 traf um 13:08 Uhr ein, um 13:11 Uhr folgten Feuerwehrzug 02 und die Freiwillige Feuerwehr Oppau. Um 13:13 Uhr wurde bei den Freiwilligen Feuerwehren Vollalarm ausgelöst. Es folgten die Alarmierung der Messtechnik um 13:27 Uhr, das Eintreffen des Feuerlöschboots Metropol um 13:42 Uhr. Um 13:52 Uhr wurde die Bevölkerung per Rundfunk gewarnt und um 13:55 Uhr lief der Turbolöscher der BASF SE.
An aktive Brandbekämpfung war nicht zu denken,
sagte Herr Krug. Der Einsatzleitung sei schnell klar gewesen, dass sie die Halle nicht werden halten können – trotz der bis zu 36.000 Liter Wasser pro Minute, die aus dem Hafenbecken zur Verfügung gestanden haben. Diese Menge sei das 20-fache dessen, was gesetzlich vorgeschrieben sei. Deshalb habe man die Einsatzfahrzeuge in die sogenannte Riegelstellung gebracht und versucht, ein Übergreifen auf umliegende Gebäude zu verhindern. Es sei eine „Materialschlacht“ gewesen. Die Fahrzeuge hätten massive Hitzeschäden davon getragen, acht Kilometer Schlauch sei verlegt worden.
Es war lange fraglich, ob wir die Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite halten können. Wir hatten Glück, dass der Wind den Rauch in die richtige Richtung geweht hat,
sagte er. Durch die hohe Verbrennungstemperatur sei außerdem eine Thermik entstanden, die den Rauch in die oberen Luftschichten gedrückt habe.
Pentan im Styrol als Brandbeschleuniger
Wie viel Glück sie gehabt hatten, war erst in der Fragerunde zu erahnen, als Dr. von dem Bussche auf die Frage antwortete, was dem in der Halle gelagerten Polystyrolgranulat noch enthalten gewesen sei: Pentan – eine Kohlenwasserstoffverbindung, die beispielsweise in Feuerzeugen Verwendung findet. Im Polystyrolgranulat werde es als Treibmittel genutzt, um das Granulat zu Styropor aufzuschäumen, sagte Dr. von dem Bussche.
4.800 Tonnen Polystyrolgranulat waren in der Halle gelagert. Das darin enthaltene Pentan habe als Brandbeschleuniger gewirkt, sagte sie.
Wie können Sie solch hoch entflammbaren Stoffe in einer Halle lagern mit Photovoltaikanlagen auf dem Dach nur fünfzig Meter von einer Wohnsiedlung entfernt?
fragte ein Anwohner Dr. von dem Bussche und Franz Josef Reindl. Dieser schien die Situation nicht ganz zu verstehen, den Ärger und die Angst der Menschen nicht ganz ernst zu nehmen, als er dem Fragesteller antwortete:
Ich könnte die Diskussion noch anheizen, wenn ich Ihnen sage: Sie sind jünger als Jahrgang 1969 und trotzdem in die Nähe der Halle gezogen.
Die Bewohnerinnen und Bewohner reagierten mit empörten Rufen.
Die Photovoltaikanlagen seien genehmigungsfrei, sagte Feuerwehrkommandant Friedrich. Die Feuerwehr habe keine Möglichkeit, diese vor Inbetriebnahme zu begutachten. Im Grunde könne jeder in Rheinland-Pfalz sich eine solche Anlage aufs Dach bauen. Das habe der Gesetzgeber in der Landesbauordnung so geregelt, um es Hausbesitzern möglichst einfach zu machen Solaranlagen zu installieren.
Ich hoffe, dieser Vorfall führt dazu, dass der Gesetzgeber da über eine Regelung nachdenkt,
sagte er.
Warnung an die Feuerwehr Mannheim
Als den Einsatzkräften am Brandort klar war, dass der Rauch in Richtung Mannheim zieht, sei die dortige Feuerwehr informiert worden, dass ein Rußniederschlag erwartet werde, sagte Martin Meinhart, technischer Einsatzleiter der Feuerwehr Ludwigshafen.
Um die Gefahr für die Bevölkerung abzuschätzen, sei sehr schnell die Messtechnik zur Einsatzstelle beordert und Erkundungstrupps auf den Dächern postiert. Wischproben seien von Autodächern genommen worden. Dort hatten die Messtechniker die geringste Kontamination mit anderen Stoffen erwartet, als wenn sie Proben vom Boden genommen hätten. Das Ergebnis: Die Werte seien unbedenklich. Ähnlich sah es bei den Luft- und Wasserproben aus und auch die Rußanalyse habe keine Grenzwertüberschreitungen ergeben.
Keine gesundheitliche Gefährdung
Messungen seien auch nach polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) durchgeführt worden, sagte Rainer Ritthaler. Über Nacht seien Werte zwischen 0,07 und 0,37 µg pro 100 Quadratzentimeter gemessen worden. Das sei unbedenklich. Die Grenzwerte für einen Kinderspielplatz liegen bei 2.000 µ-Gramm pro 100 Quadratzentimeter – 1.000 sind es für Wohnhäuser.
Auch die Lebensmittelkontrollen in Ludwigshafen und im Umfeld seien unauffällig gewesen. Dioxine seien nicht gefunden worden. In vier Fällen habe man erhöhte Werte von PAK festgestellt – dabei habe es sich um verrußte Früchte gehandelt, sagte Herr Ritthaler. Das Gesundheitsamt habe den Menschen geraten, gering verrußtes Obst vor dem Essen abzuwaschen und zu schälen; stark verrußtes zu entsorgen. Eine gesundheitliche Gefährdung habe zu keiner Zeit bestanden, sagte Dr. Sebastian Kevekordes.
Erklärungen, die spät kamen und bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Parkinsel mehr Fragen aufwarfen. Was ist in dem Ruß, der in den Gärten und auf den Häusern niedergegangen ist? Wie kann man ihn entfernen? Wer kommt für die Reinigung von Autos und Häuserfassaden auf? Wann können Kinder wieder im Garten spielen? Es war deutlich zu erkennen: Diese Menschen haben Angst um ihre Gesundheit und die ihrer Familie.
Es ist doch klar, dass Kinder schwarze Finger bekommen, wenn sie draußen im verrußten Garten spielen. Mähen Sie Ihren Rasen und waschen Sie die Früchte aus ihrem Garten vor dem Verzehr gut ab,
sagte Herr Kevekordes und fügte hinzu, dass einmal Rasenmähen nicht ausreichen werde. Eine Bewohnerin fragte, ob sie ihren Garten in diesem Jahr noch nutzen können werde. Ihre Tochter habe seit dem Brand Gartenverbot. Fragen, auf die die Anwesenden keine Antworten wussten
Ich nehme diese Fragen mit und versuche sie zu klären,
sagte Oberbürgermeisterin Dr. Lohse.
Brandschutzversicherungen sollen Fassadenschäden bearbeiten
Zur Schadensabwicklung sagte Herr Reindl, dass die Hafenbetriebe und die Halle gut versichert seien. Die Hafenbetriebe hätten den Betroffenen freiwillig das Angebot gemacht, ihre Schäden per Telefon, Email und Briefen zu melden und Fotos einzureichen. 2.000 Fälle seien gemeldet worden. 200 Schäden habe man identifiziert. Davon hätten zwei Drittel bereits bearbeitet werden können. Teilweise seien bereits Zahlungen getätigt worden.
Ein Problem seien die Fassadenschäden. Für die gut 70 gemeldeten Fälle würde sich keine Versicherung freiwillig zuständig fühlen, sagte Herr Reindl und bat um Geduld. Die Versicherung brauche für die Abwicklung einen Verursacher für die Schäden.
Waren es die Hafenbetriebe, denen die Halle gehörte? Ist es die Firma Panalpina, die sie betrieben hat? Die BASF, die das verbrannte Polystyrolgranulat dort gelagert hatte? Oder die Firma, die die Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert hatte? Der Schadensverursacher werde derzeit ermittelt, sagte Dr. Lohse.
Bis dahin sollen die betroffenen Hausbesitzer die Schäden ihrer eigenen Brandschutzversicherung melden. Diese sei für jeden Gebäudebesitzer Pflicht und im ersten Moment der richtige Ansprechpartner, sagte Ortsvorsteher Christoph Heller:
Und sei es nur, um die Schäden zu dokumentieren und dass sie bearbeitet werden. So habe ich es bei meinem letzten Brandschaden gemacht, als es bei meinem Nachbarn gebrannt hatte.
Keine Antworten auf emails nötig?
Trotzdem bleibt Kritik an der Kommunikation mit den Betroffenen:
Ich habe die Nummer angerufen, mehrmals Fotos von den Schäden geschickt. Aber ich habe keine Antwort bekommen,
sagte eine Frau, die das Angebot der Hafenbetriebe angenommen hatte.
Wir hatten keine Notwendigkeit gesehen, den Eingang von emails zu beantworten. Wenn man nichts hört, sollte man doch davon ausgehen, dass sie angekommen sind,
sagte Herr Reindl. Ein anderer Anwohner sagte, er hätte sich gewünscht, dass Mitarbeiter der Hafenbetriebe an den Haustüren klingeln, um Schäden aufzunehmen und Informationsblätter in die Briefkästen werfen, anstatt die Kommunikation den Medien zu überlassen.