Ludwigshafen/Rhein-Neckar, 06. Oktober 2025. (red/pro) Die Wahl des Oberbürgermeisters von Ludwigshafen ist mittlerweile eine Farce, kommentiert RNB-Redaktionsleiter Hardy Prothmann. Ganz gleich, wer aus der Stichwahl am kommenden Sonntag, 12. Oktober 2025, als Wahlsieger hervorgeht – erstens überzeugt keiner der Kandidaten, zweitens wird der Wahlsieder nur eine völlig enttäuschende Zahl von Wählerstimmen auf sich vereinigen können und drittens ist mehr als fraglich, ob der neue OB überhaupt zum 01. Januar 2026 das Amt antreten kann. Und viertens ist noch völlig unklar, ob die Wahl nicht wiederholt werden muss.Kommentar: Hardy Prothmann
Das gesellschaftlich-politische Ergebnis dieser Oberbürgermeister-Stichwahl am 12. Oktober 2025 steht bereits fest: Es ist ein Desaster. Alle Sonntagsreden, die nicht zu diesem Ergebnis kommen, sind Schönrednerei.
Und es kommt überhaupt nicht darauf an, ob der „Favorit“, Klaus Blettner (CDU/FWG) oder sein Gegenkandidat Jens Peter Gotter (SPD/Grüne) die Wahl gewinnt – beide Kandidaten konnten schon bei der ersten Wahl am 21. September 2025 nicht überzeugen (Blettner 41,2 Prozent, Gotter 35,5 Prozent).
Und keiner der beiden wird, so meine Einschätzung, das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Ludwigshafen, am 01. Januar 2026 antreten.
Sensationell schlechte Wahlbeteiligung
Mit 29,3 Prozent Wahlbeteiligung (das sind 34.631 Stimmen von 118.314 Wahlberechtigten, davon waren nur 31.430 gültig, 3.201 ungültig) bei der ersten Wahl ist ein Tiefpunkt an Wahlbeteiligung erreicht, der sensationell ist: sensationell schlecht. Davon waren satte 9,2 Prozent ungültige Stimmen, ein absolut ungewöhnlicher Prozentsatz, der sich nur mit erheblichem Protest erklären lässt. Übersetzt: Von 118.314 Wahlberechtigten haben nur 12.943 Herrn Blettner gewählt. Herr Gotter nur 11.160 Wähler. Rechnet man die 3.201 ungültigen Stimmen heraus, verbleibt eine Wahlbeteiligung von 26,56 Prozent. (Zum Vergleich – würde man 1,5 Prozent ungültige Stimmen annehmen, was schon viel wäre, wären das rund 520 ungültige Stimmen).
Betrachtet man die reale Zahl der Stimmen und nicht die relative Prozentzahl, haben 10,94 Prozent der Wähler bezogen auf alle Wahlberechtigten ihre Stimme Herrn Blettner gegeben. Und 9,43 Prozent stimmten für Herrn Gotter. Das ist erschütternd. Vor allem, weil die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl deutlich niedriger sein dürfte. Sollte Herr Blettner gewinnen, was ist er dann? Mister 7, 8, 9 Prozent?
Der Protest der Wahlberechtigten (ob ungültige Stimmen oder gar nicht erst eine Stimme abgegeben) lässt sich eindeutig auf die Nicht-Zulassung des AfD-Kandidaten Joachim Paul zurückführen – der infolge eines inszenierten Manövers durch das Innenministerium (Minister Michael Ebling) der SPD-geführten Landesregierung, respektive das Amt für Verfassungsschutz, die Aufsichts- und Dienstleistungdirektion (ADD) sowie die derzeitige Amtsinhaberin Jutta Steinruck (parteilos, früher SPD) durch den Wahlausschuss der Stadt (Vorsitz Steinruck) nicht zugelassen worden ist.
Der Ausschluss des AfD-Kandidaten Paul hat massive Folgen

Zur Stichwahl stehen Klaus Blettner (CDU) und Jens Peter Gotter (SPD) auf dem Wahlzettel. Der Kandidat Joachim Paul (AfD) wurde nicht zugelassen.
Frau Steinruck ist alles, nur keine Verfassungsexpertin. Sie soll von sich aus die ADD angefragt haben, die ihre Anfrage an das Innenministerium weitergab, das wiederum den Verfassungsschutz mal prüfen ließ, der wiederum ein als „Gutachten“ dem Wahlausschuss erst in der Sitzung nur mündlich durch Frau Steinruck präsentiertes Papier übermittelt hatte, das überwiegend im Internet auffindbare „Belege“ für eine angeblich nicht-gegebene Verfassungstreue „bestätigte“. (Wörtliche Antwort der Stadtverwaltung auf meine Anfrage, wie die Mitglieder des Wahlausschusses informiert worden sind: „Mündlich in der Sitzung des Wahlausschusses am 5. August 2025 durch auszugsweise Verlesung des Schreibens des Innenministeriums vom 29. Juli 2025.“, Unterstreichung d. d. Verf.) Darauf muss man erst Mal kommen. Da die Panik vor dem zunehmenden Erfolg der AfD riesig ist, macht man auch vor wilden Ideen nicht halt – zumal, wenn eine sehr schwammige gesetzliche Regelung Interpretationsspielraum lässt. Und das stößt allen vernünftigen Bürgern auch, nicht nur im AfD-Lager.
Herr Paul ist bereits gerichtlich über mehrere Instanzen gegen seine Nicht-Zulassung vorgegangen – ob anwaltlich gut vertreten, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass die Gerichte in der Kürze der Zeit bei der Tragweite der Verhandlungssache sich mit Hinweis auf die Möglichkeit der Wahlanfechtung herausgewunden haben. Das wesentliche Argument – in der Abwägung zwischen Einzelinteresse (Paul) und Gesamtinteresse (regelmäßige Wahlen), habe das Einzelinteresse zurückzustehen. Das ist im Grundsatz nachvollziehbar.
Bereits vor der Wahl habe ich Mitte August die Stadt Ludwigshafen angefragt, ob Frau Steinruck das Amt weiter kommissarisch führen werde (alternativ hätte einer der Beigeordneten dies machen können), sofern der Wahlgewinner das Amt (noch) nicht antreten kann. Die Antwort war positiv, heißt: Frau Steinruck wird gemäß § 52 III GemO RP über den 31. Dezember 2025 hinaus das Amt der Oberbürgermeisterin verwaltend ausüben.
Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit so kommen, denn es ist davon auszugehen, dass Herr Paul die Wahl anfechten wird. Das bedeutet einen möglicherweise langen Gang durch die Instanzen – zunächst als Beschwerde, vermutlich an die übergeordnete ADD, die mutmaßlich ablehnen wird. Dann geht es vor das Verwaltungsgericht Landau zur Prüfung und Entscheidung. Hiergegen kann vermutlich wiederum Beschwerde eingelegt werden, also folgt das Oberverwaltungsgericht Koblenz und zu guter Letzt das Bundesverfassungsgericht oder gar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Wie lange das dauert? Sicherlich einige Monate, vielleicht auch ein Jahr und länger. Frau Steinruck kann sich über jeden Tag freuen. Überschlagen würde sich ihre Rente bei einer Entscheidungsdauer von 1,5 Jahren um rund 70.-80.000 Euro verbessern, gerechnet auf 20 Jahre Bezug.
Ebenfalls freuen kann sich die AfD, die, ganz gleich, ob eine Wahlanfechtung erfolgreich wäre und eine Neuwahl notwendig würde, sich als Kampftruppe gegen klüngelnde „Systemparteien“ präsentieren kann. Währenddessen läuft auch hier die Zeit und 2029 folgen die Kommunalwahlen. Geht es nach dem Trend, wird die AfD dann möglicherweise stärkte Fraktion, aktuell ist sie bereits drittstärkte Kraft im Gemeinderat, knapp hinter CDU und SPD.
Wahlsieger ohne Glanz
Nicht freuen kann sich der Wahlsieger, egal, wie der heißt – denn der Amtsantritt wird voraussichtlich monatelang nicht möglich sein. Und dazu wird ein maximal schlechtes Ergebnis kommen. Sollte eintreffen, was man bei Stichwahlen allgemein feststellen kann, dass sich die Wahlbeteiligung nochmals deutlich verringert, dann wird der neue OB mit vermutlich gerade mal mit weniger oder knappen 10 Prozent der Wählerstimmen ins Amt kommen. Wie gesagt: Das ist ein Desaster.
Selbstverständlich wäre, sofern die Wahlanfechtung scheitern sollte, der Amtsinhaber rechtsstaatlich ordnungsmäßig ins Amt gewählt. Aber mit rund zehn Prozent der Wahlstimmen? Welchen Respekt hat eine Stadtgesellschaft vor einem Stadtoberhaupt mit minimaler Basis? Welchen Stand hat ein solcher OB vor einem Gemeinderat jetzt und in Zukunft, wenn mutmaßlich die AfD die stärkste, mit Sicherheit aber die zweitstärkste Fraktion bildet? Wie soll hier die Zusammenarbeit zwischen dem Souverän, also dem Gemeinderat und dem Chef der Verwaltung auch nur ansatzweise zum Wohle der Bürgerschaft funktionieren?
Und damit sind wir bei den Kandidaten – keiner von beiden ist eine Lichtgestallt. Keiner von beiden hat tatsächlich Verwaltungserfahrung. Keiner von beiden hat wichtige Kontakte in die jeweilige eigene Parteistruktur. Keiner noch wichtigere Kontakte zum Land. Was beide eint, ist, es sind Verlegenheitskandidaten, weil weder die CDU noch die SPD in der Lage waren, eine Persönlichkeit mit einem entsprechenden Format für die mehr als schwierigen Aufgaben der zweitgrößten Stadt im Land zu gewinnen. Theoretisch und oft auch praktisch (siehe Mannheim) sind Bewerber zuvor selbst Beigeordnete (Bürgermeister) im Amt – doch in Ludwigshafen hat keiner den Finger gehoben.
Unter Format verstehe ich bitte nicht die Persönlichkeit, sondern die Qualifikation. Nun ja, vielleicht auch ein wenig die Persönlichkeit, zumindest bei Herrn Gotter.
Gotter – Macher oder Vormacher?
Ich fange mit Herrn Jens Peter Karl Willy Gotter an, der vom Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer (SPD) wärmstens empfohlen wurde. Bereits am 24. September habe ich beide Kandidaten einen (zugegeben langen) Fragenkatalog zugesendet. Herrn Gotter zwei Mal an seine geschäftliche Email seiner Firma 3JGuys GmbH, dann an Herrn David Guthier an die Regionalgeschäftsstelle. Drei Mal bekam ich keine Antwort. In der Anfrage gab es vor allem drei wichtige Fragenkomplexe: Zunächst zur Zeit von 1991-2000, in der Herr Gotter in seiner öffentlichen Darstellung nichts angibt. Er hatte Abitur gemacht und wurde dann „Direktor“. Später verdichtete sich, er könnte von 1994-2000 an der Universität Mannheim Volkswirtschaftslehre mit Diplom-Abschluss studiert haben. Tatsächlich gibt er das selbst an, allerdings habe ich keine Stelle gefunden, an denen er den Titel Dipl.-Vw (für Volkswirt) auch offiziell führt. Eine reine Nachlässigkeit?
Zweitens wollte ich gerne wissen, welcher Art seine Aufgaben als „Direktor“ bei zwei Unternehmen war. Denn „Direktor“ wiederum ist ein nicht geschützter Titel ohne rechtliche Relevanz, anders als beispielsweise „Geschäftsführer“. Es gibt Firmen, da wird jemand als „Direktor Vertrieb D-A-CH“ geführt und hat vielleicht jeweils einen Vertriebsmitarbeiter für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Direktor hört sich „groß“ an, kann groß sein, ist meist aber nur ein schöner Titel, um sich nach außen wichtig darzustellen. Weiter interessierte mich seine Angabe, er sei von 2018-2020 „Senior Vice President und Geschäftsführer der Cancom Deutschland GmbH“ gewesen. Tatsächlich war er laut Handelsregister erst ab 09.02.2019 Geschäftsführer und ist nach nicht mal einem Jahr am 16.01.2020 bereits wieder ausgeschieden.
Und da sich Herr Gotter als „Macher, als „Unternehmer“ darstellt, war die Frage nach seiner „3JGuys GmbH“ besonders interessant, da diese an seiner Privatadresse firmiert, keinerlei Bilanzen auffindbar sind und jeglicher geschäftliche Erfolg nicht erkennbar ist. Ebenso wie seine „Mitarbeit“ bei „bwCloud“, einem IT-Service, der von mehreren Universitäten und dem Land Baden-Württemberg getragen wird.
Am 02. Oktober 2025 veröffentlichte dann der Mannheimer Morgen einen Artikel zur erheblichen finanziellen und unternehmerischen Schieflage des Startups „3JGuys GmbH“, die im wesentlichen eine wohl ebenfalls wesentlich unerfolgreiche „Fußball-Fan-App“ vermarktet. Herr Gotter zeigt sich unbeeindruckt, es sei zwar nicht gut gelaufen, von 14 Mitarbeitern seien aktuell nur noch die drei Gründer an Bord, eventuell würde das Unternehmen aufgelöst. (Interessant ist, dass der MM offenbar eine Abfrage über Creditreform gestellt hat und diese sensiblen Informationen veröffentlicht, was aber ein anderes Thema ist.)
Man darf als Unternehmer scheitern. Risiko gehört zum Geschäft. Sich aber die Leitung einer Verwaltung mit 3.900 Mitarbeitern (400 Stellen unbesetzt) zuzutrauen, wenn man gerade mutmaßlich vor der Abwicklung einer kleinst-GmbH steht, dafür braucht es eine gehörige Portion Chuzpe. Andererseits: Geschätzt 11.-12.000 Euro fixes Grundgehalt über acht Jahre in mehr oder weniger unkündbarer Stellung sind schon verlockend. Und da die Stadt eh schon bis über die Halskrause verschuldet ist – was soll’s?, mag sich Herr Gotter gedacht haben.
Blettner: Gründer für reiche Kunden
Klaus-Jürgen Blettner wiederum hat einen ordentlichen, nachvollziehbaren Lebenslauf. Der promovierte Betriebswirt ist seit 2011 Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Ob er sich habilitiert hat, ist unklar. Als Professor an einer Hochschule, nicht Universität, führt er denselben Titel (Berufung ohne wissenschaftliche Habilitationsschrift ist möglich) wie ein Universitätsprofessor, tatsächlich gilt das aber als die eher zweite Reihe.
Herr Blettner führt an, über Verwaltungserfahrung zu verfügen und auch kommunale Verwaltungserfahrung im Gegensatz zu Herrn Gotter zu haben. Nun ja, auch das ist etwas sehr selbstbewusst in der Eigenwahrnehmung, denn Herr Blettner wurde erst 2024 als Stadtrat gewählt, ist zwar einer von drei stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion, aber in aller Regel braucht es mehr als ein Jahr, um sich auch nur annähernd in diese Rolle einzuarbeiten, die im Übrigen nichts mit dem Tagesgeschäft der Verwaltung zu tun hat.
Weiter ist das Kommunalwahlergebnis mehr als interessant und wird politisch wie medial anscheinend gerne wegignoriert – alle 12 AfD-Stadträte führen bei der Gesamtstimmenzahl pro Bewerber deutlich vor CDU und SPD, bei der CDU schafften nur zwei Kandidaten mehr als 20.000 Stimmen, alle AfD-Stadträte erhielten je mehr als 30.000 Stimmen. Herr Blettner erreichte hier mit 14.865 Stimmen nur Platz 31 von 60 Plätzen im Gemeinderat – aber trotzdem deutlich mehr Stimmen als bei der OB-Wahl am 21. September.
Und auch Herr Blettner hat 2022 so eine Art Start-up gegründet, ebenfalls zunächst an seiner Privatadresse. Er führt sie auf seiner Internetseite als „Talent GmbH“, tatsächlich heißt das Unternehmen „Talent Institut für Eignungsdiagnostik GmbH“, geführt von seiner Tochter. Seit diesem Jahr hat das Unternehmen seinen Sitz an einer anderen Adresse in einem Privathaus in Ludwigshafen. Angeboten wird eine Beratungsleistung zur beruflichen Orientierung: „Wir führen unsere Beratungstage in schönen, zentral in Bahnhofsnähe gelegenen Offices in Köln und Mannheim durch – du kannst wählen!“
„Offices“ klingt gut, doch was ist das? Stunden- und tageweise angemietete „Co-Working-Places“? Das kann man so machen, ist vielleicht sogar modern. Kunden, die sich für diese Dienstleistung interessieren, müssen allerdings ordentlich Geld auf den Tisch legen: 1.500 Euro kostet so eine eintägige „Beratung“ durch nicht näher benannte „erfahrene und einfühlsame Experten auf dem Gebiet der beruflichen Orientierung und Talententwicklung“.
Auch Herr Blettner wollte Fragen nicht beantworten. Er sei „zu beschäftigt“. Zur Erinnerung – er ist Kandidat für ein öffentliches Amt mit hoher Verantwortung und schließt seine kurze Antwort: „Ich bitte Sie daher, von weiteren Kontaktaufnahmen abzusehen.“
Auf Nachfrage zur nicht-auffindbaren Firma „Talent GmbH“ schickt er immerhin noch einen Link mit dem Hinweis, „bevor Sie sich da verrennen“. Gerne hätte ich noch nachgefragt, wie sich „normale Bürger“ solche Gebühren für ihren Nachwuchs leisten können, denn Herr Blettner will ja Bildung wieder stark machen und für alle Ludwigshafener da sein? Oder was er mit dem Satz meint, mit dem die Rheinpfalz ihn zitiert: „Ich nehme den Rückenwind mit.“ Welchen Rückenwind meint er bei der dramatisch niedrigen Wahlbeteiligung?
Diese Wahl ist eine Qual
Die Lage ist also desolat: Mit Herrn Gotter hat die SPD einen „Überraschungskandidaten“ antreten lassen, den man durchaus „aufschneiderisch“ nennen darf. Herr Blettner konnte die Wähler/innen ebenfalls nicht überzeugen. Und der dritte Kandidat, Joachim Paul von der AfD, dessen Kandidatur mindestens für Spannung gesorgt hätte, wurde durch den Wahlausschuss zumindest im Vorfeld entsorgt.
Der heillose Kampf gegen die AfD mit Winkelzügen und Ausgrenzung wird sich, so meine Analyse, auch hier erneut als Bumerang erweisen – und zwar nicht nur in Ludwigshafen, denn die Landesregierung hat sich eingemischt und die Zusammenhänge, wer wann wen kontaktiert hat und wie dieser Plan ausgeheckt worden ist, sind noch längst nicht detailliert öffentlich. Damit wird dieser kommunale Wahlkampf auch Auswirkungen auf die kommende Landtagswahl 2026 haben.
Nach meiner Einschätzung hätte Herr Paul die Wahl nicht gewonnen, dafür reicht es noch nicht im ersten Anlauf, aber 20+-Prozent wären drin gewesen und damit eine Niederlage für die SPD im ersten Anlauf. In der Stichwahl wäre es wohl ähnlich gelaufen wie in NRW, wo mehrere Oberbürgermeisterkandidaten in der Stichwahl gegen AfD-Konkurrenten die Wahl für sich entscheiden konnten. Nicht, weil sie so sehr überzeugen, sondern weil viele die AfD noch verhindern wollen.
Der Wahlsieger wird bemakelt sein
Jetzt ist die Luft völlig raus und der Lack ab – egal, wer die Wahl für sich entscheidet, ob Herr Blettner, was ich für wahrscheinlicher halte, oder Herr Gotter – sie werden mit dem Makel leben müssen, sich nicht gegen einen AfD-Kandidaten durchgesetzt zu haben. Und es bleibt zunächst offen, ob dieser Ausschluss tatsächlich rechtmäßig war. Die Gerichte werden sehr genau begründen müssen – egal, ob die Entscheidung bestätigt wird oder nicht. Und damit steht die Gefahr im Raum, dass AfD-Anhänger auch die Justiz als ausführendes Organ der „Altparteien“ begreifen werden.
Die Argumentation, man habe hier die Demokratie vor einem Rechtsextremisten gerettet, ist, mit Verlaub, völlig daneben. Ein Oberbürgermeister macht keine Gesetze, sondern ist an diese gebunden. Souverän einer Gemeinde ist immer der Gemeinderat und die dortigen Mehrheiten. Sollte ein Oberbürgermeister gegen verfasstes Recht verstoßen, ist der Rechtsweg offen. Und sollte jemand sich ganz wild aufführen, kann man in Rheinland-Pfalz einen Oberbürgermeister demokratisch auch wieder abwählen.
Unterm Strich wurde die politische Kultur in Ludwigshafen zur Rettung der Demokratie massiv beschädigt, so meine Prognose. Dass Herr Gotter seinen Konkurrenten Blettner als AfD-nah verunglimpft, zeigt, wohin die Reise geht – verhärtete Fronten auch bei den so genannten „Demokraten“. Für Ludwigshafen und seine Bürger/innen ist das kein gutes Zeichen in eine gute Zukunft der kommenden acht Jahre – solange ist ein Oberbürgermeister im Amt.
Der Ausweg – Utopie, aber eine tatsächliche Option
Es gibt aber einen Ausweg, wenngleich er zunächst utopisch klingt, rechtlich aber zulässig ist. Der gewählte Kandidat, ich gehe von Herrn Blettner aus, könnte die Wahl annehmen, vor Amtsantritt aber auf seine Ernennung verzichten. Beispielsweise mit der Erklärung, dass die Wahlbeteiligung zu niedrig gewesen sei. Die Folge wäre eine Neuwahl. Und möglicherweise müssten Gerichte nicht über eine Wahlanfechtung entscheiden, da der Grund ja entfiele, da es sowieso eine Neuwahl gibt. Frau Steinruck bliebe auch hier für die Übergangszeit kommissarisch im Amt und man könnte sich auf die Suche nach fachlich versierten Kandidaten machen, einen echten Wahlkampf führen, CDU und SPD könnten der AfD zeigen, wo ihr Platz ist oder müssten halt hinnehmen, dass es einen „Machtwechsel“ gibt.
Appendix: Ebenfalls kein gutes Zeichen für die Zukunft ist die Rolle der Rheinpfalz. Diese zitiert tatsächlich den Mannheimer Morgen mit dessen Berichterstattung zur desolaten Lage der Gotter-GmbH, statt selbst mal in die Recherche gegangen zu sein. Eigene Recherchen zum Ablauf bis zur Entscheidung im Wahlausschuss? Auch Fehlanzeige. Recherchen zur „Talent-GmbH“? Ebenfalls ein Fragezeichen. Und viele Medien hatten in der ersten Berichterstattung eingeordnet, naja, 29,3 Prozent Wahlbeteiligung sei zwar nicht „gut“, aber auch „nicht viel schlechter“ als 34,8 Prozent bei der OB-Wahl 2017 – erst später bemerkte man, dass die Wahlbeteiligung zunächst bei 60,2 Prozent gelegen hatte, also durchaus im üblichen Rahmen und bei der Stichwahl auf fast die Hälfte abstürzte.
Journalistische Arbeit kostet Geld.
