Stuttgart/Rhein-Neckar, 06. November 2014. (red) Die “Gutachten-Affäre” zieht weitere Kreise. Nach unseren Informationen suchen die Grünen den “Verräter” – der kann nur aus den eigenen Reihen kommen. Wer hat die email von Hans-Ulrich Sckerl weitergeleitet? In Frage kommen nur wenige Personen.
Von Hardy Prothmann
Die Gutachten-Affäre beschäftigt die Grünen weiterhin. Wie unsere Recherchen ergeben haben, soll derjenige, der mindestens eine email an die Stuttgarter Nachrichten weitergeleitet hat, ausfindig gemacht werden und “eine Abreibung erhalten”.
Zur Erinnerung: Laut Stuttgarter Nachrichten hatte Hans-Ulrich Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, ein Gutachten, das Willi Halder (Grüne) als Vorsitzender der NSU-Enquete-Kommission in Auftrag gegeben hatte, vor anderen Ausschussmitgliedern erhalten. Laut Zeitung wollte Herr Sckerl Einfluss auf das Gutachten nehmen. Der streitet dies ab, die Zeitung bezichtigt ihn der Lüge.
Daraufhin trat Herr Halder zurück, der die Weitergabe eingestanden hat. Krankheitsbedingt ist er aktuell nicht zu erreichen. Die SPD gab ihre Haltung auf und stimmte einem NSU-Untersuchungsausschuss zu, der gestern im Landtag einstimmig beschlossen worden ist. Allerdings steht dieser nun unter Vorsitz von SPD und CDU.
Die Grünen haben sich damit von der SPD den Schneid abkaufen lassen, den Vorsitz verloren und CDU und FDP werfen Herrn Sckerl nun vor, mit zweierlei Maß zu bewerten. Interne emails vom früheren Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) wolle Herr Sckerl veröffentlicht sehen und selbst wolle er nicht zur “Aufklärung” der “Gutachten-Affäre” beitragen. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sei mit Herrn Sckerl nicht möglich, so Peter Hauk (CDU). Inhaltlich ist tatsächlich kein Nachteil für irgendjemanden entstanden, strafrechtlich hatte die Weitergabe keine Bedeutung – es bleibt aber das Geschmäckle, sich einen Vorteil verschafft haben zu wollen.
Probleme auf ganzer Linie für die Grünen
Und nun geht auch bei den Grünen das Misstrauen um. Wer ist die undichte Stelle? Warum wurde die email weitergeleitet? Was kommt da noch nach? Die Probleme sind hausgemacht, denn offenbar gab es keine Bearbeitung des Gutachtens durch Herrn Sckerl.
Analytisch betrachtet, war es ein Fehler, die Enquete einzusetzen, die sowieso kaum Möglichkeiten der Aufklärung hat, nur um so zu tun, als versuche man “alles”, um eine Aufklärung zu erreichen. Wertvolle Monate sind verstrichen und niemand rechnet ernsthaft damit, dass der Untersuchungsausschuss in der Zeit von Januar bis Oktober 2015 allein schon aus Zeitgründen eine ordentliche Arbeit leisten kann. Hinzu kommt der offen ausgetragene innerparteiliche Streit, der sich ganz überwiegend an der Person von Hans-Ulrich Sckerl festmacht.
Aus CDU-Kreisen ist zu hören, dass man sich für die nächste Wahlperiode auch eine Koalition mit den Grünen vorstellen kann – ohne die Person Hans-Ulrich Sckerl. Der Weinheimer Abgeordnete gilt aber nach wie vor als mächtigster Abgeordnete in der Fraktion und hält an diesem Anspruch fest, auch wenn er nur stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist.
Wenn jetzt ein parteiinterner Streit ausbricht und ein Büromitarbeiter seinen Job verliert oder ein Abgeordneter ausgegrenzt wird, schädigen sich die Grünen zur Freude der CDU weiter selbst.
Und auch die Stuttgarter Nachrichten haben unter Umständen ein Problem: Dadurch, dass der Kreis der Beteiligten so klein ist und nur 5-7 Personen umfasst, besteht eine große Gefahr für die Quelle, dass sie “verbrennt”. Verantwortlich ist so ein Umgang mit zu schützenden Quellen nicht gerade. Das kann unangenehme Folgen für die Quelle haben und wird eher nicht dazu führen, dass sich andere Journalisten gegenüber öffnen. Und die Zeitung hat eine Quelle weniger.