Rhein-Neckar, 06. März 2016. (red/pro) Die ARD strahlt am Montagabend eine Dokumentation “Terror von rechts” aus, die den massiven Anstieg rechtsextremer Gewalt vor allem im vergangenen Jahr thematisiert. Film-Autor Thomas Reutter hat eine klare These: Im Interview mit dem Rheinneckarblog warnt er davor, den rechten Terror zu unterschätzen: “Offenbar hat man aus dem NSU nichts gelernt.”
Interview: Hardy Prothmann
Herr Reutter, wie lange haben Sie an der Doku „Terror von rechts“ gearbeitet?
Thomas Reutter: Insgesamt waren das Monate. Begonnen haben wir 2014.
Was war der Anlass?
Reutter: Die explosionsartige Zunahme der Anschläge auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte. 2014 gab es sechs Brandanschläge, 2015 waren es 94. Mehr als 900 Anschläge auf Flüchtlingsheime deuten auf einen Terror von rechts hin.
Rechte Gewalt ist ein gesamtdeutsches Problem.
Ist das ein Ost-Problem?
Reutter: Insbesondere Sachsen und Brandenburg sind hier auffällig – aber rechte Gewalt gibt es auch in Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz und anderen Bundesländern. Es ist ein gesamtdeutsches Problem.
Sie gehen einer bestimmten These nach?
Reutter: Ja – der Vielzahl der Gewalttaten von rechts steht eine unglaublich kleine Zahl von Verurteilungen entgegen. Das ist besorgniserregend.
Sprengstoff- und waffenaffin – das klingt wie ein Hobby.
Erläutern Sie das bitte.
Reutter: Viele Verfahren gegen Rechtsextremisten werden eingestellt. Die Begründungen dafür sind abenteuerlich: Mal seien Tatverdächtige im Vollsuff gewesen und damit nicht zurechnungsfähig, dann wieder seien sie „sprengstoff- oder waffenaffin“. Das klingt irgendwie wie ein Hobby – die einen sammeln Briefmarken, die anderen halt Waffen und Sprengstoff.
Versagen die Ermittlungsbehörden?
Reutter: Pauschal würde ich das nicht behaupten – im Einzelfall aber schon. Es gibt Polizeien und Staatsanwaltschaften, die haben selbst durch die Aufdeckungen zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) offenbar nichts gelernt und sind kein Bisschen sensibilisiert, was Terror von rechts angeht.
Die Gefahren des Terrors von rechts werden aus welchen Gründen auch immer viel zu häufig heruntergespielt oder erst gar nicht wahrgenommen.
Haben Sie ein Beispiel?
Reutter: Jede Menge in unserer Doku. In Baden-Württemberg planten Rechtsextreme einen Anschlag auf ein Antifa-Camp. Die Polizei stellte eine einsatzfähige Rohrbombe bei ihnen sicher. Und trotzdem kamen sie mit milden Bewährungsstrafen davon. Ich frage mich: Was wäre, wenn eine Gruppe von Islamisten eine funktionsfähige Rohrbombe baut? Dann würde wie im Fall der Sauerland-Gruppe der Staat durchgreifen und die Aufregung wäre groß. Die Gefahren des Terrors von rechts werden aus welchen Gründen auch immer viel zu häufig heruntergespielt oder erst gar nicht wahrgenommen.
Wie beurteilen Sie nach Ihren Recherchen die Entwicklung?
Reutter: 2015 wurden 75 Menschen bei Anschlägen auf Asylbewerberheime durch Rechtsextreme verletzt – es grenzt an ein Wunder, dass es noch keine Toten gibt. Die Anschläge werden zunehmend aggressiver und kalkulieren den Tod von Menschen ein. Ich blicke sorgenvoll in die Zukunft.
Wurden Sie bei der Arbeit behindert?
Reutter: Es gab Staatsanwaltschaften, die nicht mit uns reden wollten und bei einem Prozess gegen Rechtsextreme, den ich beobachtet hatte, meinte deren Anwalt, ich solle acht haben, dass ich nicht „Opfer meiner Berichterstattung“ werde – eine unverhohlene Drohung.
Sendetermine: „Terror von rechts“
Das Erste, 07. März 2016, 22:45 Uhr
SWR, 09. März 2016, 23:30 Uhr
Hinweis: Bitte beachten Sie weitere Artikel unserer Berichterstattung zum Thema “Anschläge” unterhalb des Artikels.
Zur Person:
Thomas Reutter (48) ist Feature-Redakteur der SWR-Abteilung „Kultur und Gesellschaft“. Seit 1995 arbeitet er für die ARD, darunter Monitor, Tagesthemen und Morgenmagazin. Von 1998 bis 2013 war er Investigativ-Reporter in der Redaktion des ARD Politikmagazins Report Mainz.
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