
Nur heiße Luft? Dieses Wahlversprechen hat die grün-rote Landesregierung bis heute nicht nur nicht eingelöst, sondern noch nicht einmal begonnen. Quelle: Koalitionsvertrag, S. 86
Rhein-Neckar/Stuttgart, 06. Juni 2013. (red/pro) Die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche e.V. hat heute einen eigenen Gesetzentwurf für mehr Transparenz bei Behördeninformationen in Baden-Württemberg vorgelegt. Damit nimmt die Organisation die Landesregierung in die Pflicht, die vor über zwei Jahren im Koalitionsvertrag ein solches Informationsfreiheitsgesetz versprochen, aber bisher nicht präsentiert hat. Die Journalistenvereinigung baut damit öffentlichen Druck auf, damit sich die Politik endlich bewegt.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Redelfs, Netzwerk Recherche hat der baden-württembergischen Landesregierung einen Gesetzentwurf zum Informationsfreiheitsgesetz vorgelegt. Wollen Sie die grün-rote Regierung vorführen?

Manfred Redelfs ist Vorstandsmitglied bei Netzwerk Recherche: „Eine „Politik des Gehörtwerdens“ setzt voraus, dass die Bürger was zu sagen haben und das können diese nur, wenn sie sich umfassend informieren können.“
Dr. Manfred Redelfs: Die Regierung führt sich selber vor, wir nehmen sie nur beim Wort. Im Koalitionsvertrag ist die Umsetzung dieses Gesetzes klar als Ziel informiert – doch passiert ist bislang nichts. Wir wollen jetzt den Druck erhöhen. Das ist ein Akt zivilgesellschaftlicher Notwehr.
Warum braucht man ein Informationsfreiheitsgesetz?
Redelfs: Wer wie die grün-rote Regierung in Baden-Württemberg mehr Bürgerengagement wünscht und Bürgerbeteiligung versprochen hat, weiß, dass dafür die Grundvoraussetzung der offene Zugang zu Informationen ist.
Woher wissen Sie, dass bislang noch nichts in der Sache passiert ist?
Redelfs:Ich habe halbjährlich das Innenministerium angeschrieben. Von dort hieß es, man wolle erst auf die Evaluierung des Bundesgesetzes warten und dann prüfen.
Grundssatz der Öffentlichkeit
Und?
Redelfs: Die Evaluierung liegt bereits seit einem Jahr vor – daran kann es also nicht liegen.
Haben Sie eine Vermutung, warum bislang noch nichts passiert ist?
Redelfs: Meiner Einschätzung nach liegt das klar am Selbstverständnis der Ministerialbürokratie – die muss Privilegien aufgeben und sich dazu selbst das Gesetz schreiben. Das Informationsfreiheitsgesetz verändert etwas grundlegend: An die Stelle des Amtsgeheimnisses trifft der Grundsatz der Öffentlichkeit. Damit tut man sich offensichtlich trotz Koalitionsversprechen sehr schwer.
Und politisch? Hat das SPD-geführte Ministerium eventuell kein Interesse?
Redelfs: Das mag sein, aber es gibt den Koalitionsvertrag und man muss mindestens von den Grünen erwarten können, dass sie den Partner SPD in die Pflicht nehmen.
Bürokratische Ängste
Kann man die Ängste der Bürokraten nicht verstehen? Schließlich könnte man denen künftig auf die Finger schauen.
Redelfs: Das ist menschlich nachvollziehbar – aber gesellschaftspolitisch nicht. Es gibt für die Behörden einen größeren Kontrolldruck – der fördert sicher aber auch die Qualität der Arbeit. Durch Einblick in behördliche Informationen können Verbesserungen erzielt werden – durch konstruktive Vorschläge oder durch die Aufdeckung von Fehlern. Und zwar durch Bürger, aber auch durch kritische Journalisten.
Haben Sie ein Beispiel?
Redelfs: Da gibt’s viele. Ein sehr bekanntes war die Anfrage von zwei freien Journalisten zu den Medaillenzielen bei Olympia. Ein anderes habe ich selbst ins Rollen gebracht, als ich mich für Agrarsubventionen interessierte und herausfand, dass die nicht bei den Bauern, sondern Großkonzernen landeten.
Das sind „große“ Themen – wie wird das Gesetz im „Kleinen“ durch Bürger angenommen?
Redelfs: Sehr gut. Und entgegen aller Befürchtungen von Behörden, sie könnten durch zu viele Anfragen, lahm gelegt werden, durchaus im Rahmen des Zumutbaren. Schleswig-Holstein hat das beispielsweise untersucht. Dort gab es in einem Zeitraum von zwei Jahren rund 2.000 Anfragen. Diese wiederum wurden an etwa die Hälfte aller Ämter im Land gestellt, kein Amt musste mehr als fünf Anfragen in zwei Jahren erledigen. Das schafft jede Verwaltung locker.

Nur durch hartnäckiges Nachfragen und letztlich eine Klage ließ sich der Missbrauch von Agrarsubventionen aufdecken – ein Informationsfreiheitsgesetz würde die Informationbeschaffung enorm vereinfachen. Quelle: Greenpeace
Zielgerichtete Anfragen
Die Bürger werden vor allem Anfrage in den Kommunen stellen – was sind das für Themen?
Redelfs: Dinge, die die Bürger betreffen. Das Ergebnis einer Verkehrszählung, die Sicherheitsbegehung im Kindergarten, die Barrierefreiheit in öffentlichen Einrichtungen. Die Bürger machen davon zielgerichtet Gebrauch.
Grün-rot hat noch zwei Jahre Zeit für das Gesetz, oder nicht?
Redelfs: In zwei Jahren ist die Wahlperiode vorbei. Ein solches Gesetz braucht aber Zeit zur Entwicklung, wenn man es gut und richtig machen will. Die Bürger sollten beteiligt werden, das muss schnellstens in den Innenschuss, es braucht Sachverständige, die man hört. Das nimmt viel Zeit in Anspruch.
Wahlversprechen einhalten
Warum sollte man das so aufwendig machen?
Redelfs: Weil ein Wischiwaschi-Alibigesetz, in dem viele Dinge nur vage definiert sind und Behörden sich auf vielfältige Ausnahmen berufen können, eine Katastrophe wäre. Das Bundesgesetz beispielsweise ist nur mäßig gelungen und dadurch wird es immer wieder zu juristischen Verfahren kommen, was kontraproduktiv ist.
Man muss zwischen Anfragen und automatischen Veröffentlichungen unterscheiden – was sollte sofort öffentlich sein?
Redelfs: Kabinettsvorlagen, Gutachten, Subventionszahlungen über 10.000 EUR sowie die Gehälter der Leitungsebene informations-pflichtiger Stellen, zu denen auch Unternehmen der Daseinsvorsorge wie Wasserwerke, Wohnungswirtschaft oder Müllabfuhr gehören. Verträge zur Daseinsvorsorge, die die öffentliche Hand schließt, müssen ebenfalls ins Netz gestellt werden.
Hat nun die Journalistenorganisation Netzwerk Recherche einen auf sich zugeschnittenen Gesetzesentwurf – quasi als Lobbyisten-Vorschlag – an das Innenministerium geschickt?
Redelfs: Nein, unser Vorschlag zeichnet sich durch einen besonders bürgerfreundlichen Ansatz aus. Wir gehen nicht von einer Holschuld der Bürger aus, sondern von einer Bringschuld der Behörden.
Was, wenn die Landesregierung auf Ihre Initiative nicht reagiert?
Redelfs: Dann müsste man klar feststellen, dass ein absolut wesentliches Wahlversprechen gebrochen worden wäre. Eine „Politik des Gehörtwerdens“ setzt voraus, dass die Bürger was zu sagen haben und das können diese nur, wenn sie sich umfassend informieren können.
Zur Person:
Manfred Redelfs ist Mitglied des Vorstands von Netzwerk Recherche e.V. und Auskunftsrechtsexperte. Der studierte Journalist leitet seit 1996 die Rechercheabteilung von Greenpeace Deutschland. Er ist Recherchetrainer an der Henry-Nannen-Journalistenschule in Hamburg sowie Dozent an der Akademie für Publizistik (Presserecht). Ehrenamtlich engagiert er sich als Gründungsmitglied in der Journalistenorganisation „Netzwerk Recherche“, wo er im Vorstand für die Arbeit zum Informationsfreiheitsgesetz zuständig ist.
Hintergrund:
Das Rechtsprinzip der Informationsfreiheit ermöglicht es jedem Bürger, Informationen von öffentlichen Stellen anzufordern und auch Akten einzusehen, ohne dass dafür ein besonderer Grund genannt werden muss. An die Stelle des Amtsgeheimnisses tritt der Grundsatz der Öffentlichkeit. Falls eine Behörde der Meinung ist, Informationen aufgrund von Ausnahmeklauseln – etwa zum Datenschutz oder zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen – nicht herausgeben zu dürfen, bedarf dies der Begründung. Elf Bundesländer und der Bund haben bereits solche Gesetze. Baden-Württemberg zählt somit zu den Schlusslichtern bei der Behördentransparenz.
Transparenzgesetz Baden-Württemberg – Gesetzentwurf [PDF]
Transparenzgesetz Baden-Württemberg – Factsheet [PDF]
Transparenzgesetz Baden-Württemberg – Hintergrund [PDF]
Netzwerk Recherche:
Im „nr“ sind bundesweit mehrere hundert Journalisten zusammengeschlossen, die die journalistische Recherche fördern wollen, Behinderungen von Recherchen thematisieren, Kongresse zur journalistischen Arbeit veranstalten und sich so für die Aus- und Fortbildung von Journalisten einsetzen. Vorsitzender ist der Leiter der Rechercheabteilung beim stern, Oliver Schröm.
Hinweis zur Transparenz:
Hardy Prothmann, verantwortlicher Redakteur des Rheinneckarblog ist Gründungsmitglied von Netzwerk Recherche.