Ludwigshafen/Frankenthal, 06. März 2016. (red) Aktualisiert – die Polizei hat sich am späten Nachmittag mit Details geäußert. Ein Mensch stirbt. Getroffen durch mindestens eine Kugel aus einer Polizeiwaffe. Ein Beamter ist schwer verletzt – wie und durch welche Waffe? Keine Antwort. Ein Internetportal präsentierte einen angeblichen Augenzeugen. Die Staatsanwaltschaft weiß nicht, ob der schon verhört worden ist. Das ist genug Chaos, um die Gerüchteküche ordentlich anzuheizen und vollständig unprofessionell.
Kommentar: Hardy Prothmann
Was weiß man über die tödlichen Schüsse am Berliner Platz? Fast nichts – jedenfalls von offizieller Seite. Die schriftlichen wie mündlichen Auskünfte sind dürftig.
Mehrere Schüsse
Fest stehen Tatort, Zeit und Beteiligte. Am Mittwochmittag um 13:16 Uhr fielen in der Henry-Roos-Passage am Berliner Platz die Schüsse. Wie viele ist unklar. Polizeisprecherin Sandra Giertzsch sprach gegenüber MRN News von „mehreren Schüssen“ des Beamten, dessen Kollege angegriffen worden sein soll.
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Laut eines Augenzeugen müssten es mindestens vier Schüsse gewesen sein – zwei Warnschüsse, ein Schuss, mit dem ein Beamter seinen Kollegen angeschossen haben soll sowie mindestens ein Schuss, der den mutmaßlichen Aggressor traf, der am Abend dann im Krankenhaus an den Folgen der Verletzung verstorben ist. Der verletzte Beamte ist außer Lebensgefahr – welche Verletzungen er erlitten hat, weiß die Staatsanwaltschaft nicht.
Die Staatsanwaltschaft weiß… nichts
Der vermeintliche Augenzeuge berichtete, der mutmaßliche Aggressor sei den Polizisten „hinterher gejoggt“ und habe „Polizist 1“ angegriffen und zu Boden gebracht, wo er auf den Beamten eingeschlagen haben soll. Dies ist insofern glaubwürdig, als auch die Staatsanwaltschaft bestätigt, dass der Tatverdächtige sich zu Fuß und nicht auf einem Fahrrad genähert haben soll.
Angeblich soll der Angreifer ein Messer geführt haben. Bestätigen kann die Staatsanwaltschaft dies nicht. Sie weiß auch nicht, ob ein Messer oder eine ähnliche Tatwaffe gefunden worden ist. Sie weiß auch nicht, ob der verletzte Beamte Stich- oder Schnittwunden aufweist oder mindestens eine Schussverletzung. Sie weiß auf unsere Anfrage auch nicht, welcher der beiden Beamten wie oft geschossen hat.
Warum „Polizist 2“, wie in der jugendliche Augenzeuge nennt, nicht zunächst selbst körperlichen Zwang, den Schlagstock oder Pfefferspray statt der Dienstwaffe eingesetzt hat, weiß die Staatsanwaltschaft auch nicht.
Staatsanwaltschaft hört durch uns zum ersten Mal vom jugendlichen Zeugen
Die Staatsanwaltschaft Frankenthal weiß auch nicht, ob der Jugendliche als vermeintlicher Augenzeuge schon verhört worden ist. Sie weiß auch nicht, ob die Beamten schon verhört worden sind. Sie weiß ebenfalls nicht, ob der Beamte vom Dienst suspendiert oder freigestellt worden ist. Nur soviel: „Den Zeugen wird man ja sicher ausfindig machen können.“
Dem Vernehmen nach soll es sich bei dem 42-jährigen Mann, der die Beamten angegriffen haben soll, um einen Ludwigshafener türkischer Herkunft handeln. Das Motiv für den Angriff ist ebenfalls bis dato unbekannt.
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Laut des jugendlichen Augenzeugen soll „Polizist 2“ zwei Warnschüsse abgegeben haben – sollten diese „in die Luft“ abgegeben worden sein, hätte der Beamte an die Decke der Passage geschossen. Möglicherweise wurde „Polizist 1“ durch Querschläger verletzt.
Wie oft „Polizist 2“ auf den mutmaßlichen Aggressor geschossen hat, ob er den Mann von vorne oder hinten getroffen hat, ist ebenfalls unklar.
Feier- und Brückentag verhindern zügige Information der Öffentlichkeit
Ein Mensch ist gestorben – erschossen mitten in der Stadt Ludwigshafen an einer äußerst belebten Stelle. Vermutlich sind Feier- und Brückentag für die Ermittlungsbehörden wichtiger als eine zeitnahe Aufklärung der Öffentlichkeit, was sich am Mittwoch, den 04. Mai um 13:16 Uhr hier zugetragen hat.
Möglicherweise hat „Polizist 2“ unverhältnismäßig gehandelt und die Situation falsch eingeschätzt – möglicherweise hat er aber auch alles richtig gemacht und muss sich trotzdem dem Vorwurf aussetzen, einen „Ausländer“ „schießwütig“ getötet zu haben – denn solche Gerüchte gibt es bereits in sozialen Netzwerken, weil es keine offiziellen Stellungnahmen gibt. Auch für die Angehörigen des Toten ist dieser Zustand nicht hinnehmbar.
Angeblich sei der Beamte schon „angeklagt“. Auch davon weiß die Staatsanwaltschaft Frankenthal nichts, außer, dass das eher unwahrscheinlich sei, weil man ja noch gar keine detaillierte Kenntnis von den Abläufen habe.
Aktualisierung, um 17:30 Uhr teilte die Polizei Ludwigshafen mit, dass sich der Polizeibeamte „nach der Messerattacke“ auf dem Weg der Besserung befinde.
Er sei an Kopf und Arm verletzt worden – damit wäre die vermeintliche Zeugenaussage des Jugendlichen falsch, nachdem „Polizist 1“ den Kollegen „Polizist 2“ angeschossen habe.
Polizeipräsident Thomas Ebling erklärt laut einer Pressemitteilung:
Ich bin sehr froh, dass es dem Kollegen den Umständen entsprechend gut geht und hoffe auf baldige Besserung und vor allem vollständige Genesung. Er hatte unglaubliches Glück, dass er nicht noch schwerer oder gar tödlich verletzt wurde. Das hat er vor allem dem Eingreifen seines Kollegen zu verdanken.
Beide Polizeibeamte werden professionell betreut. Der 42-jährige Mann sei „bei der Polizei kein Unbekannter“ gewesen, teilt die Polizei weiter mit. Er sei am Mittwochmittag ohne Anlass mit einem Messer auf den Polizeibeamten zugegangen und habe ohne Vorwarnung auf diesen eingestochen. Eine vorherige Kontrollsituation habe es nicht gegeben.
Das wirft weitere Fragen der behördlichen Zusammenarbeit auf. Denn wenn die Staatsanwaltschaft ein Verfahren an sich zieht – das ist bei Tötungsdelikten der „Normalfall“, informiert die Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens und nicht die Polizei.
Erstaunlich ist auch, dass das Polizeipräsidium Westpfalz aus „Neutralitätsgründen“ die Ermittlungen führt, aber das Polizeipräsidium Rheinpfalz (Ludwigshafen) am späten Nachmittag diese Erklärung herausgibt.
Immerhin werden dadurch offene Fragen beantwortet: Der Beame hat also Stichverletzungen an Kopf und Brust und ist außer Lebensgefahr (Anm. d. Red.: Wir wünschen gute Besserung). Eine Schussverletzung wird nicht genannt, was die Aussage des „Augenzeugen“ zweifelhaft erscheinen lässt.
Weiter scheint der Aggressor bereits polizeilich auffällig gewesen zu sein – das erklärt aber immer noch nicht einen sofortigen Angriff mit mutmaßlicher Tötungsabsicht (Angriff gegen den Kopf) an belebter Stelle. Stand der Mann unter Drogen? Hatte er den Beamten wegen eines noch unbekannten Grundes identifiziert und konkret als Person angegriffen? Wieso weiß die Staatsanwaltschaft Frankenthal nichts und die Polizei Ludwigshafen informiert über „Ermittlungsergebnisse“, die doch eigentlich vom Kriminalkommissariat „K11“ der Kollegen aus Kaiserslautern kommen müssten?