Mannheim/Heidelberg/Rhein-Neckar. 05. März 2018. Polizeidirektor Dieter Schäfer wandte sich mit dringenden Appellen an die Öffentlichkeit angesichts seiner Jahresbilanz: Rücksicht und Verantwortung seien das, was auffällig immer häufiger fehle, weshalb es zu schweren Unfällen kommen würde. Gleichzeitig warnte er davor, unter Drogeneinfluss ans Steuer zu gehen: „Wir haben gute Mittel, so gut wie jeden zu erwischen.“
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Von Hardy Prothmann
54 Prozent Zunahme bei Fahrten und Drogen – das ist einfach erschreckend,
sagt der kommissarische Leiter der Verkehrspolizei, Polizeidirektor Dieter Schäfer und guckt ernst. Seit Ende 2016 sind seine Beamten allesamt speziell geschult und seitdem ist die Zahl der entdeckten Drogenfahrten von 927 auf 1.411 gestiegen: „Nicht, weil plötzlich mehr Drogen genommen werden, sondern weil wir das besser entdecken.“
Dabei mache es keinen Unterschied, ob man in Mannheim, Heidelberg oder an der Bergstraße kontrolliere und auch die Uhrzeit spiele keine wesentliche Rolle: „Immer, wenn wir kontrollieren, holen wir mit Sicherheit pro Stunde ein bis zwei raus, die Drogen konsumiert haben. Das kann die Gesellschaft so nicht hinnehmen. Dieses Phänomen muss bekämpft werden“, sagt Herr Schäfer, der nie um deutliche Worte verlegen ist. Als Beispiel verweist er auf die Trunkenheitsfahrten – die seien rückläufig: „Davon gibt es immer noch zu viele, aber offenbar kehrt hier die Vernunft zurück.“
Gegenüber dem Rheinneckarblog wird Herr Schäfer noch deutlicher:
Unsere Aufgabe als Verkehrspolizei ist, Verkehr zu kontrollieren und Verstöße zu ahnden – vor allem solche, von denen eine Gefahr ausgeht. Wir können als Verkehrspolizei nicht beeinflussen, mit was sich Erwachsene berauschen- aber dann wird halt kein Fahrzeug mehr geführt. Was uns noch fehlt, ist eine eindeutige Mengenbestimmung, was Ordnungswidrigkeit und Straftat angeht wie beim Alkohol. Ab 0,5 Promille
ist es eine Ordnungswidrigkeit, wenn man erwischt wird, ab 1,1 Promille eine Straftat. Das muss auch für die Nanogramm-Messung bei Cannabiskonsum und anderen Drogen eindeutig geregelt sein. Das können wir noch nicht mit Bestimmtheit in jedem Fall beweisen. Hier wäre Rechtsklarheit wünschenswert.
Bislang müsse man andere Anzeichen wie Auffälligkeiten beim Fahren hinzuziehen:
Beim Alkohol gibt es keine Debatte über die Fahrtüchtigkeit – ab 1,1 Promille ist man definitiv nicht mehr fahrtüchtig und begeht eine Straftat, wenn man fährt. Für Drogen fehlt es an eindeutigen Regelungen und klaren medizinischen Aussagen. Das müsste auch für die eindeutige Bestimmung von Grenzwerten bei den unterschiedlichen Drogen gesetzlich bestimmt werden.
Wer auf die Statistik schaut, erkennt, dass die Verkehrspolizei rund 1.000 Alkoholfahrten und 322 Unfälle unter Alkoholeinfluss zur Anzeige brachte. Allerdings stellte man 2017 auch 1.411 Fahrten unter Drogeneinfluss fest, aber „nur“ 69 Unfälle. Diese Aufdeckung geht auf gemeinsame Anstrengungen der Verkehrspolizei und der Beamten der Schutzpolizei der Polizeireviere zurück. Ist Fahren unter dem Einfluss von THC also weniger gefährlich als unter Alkohol?
Das weiß ich nicht mit Sicherheit. Hier hätte ich gerne Rechtsklarheit,
sagt Herr Schäfer.
Ebenfalls interessant – es sind keineswegs besonders junge Verkehrsteilnehmer, die als Drogenkonsumenten erwischt werden, sondern die Mehrheit ist zwischen 25 und 39 Jahre alt. Hauptsächlich wird Marihuana konsumiert – das ist vergleichsweise billig und bekannt. Fahren unter dem Einfluss von starken Medikamenten kann noch nicht standardisiert nachgewiesen werden – ein Manko in den Augen von Polizeidirektor Schäfer.
Problemkreuz Walldorf
Dramatisch stiegen die Unfälle auf den Autobahnen A5 und A6: Von rund 2300 auf 2741. Hier ist „phänomenal“, dass die Unfälle im nördlichen Teil (Trennungslinie etwa auf Höhe Raststätte Hardtwald) deutlich rückläufig ist (900 Unfälle), während sie im Bereich des Verkehrskommissariats Walldorf um 51,8 Prozent auf 1.826 Unfälle gestiegen ist:
Die Leistungsfähigkeit der Autobahnen hier ist kurz vor der Erschöpfung – und jeder Unfall hat neben den Folgen für die Opfer enorme verkehrliche Konsequenzen.
„Alles mit Smart ist eine Seuche“, sagt Herr Schäfer und meint die Benutzung von Mobiltelefonen am Steuer. Bei Unfällen werden mittlerweile Geräte konfisziert und ausgewertet, um festzustellen, ob diese zum Unfallzeitpunkt benutzt wurden. „Just in time ist überholt, die Fahrer sind überfordert“, konstatiert der Beamte:
Die sind nicht mehr Herren der Landstraße, sondern gehetzt, übermüdet, abgelenkt und schlecht bezahlt.
Kein Brummi-Fahrer fahre freiwillig auf: „Von denen will ja keiner Selbstmord begehen“, es gebe einen enormen Druck und dazu Unvernunft, weil Filme geguckt werden oder neue Aufträge im Führerhaus „gecheckt“ würden. Der Rest sei Physik:
Wer im dichten Verkehr unaufmerksam ist und zu spät bremst, rauscht hinten drauf.
Hauptursache für viele Unfälle, insbesondere durch Schwerlastfahrzeuge, sei Ablenkung.
Besonders tragisch sei der Unfall am 12. Februar am Kreuz Walldorf gewesen: „Da wurden drei Menschen einer Familie ausgelöscht.“ Nach Verkehrsstudien werde der Schwerlastverkehr deutlich zunehmen:
Das packen die Autobahnen nicht. Und wir auch nicht.
Auch für die Beamten sei die Arbeit sehr belastend – durch die Zunahme der Unfälle und wie beim genannten Beispiel: „Aus einem Lkw mit Schlachtabfällen haben sich 1.000 Liter Schweineblut auf die Fahrbahn ergossen. Dazu die Toten. Damit muss man erst Mal zurecht kommen“, stellt sich Schäfer vor seine Mitarbeiter. Gewalt gegen Beamte erlebe man kaum, aber „bei den Unfällen sind die Kollegen mit teils schrecklichen Situationen konfrontiert.“
Mehr Rücksicht würde Unfallzahlen senken
Sorgen machen die Unfälle mit Radfahrern: „Mit mehr Rücksicht und besseren Blickverhalten wären das deutlich weniger. Durch das „Linksfahren“ von Radfahrern steigt das Unfallrisiko um das Zehnfache.“ Viele Radfahrer hielten sich nicht an Regeln: „Die wollen immer den kürzesten Weg nehmen und macht es einer, kommt der Herdentrieb dazu.“
Was tun? „Neben unseren Kontrollen hilft nur möglichst viel Prävention und der Appell zu gegenseitiger Rücksichtnahme und defensiver Verkehrsteilnahme. Dem Radfahrer im Gipsbett nutzt es nichts, wenn er feststellt: Ich hatte Vorfahrt.“
Am 22. März tagt eine Verkehrskommission mit Experten, an der der auch Vertreter des Polizeipräsidiums Mannheim teilnehmen:
Die Experten werden die Situation analysieren und ein Maßnahmenbündel schnüren. Ich denke, es wird Sofortmaßnahmen, aber auch längerfristige Planungen geben müssen.
Info:
Die Verkehrspolizeidirektion Mannheim hat vier Standorte: Mannheim, Heidelberg, Seckenheim und Walldorf und kontrolliert die A5, A6, A659 sowie A656. Das Kontrollgebiet Mannheim, Heidelberg, Rhein-Neckar-Kreis ist rund 1.300 Quadratkilometer groß. 295 Beamte verrichten hier einen Mehrschichtdienst. Hauptunfallursachen bleiben zu hohe Geschwindigkeit und zu niedriger Abstand auf Schnellstraßen sowie Vorfahrtsverstöße im Stadtverkehr. Die Zahl der festgestellten Drogenfahrten steigt seit zwei Jahren rasant – nachdem alle Verkehrspolizisten durchweg geschult worden sind, Drogenkonsum zu erkennen.