Rhein-Neckar, 05. Juli 2018. (red/pro) Der Regionalsender Rhein-Neckar-Fernsehen (RNF) hat am Donnerstag beim Amtsgericht Mannheim eine Planinsolvenz in Eigenverantwortung beantragt. Diese sei laut RNF genehmigt worden. Der Rechtsanwalt Karl-Heinz Lorenz berät und vertritt das Unternehmen in insolvenzrechtlichen Fragen. Als Sachwalter wurde Rechtsanwalt Tobias Wahl bestellt. Der Produktions- und Sendebetrieb geht vorläufig weiter.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wer jetzt glaubt, dass beim Rheinneckarblog irgendeine Freude aufkommt, weil ein „Konkurrent“ in massiven Schwierigkeiten steckt, irrt sich gewaltig und hat nicht verstanden, weshalb wir in der Vergangenheit immer wieder mal auch das RNF ordentlich gezupft haben.
Kritik aushalten
Kritische Auseinandersetzung ist das Kerngeschäft von gesellschaftsrelevantem Journalismus. Und auch Medien müssen Kritik aushalten und damit umgehen.
Mein Kollege Ralph Kühnl, neben Bert Siegelmann seit Anfang 2017 einer der RNF-Geschäftsführer, ist jemand, den ich schon fast 25 Jahre kenne. Wir waren noch nie einen trinken, wir haben noch nie zusammengearbeitet, aber wir haben oft über Programm, Inhalte, Journalismus auch durchaus kontrovers diskutiert. Persönlich, im Chat oder am Telefon. Ich mag ihn, weil er eine ehrliche Haut ist, weil er was kann und weil er sich jeden Tag aufs Neue Mühe gibt, den Job gut zu machen. Da sind wir Brüder im Geiste.
Die Menschen schauen RNF, weil sie tagesaktuelle Informationen wollen. Das ist unser Kerngeschäft und das bieten wir weiter professionell an,
sagte er am Abend am Telefon. Er redet wie immer, konzentriert, offen und hat auch hier und da einen (makabren) Scherz auf den Lippen. Zur wirtschaftlichen Lage:
Wir konnten die 1,4 Millionen Euro, die mit dem Verlust der Sendelizenz für das RTL-Programm verloren gingen, nicht adäquat kompensieren.
Und zur Zukunft:
Dieser „Cut“ musste gemacht werden. Natürlich drückt dieser Schritt aktuell auf die Stimmung, aber wir bleiben handlungsfähig, werden alles tun, um das Unternehmen voranzubringen. Aber natürlich werden wir einsparen müssen.
Selbstverständlich haben Ralph Kühnl und ich viel länger gesprochen. Aber ich berichte die wesentlichen Aussagen.
RNF ist zahlungsunfähig
Und selbstverständlich teile ich meine Einschätzung mit: Niemand bringt irgendein Medium voran, wenn die Prämisse sparen, sparen, sparen heißt. So ein Kurs bringt zwangsläufig Einschnitte mindestens beim Umfang, vermutlich aber auch in der Qualität mit sich. Und das ist nicht gut.
Aktuell kann RNF gewisse Zahlungen nicht mehr bedienen. Das nennt sich insolvent. Laut Herrn Kühnl werden die Gehälter an 45 Mitarbeiter in Teil- und Vollzeit bezahlt, aber Urlaubsgeld wurde gestrichen. Zudem beschäftigt der Sender studentische Hilfskräfte und freie Mitarbeiter. Im Journalismus, also nicht wie bei ARD und ZDF in Sachen Millionenlizenzen für Übertragungsrechte, sind die höchsten Posten das Personal. Und es wird bei RNF zwangsläufig Entlassungen geben und andere werden weniger beschäftigt.
Keine überraschende Entwicklung
Überraschend kam diese Entwicklung nicht. Mit dem Verlust der RTL-Sendelizenz an Zone 7 war klar, dass es RNF zur Unzeit trifft. Das Unternehmen baute um, investierte, um „schlanker“ produzieren zu können und dann fehlte nicht sofort das Geld, weil Zone 7 nicht starten konnte und man irgendeinen Deal gemacht hatte, aber vor rund einem Jahr übernahm Zone 7 als „RONTV“ und seither fehlen die 1,4 Millionen Euro.
Ich habe die Bilanzzahlen von RNF nicht bis in die Tiefe analysiert, aber der Sender musste immer knapsen – es ging gerade so über die Jahre. Laut Ralph Kühnl habe man die Kunden halten können, aber dieser weggefallene „Sonderposten“ von RTL, der setzt RNF nun enorm zu. Und das ist nicht gut.
Lizenzverlust an einen Schmalspurproduzenten
Der neue Sender RONTV, der die Lizenz der baden-württembergischen und rheinland-pfälzischen Landesmedienanstalten gewonnen hat, ist meiner Ansicht nach ein Komplettausfall. Ein Jahr Zeit hatte der neue Sender für die Vorbereitung, ein Jahr ist er auf Sendung. Journalistische Relevanz ist auch nicht ansatzweise zu erkennen. Der Fisch stinkt immer vom Kopf her und der heißt Thomas Präkelt. Der liefert verantwortlich ein Programm, das man journalistisch nennen könnte, tatsächlich journalistisch aber vollständig irrelevant ist.
Im Gegensatz dazu Bert Siegelmann. Mit dem kann ich nicht wirklich gut, weil ich sein Gehabe und seine Schnoddrigkeit nicht mag. Wir kennen uns so gut wie nicht und ich kann viel an ihm kritisieren. Aber eins nicht: Sein Herz schlägt für die Region und er hat sich ganz herausragend über fast vier Jahrzehnte engagiert. Das verdient auch meinen Respekt. Das RNB ist erst seit 2011 am Start und ich weiß, wie schwer es ist, ein Medienangebot aufzubauen.
Mediensystem im gefährlichen Umbruch
Unser aktuelles Mediensystem hat erhebliche Brüche hinter und vor sich. Und diese sind demokratiegefährdend.
Verantwortlich sind die Medienanbieter selbst, ob alt, ob neu. Verantwortlich ist aber auch der Markt und vor allem sind es die Nutzer. Wenn RNF von den nach eigenen Angaben täglich 300.000 Zuschauern nur einen Euro pro Monat bekommen würde, wäre die Insolvenz weg. Nur ein Euro pro Monat! Das wären 3,6 Millionen Euro mehr – da könnte der Sender sogar durchstarten.
Das RNB hat eine kleinere Leserzahl, aber eine, die mehr in die Tiefe schaut. Wenn wir seit Jahren von rund 5.000 Lesern täglich jeweils einen Euro pro Monat bekommen hätte, oh, was könnten wir alles anbieten.
Das sind schöne Fantasien. Hinzu kommt, dass immer mehr Unternehmen, lokale Wirtschaft, immer weniger Geld für Werbeausgaben in die Hand nimmt. Zwangsgebühren werden von den öffentlich-rechtlichen Sendern kassiert, Abos der Zeitungen gehen dramatisch zurück, dafür wachsen „Gruppen“ und was auch immer in Social Media.
Wir erhalten täglich haufenweise „Presseinformationen“, die eigentlich früher Anzeigen waren. PR-Agenturen zuhauf schaufeln für teuer Geld der Unternehmen „Inhalte“ heran, die „doch sicher für die Leser interessant sind…“.
Nach dem zweiten Weltkrieg mussten sich Verleger um Lizenzen bewerben und wurden kontrolliert. Die NS-Massenpropaganda hatte gezeigt, was gesteuerte (Des-)Information für katastrophale Folgen hat. Die Zeitungen haben daraus ein lizensiertes Geschäftsmodell entwickelt, das erhebliche und traumhafte Gewinne brachte. Umsatzrenditen weit jenseits der 20 Prozent waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Wir leben in ähnlich unruhigen Zeiten. Teils gibt es gesteuerte Desinformation, teils eine massenhaft beliebige. Durch das Internet und asoziale Medien wie Facebook sucht sich jeder seine Filterblasennachricht aus, die zur Stimmung und Haltung passt.
Gegen Fake News und inhaltlichen Müll hilft nur ein vernünftiger Journalismus, der sich anstrengt, der sich traut und der vor allem so unabhängig wie nur möglich ist.
Ohne dem RNF zu nahe treten zu wollen gehe ich davon aus, dass erhebliche Umsätze durch „finanzierte“ Produktionen hereinkommen. Das heißt, man bietet Formate an, die jemand bezahlt. Also erst das Geschäft, dann der Inhalt. Damit steht RNF nicht allein, aber das ist gefährlich.
Je größer die Not ist, umso eher wird man verführt. Wir merken das auch – es gibt begehrliche Anfragen, die wir allseits zurückweisen. Das ging bisher immer leidlich schlecht als recht. Kommt der Tag, an dem ich als Chef mich auf Deals einlassen müsste, schließe ich ab.
Die Insolvenz von RNF ist ein weiterer Schritt zu einer gesellschaftlichen Insolvenz
Das Donnern bei RNF sollte vor allem bei Ihnen ankommen: Bei Gemeinden, bei Firmen, bei Mediennutzern. RNF kann seine Aufwendungen nicht mehr bezahlen. Dem RNB geht es auch nicht gut. Lokalzeitungen in der Region verlieren auch enorm.
Sie können jetzt sagen: Mir doch egal, gibt genug Lesestoff im Internet. Das stimmt. Aber nicht über ihre Heimat, nicht über lokale Entwicklungen. Denn wenn abgeschlossen ist, ist abgeschlossen. Und wenn das ausbleibt, wird es fürchterlich – versprochen. Denn dann bestimmt der, der Geld gibt, um „klare“ Botschaften zu senden, die mit kritischer Kontrolle nichts zu tun haben.
Lokale und regionale Berichterstattung ist keine Bundesliga, was die Top-Aufregerthemen angeht. Aber es ist eine Liga, die das Leben der Menschen vor Ort angeht. Wenn es niemanden mehr gibt, der sich kritisch damit auseinandersetzt, zerfällt die Gesellschaft, weil es keine gemeinsamen Themen mehr gibt.
Wem die Schieflage von RNF egal ist, befindet sich in absehbarer Zeit selbst in Schieflage. Versprochen.
Die Insolvenz von RNF ist nicht nur ein spezieller „gesellschaftlicher Schaden“, was das Unternehmen angeht, sondern ein allgemeiner.
Wenn Journalismus abgewickelt ist, gibt es keinen neuen. Schon gar nicht, wenn das überhaupt kein attraktiver Markt mehr ist.
Denken Sie drüber nach. Irgendwann könnte das RNB eine gleiche Meldung machen. Dann die Zeitungen.
Und dann?