Berlin/Heidelberg/Rhein-Neckar, 05. November 2013. (red/ld) Am Wahlabend hatte Franziska Brantner (Grüne) noch gezittert. Dann hatte es doch noch für einen Listenplatz im Bundestag gereicht. Für die frühere Europaabgeordnete bedeutete das einen neuen Job und einen neuen Anfang in Berlin. Wie sie sich dort zurechtfindet, erzählte sie uns im Interview.
Interview: Lydia Dartsch
Vor gut einer Woche war die konstituierende Sitzung im Bundestag. Wie war Ihr erster Arbeitstag?
Franziska Brantner: Das war sehr spannend mit all den Reden. Man hat nochmal ein Gefühl dafür bekommen, wie viel Verantwortung man als Abgeordnete übernimmt. Das war kein normaler Arbeitstag.
Was fühlt es sich anders an, als vorher im Europaparlament?
Brantner: Anders ist auf jeden Fall, dass man keine Dolmetscher mehr braucht, um mit den anderen Abgeordneten zu sprechen. Und ich kenne wesentlich mehr Leute beim Namen. Als ich im Europaparlament angefangen habe, kannte ich viele der Abgeordneten aus den anderen Ländern nicht. Das ist jetzt etwas familiärer.
Wie unterscheidet sich Verantwortlichkeit zwischen Brüssel und Berlin?
Brantner: Es ist eigentlich sehr ähnlich und ich hatte das gleiche Gefühl, als ich im Europaparlament angefangen habe: Man trifft als Abgeordnete wichtige Entscheidungen darüber, in welche Richtungen ein Land geht – früher betrafen die Entscheidungen die ganze EU.
Worin wird sich Ihr Tagesablauf von dem einer Europaabgeordneten unterscheiden? Haben Sie schon eine Ahnung?
Brantner: Ich weiß es noch nicht genau – aber ich gehe davon aus, dass es auch viele Ausschuss- und Plenarsitzungen geben wird. Und dann haben mir manche auch von Debatten bis drei Uhr morgens erzählt!
„Es wird sich mit der Zeit einspielen“
Wie finden Sie sich denn schon zurecht im politischen Berlin? Haben Sie schon alle Ihre Arbeits- und Sitzungsräume gefunden?
Brantner: Also die Fraktionsräume und das Plenum finde ich schon. Der Rest wird sich mit der Zeit einspielen. Mein Büro ist etwas weiter weg vom Parlamentssaal als in Straßburg.
Wie weit?
Brantner: Ich brauche mindestens zehn Minuten zu Fuß zum Bundestag. Momentan laufe ich noch, aber ich überlege, mir ein Fahrrad zuzulegen. Das wäre gut, wenn ich es eilig habe.
Warum liegt es so weit entfernt? Weil Sie in der Opposition sind?
Brantner: Nein. Im Bundestag sind die Büros nicht nach Fraktionen alleine aufgeteilt, sondern nach Arbeitsgebieten. In dem Gebäude, in dem ich provisorisch ein Büro habe, sind die Büros der Abgeordneten aus den Bereichen Europa, Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte. Das sind ja auch Bereiche, die mir nahe liegen.
Heißt das, Sie hätten dann alle Ihre Ansprechpartner auch in unmittelbarer Nähe?
Brantner: Das kommt darauf an, wen ich sprechen will: Die Abgeordnetenbüros sind nach Arbeitsgebieten aufgeteilt. Die Verwaltung sitzt in einem anderen Gebäude und die Sitzungsräume sind wieder woanders untergebracht. Es gibt hier auch keine Cafés wie im Europaparlament, wo man sich mal schnell treffen kann, um Gespräche zu führen.
„Die Lockerung beim Klimaschutz macht mir Sorgen“
In solchen Gesprächen in den Abgeordnetenbars lag ja früher Ihre Hauptarbeit. Wo trifft man sich denn im Bundestag?
Brantner: Das habe ich noch nicht herausgefunden. (lacht) Das werde ich aber noch. Was ich weiß ist, dass hier weniger interfraktionell gearbeitet wird und eben stärker in Regierung und Opposition aufgeteilt ist. Ich hoffe aber, dass ich mich auch mit den Abgeordneten der anderen Fraktionen austauschen kann.
So, wie es aussieht, werden Dr. Karl A. Lamers und Lothar Binding in der Regierungsfraktion sein. Werden Sie mit ihnen versuchen, zusammen zu arbeiten? Wie könnte diese interfraktionelle Arbeit aussehen?
Brantner: Wir haben uns schon gesprochen nach der Wahl. Und ich habe sie beide gebeten, sich in den Koalitionsverhandlungen für eine Veränderung des Bima-Gesetzes einzusetzen. Das Gesetz regelt, nach welchen Vorgaben der Staat die Konversionsflächen an die Städte verkaufen darf – und ob dort zum Beispiel finanzieller Spielraum ist für sozialen Wohnungsbau, Bildungseinrichtungen oder ähnliche soziale Einrichtungen. Außerdem hoffe ich, dass sie sich einsetzen für den Klimaschutz. Das, was man bis jetzt hört, lässt einen ja nicht gerade optimistisch sein …
„Das Handymodell, das in der EU als einziges unsicheres galt, gilt in Berlin als einzig sicheres“
Welche Unterschiede zum Europaparlament haben Sie noch festgestellt?
Brantner: Der Hauptunterschied ist, dass es einfach Deutsch ist. Damit meine ich nicht nur die Sprache. Es scheint auch formalistischer.
Inwiefern?
Brantner: Für einige – eigentlich selbstverständliche – Dinge müssen Anträge ausgefüllt werden: Zum Beispiel für den Zugang zum Internet. Ich musste extra einen Internetanschluss für mein Büro beantragen. Im Europaparlament gab es Aufnahmemöglichkeiten für Videobotschaften – das gibt es hier nicht, dafür wird das Fax noch etwas stärker genutzt. Skype ist hier nicht erlaubt, weil es nicht sicher zu sein scheint.
„Es ist ein Neuanfang“
Bis zum 22. Oktober waren Sie auch noch Europaabgeordnete und mussten sich gleichzeitig auf Ihre Rolle in Berlin vorbereiten. Wie haben Sie die Wochen dazwischen erlebt?
Brantner: Ich war inzwischen noch in Straßburg und in Brüssel, um mich von meinem Team zu verabschieden und mich darum zu kümmern, dass sie gute neue Jobs finden. Neue Wohnung suchen, alte Wohnung aufgeben – es ist ein Neuanfang.
Was müssen Sie jetzt noch alles erledigen, um sich hier komplett einzurichten?
Brantner: Ich werde erstmal schauen, in welchen Ausschuss ich komme. Ich muss mein Team aufbauen und mich in den Berliner Betrieb einarbeiten, damit ich Routine bekomme.
Sie sind für Ihr Amt in die Bundeshauptstadt gezogen. Der Berliner Wohnungsmarkt ist schwierig. Wie lange haben Sie suchen müssen?
Brantner: Meine Wohnung in Heidelberg behalte ich. Aber meine Dinge aus Brüssel habe ich jetzt nach Berlin geholt für die Sitzungswochen. Und ja, Berlin ist nicht mehr so einfach wie früher. Meine Wohnung in Schönefeld habe ich durch Zufall über Freunde von Freunden gefunden.
„Im Wahlkreis kann man Abstand vom Betrieb in Berlin gewinnen“
Was verändert sich jetzt noch? Ihre Wähler im Wahlkreis Heidelberg werden Sie jetzt öfters zu sehen bekommen?
Brantner: Ja. Während der Sitzungswochen muss man in Berlin sein. Ansonsten werde ich aber viel im Wahlkreis unterwegs sein und Veranstaltungen besuchen.
Welche Bedeutung hat für Sie die Arbeit in Ihrem Wahlkreis?
Brantner: Es ist wichtig, Abstand von dem politischen Betrieb zu gewinnen, und sich nicht immer im Kreis zu drehen. Das geht nicht, wenn man immer nur in Berlin ist. Nur vor Ort kann man mitbekommen, was die Menschen wirklich bewegt. Außerdem bin ich sehr gerne in Heidelberg!
„Es wird nicht einfach als Oppositiönchen“
Sie wollten sich in Berlin für Europapolitik einsetzen. Der von den Grünen angestrebte Machtwechsel hat nicht funktioniert und alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Opposition quasi machtlos ist. Wie wollen Sie Ihre Ziele jetzt erreichen?
Brantner: Das wird nicht einfach, gegen diese große Koalition anzukommen, wenn wir nicht einmal Anhörungsrechte haben. Ein Journalist hat vor Kurzem von einem “Oppositiönchen” geschrieben. Da müssen wir eine Alternative zu der Merkelschen Politik bieten und die Positionen stärken.
Was hatten Sie sich gewünscht umsetzen zu können, um die EU von Berlin aus voran zu bringen?
Brantner: Man braucht eine gute europäische Integrationspolitik, um zu zeigen, dass es auch andere Wege als den von Merkel oder den Rückwärtsweg der AfD gibt. Die aktuelle Krisenpolitik schafft es nicht, die Probleme in den Krisenländern zu lösen. Es gibt zum Beispiel immer noch kein Investitionsprogramm, sondern nur sozial unausgewogene Sparprogramme.
Welche Pläne haben Sie also für diese Legislaturperiode in der kleinen Opposition?
Brantner: Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn es mir gelänge, etwas bei der Europapolitik zu bewegen. Das wird schon sehr schwer. Aber ich werde mich auch für die deutsch-französische Partnerschaft weiter einsetzen.
Ich will Ansprechpartnerin für alles sein.
Sie können sich auch stark im Wahlkreis engagieren. Wie stellen Sie sich Ihre Arbeit dort vor?
Brantner: Ich würde gerne an der Konversion und den Verhandlungen mit dem Bund mitarbeiten und Ansprechpartnerin für alle Themen im Wahlkreis sein: Sei es die Staustufe in Ilvesheim oder die Asylpolitik.
In den Kommunen herrscht seit einiger Zeit starker Zuzug von Bürgern aus Bulgarien und Rumänien, die ab dem kommenden Jahr auch Arbeit in Deutschland annehmen dürfen und Anspruch auf Sozialleistungen haben. Wie schätzen Sie die Stimmung in Ihrem Wahlkreis dazu ein?
Brantner: Viele Menschen, die zu uns kommen, werden in ihren Herkunftsländern stark diskriminiert und leben unter sehr schlechten Bedingungen. Wir haben eine europäische Verantwortung, dass es ihnen dort besser geht und sie das gleiche Recht auf Bildung und Arbeit haben. Wenn sie bei uns arbeiten dürften, bräuchten sie auch keine Sozialleistungen.
Wäre es nicht von der EU-Ebene aus einfacher gewesen, auf die Mitgliedsstaaten zu wirken, um die Situation der Menschen dort zu verbessern? Wie lässt sich denn auf Bundesebene dort etwas verändern?
Brantner: Den Menschen in Bulgarien und Rumänien muss natürlich die EU helfen, durch Finanzhilfen zum Beispiel. Aber wir brauchen auch politischen Druck auf die Länder, um die Menschen dort besser einzugliedern. Das ist juristisch zwar ganz gut festgeschrieben, aber wird nicht immer so umgesetzt. Und wenn man die Menschen weiter stigmatisiert, bewirkt das nur weitere Ausgrenzung. Dieser Druck muss im Rat erzeugt werden, also von den Regierungen, auch der deutschen. Vor Ort in Deutschland hat Berlin eine wichtige Aufgabe – nämlich den Kommunen finanziell unter die Arme zu greifen, statt nur populistische Sprüche zu klopfen.
Sie teilen die Angst nicht, die in einigen Medienberichten zur Sprache kommt?
Brantner: Man sieht an den Ländern, in denen die Beschränkungen schon gefallen sind, dass es sich nicht negativ ausgewirkt hat. Es wäre auch wichtig – auch von Medienseite – über positive Integrationsbeispiele zu berichten und nicht nur über die Schreckensmeldungen.