Mannheim/Rhein-Neckar, 05. März 2025. (red/pro) Aktualisiert. Nach Informationen einer „antifaschistischen“ Rechercheplattform, Exif-Recherche, könnte der tatverdächtige Alexander S., der am Montag mit einem Kleinwagen in der Mannheimer Fußgängerzone Planken zwei Menschen getötet und elf zum Teil schwer verletzt hatte, zur Szene der gewaltbereiten Rechtsextremisten gehören. Bislang gehen die Staatsanwaltschaft Mannheim und das Landeskriminalamt in Stuttgart von einer „psychischen Erkrankung“ des Täterverdächtigen aus – tatsächlich gibt es klare Hinweise auf Kontakte in die rechtsextremistische Szene.
Von Hardy Prothmann
Die von Exif-Recherche veröffentlichten Informationen stellen die bisherigen Ermittlungen der Behörden massiv in Frage:
„Dass eine politische Dimension der Tat derzeit nicht im Fokus der Ermittlungen steht, ist verwunderlich. Nach Informationen, die Exif-Recherche vorliegen, ist der Täter Alexander Scheuermann Teil vom sogenannten «Ring Bund» gewesen – eine Gruppe aus dem Spektrum der Reichsbürger, geführt von Neonazis. Dieselben Personen, die auch einem Waffenhandelsring angehörten, nämlich Bernd Z, aus Gröbenzell (Bayern) und Alexander R. aus Neubiberg (Bayern)“,
Wer die Website Exif-Recherche seit 2017 betreibt, ist nicht bekannt – die Recherchen und Veröffentlichungen erfolgen anonym. In der Selbstbeschreibung heißt es: „«EXIF – Recherche & Analyse» ist eine unabhängige, antifaschistische Rechercheplattform, die sich mit der rechten und neonazistischen Szene befasst. Die Arbeit zielt dabei auf Recherche, Analyse und Information.“
Im Gegensatz zu anderen ideologisch getriebenen „linken“ Antifa-Seiten ist der Stil eher nüchtern-informativ und hat 2018 mit detaillierten Veröffentlichungen zur militant-neonazistischen Organisation „Combat 18“ (Anm. d. Red.: 18 steht für den ersten und achten Buchstaben des Alphabet, also AH als Initiale für Adolf Hitler) auf sich aufmerksam gemacht, die seit 2020 verboten ist. Die veröffentlichten Informationen von Exif-Recherche lassen sich nur schwer überprüfen.
Nach Darstellung von Exif-Recherche hatte Alexander S. durchaus, möglicherweise sogar relevante Kontakte in die neonazistische Szene und stellte sich auf anderen Plattformen wie dem russischen VK durchaus martialisch dar – unter anderem vermutlich mit einem MR223. Bei der Waffe handelt es sich nach Recherchen des RNB um ein halbautomatisches Selbstladegewehr im Kaliber .223 Remington von Heckler & Koch für „Sportschützen und Jäger“. Wo das Foto aufgenommen worden ist, ist bislang nicht bekannt.

Alexander S. mit einer halbautomatischen Waffe. Quelle: Exif-Recherche
In der Beschreibung des Herstellers Heckler & Koch heißt es: „Es ist die zivile Ausführung des HK416, welches bei zahlreichen regulären und spezialisierten Kräften des Militärs sowie der Polizei im Dienst steht. Das MR223 entspricht qualitativ dem HK416 und erfüllt annähernd alle Anforderungen seines militärischen Pendants. Als indirekter Gasdrucklader arbeitet das MR223 mit dem bewährten und zuverlässigen Antriebssystem des G36. Im Gegensatz zu direkt angetriebenen AR-Systemen bleibt das Systemgehäuse des MR223 beim Schießen nahezu sauber. So schießt das MR223 auch dann noch reibungslos weiter, wenn andere Selbstladegewehre bereits stören und ihren Dienst quittieren.“
Bislang gehen die Behörden bei der tödlichen Amokfahrt in Mannheim von einer psychischen Erkrankung des Täters als Motiv aus und ermitteln wegen Mordes in zwei Fällen, versuchten Mordes in fünf Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung in elf Fällen. Der 40-jährige Tatverdächtige, zuletzt wohnhaft in Ludwigshafen, sitzt seit gestern in Untersuchungshaft.
Ein politisches oder (rechts-)extremistisches Motiv schlossen sowohl der Leitende Oberstaatsanwalt Romeo Schüssler wie der der LKA-Präsident Andreas Stenger bei einer Pressekonferenz im Polizeipräsidium Mannheim am Montagabend mehr oder weniger kategorisch aus. War dies voreilig?

Der Tatverdächtige Alexander S. mit Glatze und Backenbart – ein „Stil“, wie in der Neonazi Christian Hehl „pflegte“. Foto: privat
Die Erkenntnisse zum Tatverdächtigen beschränken sich auf eine über zehn Jahre zurückliegende Körperverletzung, wegen der Alexander S. eine kurze Haftstrafe absaß und einen Strafbefehl von 2018 wegen „Hassrede“ (Anm. d. Red.: vermutlich StGB § 130 Volksverhetzung) im Internet aus dem Jahr 2018. Weiter sei ein Fall von Trunkenheit im Straßenverkehr bekannt.
Nach den gestern Abend veröffentlichten Informationen von Exif-Recherche soll Alexander S. aber Kontakte zu einem öffentlich eher wenig bekannten „Ring-Bund“ (alternativ auch Ringbund) gehabt haben sowie zur Reichsbürgerszene und neonazistischen Kadern. In einer Ergänzung von heute präsentiert die Seite auch Fotos von Alexander S., der an einer NPD-Kundgebung im Oktober 2018 teilgenommen hatte.
Aus Sicht des RNB ist ein Porträt des Tatverdächtigen, der in Heidelberg geboren und in Ladenburg aufgewachsen sein soll, sehr auffällig. Darauf ist er mit fast zur Glatze geschorenem Kopf und einem dichten Backenbart zu sehen – so präsentierte sich auch der vor gut drei Jahren verstorbene Neonazi Christian Hehl aus Ludwigshafen, der zuletzt in Mannheim wohnte und dort für eine Wahlperiode für die NPD im Gemeinderat saß.
Laut den bisher veröffentlichten Informationen der Behörden hingegen soll es bislang keine Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund des Tatverdächtigen geben. Dies ist allerdings in dieser Aussage mindestens durch die Fotos von Alexander S. als Teilnehmer einer NPD-Kundgebung (heute „Die Heimat“) klar widerlegt.
Die bei Exif-Recherche veröffentlichten Informationen reißen bis auf die NPD-Demo im Jahr 2018 ab. Möglicherweise ist Alexander S. nur ein Sympathisant, eine Randfigut der rechtsextremen Szene. Hier sind jetzt die Behörden gefragt – oder unabhängige Rechercheure, die offenbar den Behörden eine Nasenlänge voraus sind. Sollten sich die Hinweise verdichten, dass der Tatverdächtige S. doch ein „politisches“ Motiv hatte, würde aus „Mord“ dann „Terror“ werden.
Auf konkrete Anfragen des RNB reagierte das LKA nur mit dem lapidarem Hinweis, dass für heute eine weitere Pressemitteilung geplant sei.
Aktualisierung, 16:49 Uhr, Gemeinsame PRESSEMITTEILUNG der Staatsanwaltschaft Mannheim und des Landeskriminalamts Baden-Württemberg (05.03.2025):
„Fahrt in Menschengruppe in Mannheim, aktueller Stand der Ermittlungen
Nachdem ein 40-jähriger Mann am Montag mit seinem PKW in der Mannheimer Innenstadt mehrere Menschen angefahren hat, konzentrieren sich die intensiven und umfangreichen Ermittlungen insbesondere auch auf die Motivlage des Tatverdächtigen.
Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen gibt es weiterhin keine Anhaltspunkte dafür, dass der konkreten Tat ein extremistisches oder politisches Motiv zugrunde lag.
Gemäß den bislang vorliegenden Erkenntnissen, bestehend aus umfangreichen ärztlichen Unterlagen und einer Vielzahl sich gegenseitig bestätigender Zeugenaussagen, ist davon auszugehen, dass bei dem Tatverdächtigen seit vielen Jahren eine psychische Erkrankung vorliegt. Er befand sich in der Vergangenheit regelmäßig in ärztlicher bzw. psychiatrischer Behandlung, zuletzt im vergangenen Jahr auch stationär.
Hinweise auf mögliche Kontakte des 40-jährigen Mannes ins rechtsextreme Milieu im Jahr 2018 sind den Ermittlungsbehörden bekannt und stehen ebenfalls im Fokus der Ermittlungen. Soweit der Mann wegen eines Kommentars auf einer Social Media Plattform im selben Jahr wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt wurde, findet dies im Rahmen der Ermittlungen ebenfalls Berücksichtigung.
Abfragen bei verschiedenen Nachrichtendiensten führten allerdings zu keinen extremismusrelevanten Rückmeldungen. Auch bei den bisher gesichteten Asservaten konnten bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine extremistische Gesinnung des Tatverdächtigen gefunden werden. Die Auswertung wird aktuell intensiv fortgeführt.
Ein weiterer Schwerpunkt der beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg seit Beginn unter dem Dach des Staatsschutz- und Anti-Terrorismuszentrums (SAT BW) geführten Ermittlungen liegt in der Recherche von Aktivitäten, Kontakten, Freunden und Bezügen des Tatverdächtigen innerhalb von Social Media und Messenger-Apps.
Des Weiteren dauert die Rekonstruktion des komplexen Tatablaufs weiter an. Unter anderem wurde in diesem Zusammenhang am 04. März 2025 ein Taxifahrer vernommen, der nach aktueller Sachlage dazu beigetragen hat, den Tatverdächtigen an der Fortführung der Fahrt zu hindern. Auch ein Schriftstück mit verschiedenen mathematischen Formeln, das im Fahrzeuginnenraum gefunden wurde, befindet sich aktuell in der forensischen Auswertung.
Die Anzahl der verletzten Personen hat sich zwischenzeitlich auf 14 erhöht, darunter befindet sich ein zweijähriges Kind. Vier Personen werden aktuell noch in verschiedenen Krankenhäusern behandelt.“