Rhein-Neckar, 05. November 2020. (red/pro) Der verantwortliche Redakteur für das Rheinneckarblog, Hardy Prothmann, hat etwas getan, was vollständig untypisch für Journalismus in aufgeregten Zeiten ist: Er ist in Quarantäne gegangen – nicht nur wegen “Corona”, sondern wegen der allgemeinen Nachrichtenlagen. Es wird nämlich nicht mehr informiert, sondern geframed. “Bist Du meiner Meinung oder nicht?” ist die Lage. Übersetzt: “Bist Du mein Freund oder mein Feind?” Dazwischen gibt es wenig bis nichts.
Von Hardy Prothmann
Dieser Text ist ein Essay – also ein Versuch, Wirkzusammenhänge aufzuzeigen. Sie benötigen Zeit, um ihn zu lesen. Und Sie entscheiden, ob Sie sich die Zeit nehmen oder zur nächsten Überschrift weiterklicken.
Ich habe 1989 mein Studium der Germanistik und der Politikwissenschaft in Mannheim aufgenommen und 1994 nach zehn Semestern, also in “Regelstudienzeit”, mit der Gesamtnote “gut” beendet. Dazu später mehr.
Ein Ski-Unfall, bei dem ich mir ein Knie vollständig zerstört hatte (danke der Nachfrage, ist wieder in Ordnung gekommen durch einen Top-Oberarzt im Theresienkrankenhaus und jahrelanger harter eigener Arbeit (Kung-fu), ist mir dazwischen gekommen, sonst wären es acht Semester gewesen. Weil ich alle Prüfungen immer auf Anhieb bestanden habe, weil ich viele Prüfungen mit Bestleistungen bestanden habe.
Gleichzeitig habe ich mir mein Studium durch verschiedene Jobs finanziert. Als Türsteher in der “Disco-Szene”, als Zeitarbeiter in Fabriken im Großraum Mannheim, als sonstiger Dienstleister für alles Mögliche und als “wissenschaftliche Hilfskraft” im Universitätsbetrieb. Von 1991-1994 habe ich zudem rund 1.000 Artikel für den Mannheimer Morgen geschrieben – super schlecht bezahlt, aber es hat Spaß gemacht und letztlich habe ich eine Entscheidung getroffen.
Denn ich hatte die Wahl zwischen einer sozialwissenschaftlichen Karriere mit einem sehr guten Angebot, weil ich als Mitarbeiter von “ZUMA”, “Zentrum für Umfragen, Methoden, Analysen” (heute GESIS) beispielsweise bei der Analyse der ersten gesamtdeutschen Wahl nach der Wiedervereinigung für die Materialbeschaffung zuständig war. Ich hatte dort, auch, weil ich den VWL-Statistik-Schein, bei dem rund zwei Drittel der Studenten durchfielen, auf Anhieb mit einer Eins bestanden hatte, beste Arbeitsmöglichkeiten. Weil ich neben der methodischen Arbeit zudem sehr sprachgewandt war, schrieb ich viele Abschlussberichte, die Professoren dann als ihre Studienerkenntnisse veröffentlichten.
Drei meiner Professoren, bei denen ich studierte, sind sehr bekannt: Peter Graf von Kielmansegg, Max Kaase und Eckhard Jesse. Die Studienerfahrungen waren intensiv.
Max Kaase wollte mich persönlich fertig machen, weil ich seiner Theorie, dass die Bürger der neuen Bundesländer über die Medien demokratisch vorbereitet seien, heftig widersprochen habe. Graf Kielmansegg hat mich mit einem “befriedigend” abgestraft, weil ich nicht seiner Meinung war, was Alexis de Tocqueville und seine Abhandlung über die Demokratie in Amerika anzergeht und Eckhard Jesse hatte mir im Rahmen seiner Totalitarismusforschung eine Promotion angeboten, die ich abgelehnt habe, weil ich nicht mit seiner Analyse konform ging und bis heute nicht gehe.
Im Ergebnis habe ich das Studienfach Politikwissenschaft nur mit Befriedigend beenden können. Das der Germanistik bei allen Prüfungen und mit einer Magisterarbeit bei Prof. Dr. Jochen Hörisch (Vom Fortunatus zum Peter Schlemihl – das Geld in der Dichtung. Eine hermeneutische Betrachtung) hingegen mit einer glatten Eins. Unterm Strich kam also ein Gut raus.
Ich habe in meinem Studium solides wissenschaftliches Arbeiten gelernt und bin nachhaltig entsetzt. Denn trotz mehrerer Angebote für eine Dissertation habe ich mich nie dazu entschieden, weil ich eine solche wissenschaftliche Arbeit immer als wissenschaftliche und ernsthafte Auseinandersetzung begriffen habe und niemals, um einen Doktortitel zu erreichen, geschweige denn zu ermogeln, wie man das insbesondere bei vielen Politikern in den vergangenen Jahren feststellen musste (Anm.: Um die Doktores in der Wirtschaft und sonstwo hat sich noch kaum jemand gekümmert…). Wenn schon Doktor, dann volle Kanne, war und ist mein Ansatz – dafür hatte ich aber keine Zeit. Vielleicht nehme ich mir die jetzt – mal schauen.
Was ich weiß, sind meine eigenen Erfahrungen mit 54 Jahren. Ich habe mich im Studium und später mit den USA auseinandersetzt und musste erkennen, dass es schwer bis unmöglich ist, sich dazu ohne Hinweis auf Unzulänglichkeiten sinnvoll zu äußern.
1989 war ich erstmals in den USA, hier Kalifornien, habe ein komplett anderes Leben als in Europa kennengelernt, eine Schießerei in Los Angeles in einer Nebenstraße miterlebt und danach folgende “riots”. Gleichzeitig die Nationalparks und habe die vermutlich schlechteste italienische Pizza meines Lebens gegessen. Einige Jahre später habe ich in New York die vermutlich beste Peking-Ente aller Zeiten kredenzt bekommen.
Wenn mir Mediensysteme vorgaukeln wollen, dass sie mir in “Sondersendungen” tatsächliche Lebensverhältnisse in einem Land, das von der Fläche, der Anzahl der Menschen und der Geschichte derart unterschiedlich zu meiner aktuellen Lebenssituation in Mannheim-Seckenheim ist, dann wird mir schlecht.
Wenn ich seit langer Zeit miterleben muss, was im Medienbetrieb los ist, dann ist es vielleicht höchste Zeit, diesen vollständig pervertierten Strukturwandel der Öffentlichkeit systematisch zu untersuchen – nur gibt es dafür aktuell keine Mittel und ich weiß nicht, wer mir eine solche Arbeit finanzieren sollte.
Ein ARD-Moderator meinte zur Präsidentenwahl in den USA, dass Herr Trump für sich per Twitter reklamierte, dass die USA-Wirtschaft um 33 Prozent gewachsen sei. Das erschiene dem Moderator “ziemlich hoch” – aber “Twitter habe dies nicht als Fake-News” gekennzeichnet.
Das sitze ich staunend und mit offenem Mund vor dem Bildschirm und frage mich, welches Virus eigentlich dafür verantwortlich ist, solche Hirne derart zu zermatschen?
Durch solche “Berichterstattungen” werden alle Standards, die man von Journalismus erwarten können sollte, vor allem, wenn er zwangsfinanziert ist, komplett unterlaufen.
Journalismus ist keine Wissenschaft, aber man muss erwarten können, dass er Wissenschaft ernst nimmt, analysiert und ordentlich einordnet. Ebenso soziale Netzwerke und deren Verantwortliche, die sicher keine Wissenschaft zur Generierung neuer Erkenntnisse betreiben, sondern nur einem Geschäftsmodell folgen.
Sehr viele Medien konzentrieren sich seit langem auf “social media”-Inhalte und thematisieren Aussagen, insbesondere dann, wenn diese zuspitzen, reizen, spalten.
Das hat alles nichts mit einem fundiertem Journalismus zu tun, der als professionelle Dienstleistung Fakten checken und einordnen sollte, um eine ordentliche Meinungsbildung zu ermöglichen – das ist im Kern Agit-Prop von allen Seiten.
Da muss sich am Ende niemand mehr wundern, wenn jeder nur noch auf jeden einschlägt – ob verbal oder mit physischen Waffen.
Die Lage ist ernst.
Journalistische Angebote schaffen sich aktuell selbst ab, wenn sie nicht mehr inhaltliche Qualität liefern, sondern agitatorische Kombattanten sind, die tatsächlich keine Ahnung haben und niemals persönliche Eindrücke sammeln konnten, um diese mit recherchierten Fakten zu “matchen”.
Was wir aktuell präsentiert bekommen, ist Matsch. Gequirltes Kopfkino, vorwiegend vermeintlich “politisch-korrekt”, aber ohne Substanz.
Dann hilft auch kein Ruf mehr nach Pressefreiheit – wer die Freiheit des Selbst-Denkens verlässt und sich auf eine Seite schlägt, ist nicht frei im Kopf, sondern Kombattant.
Das darf man machen, aber man sollte den Begriff der Freiheit nicht vergewaltigen. Tatsache ist, dass im Krieg Menschenrechtsverletzungen “Standard” sind – dazu gehören bevorzugt auch Vergewaltigungen. Und das passiert aktuell massiv in Sachen “Meinungsfreiheit”.
Hat also alles die gewohnte “Ordnung”?
Um Politik einordnen zu können, muss man sich über damit über lange Zeit beschäftigen, sie kennen- und einschätzen lernen. Das gelingt nur einer seriösen journalistischen Arbeit und benötigt Erfahrung, Zeit und Fleiß.
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