Mannheim/Rhein-Neckar, 05. Dezember 2013. (red/ld) Wie unterwandern rechtspopulistische Gedanken und Ästhetik die Mitte der Gesellschaft und die kulturelle Szene? Wie lässt sich das verhindern? Zu diesem Thema trafen sich gestern Vertreter der Mannheimer Kulturszene zur Podiumsdiskussion „Wir sind Mannheim – Part I“ im Jugendkulturzentrum FORUM. Einen Tag vor dem Konzert der rechtspopulistischen Rockband Frei.Wild in der Alten Seilerei. Als Gegenprogramm dazu findet heute abend das Konzert „Wir sind Mannheim – Part II“ statt.
Von Lydia Dartsch
Ihre Musik ist beliebt. Ihre Texte sind rechtpopulistisch. Manche von ihnen spielen mit nationalsozialistischer Ästhetik: Frei.Wild ist nur eine von drei Bands, die in den vergangenen zwei Monaten in Mannheim auftrat oder auftreten wollte. Bereits am 02. November spielte „Unantastbar“ im 7er-Club in der Industriestraße. Ein Konzert des Franzosen Geoffroy Delacroix und dessen Band „Dernière Volonté“ am selben Ort war kurz zuvor abgesagt worden. Diese Häufung von rechtspopulistischer Kultur in Mannheim, einer Stadt, die sich in der Öffentlichkeit gerne als „bunt“ und „weltoffen“ präsentiert.
Abgrenzung, Überlegenheit und Opferstilisierung
Veranstaltungen wie diese zeigen, wie wenig rechts dieser Populismus noch ist, und wie weit dieses Denken in die Mitte der Gesellschaft vorgerückt ist. Sender wie Radio Rockland promoten Bands wie Frei.Wild und Veranstalter wie Christian Lömmersdorf (Alte Seilerei) halten die Auftritte dieser Bands für „vollkommen normal“ – mal abgesehen davon, dass insbesondere die Südtiroler Band eine ordentliche Kasse und ein ausverkauftes Haus bringt.
Offen rechtsextrem ist dabei keine der „Grauzonen“-Bands. Keiner der Musiker gibt eine rechte Gesinnung zu. Stattdessen bedienen sie sich einer Ästhetik, die geprägt ist von Abgrenzung gegenüber anderen, von einem Überlegenheitsgefühl, das irrsinnigerweise gepaart wird mit einer Stilisierung zum Opfer von Zensoren und der eigenen „wahren“ Meinung.
Diesen Mechanismen bediene sich auch die Band „Frei.Wild“, sagte der Musikwissenschaftler Dr. Thorsten Hindrichs von der Universität Mainz gestern abend bei der Podiumsdiskussion. Zwar seien diese Bands nicht rechtsextrem oder neo-nazistisch, sagte er. Dass sich ihre Botschaften immer weiter in der Mitte der Gesellschaft etablieren, hält er aber für ein Problem. Fabian Burstein, der Leiter des Forums, stimmt dem nicht ganz zu. Er sagt:
Das ist Rechtspopulismus, wie man ihn sonst in Holland, Frankreich oder Österreich kennt.
Dieser treffe in Deutschland und der Region auf eine noch „jungfräuliche Gesellschaft im Bezug auf Rechtspopulismus.“ Die ästhetischen Codes und Mechanismen seien hier noch nicht bekannt. Die Menschen – vor allem Jugendliche – seien darauf noch zu wenig sensibilisiert. Diese Sensibilisierung in den kulturellen Bildungskanon aufzunehmen sei eine Lösung gewesen, die bei der Diskussion gestern vorgeschlagen wurde.
Als Gäste nahmen Rainer Kern, künstlerischer Leiter des Musikfestivals „Enjoy Jazz“, Marcus S. Kleiner von der Popakademie Mannheim und die Beauftragte für Musik- und Popkultur Beril Yilmam an der Diskussion teil. Weitere Teilnehmer waren die Clustermanagerin Musikwirtschaft Janina Klabes, Felix Grädler, Vorstand von EventKultur Rhein-Neckar, und Rainer Döhring, der Spartenleiter Musik im Jugendkulturzentrum Forum. Auch Christian Lömmersdorf, Geschäftsführer der Alten Seilerei, war zu der Diskussion eingeladen, habe aber sofort abgesagt, sagte Fabian Burstein:
Ich hatte mir sehr gewünscht, dass er dabei ist. Unser Kontakt ist leider auf eine Eskalation hinausgelaufen.
Auf einen offenen Brief des Jugendkulturzentrums, unterschrieben von Vertretern der Stadt Mannheim und Kulturschaffenden, hatte er mit einem ebenfalls offenen Brief geantwortet.
Insgesamt sei die Diskussion mit den 40 geladenen Besuchern produktiv verlaufen. Fabian Burstein sagte, er habe das Gefühl gehabt, dass das Publikum von der Art der Diskussion überrascht gewesen sei, weil sie auch Selbstkritik zum Inhalt hatte. Eine Besucherin habe beispielsweise angemerkt, dass man mit dem Begriff „Neo-Nazi“ vorsichtig sein müsse, es aber nicht zulassen dürfe, dass rechtspopulistische Botschaften salonfähig und im politischen Diskurs verankert werden.
„Hochkomplexe“ Netzwerke und Verflechtungen
Dazu habe Rainer Döhring vorgeschlagen, eine Charta nach dem ungeschriebenen Ehrenkodex unter Veranstaltern aufzustellen. Veranstaltungsorte, die sich zu deren Einhaltung verpflichten, könne man mit einem Gütesiegel kennzeichnen. Auch ein verstärkter Austausch zwischen Veranstaltern, Kulturschaffenden und szenekundigen Bürgern sei angestrebt, um die – laut Herrn Burstein – „hochkomplexen Netzwerke und Verflechtungen hinter rechtspoulistischen Bands aufzudecken und zu durchschauen.
Trotz aller Produktivität bleiben bei solchen Veranstaltungen Sorgen, sie könnten durch Mitglieder der rechten Szene unterwandert oder gestört werden. Fabian Burstein sagt, er sei angespannt gewesen. Im Vorfeld der Podiumsdiskussion sei er von „szenekundigen Personen“ vor Zwischenfällen gewarnt worden. Deshalb seien die Besucher nur auf Einladung zu der Veranstaltung eingelassen worden. Störungen haben sich zwar nicht ereignet. Man müsse sie trotzdem ernst nehmen, sagt er:
Das können wir nicht einfach ignorieren.
Im Bezug auf Sicherheit sei die Konzertreihe heute abend die eigentliche Herausforderung: Der Eintritt ist frei. Eine Gästeliste gibt es diesmal nicht. Herr Burstein freue sich trotzdem auf ein schönes Gegenkonzert mit Lezola, Signalis, Traversay, Martin Goett, Pissed Onion, Lilou & Raphael Isenhuth und Steffen Foshag. Los geht es um 18:00 Uhr im Jugendkulturzentrum Forum.