Mannheim/Rhein-Neckar, 04. Oktober 2018. (red/pro) Der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hat eine sehr gute Rede am 03. Oktober anlässlich einer Demonstration „Demokratie, Menschlichkeit, Rechtsstaat“ gehalten. RNB-Redaktionsleiter Hardy Prothmann kommentiert diese, weil sie ihm – trotz der grundsätzlich geteilten Haltung – zu einseitig ist und wesentliche Probleme und Hintergründe ausblendet. Hier stehen also Aussagen gegen Aussagen. Von einem Lokalpolitiker und einem Lokaljournalisten. Bilden Sie sich Ihre Meinung.
Anm. d. Red.: Die Rede des Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz (SPD) steht in Normalschrift und ist durch Kommentare von Hardy Prothmann in kursiv unterbrochen.
Liebe Mannheimerinnen, liebe Mannheimer,
liebe Freundinnen und Freunde unserer Stadt,
diese Demonstration, diese Kundgebung, dieses Bündnis macht mich als Mannheimer stolz.
Prothmann: Das geht in Ordnung. 5.-6.000 Teilnehmer ist eine sehr ordentliche Anzahl und hat die geschätzten 3.000 Teilnehmer deutlich übertroffen. Nicht richtig ist aus RNB-Sicht die durch die Polizei mitgeteilte Zahl von 9.000 Teilnehmern. Mit dieser zu hohen Zahl wollte die Polizei wohl die Veranstaltung aufwerten.
Ein so unterschiedlicher, so breiter Kreis von Initiatoren und Unterstützern ist einmalig.
Das steht in einer guten Tradition unserer vielfältigen Stadt, die – wie kaum eine andere – von vielen Initiativen der Begegnung und der Verständigung geprägt ist.
Prothmann: Einspruch. Richtig und wichtig ist, dass es sehr viele Initiativen gibt. Es gibt diese, aber sind diese auch tatsächlich erfolgreich angesichts vieler Separationsprobleme? Wenn man nur die türkischstämmige Community (26.000) und dazu die Einwanderer aus Osteuropa (15.000) nimmt, reden wir über 41.000 Menschen, bei denen es nur bedingt gelungen ist, eine Integration zu erreichen. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich habe bereits Anfang der 90-iger Jahre über Probleme geschrieben, die heute noch nicht gelöst sind.
Die Tradition des weltoffenen Mannheims lebt. Als Oberbürgermeister danke ich den Initiatoren und hierbei insbesondere Dekan Ralf Hartmann. Allen Unterstützerinnen und Unterstützern möchte ich danken, hier insbesondere den Gewerkschaften, die diese Veranstaltung mit ermöglicht haben.
Prothmann: Ich lebe seit 1990 in der Stadt und kann die Weltoffenheit bestätigen – aber ebenso die vorhandene Verschlossenheit. Ich habe von 1991-1994 über Mannheim berichtet und tue das seit 2011 wieder. Den Dekan Hartmann kenne ich nicht. Meine Fragen hat er nicht beantwortet, was das Gegenteil von „weltoffen“ ist. Auf Facebook behauptet der Dekan, dass er selbstverständlich Fragen beantworte. Als ich auf das auf Facebook thematisiere und ihn einen Lügner nenne, wird das als Beleidigung gesehen. Man habe keine email erhalten, heißt es, was ich Leugnen nenne. Die email wurde an die im Impressum der Demoseite genannte email versandt und auch zugestellt.
Weiter sollte man die Vergangenheit nicht ausblenden. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat beispielsweise gezeigt, dass die Arisierung in Mannheim unter Beteiligung der damaligen Verwaltung erheblich war und damit der Mythos dahin ist, Mannheim sei eine Stadt des Widerstands gegen die Nationalsozialisten gewesen. 1992 gab es einen widerliche Pogrom gegen Asylbewerber auf der Schönau.
Wir wollen Vorbild für das Zusammenleben sein. Dies ist eines der acht strategischen Ziele der Stadt.
Prothmann: Dieser Anspruch und dieses Ziel wird von RNB unterstützt. Allerdings kritisch, denn ein Anspruch und ein Ziel zu haben, bedeutet, auf etwas hinzuarbeiten, was noch nicht real ist.
Vorbild für das Zusammenleben. Auch dieser Tag erfüllt diesen Anspruch. Denn es geht gerade nicht um eine reflexhafte Reaktion auf andere Demonstrationen und Ereignisse. Er soll vielmehr alle sensibilisieren, die sich zu Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat bekennen, dass diese Werte durch unser Handeln bewahrt werden müssen.
Prothmann: Vorbehaltlose Zustimmung. Das RNB tritt immer für Demokratie und Rechtsstaat ein, denn vor allem der von allen respektiere Rechtsstaat ist Garant dafür, dass Menschlichkeit geachtet und gegen Menschlichkeit gerichtetes Verhalten geahndet wird. Einspruch: Selbstverständlich ist diese Demo ein Reflex gewesen – auf Chemnitz und andere Demos von rechtspopulistischer Seite. Gleichzeitig erreicht die AfD immer höhere Umfragewerte und ist an der SPD vorbeigezogen.
Alle, die sich hier versammelt haben, sehen Gefahren für diese Werte, die Notwendigkeit sich um sie kümmern.
Wir sehen einen abschüssigen Weg, den wir nicht weiter gehen wollen, weil er nicht zu einem besseren, sondern zu einem schlechteren Land führt.
Das grenzt nicht aus, sondern lädt ein, nachzudenken, was Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat bedeuten und wie wir sie stärken und bewahren.
Prothmann: Zuspruch und Einspruch. Doch, es grenzt die aus, die nicht an eine bedingungslose „Multi-Kulti-Gesellschaft“ glauben. Dafür gibt es belegbare Gründe, die man nicht ausblenden darf. Was Sie, Herr Oberbürgermeister, als „abschüssigen Weg“ bezeichnen, übersetze ich: Rechtspopulismus. Ich erkenne aber auch einen abschüssigen Weg des Linkspopulismus. Beide sind nicht identisch und nur bedingt vergleichbar. Aber „abschüssig“ ist ihnen gemein. Sie selbst, daran darf ich erinnern, waren vor gut einem Jahr am Ende mit Ihrem Latein – eine gewisse Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Ausländern war derart kriminell, dass Sie persönlich mit Anschreiben an den Innenminister Hilfe vom Land gefordert haben. Es folgten wechselseitige Schuldzuschreibungen. Letztlich gab es Hilfe – durch einige Maßnahmen, die erheblich waren, wurden diese „Systemsprenger“ aus Mannheim entfernt. Das verschaffte lokal Erleichterung, hat aber keine Probleme gelöst, sondern nur verdrängt.
Nun sagen manche, Kirchen, Sport, Kulturvereine und Wirtschaft sollten sich nicht politisch positionieren.
Denen sage ich: wenn sich diese Institutionen nicht zu unserer Demokratie offensiv bekennen und sich engagieren, wiederholen wir historische Fehler. Und: Wer soll es sonst tun?
Prothmann: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz. Das nehme ich persönlich (und gehe davon aus, dass Sie auch mich meinen, weil es dazu im Vorfeld Kommunikation gab), denn ich bin einer von denen, die diese Forderung stellen, dass sich Kirchen, Sport, Kulturvereine und Wirtschaft bei politischen Positionierungen eher zurückhalten sollten. Dafür gibt es erhebliche Gründe. Als Beispiel nenne ich die Causa Mesut Özil. Oder das „Kirchenasyl“, das Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tritt. Die katholische Kirche muss angesichts des tausendfachen Missbrauchs von Schutzbefohlenen den Ball gerade ganz, ganz flach halten. Und „die Wirtschaft“ ist sehr vielfältig, hat sich an Gesetze zu halten, sollte sich aber, siehe Lobbyismus, politisch zurücknehmen.
Mit dem 3. Oktober 1990 hat unser Land die Teilung, Unfreiheit in einem Teil des Landes überwunden und damit auch die Folgen des 8. Mai 1945 und des 30. Januar 1933. Es ist damit der richtige Tag für eine solche Kundgebung.
Tage des Gedenkens, Nationalfeiertage sind immer Tage, bei denen es – auch wenn sie sich auf Geschichte beziehen – um die Gegenwart und Zukunft geht. Ein Nationalfeiertag ist ein Tag, der das Selbstverständnis einer Nation beschreibt.
Und es ist ein Tag deutlich zu machen, dass die positiven Traditionen von Demokratie und Freiheit, die sich in unserer Region mit Schiller, mit Hambach, mit der Revolution 1848 und dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus verbinden, gepflegt und dargestellt werden müssen.
Dazu gehören auch die Symbole wie Fahne und Hymne, die wir nicht Feinden von Demokratie und Menschlichkeit überlassen dürfen.
Der Tag der deutschen Einheit ist ein Tag, an dem wir unser Verständnis von Einheit zum Ausdruck bringen wollen.
Prothmann: Alles richtig, Herr Dr. Kurz. Haben Sie bemerkt, dass an diesem Nationalfeiertag rund 5.-6.000 Menschen zusammengekommen sind und soweit ich das gezählt habe, ganze vier deutsche Flaggen hochgehalten worden sind? Damit haben sich 0,07 Prozent der Teilnehmer dieser Demonstration für diese deutsche Flagge positioniert. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister. Das ist erbärmlich und das ist kein Ausdruck von Einheit und keiner, der, wie Sie eingangs Ihrer Rede erwähnten, Stolz ausdrückt, Teil eines wiedervereinigten und geeinten Deutschland zu sein. Es geht vollständig ok, dass alle möglichen Plakate hochgehalten werden, aber wer den Tag der Deutschen Einheit begeht, einen Nationalfeiertag und dabei die deutsche Flagge vergisst, der überlässt sie eben anderen. Und die Hymne haben am Ende die allermeisten nicht mehr gehört – denn die waren da schon wieder weg.
Hinzugefügt sei: 1989 fiel die Mauer, am 02. Dezember 1990 gab es die erste gesamtdeutsche Wahl. Nach nunmehr 28 Jahren ist die Teilung Deutschlands noch längst nicht überwunden. Es gibt sogar eine Debatte, ob es nicht gelungen ist, die „Ostdeutschen“ zu integrieren – trotz gleicher Sprache und gleichen kulturellen Wurzeln. Das muss jedem zu denken geben.
Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat sind Eckpfeiler, ohne die ein Zusammenhalt in einer Gesellschaft mit so verschiedenen Lebensentwürfen, Haltungen und Herkünften nicht zu erreichen ist.
Diese Demonstration setzt ein wichtiges Zeichen für diese Eckpfeiler, sie ist nicht das Bewahren dieser Eckpfeiler selbst. Sie ist ein Aufruf zur Achtsamkeit. Sie ist ein Aufruf, die Werte und Institutionen zu verteidigen.
Prothmann: Zustimmung! Und deshalb erwarte ich auch von Dekan Hartmann eine glaubwürdige Begründung für seine nicht zutreffende Aussage, er würde Anfragen immer beantworten. Ich bin da sehr achtsam. Indem ich dies öffentlich fordere, komme ich Ihrem Aufruf nach: Unwahrheiten dürfen nicht akzeptiert werden. Schon gar nicht durch hochrangige Vertreter von „Institutionen“. Abgesehen davon sind Kirchen keine „Institutionen“, sondern Religionsgemeinschaften, die grundgesetzlich geschützt ihrer Glaubensausübung nachgehen dürfen, ob christlich, jüdisch oder muslimisch. Wenn ein evangelischer Dekan allerdings die Medienfreiheit missachtet, sollte man ebenso zur Achtsamkeit aufrufen. Denn das ist ebenso verwerflich, als würde das ein Rechtsradikaler tun.
Ich gehöre einer Generation an, die – trotz der intensiven Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit – aufgewachsen ist mit dem Gefühl, dass unsere Geschichte nur noch die Richtung zum Besseren kennt. Mit dem Gefühl, dass Errungenes nicht wieder verloren gehen kann.
Die Demokratie und die dafür unverzichtbaren demokratischen Institutionen haben viele von uns für geradezu unbegrenzt belastungsfähig gehalten.
Wir wussten natürlich, dass das nicht stimmt, nun spüren wir es auch.
Prothmann: Lieber Herr Oberbürgermeister. Wir sind fast gleich alt und ich weiß, was Sie meinen. Ich muss Ihnen leider widersprechen. Ich war als Schüler irgendwann regelrecht entnervt von der „Entnazifizierung“ im Schulunterricht, was Sie möglicherweise als „intensive Auseinandersetzung“ bezeichnen. Für mich war schon in der ersten Auseinandersetzung mit dem Thema alles klar – ich hätte damals vermutlich zwangsläufig sterben müssen, weil ich niemals mit Nationalsozialisten „kooperiert“ hätte.
Ich habe mich in meiner Jugend in Frankenthal sehr häufig mit rechten Skinheads geschlagen – das war Anfang der 80-iger Jahre. Nicht, weil ich „Antifa“ war, ich war vollständig unpolitisch, was Parteien oder Organisationen angeht. Es wurden Menschen angegriffen und ich bin dazwischen. Ich habe niemals von mir aus einen Menschen angegriffen, aber ich bin häufig dazwischen gegangen.
Meine Eltern haben erheblichen Wohlstand erwirtschaftet und ich musste miterleben, dass „Errungenes“ scheitern kann. Daran war ganz wesentlich die Alkoholsucht meiner Eltern beteiligt, aber auch viel Missgunst auf diese „Emporkömmlinge“, insbesondere von „Eliten“, die nur Neider waren. Ich musste schnell und intensiv lernen, falsche von echten Freunden zu unterscheiden. Echte Freunde stehen einem auch in schweren Zeiten bei. Und das sind immer wenige. Ich bin froh, dass ich solche finden konnte.
Ich habe noch nie selbst an einer Demonstration teilgenommen (obwohl ich hunderte begleitet habe). Weil ich erhebliche Zweifel an „Gemeinsamkeiten“ von Massenansammlungen habe und ich nur mit Leuten laufen will, die ich kenne. Das begrenzt Masse immer erheblich. Und Massen erinnern mich immer auch an dunkle Zeiten. Überall, wo Massen auftreten, wird es nicht gut. Denn Masse ist überhaupt kein Qualitätskriterium. Das gilt auch für den hashtag #wirsindmehr. Der ist dumm, intellektuell flach und wirkt auf mich wie eine Drohung – wer sich nicht dem „mehr“ unterwirft, ist nicht „wir“.
Ich habe noch nie irgendetwas für „unbegrenzt belastungsfähig“ gehalten. Alles hat eine Bruchstelle, wenn die Belastung zu groß wird. Vor allem „Menschlichkeit“. Das weiß ich wegen meiner journalistischen Reisen in Krisenregionen.
Sie sagen, „wir wussten, dass das nicht stimmt“. Ich bestätige Sie und widerspreche: Gerade, wenn man weiß, dass es nicht stimmt, muss man sich so verhalten, dass eine Überbelastung als solche gespürt wird und man sich verantwortlich dazu verhält. Alle, die das ignorieren und noch mehr Belastung fordern, verhalten sich falsch und sind verantwortlich, wenn eine Grenze überschritten wird, die zum Bruch führt.
Wir erleben – in nahezu der ganzen westlichen Welt – einen gezielten Angriff auf die Demokratie, wie wir sie kennen. Und so viel Wirkung hatte kein Angriff zuvor, weil diesen die Resonanz in der Bevölkerung fehlte.
Leute wie der ehemalige Chefberater von Donald Trump, Steve Bannon, bekennen sich dazu, die Institutionen aushöhlen zu wollen.
Das wird in den nächsten Monaten in Europa noch sichtbarer werden. Ihre Methoden sind schon jetzt präsent. Zerstörung von Vertrauen, Verunmöglichung einer Verständigung über Tatsachen, Verrohung der Sprache.
Prothmann: Lieber Herr Dr. Kurz. Ich bin überzeugt davon, dass Sie keinen Verschwörungstheorien anhängen. Es gibt keinen „gezielten Angriff“ auf die Demokratie. Demokratie orientiert sich an Mehrheiten und Tatsache ist, dass die als demokratisch gesehenen Mehrheiten massiv schwinden. Vor allem die Ihrer Partei, der SPD.
Wer die aktuelle Lage realistisch betrachtet, muss eine reale Information zur Kenntnis nehmen: Im Nachkriegsdeutschland gab es Besatzung und Befreiung. Das begann vor 73 Jahren. Seither ist die Politik im Wesentlichen durch die beiden großen Parteien der Union und der SPD bestimmt worden, mit Einflüssen anderer, beispielsweise der Grünen, die über viele Jahre massiv gegen den Staat gekämpft und ständig provoziert haben und heute „etabliert“ sind. In nur fünf Jahren, seit 2013 hat eine neue Partei es geschafft, sich nach aktuellen Meinungsumfragen auf Platz zwei nach den Unionsparteien und vor die SPD zu platzieren.
Man kann jetzt die Schuld bei Steve Bannon suchen oder in Ungarn oder sonstwo – oder bei sich selbst. Meine Frage ist: Was ist so fundamental (diese Wort ist wie immer sehr bewusst gewählt) schief gelaufen, dass eine solche Entwicklung möglich war?
Nicht die AfD hat in wenigen Jahren das Land verändert – wer das behauptet, weist der AfD eine Macht zu, die sie nicht hat. Das Land hat sich verändert, verantwortlich dafür sind alle, allen voran die etablierten politischen Parteien – und daraus ist unter anderem die AfD entstanden.
Was können wir tun? Wie können wir konkret einstehen für Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat?
Wir können dies jeden Tag, indem wir darauf achten, wie wir selbst sprechen und wie andere sprechen.
Nehmen wir diese Sprache nicht an! Gerade auch dann, wenn wir uns wehren!
Eine verrohte Sprache bereitet Gewalt vor, sie erzeugt Aggression, sie erschwert Zusammenleben, sie stößt darüber hinaus Menschen ab, sich überhaupt noch zu beteiligen.
Thematisieren wir Respektlosigkeit.!
Wenn wir für Menschlichkeit und Demokratie eintreten wollen, bedeutet das, sich gegen Respektlosigkeit zu wenden.
Keinen Respekt vor dem anderen zu haben, keinen Respekt zu zeigen, das verhindert Dialog, untergräbt das Vertrauen in Mitmenschen und bereitet Unmenschlichkeit den Weg.
Lassen wir die Verrohung der Sprache aber auch nicht unkommentiert. Sprechen wir es an. Im Netz wie im Gespräch, im Verein, auf Arbeit, Freundeskreis. Wir dürfen uns nicht weiter an die Verschiebung aller Maßstäbe gewöhnen.
Prothmann: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister. Sie haben meine absolute Zustimmung. Und so, wie ich Sie kenne, sind diese Sätze ein Signal an Ihre Partei und Kooptierte wie die Grünen und auch Die Linke. Der Rechtsstaat gilt vielen nur noch als Spielmaße für eigene Ideologien, die absolut nichts mit Rechtsstaatlichkeit, sondern nur mit Propaganda zu tun haben. Jeder, der sich Sorgen um eine belegt unkontrollierte Zuwanderung macht, wird mit der Nazikeule niedergeschlagen.
Insbesondere das linke Spektrum pflegt seit langer Zeit und unaufhörlich zunehmend die Sprache von Hass und Gewalt und Denunziation. Und nicht nur die Sprache: Es wird massiv Druck gemacht auf jeden, der nicht pariert. Seien es Gastronomen, Hotels, Vermieter oder Menschen, die sich informieren wollen, die sich selbst ein Bild machen wollen und daran gehindert werden, indem sie bespuckt, geboxt und zu Boden gebracht werden. Männer, Frauen, Rentner.
Lokal gibt es einen herausragenden Protagonisten und das ist der grüne Stadtrat Gerhard Fontagnier. Der Mann und seine Äußerungen sind unzumutbar. Er steht gegen Rechtsstaatlichkeit und gegen Menschlichkeit, weil sein Ziel die Verächtlichmachung von Andersdenkenden ist. Und ausgerechnet ein Kirchenmann wie ein Dekan Hartmann lobt diesen Systemstörer. Wer sich, wie Herr Fontagnier und andere hinstellt, Klobürsten hochhält und andere Menschen als „braune Scheiße“ bezeichnet, hat weder Menschlichkeit noch Respekt in sich. Das gilt auch für die grüne Fraktion, die sich niemals von diesem widerlichen Verhalten distanziert hat.
Und noch ein Hinweis: Ein massive Verrohung der Sprache ist insbesondere im linken Lager zu erkennen. Opfer sind viele, insgesamt alle, die sich kritisch positionieren und im Alltag vor allem Polizeibeamte, die massiv beschimpft und beleidigt werden und leider viel zu wenig Rückhalt durch „etablierte“ politische Vertreter erhalten. Ich erinnere hier an Weinheim, wo sich Stadträte mit jungen Leuten „solidarisierten“, die ACAP auf der Kleidung trugen und die Polizei massiv angegriffen haben. Oder an den Kurdenkrawall, bei dem Ausländer die Polizei derart massiv angegriffen haben, dass rund 70 Beamte verletzt wurden. Mir ist, seit der Aufnahme meiner Berichterstattung, keine einzige „rechte“ Veranstaltung bekannt, die auch nur ansatzweise so viel Zerstörungen und Körperverletzungen hervorgebracht hat.
Respektlosigkeit und Herabwürdigung richtet sich gegen viele, nicht nur gegen Geflüchtete, gegen Menschen anderen Glaubens, anderer Auffassungen, anderer Herkunft, gegen Politikerinnen und Politiker, gegen die Polizei, gegen Rettungsdienste, Helferinnen und Helfer, gegen Journalistinnen und Journalisten. Treten wir dem entgegen!
Prothmann: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz. Ich bin kein Politiker, kein Polizist, kein Retter, kein Helfer. Ich bin Journalist. Und ich kann Ihnen bestätigen, dass Respektlosigkeit und Herabwürdigung zu meinen alltäglichen Lebenserfahrungen gehören. Nicht nur durch Shitstorms in asozialen Medien. Nicht nur durch körperliche Bedrohungen auf Demos, gegen die Mitglieder Ihrer Partei, der SPD, genau nichts unternommen haben. Nicht nur durch die Erkenntnis, dass der Staatsschutz eine „abstrakte Bedrohungslage“ gegen mich erkennt – und zwar überwiegend durch Linksextremisten.
Wir sind in einem guten Kontakt, den ich sehr schätze. Aktuell bin ich sogar Beschuldigter. Ich soll die Öffentlichkeit durch Androhung von Straftaten verunsichert haben, meint die Staatsanwaltschaft Mannheim. Es erging Strafbefehl gegen mich persönlich. 9.000 Euro. Wenn ich das nicht zahlen kann, muss ich ins Gefängnis. Klingt wie Türkei? Ist Deutschland.
Was soll mein Verbrechen sein? Das RNB hat thematisiert, dass die Bevölkerung vollständig ungeschützt gegenüber terroristischen Attacken ist. Dazu hat das RNB Fragen aufgeworfen, die bis heute unbeantwortet sind und gesellschaftlich nicht diskutiert werden. Stattdessen wird deutlich, dass der Staat immer mehr aufrüsten muss, um der „abstrakten Bedrohungslage“ her zu werden und diese geht in Summe in einem erheblichen höheren Maß durch kriminelle Zuwanderer aus, als durch Rechtsradikale. Nicht zu vergessen ist, dass Linksradikale immer häufiger bereit sind, Körperschäden nicht nur hinzunehmen, sondern gezielt zu erzeugen – siehe G20 in Hamburg. Gegen diese Straßenschlachten ist Chemnitz kein Ereignis gewesen.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Kurz. In Deutschland werde ich, ein Journalist, mit dem Sie häufig Hintergrundgespräche haben – und ich gehe von gegenseitiger Wertschätzung aus – für die von mir verantwortete Arbeit bedroht. An welcher Stelle sind Sie persönlich dieser Bedrohung entgegengetreten? Ich wurde bundesweit herabgewürdigt und ohne Respekt behandelt – gab es von Ihnen eine Note dazu? Von jemand anderem?
Es geht nicht nur um die Frage, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Sprechen wir es an, wenn pauschaliert wird, wenn z.B. die Angst vor Fremden befeuert wird.
„Die Anständigen sind nicht gemeint“ lautet eine häufig gehörte Antwort. Das ist kein Argument. Sie fühlen sich angesprochen, diskriminiert, ausgegrenzt und andere fühlen sich ermutigt, allen die nicht nord- oder mitteleuropäisch aussehen, mit Ablehnung zu begegnen. Das ist ein Teufelskreis.
Prothmann: Eindeutiger Widerspruch, Herr Dr. Kurz. Es fühlen sich viele „Anständige“ angesprochen. Die meinen sich selbst. Jeder, der Opfer von Kriminalität wird, sieht die Welt mit anderen Augen. Und auch deren Umfeld. Und das ist, was passiert ist. Es gab und gibt erhebliche Verunsicherungen in der Bevölkerung, was eine Zunahme von Kriminalität angeht – und das kann man eindeutig mit einer in Bezug auf die Gesamtheit der Zuwanderer geringen, aber doch entscheidenden Zahl in Verbindung bringen. Dazu kommt, dass sich viele Aussagen zur schnellen Integration von „Fachkräften“ als definitiv falsch erwiesen haben. Dazu kommen harte Bandagen auf der Ebene der sozial Schwachen im Arbeits- und Wohnungsmarkt.
„Wie es gesagt“ wird, da gebe ich Ihnen unumwunden Recht, ist vielfach absolut widerlich und inakzeptabel. Diese Feststellung löst aber nicht vorhandene Probleme, die seit langer Zeit auf Lösung warten und nicht gelöst werden.
2014 sagte die Gewinnerin des internationalen Mannheimer Journalistenpreises, Teresa Romero Cruz aus Bolivien, dass sie durch die Offenheit der Stadt schon nach wenigen Wochen Heimatgefühle für Mannheim entwickelt habe. Und so geht es vielen.
Ich will, dass das so bleibt, weil wir sonst alle Heimat verlieren.
Hören wir zudem auf, immer nur zu reagieren. Setzen wir eigene Themen, die Respekt und Zusammenhalt betonen. Mannheim bietet hier mehr gute Beispiele als es negative Nachrichten gibt. Machen wir das, was gelingt, ebenso zur Nachricht.
Prothmann: Ich bin da jetzt ein wenig zickig. Wieso gewinnt eine hier unbekannte Journalistin aus Bolivien den „Internationalen Mannheimer Journalistenpreis“, während ich als Gründer eines neuen Mediums mit erheblicher Wirkung in Zeiten der absoluten Medienkrise keine Beachtung finde? Ist eine rhetorische Frage. Ich mache meine Arbeit nicht, um Preise zu gewinnen, sondern aus professionellen Gründen. Journalismus bietet Möglichkeiten der Meinungsfindung. Journalismus ist Dienstleistung und ein Angebot. Andere Journalisten sehen sich als „vierte Gewalt“. Die ist rechtsstaatlich nirgendwo definiert, deswegen folge ich dieser erheblichen Selbstüberschätzung auch nicht, sondern bemühe mich einfach um verantwortliche Arbeit.
Ich stimme Ihnen zu, dass wir alle Heimat verlieren, wenn den Blick nach Bolivien geht, um Mannheim zu definieren. Ich bin gerne bereit, „mehr gute Beispiele“ zu berichten. Tatsache ist, dass ich seit vier Jahren Mitarbeiter suche, die Themen aus der größten ausländischen Bevölkerungsgruppe aufnehmen und berichten, den Türken und Türksichstämmigen. Das Interesse ist groß, Themen gibt es viele, sehr viele, aber niemand ist bereit, diese anzugehen. Der Grund: Angst. Wer sich in der türkischen Community positioniert, hat automatisch immer Gegner der vielen „Untergruppen“. Das ist die Realität.
Verantwortung tragen ebenso all diejenigen, die Diskussionsforen zur Verfügung stellen. Wer einen solchen Raum eröffnet, muss dafür sorgen, dass die Grundwerte, für die wir heute hier stehen, auch dort ihre Gültigkeit haben und angesprochen werden.
Prothmann: Einverstanden! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister. Nennen Sie doch Ross und Reiter! Das RNB bietet auch „Diskussionforen“ an, ob auf Facebook, Twitter oder in Kommentaren zu den Artikeln. Wir haben knapp 12.00o „Fans“ auf Facebook, aber gut 1.800 blockierte Nutzer, weil wir knüppelhart auf unserer Netiquette bestehen, also Regeln. Wenn wir andere Medienseiten betrachten, wird uns speiübel, weil dort Hass und Hetze „gepflegt“ wird. Warum positionieren Sie sich nicht konkret dazu? Aus Respekt vor der Meinungsfreiheit? Oder aus anderen Gründen?
Es geht aber nicht nur um unser Verhalten als Bürgerinnen und Bürger, als Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Unternehmen, auch der Staat selbst ist gefordert: Volksverhetzung, Drohung und Beleidigung sind das Gegenteil von Kavaliersedelikten. Sie müssen ernst genommen werden.
Der öffentliche Dienst ist zur Verteidigung der Menschenwürde und des demokratischen Rechtsstaats verpflichtet. Er ist in diesen Grundfragen der Verfassung nicht neutral. Das müssen wir klarer machen.
Prothmann: Wow. Der Staat ist also „nicht neutral“? Für diese klare Erkenntnis ein herzliches Danke-schön. Journalismus ist auch nicht „neutral“, auch, wenn das viele gerne über Jahrzehnte erzählen wollten. Ich widerspreche Ihnen erneut. Der öffentliche Dient ist nur zum Teil der „Verteidigung“ rechtsstaatlicher Prinzipien „verpflichtet“. Ganz überwiegend ist er verpflichtet, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, ganz egal, ob das was mit Menschenwürde zu tun hat. Wenn durch die überwiegend illegale Einwanderung von hunderttausenden Menschen das Prinzip der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit massiv verletzt wird, dies lapidar mit einem „Wir schaffen das“ von einer verantwortungslosen Bundeskanzlerin ohne jegliche demokratische Grundlage „legitimiert“ wird, muss sich niemand mehr wundern, wenn der Rechtsstaat und dessen „lichkeit“ in Frage gestellt werden.
Staatliches Handeln kann und muss manchmal über den zähen Weg der Instanzen hinweg sofort erfolgen. Doch später muss das eingeordnet werden, mit allen Konsequenzen. Dies ist bislang nicht erfolgt.
„Volksverhetzung, Drohung und Beleidigung“ werden ernst genommen – sowohl in Chemitz wie im „Hambi“. In beiden Fällen, dort rechts, hier links, gab es schnelle Verurteilungen. Thematisiert wird meist aber nur Chemnitz.
Das RNB ist gerne bereit, „gute Beispiele“ zu berichten. Doch wir ordnen das ein – immer im Verhältnis und unser Eindruck ist, dass es positive Integration gibt. Und eine „positive Darstellung“ ändert nichts daran, dass massive Probleme bleiben. Möglicherweise ohne jede Lösung zum „Guten“.
Wir stehen im Übrigen vor einer großen Bildungsanstrengung, weil wir etwas versäumt haben: Was Demokratie ausmacht, was den Rechtsstaat ausmacht und wie beide untrennbar zusammen gehören, wenn eine freie und menschliche Gesellschaft gelingen soll, das ist nicht Alltagswissen. Es sollte es aber sein.
Prothmann: Absolut einverstanden. Dazu erzähle ich Ihnen eine persönliche Erfahrung. Bei mir hat ein junger Mann volontiert, der ein „Einser-Abi“ hingelegt hat. Am KFG. Zudem hatte er den Schöffel-Preis gewonnen. Also so eine Art „Elite-Schüler“. Nach einem Jahr Ausbildung kam der auf mich zu und meinte: „Hardy, das ist echt krass. Ich habe in der Schule so viel gelernt, hatte aber keine Ahnung, wie eine Gemeinde funktioniert.“ Wenn schon ein „Elite-Schüler“ zu dieser Erkenntnis kommt, was heißt das dann für andere?
Das kann man auch bei diversen Bürgerinitiativen erkennen, allen voran denen, die aktuell gegen einen Grünhof auf Spinelli Front machen. Hier werden aus bürgerlichen Kreisen derart erhebliche Anschuldigungen erhoben, dass ein Respekt vor dem Rechtsstaat nicht mehr zu erkennen ist. Viele der Protagonisten zähle ich der SPD, CDU und Grünen hinzu. Die AfD spielt in diesen BIs keine Rolle.
Der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat vor wenigen Tagen einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel „Rechtsstaat unter Druck“. Er zitiert darin den Philosophen Richard Schröder mit den Worten „ das uneingeschränkte Mehrheitsprinzip wäre Tyrannei der Mehrheit.. Das Wort Demokratie ist erst aufgrund der Einschränkung des Mehrheitsprinzips durch Gewaltenteilung und…Grundrechte, also durch Machtkontrolle — geadelt worden“.
Andreas Voßkuhle warnt, dass die unauflösliche Verbindung von Rechtsstaat und Demokratie aus der Balance kommt.
Und Demokratie ist auch nicht einfach nur Mehrheitsentscheid und Begrenzung durch Machtkontrolle.
Der erste Präsident der Tschechoslowakei Tomas Massaryk, der die Bedrängung der Demokratie erlebte, formulierte es so: „Demokratie ist eine Lebenshaltung. Sie erfordert den Glauben an die Menschen und die Menschheit.“
Wer diesen Glauben zerstört, zerstört auch Demokratie!
Prothmann: Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister. Sie sind ein intellektuelles Bollwerk und die Stadt Mannheim und alle Bürger/innen können sich glücklich schätzen, dass Sie an der Spitze der Verwaltung stehen. Die Wertschätzung Ihrer überragenden intellektuellen Leistungsfähigkeit habe ich schon mehrmals, nicht nur in diesem Artikel, betont. Aber ich habe auch Kritik, was ja bekanntlich „sich auseinandersetzen“ heißt. „Demokratie ist eine Lebenshaltung. Sie erfordert den Glauben an die Menschen und die Menschheit“, zitieren Sie Herrn Massaryk.
Und damit sind wir beim Punkt. Wenn Menschen in zunehmender Zahl und damit meine ich nicht nur AfD-Wähler, Lebenshaltungen in Frage stellen und nicht daran glauben, ist aus meiner Sicht die Politik zunächst gefordert, dies wahrzunehmen und anzuerkennen. Und vor allem ernst zu nehmen. Es wird den Menschen zu schnell „zu bunt“ hier in Deutschland, auch in Mannheim. Wenn jeder, der sich derart positioniert, von der „Gemeinschaft“ rigoros ausgeschlossen wird, sind Konflikte programmiert.
Wenn die Mehrheit die Rechtsstaatlichkeit nur sich selbst zu- und anderen abspricht, ist das keine vorbildliche, sondern eine deformierte Haltung.
Demokratie ist Diskussion. Und diese basiert auf der Fähigkeit und der Bereitschaft, sich über Tatsachen zu verständigen, sich mit Respekt und Vertrauen zu begegnen.
Dafür müssen wir vor Ort arbeiten. Die Zukunft unserer Demokratien, die Zukunft des Zusammenlebens – sie wird in den Städten entschieden.
Wir gestalten hier unsere Welt. Nichts ist dabei zwangsläufig.
Zygmunt Baumann hat es so formuliert:
„Wir haben die Wahl, ob sich unsere Städte in Orte des Schreckens verwandeln, an denen man jeden Fremden fürchten und argwöhnisch beobachten muss, oder ob in ihnen die Tradition der bürgerlichen Höflichkeit und der Solidarität (…) fortgeführt wird, die mit jeder bestandenen Prüfung stärker wird.“
Wir werden diese Prüfung bestehen und stärker werden.
Prothmann: Auch der Schluss Ihrer Rede zeigt, wie überragend Sie denken, was hoffentlich auch in Berlin gehört werden wird. Sie stehen mit beiden Beinen auf dem Boden des Rechtsstaats, sind ein erfahrender Demokrat und Menschlichkeit ist für Sie ein hoher Wert.
In einer globalisierten Welt findet die Welt im Dorf statt und muss sich hier täglich aufs Neue beweisen. Die „hohe Politik“ bürdet den Gemeinden immense Aufgaben auf, die die Menschen, die vor Ort leben, meistern müssen. Jeder Deutsche, der sein angestammtes Viertel verlässt und woandershin zieht, weiß, dass er in der neuen Nachbarschaft zunächst ein Fremder (Noigeplaggde) ist und möglicherweise auch kritisch beäugt wird. Um als neuer Nachbar in einer neuen Heimat anerkannt zu werden, gibt es viele Möglichkeiten: Angefangen vom freundlichen Gruß auf der Straße, dem Gespräch beim Bäcker, der persönlichen Vorstellung, dem Engagement in Vereinen und sonstigen Organisationen.
Und auch die „alten“ Nachbarn sind in der Pflicht, Neuzugänge freundlich zu behandeln, damit ein gutes Miteinander möglich ist. Und hier wiederhole ich, was Sie als „kein Argument“ bezeichnen: Für die allermeisten Zuwanderer gilt dies zumindest so, dass diese nicht negativ auffallen. Ja, es ist richtig, dass man mehr über die erfahren sollte, die positive Beispiele sind. Doch hier wird es bereits schwierig, denn nur nicht aufzufallen, ist noch kein positives Beispiel. Demgegenüber stehen erkennbare negative Beispiele und die Sorge der Menschen darüber, die sich gezwungen fühlen, auch diese negativen Entwicklungen hinnehmen zu müssen. Das müssen sie nicht.
Wenn Apologeten der bedingungslosen Zuwanderung nicht erkennen, dass sie sehr viele Menschen überfordern, sowohl die Zuwanderer wie die vor Ort Beheimateten, dann ist hier die Wurzel des Problems und der Respektlosigkeit zu sehen. Wer Menschen permanent überfordert, zeigt sich eben nicht mitmenschlich, sondern autoritär und wenig weitsichtig.
Die Prüfung, sehr geehrter Herr Dr. Kurz, wird eine sehr harte werden. Das habe ich bereits vor drei Jahren thematisiert und stand damals sehr alleine da. Meine Analysen haben sich allesamt bestätigt. Und ich wage eine weitere: Es ist möglich, die Prüfung zu bestehen und stärker zu werden. Aber nur mit einer entsprechenden Haltung, die Demokratie und Rechtsstaat als conditio sine qua non unerschütterlich respektiert. Dabei kann man auch für Menschlichkeit eintreten – muss allerdings die Gefahr erkennen, dass man, sofern man sich auf der Seite der Menschlichkeit sieht, anderen diese Menschlichkeit abspricht, sie also zu Unmenschen macht. Wenn diese Botschaft derart verstanden wird – und das Potenzial ist vorhanden -, hat diese Demonstration das Gegenteil von dem erreicht, was sie vorgeben wollte.
Auf der Bühne standen mit Ihnen drei Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat: Ralf Eisenhauer (SPD), Claudius Kranz (CDU) und Dirk Grunert (Bündnis90/Die Grünen). Sie repräsentieren 33 Gemeinderatsmitglieder von 48 Stadträten, das entspricht 68 Prozent. Das ist die klare Mehrheit. Meine Prognose zur kommenden Kommunalwahl ist, dass diese Mehrheit kleiner sein wird und die ganz großen Prüfungen erst in den kommenden Jahren anstehen.