Mannheim, 04. Dezember 2015. (red/ms) In nur einer Legislaturperiode hat die grün-rote Landesregierung etliche schwerwiegende Bildungsreformen verabschiedet. Einige sind umstritten – aus Sicht der Opposition. Die FDP Mannheim lud vergangenen Mittwoch zu einer „Diskussion“ mit Bildungsexperten. Leider kamen nur Kritiker aufs Podium und so wurde rund 1,5 Stunden Regierungs-Bashing betrieben, ohne dass die Gegenseite gehört wurde. Kurz gesagt: Konservative Referenten gaben sich selbst recht und liberale Politiker stimmten zu.
Von Minh Schredle
Eine Diskussion zeichnet sich eigentlich dadurch aus, dass verschiedene Meinungen vertreten werden. Daher ist der Name Podiums“diskussion“ nicht besonders angebracht für die Veranstaltung der Mannheimer FDP zur grün-roten Bildungspolitik in Baden-Württemberg: Auf dem Podium sitzen fünf Personen, die in allen bedeutenden Belangen schon von Beginn an die gleiche Meinung haben – grün-roter „Reformationswahn“ bedrohe ein Bildungssystem, das sich über 58 Jahre bewährt habe.
Für diese Position liefern die Referenten zwar teils schlüssige und griffe Argumente. Sie äußern auch viel berechtigte und fundierte Kritik. Wirklich überzeugen kann das gemeinschaftliche Regierungsbashing dennoch nicht alle der insgesamt 16 Zuschauer – vielleicht hätte man die Gegenseite ebenfalls anhören sollen.
Auch die Moderation war eher suboptimal: Jörg Diehl (FDP) kündigte zu Beginn der Debatte an, man wolle mit dem Publikum diskutieren und daher die Redebeiträge der Referenten in 20 bis 30 Minuten abhandeln. Daraus wurden knapp 80 Minuten – für Zuschauerfragen blieb schließlich nicht mehr viel Zeit.
Einige grün-rote Eingriffe ins Bildungssystem sind hochumstritten – insbesondere die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung, die vorgesehene Verpflichtung zur Inklusion und die finanziellen Vorzüge für Gemeinschaftsschulen im Vergleich mit anderen Schularten. Hinter all diesen Beschlüssen steckt ein sozialpolitisches Ideal: Die Vorstellung von einer Gesellschaft ohne Ausgrenzung. Laut Herbert Huber, der Vorsitzende des Berufschullehrerverbands Baden-Württemberg, sei das zwar eine hübsche Vision – aber völlig realitätsfremd:
Grün-rot opfert gerade Generationen von Schülern für gut gemeinte Experimente, die fatale Konsequenzen haben werden.
Noch gebe es keine Absolventen mit Gemeinschaftsschulabschlüssen – das böse Erwachen werde also erst noch kommen. 58 Jahre lang habe Baden-Württemberg ganz an der Spitze der deutschen Bildungslandschaft gestanden:
Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sich diese jahrzehntelange Arbeit so schnell ruinieren lässt.
Die hastig durch den Landtag durchgejagten Reformen hätten vielleicht gute Absichten – doch in der Praxis würden sie fast ausschließlich schaden und die Zukunft der Berufsschulen gefährden.
„Leistungsgesellschaft und Inklusion schließen sich aus“
Auch Bernd Saur, Vorsitzender des Philologenverbands Baden-Württemberg, betonte wiederholt, vor allem bei der Bildung würden Ideal und Wirklichkeit weit von einander abweichen:
Niemand bei gesundem Menschenverstand kann ernsthaft glauben, man könne geistig Schwerbehinderte und Schüler auf Gymnasialniveau in einer gemeinsamen Klasse unterrichten, ohne dass die leistungsstarken Schüler ihr Potenzial verschwenden.
Ihn wegen dieser Einstellung als grundsätzlichen Gegner der Inklusion darzustellen, sei propagandistisch, sagt Herr Sauer – es spreche aus seiner Sicht nichts dagegen, körperlich Behinderte an „richtigen“ Schulen zu unterrichten.
Mit dem Gemeinschaftsunterricht ohne Möglichkeit, sitzen zu bleiben, sollen laut Herrn Saur möglichst viele durchgeschleust werden – zu Lasten der Qualität der Abschlüsse. Das bedeute einen enormen Schaden für die Wirtschaft:
Stellen Sie sich mal einen jungen, bildungsfernen Migraten vor – dem erzählen Sie jetzt: „Du kannst nicht sitzen bleiben, es gibt keine Noten, niemand kontrolliert deine Hausaufgaben und du darfst dich selbst bewerten.“ Der Junge wird das toll finden und Kritiker sind Spielverderber. Aber wer denkt an die Folgen für unsere Leistungsgesellschaft?
Schüler bräuchten keine „kuschligen Lehrbegleiter“, sondern gestandene Persönlichkeiten mit Autorität, um wirklich etwas fürs Leben zu lernen. Damit meine er keine Indoktrination, sondern eine Erziehung zum kritischen Denken.
Gleichberechtigte Gemeinschaft?
Insbesondere Herr Saur verlor sich teils minutenlang in Tiraden oder erzählte Anekdoten voller Sticheleien gegen Kultusminister Andreas Stoch und seine Vorgängerin Gabriele Warminski-Leitheußer. Bei einem Teil des Publikums kommt das gut an, andere wirken eher genervt – es lachen immer nur die gleichen.
Die beiden FDP-Politikerinnen Birgit Sandner-Schmitt, Landtagskandidatin für den Mannheimer Norden und Gabriele Heise, stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Baden-Württemberg, waren in ihren Wortbeiträgen zurückhaltender und gemäßigter als die anderen beiden Referenten. Sie sprachen sich jeweils deutlich für mehr Schulautonomie aus und dafür, verschiedene Schultypen gleichberechtigter zu bezuschussen. Frau Sandner-Schmitt sagte dazu:
Richtige Bildungspolitik ist richtig teuer. Aber das ist es uns wert – es gibt keine wichtigere Investition in die Zukunft.
Aktuell würden beispielsweise Gemeinschaftsschulen gegenüber Realschulen finanziell deutlich bevorzugt. Das sei nicht hinnehmbar. Dem stimmte Frau Heise zu: Das grün-rote Bildungssystem sei durch die Bevorzugung der Gemeinschaftsschule das unfairste überhaupt.
Versinkt die Bildungsinsel im Chaos?
Es hätte der Podiumsdiskussion gut getan, auch einen Befürworter der grün-roten Reformen zu hören – so gaben sich Konservative in erster Linie selbst recht und Liberale stimmten zu. Erinnert an schwarz-gelbe Vorgängerregierungen.
Herr Hubert und Herr Saur sind ohne jeden Zweifel fachkundige, kompetente Referenten. Nicht umsonst sind sie in ihrer aktuellen Position und werden regelmäßig im Landtag zu Bildungsfragen angehört. Viele Probleme, die sie benennen, lassen sich nicht wegdiskutieren.
Zu Gast bei der FDP Mannheim zeigten sich die beiden aber alles andere als politisch neutral. Sie stellten es fast durchgängig so dar, als sei Baden-Württemberg unter schwarz-gelb eine völlig sorglose Insel der Bildungsglückseligkeit gewesen, die jetzt in einer Flut von übereiltem Gutmenschentum untergeht.