Mannheim/Straßburg, 03. Februar 2018. (red/pro) Am 10. Februar startet in Mannheim ein Kurdenmarsch, der nach Straßburg führen soll. Im Vorfeld hat Polizeipräsident Thomas Köber an die Imame und Vereinsvorsitzender muslimischer Gemeinden ein Schreiben versandt, das eindringlich einen friedlichen Verlauf fordert. Davon ist nicht selbstverständlich auszugehen, nachdem die türkische Armee in Syrien einmarschiert ist und dort gegen die kurdische Miliz YPG kämpft.
Von Hardy Prothmann
Das Konfliktpotenzial ist enorm und könnte nicht größer sein als aktuell. Nachdem die Türkei vor wenigen Tagen bei Afrin in syrisches Gebiet vorgedrungen ist und die von der Türkei als terroristische Vereinigung betrachtete YPG bekämpft, kochen die Emotionen gewaltig hoch – über soziale Netzwerke wird nicht nur Stimmung gemacht, sondern regelrecht aufgestachelt.
Türken wie Kurden bezeichnen sich gegenseitig als Terroristen
Nationale Türken stellen sich hinter ihren „Reis“ (Führer) und beschimpfen gemäßigte Landsleute als „Haustürken“. Kurden wiederum bezeichnen Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als Terroristen. Brisant: Die türkische Armee ist unter anderem mit deutschen Schnellfeuergewehren und vor allem Panzern ausgestattet. Damit richtet sich der Zorn mancher Kurden direkt gegen Deutschland.
2012 hat Mannheim beim „Kurdenkrawall“ die enorme Gewaltbereitschaft zu spüren bekommen. Innerhalb von Minuten verwandelte sich ein „Kulturfest“ in ein Kampfgeschehen. Hunderte, wenn nicht weit über 1.000 Kurden griffen vollständig asymmetrisch aus den Reihen zwischen Frauen und Kindern die Polizei mit mehreren Wellen von Steinhageln an – faustgroße Kieselsteine aus dem Straßenbahnbett lieferten die Munition. Über 70 Beamte wurden verletzt, einem Polizisten versuchte man den Schädel einzuschlagen, eine sehr brenzlige Situation konnte nur durch konsequentes Einschreiten des Einsatzzuges gelöst werden – eine Gruppe Beamter war eingekesselt worden und diese stand kurz vorm Gebrauch der Schusswaffen.
2012 war die Türkei aber nicht mit Panzern in kurdisch-syrisches Gebiet eingedrungen. Und die deutsch-türkischen Beziehungen waren damals noch deutlich besser als heute, aktuell sind sie eher schlecht. So sind die Türken wie die Kurden beide nicht gut auf Deutschland zu sprechen – auch, wenn sie hier ganz selbstverständlich das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nutzen.
Appell des Polizeipräsidenten ist eine freundliche, aber deutliche Ansage
Der aktuelle Brief des Polizeipräsidenten Thomas Köber, der uns auf deutsch und türkisch vorliegt, appelliert, sich friedlich zu verhalten und den Konflikt in der Türkei und in Syrien nicht auf deutschen Straßen auszutragen. Das Schreiben ist höflich formuliert und enthält einen klaren Subtext: Ein friedlicher Verlauf wird unterstützt, ein anderer nicht, egal, von wem eine Störung ausgeht.
In der Vergangenheit hatten insbesondere Kurden immer wieder mit dem Zeigen verbotener Symbole der auch von Deutschland als Terrororganisation eingestuften PKK und dessen früheren Anführers Abdullah Öcalan provoziert – die Polizei schritt meistens nicht ein, um Eskalationen zu vermeiden. Aus unserer Sicht eine falsch verstandene Rücksichtnahme – man stelle sich vor, radikale deutsche Gruppen würden verbotene Symbole zeigen, da wäre sofort eingeschritten worden.
So steht zu befürchten, dass die Kurden diese Rücksichtnahme falsch verstehen und provozieren werden. Das wird nationale Türken herausfordern, wie auch den deutschen Staat. Der ist angehalten, das Recht auf Versammlungsfreiheit durchzusetzen – durch die Polizei – aber nicht unter allen Umständen. Gibt es eklatante Verstöße, muss eine Versammlung aufgelöst werden – nur wie soll das bei aufgeheizten Stimmungen ohne Gewalt möglich sein?
Die Polizei wird mit Macht auftreten
Damit könnten Straßenschlachten vorprogrammiertsen. Ein bislang probates Gegenmittel ist eine Demonstration der Macht, indem die Polizei in einer solch umfangreichen Stärke auftritt, die gewaltbereiten Demonstranten signalisiert: „Versuch es besser nicht, das könnte sehr, sehr weh tun.“
Mit großer Sicherheit wird das die Strategie sein, die die Polizei fahren wird. Das ist auch richtig so, weil, wenn die Gewalt erst einmal auf der Straße ist, weitere Gewalt nach sich ziehen wird, da plötzlich „Rechnungen“ offen sind. Dann ist die Stimmung gegenüber Deutschland nicht nur schlecht, sondern wird feindlich werden. Andererseits: Die Polizei muss durchsetzen, dass Versammlungsregeln eingehalten werden, weil sonst die Türken denken, dass die Kurden bevorzugt werden und dann wird dort die Stimmung feindlich. Das ist eine Gemengelage, für die es einerseits absolutes Fingerspitzengefühl braucht, andererseits aber den klaren Willen, Anordnungen entschieden durchzusetzen.
Viele Fronten
Auch die Beamten erwarten das Signal, nicht nur Prügelknaben der Nation zu sein, sondern im Fall der Fälle als staatliche Gewalt die öffentliche Ordnung auch mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Und nicht nur die Beamten erwarten das, auch die Bevölkerung. Diese ist, sofern gut über rechtsstaatliche Prinzipien informiert und vernünftig, sicher damit einverstanden, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund, ob mit oder ohne deutschen Pass, in diesem Land Grundrechte haben und wahrnehmen dürfen. Ganz sicher schwindet dieses Verständnis aber sehr schnell, wenn man den Eindruck hat, dass andere zwar Grundrechte einfordern, diese aber selbst nicht respektieren und in Deutschland „Stellvertreterkriege“ stattfinden.
Die Konfliktlinien jedenfalls, oft vereinfacht „Türken vs. Kurden“ dargestellt, sind komplexer und nicht so eindeutig, wie das in anderen Medien häufig dargestellt wird. Es gibt durchaus viele Türken, die Herrn Erdogan kritisch sehen, aber den Einmarsch als legitim betrachten, wie auch Kurden, die eben keine automatischen Unterstützer der PKK und YPG sind.
In Deutschland dürfen die meisten Türkeistämmigen als gewaltfrei eingestuft werden – es kommt aber wie immer auf die kritische Größe der Gewaltbereiten an. Die Gewalt könnte auch importiert werden, wie beim Kurdenkrawall, daran waren viele Teilnehmer beteiligt, die vorwiegend aus Frankreich, aber auch anderen Ländern eingereist waren.
Die geschäftsführende Bundesregierung jedenfalls hat die Lage nicht entspannt – hier reagiert man vollständig ausweichend auf die aktuelle Situation in der Türkei und in Syrien. Der frühere Bundestagsabgeordnete Memet Kilic (Heidelberg) meinte in einem Gastbeitrag für den Deutschlandfunk:
Diese labile Haltung der Bundesregierung wird leider dazu beitragen, dass sich die Auseinandersetzungen der türkeistämmigen Immigranten in Deutschland verschärfen.
Diese Sorge ist nicht nur wegen der labilen Haltung absolut begründet, sondern wegen der Lage vor Ort in Syrien und sich daraus ergebenden „Stimmungen“ bei nationalen Türken und Kurden.
Das Verhalten beider Seiten – Türken wie Kurden – wird deshalb genau beobachtet werden müssen. Ein friedlicher Marsch ohne verbotene Symbole muss von den Kurden erwartet werden können und von den Türken, diesen nicht zu stören oder durch Provokationen aufzufallen.
Sollte es, wie in der Vergangenheit schon häufig, zu gegenseitigen Provokationen und Gewalt kommen, muss die Polizei hart durchgreifen, um ein Zeichen zu setzen.
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