Rhein-Neckar, 04. Januar 2016. (red/ya) Die Entscheidung, die weitere Zusammenarbeit mit einem syrischen Praktikanten zu beenden, nachdem dieser in einem gewaltverherrlichenden Video aufgetreten ist, hat für viel Kontroverse und noch mehr Kritik gesorgt: Das Video sei ja wohl eindeutig Satire, schreibt etwa taz-Kolumnistin Doris Akrap. Der syrische Journalist Yahya Alaous kann dieser Sicht nicht zustimmen. Schon das Original sei sehr problematisch und durch und durch rückständig.
Von Yahya Alaous

Yahya Alaous. Foto: privat
„Das Tor zur Nachbarschaft“ oder „Bab al-Hara“ ist eine fiktive Serie aus Syrien mit historischem Vorbild: Es geht um eine Nachbarschaft in Damaskus. Bei Nacht wird das Viertel abgeschlossen – ein großes Tor soll die Anwohner vor Dieben und französischen Truppen schützen, die damals Damaskus kontrolliert haben.
„Bab al-Hara“ ist ein Drama, das seinen Fokus auf das Alltagsleben von vor einem Jahrhundert legt. Es gibt lokale Erzählungen wider, oft „überbetont“: Das macht die Serie sehr übertrieben, sehr überzeichnet, teils wirkt es, als würden Legenden erzählt werden.
Die Hauptcharaktere fallen schlicht und simpel aus. Alle sind sehr direkt. Ihre Frauen behandeln sie, als würde es sich um Sklavinnen handeln. Und sie werden kontrolliert von einem Scheich oder anderen totalitären Führern, von denen der Großteil nicht weiß, wie Lesen oder Schreiben funktioniert.
Wo ist denn der Humor?
Vor ein paar Tagen habe ich ein Video gesehen, in dem sich ein paar Flüchtlinge in ihrer Unterkunft mit Messern bewaffnet haben. Sie versuchen, eine Szene aus der Serie nachzuspielen – ich habe mir die Frage gestellt, warum, und mich bemüht, eine Erklärung zu finden, für das, was man dort sieht.
Zunächst habe ich gedacht, vielleicht könnte es eines dieser Videos sein, in denen Flüchtlinge versuchen, mit einer Menge Humor die Unterschiede zwischen der deutschen und der syrischen Gesellschaft zu zeigen.

Schnauzbärtige Männer bestimmten die „Soap“ Bab al-Hara
Aber das Video ist nicht lustig. Einziger Inhalt sind ein paar junge Männer, bewaffnet mit Messern und Stöcken und Stühlen, die herumschreien und sich anpöbeln. Sie feinden sich an und dann dreschen sie aufeinander ein wie Barbaren – ohne jeden ersichtlichen Grund. Und auch wer das Original kennt, fragt sich hoffentlich, was das soll?
Das verbindende Element: Die Unterdrückung von Frauen
Zwar ist es an sich eine sehr gute Idee, ein Bild von syrischen Überlieferungen, Traditionen und Bräuchen zu vermitteln. Aber so nicht. „Bab al-Hara“ ist eine sehr wirre und problematische Serie. Im einen Moment geht es um die Gewohnheiten aus dem damaskischen Alltagsleben, dann springt die Handlung plötzlich zu Geschichten über Courage und Heldentum und plötzlich steht das Nationalgefühl und das Feindbild, die französischen Truppen, im Vordergrund.

Dieser Messerkampf wurde von Asylbewerbern in einer Flüchtlingsunterkunft „nachgespielt“.
Dabei gibt es nur wenig verbindende Elemente – eines zieht sich aber wie ein roter Faden durch die Serie: Die Diskriminierung von Frauen.
Aber noch schlimmer sind die Teile, die in dem bescheuerten Flüchtlingsvideo neu hinzugefügt wurden: Sie führen noch zusätzliche trennende Elemente ein, indem die Kämpfer als Mitglieder verfeindeter Gangs porträtiert werden: Die sunnitische „Abu Omar“ gegen die schiitische „Abu Haidar“ – Ursache für die Konflikte ist ein Streit darum, wer der legitime „Kalif“, also der politisch-religiöse Führer ist oder sein soll: Omar kann von den Schiiten nicht akzeptiert werden, umgekehrt können sich die Sunniten nicht von Haidar leiten lassen.
Vorurteile setzen sich schnell fest
Vor ein paar Monaten hat meine kleine Tochter eine Spielzeug-Pistole geschenkt bekommen. Damit hat sie im Garten gespielt, bis ein Nachbar vorbeigekommen ist und mir sagte, dass das vielleicht nicht die allerbeste Idee ist und dies als Indikator für aggressives Verhalten ausgelegt werden könnte.
Als ich das Video der Flüchtlinge gesehen habe, musste ich direkt daran denken. Und ich hätte mir gewünscht, ein freundlicher Nachbar hätte den jungen Männern klar gemacht, dass bei so einem feindseligen Auftreten wie in ihrem Video Integration und ein kultureller Austausch nicht möglich sind. Eher werden weiter Vorurteile über Araber gestärkt.
Die Stars im deutschen Fernsehen laufen für gewöhnlich nicht mit Messern herum. Die deutschen Stars tragen auch eher selten markante Schnauzer und buschige Vollbärte und wenn sie sich verlieben, ist das meistens interessant und vor allem sind beide Seiten daran beteiligt – für die großen Helden aus „Bab al-Hara“ wäre das eher unschicklich.
Wer als Araber in Deutschland mit Waffen herumpost, wird als Terrorist wahrgenommen. Sie könnten zum IS gehören und auch wenn sie das nicht tun, könnten sie deren „Ansichten“ teilen. Es ist sehr schwer, so einen Eindruck noch einmal zu verändern, wenn er sich festsetzt. Und solche Videos helfen dabei ganz bestimmt nicht.
Extrem künstlich und angepasst
Das Vorbild „Bab al-Hara“ startete zum Ramadan 2006. Heute gibt es sieben Staffeln und die achte wird vermutlich zum nächsten Ramadan erscheinen. In den knapp zehn Jahren Sendezeit wurden die Schauspieler ausgetauscht, ebenso wie Regisseure, Drehbuchautoren und sogar die Produktionsfirma.
Mit der Handlung verhält es sich dabei ein bisschen wie mit diesen Geschichten, die Eltern ihren Kindern erzählen und sie so abändern, dass am Ende genau das dabei herumkommt, was die Kleinen sich wünschen.
Zum Beispiel wurde vordergründig auch die Kritik an der Diskriminierung von Frauen oder der Ignoranz der Rolle von Minderheiten für die Geschichte von Damaskus aufgegriffen und irgendwie abgehandelt – aber so, dass diese Stellen extrem künstlich und sehr erzwungen wirken. Das macht alles noch ein bisschen schlimmer.
Von der Politik kontrolliert und für Propaganda gebraucht
Wie die Regime-Medien ist auch „Bab al-Hara“ als öffentliche Serie auf Linie mit dem Staat. Ein Beispiel: Als die Beziehungen zwischen der Türkei und Syrien vor zehn Jahren noch gut waren, war es der Sendung verboten, die Besatzungszeit durch das osmanische Reich zu kritisieren. Oder als sich später die Beziehungen zwischen Frankreich und Syrien verschlechtert haben, bekamen Drehbuchautoren und Produktionsfirmen befohlen, Material zu liefern, dass „die Brutalität der Franzosen“ und Unterdrückung der Syrer während der Besatzung durch Frankreich zeigt.
„Bab al-Hara“ wird von der Politik kontrolliert und für Propaganda gebraucht. Ich habe schnell aufgehört, die Serie regelmäßig zu gucken, weil sie einfach unfassbar dumm ist. Vielleicht interessieren sich trotzdem ein paar deutsche Touristen dafür, die etwas über syrische Kulturgeschichte lernen wollen.
Ganz sicher aber ist es keine gute Idee als Gast in Deutschland so ein absurdes und dämliches Video öffentlich zu verbreiten. Noch dazu in einer Gesellschaft, in der es ohnehin schon genug Angst gibt, dass sich unter den mehr als einer Million Flüchtlingen potenzielle Terroristen befinden.
Anm. d. Red.: Unsere Entscheidung, nicht weiter zusammen mit einem früheren Praktikanten zu arbeiten, hat uns neben viel Zustimmung ebenfalls sehr viel Kritik eingebracht. Hunderte von Kommentaren wurden auf Facebook geschrieben, die taz setzte die Entscheidung des Chefredakteurs mit der Journalistenverfolgung unter Erdogan in der Türkei gleich, Dutzende Hass-Mails von Rechtsradikalen gingen in der Redaktion ein – es rauschte also von links bis rechts außen. Deshalb haben wir Herrn Alaous als externen Experten gebeten, sich das Video anzuschauen und es einzuordnen. Der Auftrag der Redaktion hieß: Stellen Sie bitte unseren Lesern die originale Fernsehserie vor und ordnen diese aus Ihrer Sicht ein. Prüfen Sie bitte das Video mit der nachgestellten Szene, auch, ob es sich um eine Parodie handelt und ordnen Sie das Video im Zusammenhang ein. Der Artikel wurde auf Englisch geliefert und von Minh Schredle übersetzt.
Zur Person:
Yahya Alaous (41) ist syrischer Journalist und lebt seit April 2015 mit seiner Familie in Berlin. Er saß zwei Jahre lang im Gefängnis, weil er Artikel über Menschenrechte und Korruption in Syrien veröffentlicht hatte. Heute arbeitet er als freier Mitarbeiter unter anderem für das Handelsblatt und für die Süddeutsche Zeitung. Auch in der taz hat er einen Text veröffentlicht. |