Mannheim/Rhein-Neckar, 04. Juli 2011. (red) Die Wirtschaftsjunioren in der Metropolregion wollten unbedingt an Thilo Sarrazin als Redner festhalten. Angeblich, weil es Ihnen um einen „offenen Meinungsaustausch“ geht. Diesen Meinungsaustausch können die verantwortlichen Personen haben – mit einem „Klartext“. Einem offenen Brief an Thomas Steckenborn, Vorstand der Cema AG, an die Wirtschaftsjunioren in der Region Rhein-Neckar und an die Industrie- und Handelskammern.
Von Hardy Prothmann
Sehr geehrter Herr Steckenborn,
sehr geehrte Wirtschaftsjunioren,
sehr geehrte Mitglieder der Industrie- und Handelskammern,
ich schreibe Ihnen diesen offenen Brief, weil ich davon überzeugt bin, dass Sie einen großen Fehler gemacht haben, der das Ansehen Ihrer Personen, das Ansehen Ihrer Unternehmen und das Ansehen Deutschlands enorm beschädigt hat.
Analytisch betrachtet, haben Sie sich blenden lassen. Sie vermuten, dass der Autor des Buchs „Deutschland schafft sich ab“, Thilo Sarrazin, einen „latenten Diskussionsbedarf aufgegriffen und thematisiert hat“. Zumindest schreiben Sie das in Ihrer Pressemitteilung.
Sie vermuten das, weil sich das Buch des Herrn Sarrazin bislang 1,3 Millionen Mal verkauft hat. Sie schreiben: „Wenn wir Herrn Dr. Sarrazin und seine Gedanken ignorieren würden, dann würden wir einem, wie die Verkaufszahlen seines Buches zeigen, großen gesellschaftlichen Thema nicht gerecht“, erklärt Michael Sittek, Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss der Wirtschaftsjunioren Mannheim-Ludwigshafen dazu.“
Denkfehler führen zu falschen Schlüssen
Sie erliegen leider einem eklatanten, mehrfachen Denkfehler, weil Sie, wie viele „Wirtschaftsmenschen“ zu eindimensional denken.
Ihr Denkfehler ist einer der Ausbildung. Ethik gehört nicht zu den Standardfächern der BWL, VWL oder Ingenieurswissenschaften. Und Sie bewegen sich nur zum Teil auf einem Produktmarkt (Buch) – der größere Teil ist der Meinungsmarkt (Inhalt).
Sie fragen, „wie es um unsere Diskussionskultur und Demokratie steht, wenn Zensur gewünscht ist“? Auch hier verstehen Sie etwas falsch. Artikel 5 Grundgesetz sagt: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Damit ist staatliche Zensur gemeint und Herr Sarrazin ist von keiner Behörde zensiert worden. Ganz im Gegenteil haben sich von der linken taz bis hin zur konservativen FAZ alle wesentlichen Medien mit seinen Thesen beschäftigt. Das Ergebnis ist eindeutig vernichtend.
Das Grundgesetz garantiert, dass Menschen ihre Meinung frei äußern können. Auch hier ist Ihre Auffassungsgabe beschränkt. Sie machen daraus die Selbstverpflichtung, rassistische Meinungen zu befördern. Angeblich, um sich einer gesellschaftlich notwendigen Debatte zu stellen. Dabei haben Sie ausnahmsweise gar nicht mal so unrecht: Viele Deutsche haben latent rassistische Einstellungen.
Sie können so viel über falsche Zusammenhänge und falsche Tatsachenbehauptungen diskutieren wie Sie wollen – die Falschheiten werden dadurch nicht richtiger.
Sie rufen zu Kritik und Diskussion auf. Haben Sie die Begriffe in ihrer Bedeutung verstanden. Obwohl Sie angeblich dazu eingeladen, fand dies nicht statt. Herr Sarrazin konnte lang und breit seine kruden Thesen und langweiligen Alltagsanekdoten ausbreiten, ohne sich einer Kritik und Diskussion stellen zu müssen. Dafür hätte es eines Podiums bedurft. Einen jungen Mann, der sich kritisch äußerte, haben Sie durch Ordner aus dem Saal entfernen lassen.
Faszinierender Erfolg?
Sie sind fasziniert vom „Erfolg“ des Buches. Erfolg ist in Ihren Augen Masse, ist Absatz, ist Umsatz.
Doch wie verhält sich das im „Buchmarkt“? Gelten hier die gleichen Gesetze wie für Katzenfutter?
Warum sollte auch nur einer der rund 400 Gäste im Rosengarten den Vortrag besuchen, in dem Herr Sarrazin die „Kernthesen“ des Buches vorstellte, wenn man das Buch schon gelesen hat? Wäre das nicht Zeitverschwendung? Oder erhofft man sich neue „Erkenntnisse“, weil man das Buch irgendwie nicht verstanden hat?
Oder wurde das Buch am Ende nur von wenigen und nicht von vielen gelesen? Herr Sarrazin beschwert sich, dass kaum einer seiner Kritiker das Buch gelesen habe. Wie kommt er auf die Idee, dass die Käufer dies getan haben?
Das Fetisch-Prinzip
Vielleicht erweitert diese Information Ihren Horizont. Sie wissen sicher nicht, dass die Bücher der Literaturnobelpreisträger mit zu den gut bis sehr gut verkauften, aber am wenigsten gelesenen gehören. Man kauft sich diese Bücher, um sie wie einen Fetisch ins Regal zu stellen: „Seht her, was ich für Literatur lese.“ Oder man verschenkt sie an Leute, die auch Regale haben. Dieses Schicksal teilen diese Autoren mit den Menschen, die an der Bibel mitgeschrieben haben.
Ganz anders Heinz G. Konsalik. Der Autor (Der Arzt von Leningrad) ist einer der kommerziell erfolgreichsten deutschen Schriftsteller mit einer Gesamtauflage von 80 Millionen Büchern. Niemand ist je auf die Idee gekommen, ihm dafür den Nobel-Preis zu verleihen oder ihn in literarische Diskussionsrunden einzuladen. Der Gattungsbegriff für seine Bücher ist der Roman. Die Untergattung Trivialliteratur.
Auch er hat vor allem in den Nachkriegsjahren ein „großes gesellschaftliches Thema getroffen“: Die Sinnlosigkeit des Krieges.
Joanne K. Rowling hat von ihren „Zauber-Büchern“ (Harry Potter) insgesamt mehr als 400 Millionen Exemplare verkauft. Auch sie trifft ein „großes gesellschaftliches Thema“ – in eine Welt der Fantasie und Zauberer, in den Kampf von Gut gegen Böse abtauchen zu wollen, aus der realen, anstrengenden Welt in eine der Fantasie. Man kann dem Alltag entfliehen.
Es ist ein Jugendbuch, das von vielen Erwachsene gelesen worden ist – das kann man aus der Auflage schließen. Sie wissen schon: Statistik. Wie viele Kinder gibt es im Alter zwischen 10 und 14 Jahren? Bei weitem nicht so viele, um diese Auflagen zu erreichen.
Sie als Wirtschaftsjunioren haben mit solchen Büchern vermutlich nicht viel zu tun. Sie stehen auf „Sachbücher“. Sie haben mit Aufträgen, mit Kostenrechnung, mit Gesetzeslagen, mit Normen mit all der Bürokratie zu tun, die Ihnen das Leben schwer macht. Auch dazu gibt es viele Bücher.
Und jetzt dieses „Sachbuch“ von Herrn Sarrazin, der sich ebenfalls als Zauberlehring betätigt: Er mixt Psycholgie, Neurobiologie, Gentechnik, Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften zu einem Gifttrank. Er will niemanden aus dem Alltag entführen, sondern er will vergiften.
Neue Dolchstoßlegende
Auch Herr Sarrazin bedient Sehnsüchte. Auch bei ihm geht es um den Kampf zwischen „Gut und Böse“. Zwischen den Intelligenten und den Dummen, zwischen denen, die aussterben und denen, die sich ungezügelt vermehren und die Intelligenten bedrohen.
Der Erfolg seines Buches zeigt, dass er ein Bedürfnis befriedigt, das viele Deutsche in sich tragen. Das Ressentiment gegenüber anderen. Eine tief sitzende, latente Fremdenfeindlichkeit. Die Lust an der Diffamierung. Die Neid-Neurose.
Im Kern schafft er eine neue Dolchstoßlegende. Wenn es den Deutschen „schlecht geht“, muss irgendjemand anderes daran schuld sein.
In Ihrer Pressemitteilung schreiben Sie, Herr Steckenborn, die Veranstaltung sei „korrekt und mutig“. Merken Sie etwas?
So fühlen Sie sich. Mutig und korrekt. Und wenn Sie „mutig und korrekt“ sind, was sind dann die anderen?
Sie strampeln, sie mühen sich ab und es geht nicht voran.
Mit all den Instanzen von der Kapitalbeschaffung über die politischen Kontakte, die Wissenschaft, diese verkorksten Gesetzte, diese Arbeitsvorschriften, Normen, Kontrollen – es ist zum Wahnsinnig werden.
Und dann lesen Sie über einen, der sagt, was angeblich falsch ist und wer angeblich schuld hat. Und egal, was der sagt, der hat recht, denn es läuft so viel falsch.
Weil die Deutschen nicht daran schuld sein können, muss es eben jemand anderes sein.
Mit dieser Rhetorik hat jeder Populist schon immer genau das Dumme in den Deutschen getroffen.
Kinder oder Leistung?
Und Ihnen geht das Messer im Sack auf, wenn sie daran denken, wie viele Leute es gibt, die „Kinder produzieren“ und dafür „Unterstützung“ erhalten, während die Leute mangels Zeit oder wegen zu viel Stress oder Karriere nicht in der Lage sind, Kinder zu machen, geschweige denn, sich um sie zu kümmern.
Und zwar so, wie man sich das vorstellt, mit glücklicher Miracoli-Familie:“Hm, ist das lecker“, Lachen, Freude, Beisammensein, Erfüllung. Das alles in schmeichelweißes Licht getaucht, die Frau liebevoll, der Mann trainiert, die (1,3) Kinder liebreizend glücklich, gerne darf es auch etwas Rasen geben, ein Teich, mindestens einen Audi, gerne auch einen X5, wobei der Trend bei Unternehmer-Prolls eindeutig zu AMG-Mercedes-Modellen geht. Ein Golden Retriever passt immer gut ins Bild.
Wenn der Unsinn grassiert, wird es Zeit, „Tacheles“ zu reden. Zurück zu den „Fakten“. Und die sind hart. Die bildungsfernen Türken und die Araber produzieren zu viele „Kopftuchmädchen“. Zocken alle die ab, die „Gas geben“, die Deutschland voranbringen wollen.
Deutsches Unternehmertum
Kein Wort über Unternehmer, die ins Ausland abhauen, weil sie die Bürokratie in Deutschland nicht mehr ertragen. Kein Wort über deutsche, „geachtete“ Unternehmen, die sich längst aus jeder sozialen Verantwortung verabschiedet haben und billiger im Ausland produzieren lassen – zu teils menschenunwürdigen Bedingungen für die dortigen Arbeiter. Ohne jeden Skrupel. Kein Wort über beispielsweise den „Saubermann“-Konzern Siemens, der mit arabischen und anderen Geschäftemachern ein ausdifferenziertes „Schmiergeldsystem“ perfektioniert hat.
Dafür aber viele Statistiken, die „eindeutige Fakten“ versprechen – von einem Mann, der sich anmaßt, multiple Wissenschaften zu verstehen. Und jeder, der ihm beipflichtet, ist mindestens ebenso „schlau“ und hätte eigentlich auch 1,3 Millionen Mal für seine Ansichten verkauft werden können. (Sie erinnern sich – das Nobel-Preisträger-Buch-im-Regal-Prinzip.)
Ist die griechische Staatspleite auch auf muslimische, integrationsunfähige Einwanderer zurückzuführen? Gilt das auch für Spanien, Portugal, Irland? Oder die USA?
Leimgänger
Herr Steckenborn, Sie sind, wie viele andere auch, ein Leimgänger? Ihr täglicher Frust braucht ein Ventil. Das ist verständlich. Aber es ist fatal, wenn sich die Leistungselite, oder die, die sich dafür hält, nicht den Stärkeren, sondern den „Abschaum“ als Vergleichsbasis sucht. Wie „mutig und korrekt“ ist das?
Ist Ihnen das eigentlich klar? Ist Ihnen klar, dass Sie sich, wenn Sie Sarrazin folgen, nicht mehr an eigener Leistung, sondern an der Abgrenzung zur „Nicht-Leistung“ orientieren? Ist Ihr Selbstbewusstsein schon derart verformt?
„Die Veranstaltung „Klartext der Wirtschaftjunioren der Metropolregion“ will gerade in solch umstrittenen Zusammenhängen als Diskussionsplattform und nicht als Forum der Stimmungsmache oder der Agitation verstanden werden“, lassen Sie in der „Pressemitteilung“ schreiben.
Als erfahrener Journalist lese ich das Gegenteil heraus. Ihren Frust. Ihre Verzweiflung. Ganz klar wollen Sie Stimmung machen. Und das kann ich sogar verstehen. Es geht Ihnen schlecht – Sie müssen „Umsatzziele“ korrigieren, weil Sie keine „Fachleute“ finden.
Glauben Sie ihm Ernst, dass Ihre unternehmerische Notlage durch die kruden Thesen eines Thilo Sarrazin erklärt werden könnte? Oder Sie durch die Auseinandersetzung mit dessen Thesen einen Schritt vorankommen?
Die ostasiatische Endlösung
Wenn Sie logisch denken, ist Ihr Gebrauch der Begriffe „Toleranz und Respekt“ reichlich absurd. Herr Sarrazin toleriert keine Muslime und er hat keinen Respekt vor ihnen. Und er unterstellt ihnen, dass sie weder genetisch noch kulturell in der Lage sind, sich in unsere deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Indem Sie sich damit gemein machen, teilen Sie diese Haltung und müssen verstehen, dass Sie unter den Muslimen keine der so dringend benötigten Fachkräfte bekommen werden. Denn das ist die Aussage von Herrn Sarrazin.
Nur Ostasiaten könnten Ihre Probleme lösen. Die sind, laut Sarrazin, klug und fleißig. Leider so klug, dass sie nach und nach die Macht übernehmen werden. Sagt Herr Sarrazin am Beispiel USA. Das nur als Hinweis, wie viel „deutsche Gesellschaft“ es dann noch in einigen Jahrzehnten geben wird.
Wenn die Wirtschaftsjunioren all das glauben, sollten sie den ersten „Lösungsvorschlag“ von Herr Sarrazin sofort befolgen und mit einer intelligenten deutschen Frau zur Zeugung schreiten. Die Zeit drängt. Denn, wer heute ein Kind zeugt, kann erst in 25 Jahren für rund 15 Jahre die „Höchstleistung ernten“. Denn Herr Sarrazin hat eindeutig erklärt, dass es danach mit den „Intelligenz“-Leistungen bergab geht. Denn laut Sarrazin verdummt Deutschland auch mit den Alten.
Man sollte nicht schwul werden, was Herr Sarrazin ja auch als Gefahr angebracht hat, sondern es lieber auf die „arabische“ Art tun, also mit möglichst vielen Frauen viele Kinder machen.
Vielleicht habe ich mit meinem offenen Brief einen kleinen Erfolg. Ganz sicher kann ich nicht erwarten, dass Sie oder andere eingestehen, einen Fehler gemacht zu haben.
Aber vielleicht trägt dieser Brief dazu bei, dass Sie diesen Fehler nicht wiederholen. Das wäre, so meine ganz persönliche Meinung, ein bescheidener Gewinn.
Dokumentation:
Die Pressemitteilung der Wirtschaftsjunioren als PDF.