Rhein-Neckar/Mannheim, 04. Juli 2017. (red/pro) Vergangenen Freitag wurde mit Mehrheit die „Ehe für alle“ im Bundestag beschlossen. Seither geht es weiter rund um das Thema – möglicherweise wird das Bundesverfassungsgericht für eine Entscheidung angerufen. Im Interview mit dem Rheinneckarblog erläutert Thorsten Riehle als SPD-Stadtrat und Capitol-Geschäftsführer sehr aktives und bekanntes Mitglied der Stadtgesellschaft, was die „Ehe für alle“ für ihn bedeutet. Er ist mit seinem Mann verpartnert.
Interview: Hardy Prothmann
Herr Riehle, der Deutsche Bundestag hat am vergangenen Freitag die „Ehe für alle“ mehrheitlich beschlossen. Sie selbst sind verpartnert und leben mit ihrem Lebensgefährten in einer Lebenspartnerschaft. Wie haben Sie das Abstimmungsergebnis für sich erlebt?
Thorsten Riehle: Ich war zunächst einmal überrascht darüber, was eine Frage eines jungen Mannes an die Bundeskanzlerin, nämlich wann er endlich seinen Partner Ehemann nennen darf, für eine Dynamik ausgelöst hat. Das, was viele aus der Regenbogenfamilie teilweise seit Jahrzehnten beschäftigt, nämlich eine Öffnung der Ehe, ging plötzlich ganz schnell. Das war unbeschreiblich für mich. Viele sagen, das war historisch. Ich finde, darüber müssen spätere Generationen entscheiden. Für mich ist es ein selbstverständliches Menschenrecht, das nun endlich und eigentlich viel zu spät legitimiert wurde.
Der Weg bis zur Gleichsetzung der Ehe von Mann und Frau mit gleichgeschlechtlichen Partnern war lang. Wie war das bei Ihnen? Waren Sie immer offen „schwul“ oder haben Sie Ihre Neigung zunächst verborgen?
Blöde Sprüche habe ich erfahren – echte Diskriminierung nicht
Riehle: Ich habe relativ früh gemerkt, dass ich anders war als andere Jungen in meinem Alter. Seitdem sage ich es jedem, der es wissen möchte. Wenn es nicht von Belang ist, trage ich das aber nicht zu Markte. Damit konnte mein Umfeld immer sehr gut umgehen.
Wie fühlt sich das an? Haben Sie Diskriminierung erlebt? Beschreiben Sie bitte frühere Zeiten und vielleicht auch heutige.
Riehle: Ich bin in der glücklichen Situation, das ich niemals diskriminiert wurde. Klar, einen blöden Spruch gab es an der ein oder anderen Stelle. Wer mich kennt weiß aber, die kann ich gut parieren. Das war aber eher in den 80-er und 90-er Jahren der Fall. In den vergangenen 15 bis 20 Jahren hat sich das erledigt. Ich glaube, das liegt auch sehr daran, dass die Community selbstbewusster geworden ist, dass schwul sein kein Ausschlusskriterium mehr ist, um in der Politik Karriere zu machen oder lesbische Chefinnen genauso anerkannt ihre Leistung erbringen, wie heterosexuelle Frauen. Dazu kommt, dass ich als Kulturschaffender in einem Bereich arbeite, der viel offener mit der Gesellschaft umgeht, auch mit dem Thema Toleranz. Das ist für mich natürlich ein Glücksfall.

Thorsten Riehle (rechts) mit seinem Mann bei der Verpartnerung. Foto: privat
Sie tragen teilweise Ihr Privatleben, insbesondere Ihre Verpartnerung, recht progressiv in die Öffentlichkeit, insbesondere über Facebook. Warum?
Riehle: Mein Mann und ich haben diesen Weg gewählt, weil es unglaublich viele Menschen gibt, die neugierig darauf waren, wie wir gefeiert haben und sich mit uns gefreut haben. Und wir hatten schon 200 Gäste bei unserem Fest im Capitol und fast 600 Menschen in der Kirche. Das war sehr beeindruckend und bewegend für uns. Außerdem: Andere Ehepaare machen das doch auch, wieso wir nicht?
Die Besiegelung einer Liebesbeziehung muss den gleichen Namen haben
Sie und Ihr Partner haben nun vermutlich ab Herbst die Möglichkeit, auch zu heiraten. Planen Sie das bereits?
Riehle: Sagen wir mal so: Als am Freitag die Entscheidung gefallen war, hatten wir bereits die ersten Anfragen von Freunden, wann wir denn wieder feiern würden. Ich denke, wir warten jetzt erstmal ab, bis das Gesetz durch den Bundesrat ist und wie die Umsetzung dazu aussieht, Das wird wohl im Herbst klar sein, ob das ein einfacher Verwaltungsakt sein wird oder ob wir noch einmal zum Standesamt dürfen.
Was ist für Sie der Unterschied zwischen einer Lebenspartnerschaft und einer Ehe? Ist das wirklich wichtig?
Riehle: Für uns persönlich war es inhaltlich nicht wichtig, da in unserer Lebensplanung keine Kinder mehr vorkommen werden. Aber vom Rahmen finde ich persönlich das enorm wichtig. Die Besiegelung einer Liebesbeziehung muss den gleichen Namen haben. Das ist nicht nur emanzipatorisch wichtig, dass ich nicht „Lebenspartner“ sagen muss sondern Ehemann. Das verändert vieles, sicherlich nicht im Gefühl füreinander, aber in der Wahrnehmung und der Akzeptanz. Wir sind damit einem heterosexuelles Paar gleichgestellt, nicht mehr etwas Besonderes oder Außergewöhnliches. Die evangelische Landeskirche Baden ist diesen Schritt übrigens schon im vorletzten Jahr gegangen, in dem gleichgeschlechtliche Paare nicht mehr einfach nur gesegnet werden, sondern eben auch heiraten. Damals sogar mit der Entschuldigung des Landesbischofs für die Ungerechtigkeit, die Kirche gelebt hat. Ich fand das ein ganz beeindruckendes Bekenntnis. Und deshalb war uns das christliche Bekenntnis auch wichtig.
Gleichgeschlechtliche Partner haben nun erheblich günstigere Möglichkeiten, ein Kind zu adoptieren. Erläutern Sie bitte, was Sie dazu denken.
Riehle: Es gibt nun überhaupt erst die Möglichkeit, dass gleichgeschlechtliche Paare gemeinsam Kinder adoptieren. Vorher konnte nur ein Partner die Adoption vornehmen, der andere war aus dieser Konstellation rechtlich außen vor. Das hat sich nun verändert. Und das halte ich im Sinne der Kinder für richtig. Ein gemeinsames Sorgerecht mit allen Rechten und Pflichten ist verbindlicher und hat im Erbrecht, aber auch bei Krankheit oder Todesfall klare Regelungen, die dem emotionalen Wert dieser Beziehung deutlich näher kommen.
Künstler sind vermutlich toleranter – aber Homosexuelle sind längst auch in anderen Branchen sichtbar
Können Sie sich selbst eine Adoption vorstellen? Erläutern Sie bitte Für und Wider und was Sie dazu umtreibt.
Riehle: Nein, das ist nicht unser Lebensplan.
Sie sind Geschäftsführer des Kulturbetriebs Capitol und haben seit vielen Jahren mit vielen Künstlern zu tun. Ist die Szene eigentlich homosexueller als andere Branchen? Und sind Künstler tatsächlich toleranter?
Riehle: Natürlich arbeiten im kreativen Bereich sichtbar deutlich mehr Homosexuelle als in anderen Berufszweigen. Ich habe aber den Eindruck, dass sich das in den letzten Jahren wandelt. Durch Aufklärung und Toleranz sind Schwule und Lesben am Arbeitsplatz – auch in anderen Branchen – sichtbarer als noch vor zehn Jahren. Und das ist gut so. Künstler sind aufgeschlossen, in gewisser Weise besonders neugierig. Ob sie das im Schnitt toleranter macht, weiß ich nicht. Ich vermute einmal ja.
In der FAZ ist am vergangenen Freitag ein viel kritisierter Text erschienen, in dem der Autor der homosexuellen Szene Verrat an der eigenen Sache vorwirft. Können Sie das nachvollziehen?
Riehle: Auch ich hatte mit Freunden Diskussionen darüber, ob es dann nun auch hier noch die Gleichmacherei braucht, um Toleranz einzufordern. Ich glaube, das kommt auf das jeweilige Lebensmodell an. Für viele kommt das Institut der Ehe gar nicht in Frage, weil die Einforderung der Öffnung der Ehe seit der emanzipatorischen Bewegung der Schwulen und Lesben spätestens in den 70-er Jahren als Provokation gegen die Mehrheitsmeinung galt. Vielen kommt das nun unglaublich absurd und als Anbiederung vor, diese letzte Bastion aufgeben zu müssen. Das kann ich in gewisser Weise nachvollziehen. Mein Weg ist es aber nicht.
Halten Sie den Text in der FAZ für schwulenfeindlich? Beispielsweise benennt der Autor Gegner der „Homo-Ehe“, die als Argument vorbringen, ein sexueller Übergriff könnte wahrscheinlicher sein, da die Inzestproblematik fehle.
Riehle: Kann ich nicht einschätzen, da ich den Text nicht kenne.
Homosexualität galt mal als Krankheit – das ist natürlich völliger Blödsinn
Auch bei uns ist von „Johannes Gabriel“ ein Text erschienen, in dem der schwule Autor sich gegen die Vorwürfe verwahrt. Darin heißt es, er verachte Schwule, die wie Heteros sein wollen. Wie sehen Sie das?
Riehle: Ich habe in dem Zusammenhang ein Problem mit Gleichmacherei. Das würde bedeuten, dass ich mein Schwulsein als wichtiges Merkmal meiner Identität aufgeben würde. Homosexualität galt, als ich auf die Welt kam, noch als Krankheit, die zu heilen war. Eine Zeit lang galt ein Defekt in den Chromosomen und davon abgeleitet das „Schwulen-Gen“ als ausgewiesene Sache. Das ist natürlich völliger Blödsinn, zeigt aber den Versuch, medizinisch zu erklären, warum jemand schwul oder lesbisch ist und nicht einfach zu akzeptieren, dass es wunderbarerweise besondere Menschen in vielen Ausprägungen und Identitäten gibt. Diese Ansicht haben heute noch viele Menschen. Es geht nicht darum, so zu sein wie ein Heterosexueller, sondern darum die gleichen Rechte zu haben. Alle anderen Diskussionen sind meines Erachtens verzichtbar, weil es auf das Individuum ankommt. Furchtbar fände ich es allerdings, wenn das Streben nach einem anderen Idealbild dazu führen würde, seine eigenen Empfindungen zu unterdrücken.
Das Grundgesetz hatte Schwule nicht im Blick – das hat sich gesellschaftlich verändert
Nach der Freude ist vor dem Kampf – die „Ehe für alle“ kommt womöglich vor das Bundesverfassungsgericht, weil Kritiker meinen, das neue Gesetz verstoße gegen das Grundgesetz. Wenn dem so wäre – muss das Grundgesetz Ihrer Meinung nach geändert werden?
Riehle: Die Würde des Menschen ist unantastbar, Menschenrechte sind unverletzlich und unveräußerlich. Das sind Worte des Grundgesetztes, die für mich zählen und wichtig sind. Natürlich haben die Mütter und Väter unserer Verfassung 1949 nicht über Schwule und Lesben nachgedacht. Aber sie haben den Menschen in seiner gesamten Ausprägung und seinen individuellen Bedarfen gemeint. Und dazu gehören heute eben auch homosexuelle Ehen. Das ist doch so wie mit der Diskussion um die Ehe an sich. In den 50er Jahren gab es den Mann als Ehevorstand, der hatte zu entscheiden, ob die Frau arbeiten gehen durfte oder ein Bankkonto eröffnen konnte. Das hat doch mit dem heutigen Bild von Ehe überhaupt nichts mehr zu tun. So sehe ich auch das Grundgesetz, nämlich als Grundlage, die sich der Lebenswirklichkeit in der Interpretation über die Jahrzehnte an die gesellschaftliche Entwicklung angleicht. In der Sache unantastbar, in der Auslegung durchaus wandlungsfähig.
Sie sind seit langer Zeit politisch aktiv und Stadtrat der SPD. Aktuell zoffen sich die Interpretatoren, ob die SPD einen Punkt gemacht hat oder Frau Merkel. Was meinen Sie?
Riehle: Das ist wirklich eine gute Frage. Ich glaube einfach daran, dass die Bundeskanzlerin auf eine Frage geantwortet und ihre Sicht der Dinge geschildert hat. Ich finde es richtig, dass SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gemeinsam mit vielen anderen Abgeordneten der eigenen und der anderen Fraktionen dafür gesorgt hat, dass diese Gewissensentscheidung sofort gefällt werden konnte. Das wohlwissend, dass die CDU damit große Probleme haben wird. Die Koalition bis zum Wahltag durchzuhalten war damit gefährdet. Deshalb empfand ich das auch als mutig. Diese Tür, die sich da ein Spalt weit aufgetan hat, weit aufzustoßen war richtig. Es wäre fahrlässig gewesen, das auf die nächste Legislatur zu verschieben und womöglich einmal mehr zu einem Wahlkampfthema zu machen. Das wäre der Fragestellung nicht gerecht geworden und eine Herabwürdigung der Öffnung der Ehe gewesen.