Rhein-Neckar, 04. Januar 2015. (hp) Im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise fällt immer wieder das Wort “Werte”. Doch was sind Werte? Was ist eine Wertegesellschaft? Reden eigentlich alle über das Gleiche oder alle nur durcheinander? Probieren Sie es aus – reden Sie über Wert. Über Ihre, unsere, deren.
Von Hardy Prothmann
Gesellschaftliche Werte haben keinen Buchwert. Mit ihnen kann man nichts bezahlen. Sie sind keine Wertgegenstände, aber doch wertvoll. Man kann sich, obwohl kein Zahlungsmittel, an Ihnen sogar verschulden – wenn man sie missachtet oder missbraucht. Werte sind etwas sehr sonderbares, kostbares. Für manche sind sie auch egal und unnütz. Werte sind Gesellschaft und Gesellschaften bilden Werte. Doch ohne Wertschätzung sind Werte wertlos.
Werte und Wertegesellschaft haben Konjunktur
Ich bin christlich erzogen worden und habe eine humanistische Ausbildung genossen. Damit bin ich mit christlichen und humanistischen Werten sozialisiert worden – und nein, christliche und humanistische Werte sind nicht dasselbe, auch, wenn eine Vielzahl sehr ähnlich ist.
Seit Monaten haben die Worte Werte und Wertegesellschaft wieder Konjunktur. Werte sind Ideen, Vorstellungen, über gut und schlecht, richtig oder falsch. Wenn Werte zu absoluten Vorschriften werden, sind sie Ideologien.
Werte bedeuten Ein- und Ausgrenzung. Werte gelten als erstrebenswert. Wer sich gegen allgemeine Werte verhält, grenzt sich aus.
Wer meint eigentlich was?
Wenn Politiker von “unseren Werten” reden, bin ich immer sehr erstaunt: Welche Werte meinen diese Leute? Und wer ist uns? Noch erstaunter bin ich, wenn von “die” die rede ist, “die, die unsere Werte teilen müssen”.
Wenn ein Wert zum Muss wird, ist man nicht mehr frei in der Entscheidung, diesen Wert zu schätzen und zu wollen. Einer meiner wichtigsten Werte ist Freiheit – wer mir Freiheit nimmt, teilt nicht meinen wichtigsten Wert.
Vielleicht teilt er aber einen anderen für mich sehr wichtigen Wert: Sicherheit. Ich gewichte Freiheit höher als Sicherheit. Der andere findet Sicherheit wichtiger als Freiheit. Wer hat Recht?
Welchen Wert haben Werte für Menschen, die niemals die Chance hatten, frei über die Wahl zwischen Werten zu entscheiden?
Werte? Gibt es in jedem Supermarkt
Betrachten Sie Werte wie einen Supermarkt. Ohne Quatsch jetzt. Sie treffen auch dort Wertentscheidungen. Kaufen Sie die normalen Karotten oder die Bio-Karotten? Kaufen Sie nur regionales Gemüse und lehnen Sie Spargel aus Südamerika ab? Oder Erdbeeren zur “Unzeit”?
Unsere Werteregale sind voll. Was wir auf jeden Fall wollen, ist Qualität. Egal ob normal oder bio. Manche wollen billige Wurst oder edles Fleisch oder gar keins und schon gar kein Schweinefleisch. In manchen Ländern gibt es gar keine Werte – da sind die Regale leer.
Worauf ich hinaus will. Werte sind kein Wert an sich. Und Werte dürfen niemals absolut sein. Jedenfalls die allermeisten.
Absolute Werte? Darf es die geben?
Für mich gelten allerdings absolute Werte. Das sind die Menschenrechte. Um diese möglichst – ich sage das bewusst – zu wahren, braucht es eine verbindliche Rechtsordnung. Die bietet uns unser Grundgesetz und unsere Rechtsstaatlichkeit.
Natürlich gibt es immer Missbrauch und Rechtsverletzungen – wir alle müssen Sorge dafür tragen, diese zu thematisieren, sie zu ächten und zu ahnden.
Deutschland ist eine der freiesten Gesellschaften dieser Welt. Ob die freieste oder nur die zweitfreieste oder die drittfreieste, darüber will ich gar nicht streiten. Wir leben hier gut und überwiegend in Freiheit und Sicherheit miteinander. Das ist ein ziemlich großer Wert, den ich über alle schätze.
Kritisch sein zu dürfen ist ein Superwert
Wir müssen, meine Meinung, als Wertegemeinschaft dafür Sorge tragen, dass dies so bleibt. Deswegen müssen wir kritisch sein und bleiben – gegenüber uns selbst und anderen.
Wir müssen Fragen stellen, auch unangenehme, an alle und Antworten und Lösungen suchen.
Ich bezeichne mich oft als “politischen Journalisten”. Das ist aber nicht richtig beschrieben. Ich bin ein “gesellschaftlicher Journalist”. Denn Politik ist nicht alles, was uns ausmacht – Gesellschaft schon. Das sind wir alle – glanzvoll oder erschütternd.
Gemeinnutz – vollkommen unsexy als Wort, aber ein Kraftwert
Gemeinnutz ist auch so ein Wert, der klingt spießig und piefig und doch leben ihn so richtig viele Menschen in diesem Land. Sich für die Allgemeinheit nützlich machen. Das hat nichts mit Kommunismus zu tun, solange es freiwillig passiert. Freier Wille und die Bedingungen dafür zu schaffen und zu erhalten – das ist ein sehr, sehr großer Wert.
Wir bieten Ihnen eine unabhängige und kritische Berichterstattung an. Wissen Sie eigentlich, wie wertvoll diese Möglichkeit ist? In den allermeisten Ländern dieser Welt gibt es das nicht. Eine funktionierende freie, demokratische Gesellschaft ist ohne Meinungsfreiheit und einen unabhängigen Journalismus nicht vorstellbar.
Aktuell beobachten wir mit großer Sorge teils massive Verstöße gegen das, was “unsere Wertegemeinschaft” ausmacht – also die Summe aus Werten, die viele teilen und Werten, die die einen gut und wichtig finden, anderen nicht so.
Diese Verstöße begehen im Extremfall Extremisten. Ob von rechts, ob von links oder terroristisch. Im Alltagsfall sind es asoziale Verhalten mitten unter uns. Von einzelnen Menschen. Wir erleben gefühlt immer mehr durch Flüchtlinge – wer “die Flüchtlinge” aber zu einer homogenen Bewegung definiert, liegt falsch. Es sind tatsächlich “Einzelfälle”, weil niemand diese Verstöße steuert.
Wer instrumentalisiert, ignoriert den Wert der Differenzierung
Sie sind eine leider erwartbare Konsequenz aus dem Zusammentreffen unterschiedlichster “Gesellschaften”. Das ist bitter für “uns”, weil wir das “nicht kennen”. Jede Empörung ist gerechtfertigt. Jede Ablehnung auch. Auch die Forderung nach Konsequenzen ist zulässig. Nicht jedoch die pauschale Verurteilung aller Menschen. Auch die Fähigkeit “zu differenzieren”, ist ein Wert. Ein sehr wichtiger, der beispielsweise Grundlage unseres Rechtsstaats ist. Leider haben das immer noch nicht viele Menschen “unserer” Wertegemeinschaft verstanden.
Wir berichten kritisch und werden teils instrumentalisiert. Von Ideologen. Von Extremisten. Mal von links und mal von rechts.
Vertrauen ist ein Wert – Misstrauen auch
Sehr viel Freude – auch das ein schöner Wert, sich freuen zu können und zu dürfen – macht uns die überwiegende Mehrheit unserer Leserschaft. Sie informieren uns, Sie beteiligen sich mit Kommentaren, Sie geben Hinweise, Sie informieren andere über das, was Sie bei uns gelesen haben. Sie vertrauen uns.
Hier darf ich Sie, falls Sie diese Regeln noch nicht kennen, an Regel 1 und Regel 2 unserer Redaktion erinnern:
- Vertraue keinem
- Ohne Vertrauen ist alles nichts
Das klingt ein wenig absurd, aber so ist das Leben.
Reden Sie über Werte – das ist ein “tolles” Thema
Reden Sie mit Ihrer Familie und Freunden über Werte. Immer wieder. Ich verspreche Ihnen – das wird nie langweilig. Ganz im Gegenteil, das Gespräch über Werte, das Nachdenken, was “uns” wichtig ist und was wir anderen zugestehen und was nicht, wird jeden von uns das eigene Leben lang beschäftigen.
Wenn uns Werte wichtig sind. Und das Besondere an Werten ist – sie entstehen erst, wenn man sich mit Ihnen beschäftigt.
Sie lesen und nutzen unser Artikel für sich? Sind diese wertvoll für Sie?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und wir freuen uns über Ihre finanzielle Unterstützung als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für informativen, hintergründigen Journalismus. Hier geht es zum Förderkreis.