Rhein-Neckar/Schwerin, 04. September 2016. (red/pro) Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass die AfD kein kurzfristiges Phänomen mehr ist. Die erst drei Jahre alte Partei sitzt nun in neun Landtagen und hat aktuell ihr zweitbestes Ergebnis von rund 21 Prozent erreicht. Die SPD gewinnt mit hohen Verlusten die Wahl und kann mit der ebenfalls verlustgebeutelten CDU weiterregieren oder mit Die Linke. Doch ein „Weiter so“ wird nur der AfD nutzen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Die gute Nachricht: Deutschlands Landtage sind von der NPD befreite Zonen. Die rechtsradikale Partei ist aus dem letzten Landtag geflogen.
Die nächste klare Nachricht: Die AfD schafft aus dem Stand ihr zweitbestes Ergebnis. Aber viel entscheidender: Die rechtspopulistische Partei ist erstmals stärker als die CDU.
Alles Nazis? Von wegen

Hardy Prothmann ist Chefredakteur von Rheinneckarblog.de. Foto:sap
Der Reflex von etablierten Parteien und Medien wird sein: Allein die Flüchtlingspolitik beflügelt die AfD. Diese einfache Analyse ist falsch.
Zutreffend ist, dass die Flüchtlingskrise und die Politik der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Fokus steht und bei oberflächlichem Hinschauen die AfD stark gemacht hat. Wer aber genau hinschaut, muss begreifen, dass wir eine historisch einmalige Etablierung einer Partei rechts von der CDU erleben.
Die Gründe dafür sind hausgemacht. In der Mitte tummeln sich CDU, SPD und die Grünen – und diese koalieren wechselseitig, um Macht zu erlangen. Die Wähler/innen vermissen eine klare Positionierung und Abgrenzung. Die einzigen Parteien, die das in Deutschland leisten, sind die CSU und die AfD.
Eine besondere Rolle spielen die (großen) Medien. Mit einer atemberaubenden Vielzahl von Kampagnen, befeuert durch die etablierten Parteien, wurde versucht, die AfD zu kriminalisieren und als Nazi-Partei zu brandmarken. Wenn dem so wäre, dann wären auch zwischen 15 bis über 20 Prozent der deutschen Wähler Nazis.
Und diese Wähler als „Protestwähler“ abzuwerten, ist genauso überheblich. Selbstverständlich dürfen die Wähler protestieren – das ist urdemokratisch.
Es ist geradezu bemerkenswert, wie erfolgreich die AfD trotz und möglicherweise wegen dieser Kampagnen ist. Innerhalb der AfD gibt es jede Menge problematisches „Personal“ – aber es gibt eine Mehrheit von Funktionären, die nicht negativ durch Rechtsaußenpopulismus auffallen.
Alle Kampagnen gescheitert
Versuche, die Partei zu beschädigen, weil sie angeblich nichts leiste, werden scheitern. Die Wähler wissen, dass die Partei neu in der Politik ist – ebenso die meisten ihrer Funktionäre. Es ist einfach, diese mit Tricks bloß zu stellen und Fehler zu bejubeln, die „enttarnen“ sollen. Enttarnt werden aber etablierte Parteien und Medien, die es sich recht gemütlich eingerichtet haben. Genau dagegen steht die AfD und genau das wählen die Bürger/innen. Die AfD soll der Stachel im Fleisch eines selbstgefällig gewordenen Systems sein.
Das grün-schwarze Mauscheln in Baden-Württemberg erzürnt die Bürger/innen. Ebenso die Tatsache, dass viel versprochen wird, aber nichts bei der immer mehr schwindenden Mitte der Gesellschaft ankommt. Die Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren formidabel entwickelt – nur bei den Löhnen und Gehältern kommt das nicht an. Das Leben wird immer teurer, die Verteilungskämpfe härter, die Privilegierten mehren ihr Vermögen und die allermeisten müssen sich heute Sorgen um ihre Zukunft machen.

Ergebnisse der Landtagswahl. Quelle: Statistisches Landesamt Mecklenburg-Vorpommern. Landeswahlleitung
Das Thema ist Entfremdung
Hinzu kommt ein Multi-Kulti-Dogma, das aktuell angesichts der nicht insgesamt gescheiterten, aber doch deutlich nicht gelungenen Integration der größten Ausländergruppe, der Türkischstämmigen mehr als deutlich ist. Weiter wird deutlich, dass der türkische Staatspräsident Erdogan die EU in der Hand hat. Er kann jederzeit drei Millionen weitere Flüchtlinge auf die Reise schicken. Die EU und insbesondere Deutschland haben ihre Beziehungen zu Russland schwer gestresst – aktuell nähern sich der russische Präsident Putin und Erdogan an. Bundeskanzlerin Merkel steht weit abseits und lässt sich insbesondere von Erdogan ein ums andere Mal vorführen, weil sie genau weiß, dass sie ihn mehr braucht, als er sie. Die Menschen sind nicht dumm – die verstehen das.
Der Islam gehört für viele nicht zu Deutschland, nur, weil das so gesagt wird. Es gibt keine einzige bedeutende muslimische Vereinigung, die sich naht- und zweifellos in das deutsche System integriert hat. Der größte Teil der „politischen“ Türkischstämmigen folgt Erdogan, darunter DITIB. Ein anderer großer Teil dem Widersacher Gülen. Und wieder andere der PKK und weiteren Kurdenorganisationen.
Die Menschen erkennen auf den Straßen durchaus, dass sich die Türkischstämmigen nicht öffnen, sondern sich immer mehr auf sich selbst zurückziehen. Die Zahl der Kopftuchvarianten wächst und verhüllt mehr und mehr die Frauen.
Der alltägliche zu erlebende Rassismus zwischen den Einwanderergruppen ist in seinen Ausmaßen gewalttätiger und tödlicher als alle extremistischen Aktionen von links und rechts zusammen – nur wird das noch nicht erkannt. Und die angeblich so vorbildlichen Syrer sind nicht außen vor – insbesondere mit Irakern und Afghanen sowie Arabern aus den Magreb-Staaten gibt es ständig massive Konflikte, die nicht von heute auf morgen enden werden.
Viele Deutsche fühlen sich entfremdend – im eigenen Land. Von der Politik. Sie kommen nicht mehr mit, mit dem, was ihnen von oben herab verordnet wird. Und sie vertrauen „den Medien“ immer weniger, die sich zu Handlangern machen, statt für die Bürger da zu sein. Zur Politikverdrossenheit kommt die Medienverdrossenheit.
Den meisten Menschen ist es egal, ob Frau Merkel ab 2017 weiterregiert – die meisten Menschen wundern sich, dass in einem Land mit über 80 Millionen Einwohnern offenbar nur diese eine Frau dazu in der Lage sein soll. Aber „die Medien“ haben nichts besseres zu tun, als einen nach dem anderen Artikel zur „Kanzlerfrage“ zu schreiben, statt sich auf Programmatik und Sachthemen zu konzentrieren.
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Was Linke und Grüne für die SPD, ist die AfD für die CDU
Seriöse Wissenschaftler beziffern die „Wir schaffen das“-Aufgabe auf mindestens zehn, eher zwanzig und mehr Jahre. Es wurden Fakten geschaffen – von einer „Politik des Gehörtwerdens“ ist auch Baden-Württenberg nichts mehr zu spüren.
Die SPD ist eine Partei auf Talfahrt. Keine andere Partei hat seit der Wende mehr abgebaut. Sie wurde von Die Linke und den Grünen gefleddert. Dasselbe droht der CDU durch die AfD.
Die AfD hat hauptsächlich einen Gegner – das ist sie selbst. Wenn es der Partei nicht gelingt, durch politische Arbeit klar zu machen, was die Alternative zu den bestehenden Parteien ist, wird sie Probleme bekommen. Wenn sie aber hart arbeitet und damit politische Profilierung erreicht, wird sie weiter wachsen – als Beispiel kann man die Dauer-Oppostionspartei der Grünen nehmen, die nach vielen harten Jahren an die Macht gekommen ist.
Die AfD könnte noch andere Gegner haben – die etablierten Parteien tun zwar so, als seien sie das. Die Wahlerfolge der AfD beweisen das Gegenteil. Erst wenn die etablierten Parteien ordentlich und ohne Angst vor Schmerzen sich an eine Analyse wagen und daraus die notwendigen Schritte ableiten, werden sie Wege finden können, die AfD nicht weiter wachsen zu lassen.
Globalisierung und das Internet verändern die Milieus rasant
Geradezu hilflos zeigen sich auch Berater aller Couleur – vor allem der Wissenschaft. Jahrzehntelang gab es „Milieu“-Studien, die auf weitgehend homogenen Strukturen ihre Analysen anfertigte. Die Globalisierung und vor allem das Internet, haben diese „Milieus“ enorm verändert.
Noch niemals, auch nicht bei der Flüchtlingskrise Mitte der 90-er Jahre, ist es einer rechts ausgerichteten Partei in diesem Umfang gelungen, Erfolge zu verzeichnen – wer als nur auf Flüchtlinge reduziert, übersieht wesentliche andere Faktoren.
Wer bis heute behauptet, die AfD fische rechts die Stimmen ab, der hat gar nichts verstanden – so viele Stimmen rechts gibt es gar nicht. Richtig ist, die AfD holt sich dort ein paar Prozent – die allermeisten holt die neue rechtskonservative Partei aber aus der Mitte. Und sie erreicht etwas, was sich alle anderen immer wünschten, aber nie erreichten: Die AfD mobilisiert in hohem Maße frühere Nichtwähler. 2011 wählten nur 51,5 Prozent der Wähler in Mecklenburg-Vorpommern, aktuell sind es 61,7 Prozent. Doch niemand lobt die AfD dafür – warum nicht? Ist das etwa „undemokratisch“, Wähler zu mobilisieren?
Genau das ärgert viele in Deutschland, dass immer nur das „demokratisch“ sein soll, was die an der Macht als solches definieren. Wer die Demokratie ständig so beugt, der muss sich nicht wundern, wenn die Menschen dagegen aufbegehren.
Was auch nicht verstanden wird – alle Wahlen beziehen sich nicht mehr nur auf die Kommune, das Land oder den Bund. Alle Wahlen stehen im Kontext internationaler Entwicklungen. Um so mehr steigt das Bedürfnis, nationale Interessen nicht nur zu berücksichtigen, sondern ernst zu nehmen.
In zwei Wochen wird in Berlin gewählt
Man darf gespannt sein, ob und welche Lehren aus den Erfolgen der AfD bei den etablierten Parteien gezogen werden. Ein Fazit kann man ziehen, das beruhigt zwar nicht, verschafft aber etwas Luft. Bislang konnte die AfD fast immer deutlich gegenüber den Umfragen zulegen. Diesmal bleibt sie mit rund 21 Prozent über den Prognosen von 22 und 23 Prozent. Vielleicht ist das eine erste Phase der „Konsolidierung“. Aber eine 20+-Prozent-Partei kann man nicht mit einem „Schweriner Weg“ oder anderen Ausgrenzungsstrategien kalt stellen. Wer das versucht, begeht politischen Selbstmord.
In zwei Wochen wird in Berlin ein neuer Senat gewählt – raten Sie mal, welche Partei auch dort wieder Erfolge verbuchen können wird?
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