Heddesheim, 05. Mai 2011. (red) Bürgerbeteiligung ist in aller Munde – Stuttgart21, die Landtagswahl und vor Ort “Pfenning” haben das Wort publik gemacht. Doch was ist Bürgerbeteiligung genau mehr als Bürger darüber zu informieren als das, was Unternehmen oder die Politik für wichtig halten?
Von Hardy Prothmann
Bürgerbeteiligung ist, wenn Bürger sich beteiligen oder beteiligt werden – so einfach könnte die Definition sein. Doch so einfach ist das nicht.
Beispiel Stuttgart21, Beispiel “Pfenning” – “formal” wurden die Bürger frühzeitig beteiligt. “Formal” hatten sie damit keine Chance, sich zu organisieren und in vorgegebenen Fristen ihre Ablehnung gerichtsfest zum Ausruck zu bringen.
Auch in Rheinstetten, wo Edeka das neue Fleischwerk gebaut hat, fühlen sich “Gegner” durch formaljuristische Hürden ausgetrickst.
Der (frühere) Gesetzgeber (CDU/FDP) hat der “Bürgerbeteiligung” so hohe Hürden gesetzt, dass sie praktisch nur als Staffage wirken kann.
Neben der “gesetzlichen” Bürgerbeteiligung gibt es aber auch die Möglichkeit der “freiwilligen”. Wenn sich “Partner” darauf einigen, Bürgerinnen und Bürger tatsächlich beteiligen zu wollen, können sich alle Beteiligten selbst verpflichten, Entscheidungen zu folgen, selbst wenn sie das “juristisch” nicht müssten.
Egal ob “gesetzlich” oder “freiwillig” – die Frage zur Bürgerbeteiligung ist eher eine Haltungsfrage. Eine weltanschauliche Frage. Stellen sich gewählte Vertreter dem Willen der Bürger außerhalb von Wahlen? Akzeptieren Unternehmer, was Bürgerinnen und Bürger wollen oder nicht wollen?
Bürgerbeteiligung ist mehr, als einen Pflichttermin wahr zu nehmen. Von allen Seiten. Es muss der Wille von allen Seiten erkennbar sein, sich einzubringen, sich ernst zu nehmen und gemeinsam Standpunkte einzubringen. Das Idealziel ist eine einvernehmliche Lösung. Das beste Ziel ist eine von den meisten getragene Lösung. Das zu akzeptierende Ziel ist eine “formaljuristische Lösung”. Das Unziel ist, dass etwas entschieden wird, was auf den großen Widerstand einer der beteiligten “Parteien” trifft.
In Heddesheim haben das weder Bürgermeister Michael Kessler noch große Teile des Gemeinderats verstanden. Auch nicht “Pfenning” und vermutlich auch nicht “Edeka”.
Bürgerbeteiligung ist für sie eine “Pflichtveranstaltung”: “Wanns sei muss, mache mer des halt ah noch.”
Die kluge Entscheidung, für Projekte zu werben, transparente Informationen zu liefern, von sich aus das Für und Wider zu erläutern, offen zu sein, Anregungen und Probleme anzunehmen, einvernehmliche Lösungen anzustreben und mit einem Geben und Nehmen für Ausgleich zu sorgen, ist denen fremd, die immer noch dem alten Klienteldenken verhaftet sind. Im “schlimmsten Fall” gehört dazu nämlich auch die Einsicht, dass ein Projekt nicht machbar ist.
Dass das “kein schlimmer Fall” ist, sondern nur ein denkbarer, kommt Herrn Kessler und Konsorten nicht in den Sinn. Und obwohl Herr Kessler ein bedingungsloser Befürworter von alten Industrieansiedlungen ist, wie Logistikbetriebe das systematisch sind, ist er der schlechteste Partner, den sich diese Betriebe vorstellen können.
Denn er versucht nicht im Ansatz eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, für deren Wohl er mit verantwortlich ist. Er tut nur so, weil er gelernt hat, dass der Weg, “Ich bin die Gemeinde”, nicht gut angekommen ist.
Bemerkenswert ist, dass er bei der “Pfenning”-Ansiedlung sich noch als Teil der Präsentation gegeben hat und sich als “glücklicher Bürgermeister” zitieren ließ und nun abseits sitzt und “Probleme nicht verhehlen will”. Im Kern heißt der Lernfortschritt: “So hat’s ned geklappt, mach ischs halt annerschderrum.”
Übersetzen könnte man das auch mit: “Der is net vorne wie hinne.”
Zurück zur Bürgerbeteiligung und einen Idealbild. Ob “Pfenning” oder “Edeka” – beide Unternehmen dürfen selbstverständlich für ihre Ziele werben und diese verfolgen.
Und ein Bürgermeister Kessler und jeder Gemeinderat für sich dürfen natürlich ihre Positionen haben.
Wer die Bürgerinnen und Bürger aber ehrt und ernst nimmt, schenkt ihnen reinsten Wein ein und nimmt auch kritische Fragen vorweg. Zeigt damit, dass man sich der Probleme und der Sorgen annimmt und wiegelt nicht nur ab.
Zeigt, welche Probleme man lösen kann und will und welche nicht zur Disposition stehen. Die Bürgerinnen und Bürger, sofern ernsthaft beteiligt, sind dann in der Pflicht, zu einem Projekt zu stehen, wenn sie den Widerstand aufgeben oder einwilligen.
Das grundsätzliche Problem ist, dass diese Idealvorstellung souveräne, charakterstarke und demokratische Haltungen voraussetzt.