Mannheim/Rhein-Neckar, 04. Oktober 2018. (red/pro) An einer durch mehrere Institutionen und Personen initiierten Demonstration nahmen am Tag der Deutschen Einheit am 03. Oktober rund 6.000 Menschen aus Mannheim und Umgebung teil. Wir dokumentieren die schriftliche Rede des Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz (es galt das gesprochene Wort). Im Kern appelliert der Mannheimer OB an einen „Aufruf zur Achtsamkeit“ gegenüber demokratischen Grundwerten und dem Rechtsstaat. Ein respektvolles Miteinander werde in den Städten und Gemeinden vor Ort gestaltet.
Dokumentation der Rede des Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz, Mannheim.
„Liebe Mannheimerinnen, liebe Mannheimer,
liebe Freundinnen und Freunde unserer Stadt,
diese Demonstration, diese Kundgebung, dieses Bündnis macht mich als Mannheimer stolz.
Ein so unterschiedlicher, so breiter Kreis von Initiatoren und Unterstützern ist einmalig.
Das steht in einer guten Tradition unserer vielfältigen Stadt, die – wie kaum eine andere – von vielen Initiativen der Begegnung und der Verständigung geprägt ist.
Die Tradition des weltoffenen Mannheims lebt. Als Oberbürgermeister danke ich den Initiatoren und hierbei insbesondere Dekan Ralph Hartmann. Allen Unterstützerinnen und Unterstützern möchte ich danken, hier insbesondere den Gewerkschaften, die diese Veranstaltung mit ermöglicht haben.
Wir wollen Vorbild für das Zusammenleben sein. Dies ist eines der acht strategischen Ziele der Stadt.
Vorbild für das Zusammenleben. Auch dieser Tag erfüllt diesen Anspruch. Denn es geht gerade nicht um eine reflexhafte Reaktion auf andere Demonstrationen und Ereignisse. Er soll vielmehr alle sensibilisieren, die sich zu Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat bekennen, dass diese Werte durch unser Handeln bewahrt werden müssen.
Alle, die sich hier versammelt haben, sehen Gefahren für diese Werte, die Notwendigkeit sich um sie kümmern.
Wir sehen einen abschüssigen Weg, den wir nicht weiter gehen wollen, weil er nicht zu einem besseren, sondern zu einem schlechteren Land führt.
Das grenzt nicht aus, sondern lädt ein, nachzudenken, was Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat bedeuten und wie wir sie stärken und bewahren.
Nun sagen manche, Kirchen, Sport, Kulturvereine und Wirtschaft sollten sich nicht politisch positionieren.
Denen sage ich: wenn sich diese Institutionen nicht zu unserer Demokratie offensiv bekennen und sich engagieren, wiederholen wir historische Fehler. Und: Wer soll es sonst tun?
Mit dem 3. Oktober 1990 hat unser Land die Teilung, Unfreiheit in einem Teil des Landes überwunden und damit auch die Folgen des 8. Mai 1945 und des 30. Januar 1933. Es ist damit der richtige Tag für eine solche Kundgebung.
Tage des Gedenkens, Nationalfeiertage sind immer Tage, bei denen es – auch wenn sie sich auf Geschichte beziehen – um die Gegenwart und Zukunft geht. Ein Nationalfeiertag ist ein Tag, der das Selbstverständnis einer Nation beschreibt.
Und es ist ein Tag deutlich zu machen, dass die positiven Traditionen von Demokratie und Freiheit, die sich in unserer Region mit Schiller, mit Hambach, mit der Revolution 1848 und dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus verbinden, gepflegt und dargestellt werden müssen.
Dazu gehören auch die Symbole wie Fahne und Hymne, die wir nicht Feinden von Demokratie und Menschlichkeit überlassen dürfen.
Der Tag der deutschen Einheit ist ein Tag, an dem wir unser Verständnis von Einheit zum Ausdruck bringen wollen.
Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat sind Eckpfeiler, ohne die ein Zusammenhalt in einer Gesellschaft mit so verschiedenen Lebensentwürfen, Haltungen und Herkünften nicht zu erreichen ist.
Diese Demonstration setzt ein wichtiges Zeichen für diese Eckpfeiler, sie ist nicht das Bewahren dieser Eckpfeiler selbst. Sie ist ein Aufruf zur Achtsamkeit. Sie ist ein Aufruf, die Werte und Institutionen zu verteidigen.
Ich gehöre einer Generation an, die – trotz der intensiven Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit – aufgewachsen ist mit dem Gefühl, dass unsere Geschichte nur noch die Richtung zum Besseren kennt. Mit dem Gefühl, dass Errungenes nicht wieder verloren gehen kann.
Die Demokratie und die dafür unverzichtbaren demokratischen Institutionen haben viele von uns für geradezu unbegrenzt belastungsfähig gehalten.
Wir wussten natürlich, dass das nicht stimmt, nun spüren wir es auch.
Wir erleben – in nahezu der ganzen westlichen Welt – einen gezielten Angriff auf die Demokratie, wie wir sie kennen. Und so viel Wirkung hatte kein Angriff zuvor, weil diesen die Resonanz in der Bevölkerung fehlte.
Leute wie der ehemalige Chefberater von Donald Trump, Steve Bannon, bekennen sich dazu, die Institutionen aushöhlen zu wollen.
Das wird in den nächsten Monaten in Europa noch sichtbarer werden. Ihre Methoden sind schon jetzt präsent. Zerstörung von Vertrauen, Verunmöglichung einer Verständigung über Tatsachen, Verrohung der Sprache.
Was können wir tun? Wie können wir konkret einstehen für Menschlichkeit, Demokratie und Rechtsstaat?
Wir können dies jeden Tag, indem wir darauf achten, wie wir selbst sprechen und wie andere sprechen.
Nehmen wir diese Sprache nicht an! Gerade auch dann, wenn wir uns wehren!
Lassen wir die Verrohung der Sprache aber auch nicht unkommentiert. Sprechen wir es an. Im Netz wie im Gespräch, im Verein, auf Arbeit, Freundeskreis. Wir dürfen uns nicht weiter an die Verschiebung aller Maßstäbe gewöhnen.
Eine verrohte Sprache bereitet Gewalt vor, sie erzeugt Aggression, sie erschwert Zusammenleben, sie stößt darüber hinaus Menschen ab, sich überhaupt noch zu beteiligen.
Thematisieren wir Respektlosigkeit.!
Wenn wir für Menschlichkeit und Demokratie eintreten wollen, bedeutet das, sich gegen Respektlosigkeit zu wenden.
Keinen Respekt vor dem anderen zu haben, keinen Respekt zu zeigen, das verhindert Dialog, untergräbt das Vertrauen in Mitmenschen und bereitet Unmenschlichkeit den Weg.
Respektlosigkeit und Herabwürdigung richtet sich gegen viele, nicht nur gegen Geflüchtete, gegen Menschen anderen Glaubens, anderer Auffassungen, anderer Herkunft, gegen Politikerinnen und Politiker, gegen die Polizei, gegen Rettungsdienste, Helferinnen und Helfer, gegen Journalistinnen und Journalisten. Treten wir dem entgegen!
Es geht nicht nur um die Frage, was gesagt wird, sondern wie es gesagt wird. Sprechen wir es an, wenn pauschaliert wird, wenn z.B. die Angst vor Fremden befeuert wird.
„Die Anständigen sind nicht gemeint“ lautet eine häufig gehörte Antwort. Das ist kein Argument. Sie fühlen sich angesprochen, diskriminiert, ausgegrenzt und andere fühlen sich ermutigt, allen die nicht nord- oder mitteleuropäisch aussehen, mit Ablehnung zu begegnen. Das ist ein Teufelskreis.
2014 sagte die Gewinnerin des internationalen Mannheimer Journalistenpreises, Teresa Romero Cruz aus Bolivien, dass sie durch die Offenheit der Stadt schon nach wenigen Wochen Heimatgefühle für Mannheim entwickelt habe. Und so geht es vielen.
Ich will, dass das so bleibt, weil wir sonst alle Heimat verlieren.
Hören wir zudem auf, immer nur zu reagieren. Setzen wir eigene Themen, die Respekt und Zusammenhalt betonen. Mannheim bietet hier mehr gute Beispiele als es negative Nachrichten gibt. Machen wir das, was gelingt, ebenso zur Nachricht.
Verantwortung tragen ebenso all diejenigen, die Diskussionsforen zur Verfügung stellen. Wer einen solchen Raum eröffnet, muss dafür sorgen, dass die Grundwerte, für die wir heute hier stehen, auch dort ihre Gültigkeit haben und angesprochen werden.
Es geht aber nicht nur um unser Verhalten als Bürgerinnen und Bürger, als Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Unternehmen, auch der Staat selbst ist gefordert: Volksverhetzung, Drohung und Beleidigung sind das Gegenteil von Kavaliersedelikten. Sie müssen ernst genommen werden.
Der öffentliche Dienst ist zur Verteidigung der Menschenwürde und des demokratischen Rechtsstaats verpflichtet. Er ist in diesen Grundfragen der Verfassung nicht neutral. Das müssen wir klarer machen.
Wir stehen im Übrigen vor einer großen Bildungsanstrengung, weil wir etwas versäumt haben: Was Demokratie ausmacht, was den Rechtsstaat ausmacht und wie beide untrennbar zusammen gehören, wenn eine freie und menschliche Gesellschaft gelingen soll, das ist nicht Alltagswissen. Es sollte es aber sein.
Der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, hat vor wenigen Tagen einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel „Rechtsstaat unter Druck“. Er zitiert darin den Philosophen Richard Schröder mit den Worten „ das uneingeschränkte Mehrheitsprinzip wäre Tyrannei der Mehrheit.. Das Wort Demokratie ist erst aufgrund der Einschränkung des Mehrheitsprinzips durch Gewaltenteilung und…Grundrechte, also durch Machtkontrolle — geadelt worden“.
Andreas Voßkuhle warnt, dass die unauflösliche Verbindung von Rechtsstaat und Demokratie aus der Balance kommt.
Und Demokratie ist auch nicht einfach nur Mehrheitsentscheid und Begrenzung durch Machtkontrolle.
Der erste Präsident der Tschechoslowakei Tomas Massaryk, der die Bedrängung der Demokratie erlebte, formulierte es so: „Demokratie ist eine Lebenshaltung. Sie erfordert den Glauben an die Menschen und die Menschheit.“
Wer diesen Glauben zerstört, zerstört auch Demokratie!
Demokratie ist Diskussion. Und diese basiert auf der Fähigkeit und der Bereitschaft, sich über Tatsachen zu verständigen, sich mit Respekt und Vertrauen zu begegnen.
Dafür müssen wir vor Ort arbeiten. Die Zukunft unserer Demokratien, die Zukunft des Zusammenlebens – sie wird in den Städten entschieden.
Wir gestalten hier unsere Welt. Nichts ist dabei zwangsläufig.
Zygmunt Baumann hat es so formuliert:
„Wir haben die Wahl, ob sich unsere Städte in Orte des Schreckens verwandeln, an denen man jeden Fremden fürchten und argwöhnisch beobachten muss, oder ob in ihnen die Tradition der bürgerlichen Höflichkeit und der Solidarität (…) fortgeführt wird, die mit jeder bestandenen Prüfung stärker wird.“
Wir werden diese Prüfung bestehen und stärker werden.“