Rhein-Neckar, 04. Mai 2015. (red/ms) Stundenlange Recherchen münden in einer hintergründigen Analyse zu einem Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz – der Artikel interessiert, wird häufig kommentiert. Dann postet jemand ein Bild von Katzenbabys – und der Post geht durch die Decke: Millionen von Likes, Tausende Mal geteilt. Soo cute *_* … Woher kommt diese ungeheuerliche Begeisterung fürs Banale statt für bedeutende Inhalte?
Von Minh Schredle
Wir nehmen mal als erstes keinen “Catcontent”, sondern Eulen. Ein paar kleine süße superschnuckelige Eulenkinderchen werden gestreichelt. Sonst passiert genau nichts. Aktuell hat allein dieses Video über 16 Millionen Video-Abrufe. Sechzehn Millionen! Und das ist kein Einzelfall: Insbesondere Tierbabys erfreuen sich ungeheurer Beliebtheit. Je knuffiger und putziger, desto häufiger wird geliket und geteilt. Hauptsache: “Oh wie süß.”
Aber auch außerhalb der Tierwelt gibt es unzählige Beispiele für inhaltslose Posts mit astronomischen Aufrufzahlen. In jeder Altersgruppe und in jedem Milieu sind sie verbreitet und gefeiert: Die Begeisterung fürs Banale ist allgegenwärtig und ungebrochen. Damit ist sie eine der wenigen Konstanten in unserer Kultur der Kurzlebigkeit.
Catcontent ist ein Dauerbrenner – im Gegensatz zu etlichen anderen Themen, die zwar nach wie vor ungebrochen aktuell sind, aber offenbar schon zu ausgelutscht, um für eine umfassende Berichterstattung interessant genug zu sein.
Was ist eigentlich mit Fukushima? Und wie sieht es gerade in Libyen aus? Oder kleiner, aber für alle in einer Gemeinde bedeutsam: Wie entwickelt sich der Haushalt der Kommune? Wo wird wann was investiert?
Verfallsdatum: Wenige Tage
Wenn sich Geschehnisse mit Bedeutung für die Weltgeschichte ereignen, liest und hört man meistens drei Tage lang bei allen “großen” Medien das Gleiche leicht unterschiedlich angerichtet. Und weil alle alles berichten wollen, was alle andere berichten, wird jedes noch so unbedeutende Detail irgendwie verwurstet.
Das Resultat ist ein ungenießbarer Einheitsbrei, der gerade bei emotionalen Themen häufig eine Informationsbulimie verursacht: Die Medien servieren halbgare Neuigkeiten, die Kunden konsumieren sie trotzdem und bevor sie die Berichte richtig verdaut haben, kotzen sie sich aus: Zusammenhänge werden falsch verbunden und vorschnell werden Sündenböcke verurteilt – oft in einem Tonfall, der tatsächlich “zum Kotzen” ist.
Drei Tage später ist dann alles wieder vergessen. Verändert hat sich meistens nicht. Doch dann ist das Thema vom Tisch und wird auch nicht mehr angeboten, weil es keine Nachfrage mehr gibt. Da stellt sich die Frage: Wen trifft eigentlich die Schuld? Sind es die Medien, die ein unausgewogenes Menü anbieten oder die Kunden, die nur konsumieren wollen, was unbekannt und neuartig ist oder nach nach Ärger riecht und nach Skandalen schmeckt?
Tiere-Titten-Tote
Das TTT-Erfolgsrezept der Bild-Zeitung – Tiere, Titten und Tote – bewährt sich beispielsweise immer wieder: Die leichte Kost wird gierig verschlungen. Daher wird diese Formel immer wieder aufgewärmt. Das Ergebnis: Billiger Fastfood ohne Gehalt. Aber es verkauft sich.
Auch eine Weisheit des “Journalismus” – “Kinder gehen immer”. Aktuell das Royalbaby – doch was ist das gegen Charlie und seinen Bruder – 828 Millionen Aufrufe:
Um dagegen komplexe Sachverhalte zu verstehen, braucht es Konzentration und Zeit – beides ist Mangelware. In der Arbeitswelt ist der Durchschnittsdeutsche einer ständig zunehmenden Datenmenge ausgesetzt und im globalen wirtschaftlichen Wettbewerb müssen immer mehr Informationen immer zügiger verarbeitet werden.
Da ist es vollkommen verständlich, dass nach anstrengenden Arbeitstagen das Seichte und Anspruchslose den komplexen Analysen vorgezogen wird. Und wahrscheinlich ist gelegentlicher Urlaub fürs Gehirn sogar notwendig für die geistige Gesundheit. Nur sollte aus dem Urlaub kein Dauerzustand werden – wer verstehen will, muss sich auseinandersetzen.
Und wer nicht verstehen will, hat nichts verstanden.
Und wir erklären komplizierte Inhalte – beispielsweise politische Debatten. 😀
Anm. d. Red.: Ja – auch wir sind “schuldig” und posten zum Beispiel “Foodporn” – so nennt man Fotos von Essensgerichten. Warum? Weil es zu unserem Redaktionsalltag gehört – Chefredakteur Hardy Prothmann kocht fast täglich selbst für die Mannschaft und die Leser/innen diskutieren über zu viel Fleisch, ob es lecker aussieht oder nicht, was es sein könnte. Und es ist ein “Mittagspausenthema” – abschalten von der Arbeit.
Anm. d. Red.: Unsere Kolumne Montagsgedanken greift außerhalb des Terminkalenders Themen auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Gesellschaft oder Regionales oder Verkehr. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden…