Mannheim/Berlin, 03. August 2016. (red/pm/ms) Das Landgericht Berlin hat Reproduktionsfotographien gemeinfreier Gemälde für urheberrechtlich geschützt erklärt – damit folgte es in weiten Teilen einer Klage der Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, die sich gegen die Wikimedia Foundation Inc. und Wikimedia Deutschland richtet. Gegen das Urteil wurde beim Kammergericht Berlin Berufung eingelegt – es geht um einen “fundamentalen Rechtsstreit” in einem Spezialfall des Urheberrechts, der richtungsweisend für künftige Verfahren werden könnte.
Von Minh Schredle
Der Fall stellt sich wie folgt dar: Wie die Pressestelle der Reiss-Engelhorn-Museen (REM) auf Rückfrage gegenüber unserer Redaktion mitteilt, habe man gegen Honorarzahlungen einen Museumsfotographen dafür engagiert, insgesamt 17 Gemälde für eine Publikation möglichst originalgetreu und unverfälscht abzufotografieren.
Alle Gemälde stammen von Künstlern, die bereits seit mehr als 70 Jahren tot sind – somit ist der Urheberanspruch an den Werken selbst erloschen und die Gemälde gemeinfrei.
Gemeinfrei, aber nicht urheberrechtsfrei
Ein Wikipedia-Nutzer soll nun die Fotographien der Publikation eingescannt haben, woraufhin er sie auf Wikimedia Commons hochgeladen und Fotographien als “gemeinfrei” gekennzeichnet haben soll. In der Folge sei es zu zahlreichen nicht genehmigten, insbesondere auch gewerblichen Nachnutzungen der Fotografien gekommen. Das REM hat nach unseren Informationen mindestens 49 Abmahnverfahren eingeleitet.
Weiter gingen die Reiss-Engelhorn-Museen gegen die Wikimedia Foundation Inc. und den Wikimedia Deutschland – Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens e.V. vor. Mitte Juni hat das Landgericht Berlin der Klage der Museen in weiten Teilen recht gegeben, indem das Gericht zu dem Urteil kommt: Auch Fotographien von gemeinfreien Gemälden sind urheberrechtlich geschützt.
(Das Urteil finden Sie hier.)
In einer Mitteilung der Museen heißt es dazu:
Stellt ein Autor der Wikipedia solche Fotographien unerlaubt in die Mediendatenbank Wikimedia Commons, die mit der Wikipedia verknüpft ist, haftet die Wikimedia Foundation Inc. für diese Urheberrechtsverletzung als Störer.
Die Wikimedia Deutschland hingegen solle für die über Wikimedia Commons begangenen Urheberrechtsverletzungen nicht haften, weil sie nur den Link der Muttergesellschaft setze, ohne Einfluss auf den Inhalt zu haben.
Sympathie für Wikimedia – aber…
Mit der gemeinfreien Nutzung der Fotographien seien die Reiss-Engelhorn-Museen nicht einverstanden gewesen, da ihnen als Inhaber der Urheberrechte an den Fotographien ein Mitbestimmungsrecht über die kostenfreie beziehungsweise -pflichtige Nutzung, insbesondere bei kommerziellen Verwendungen, zustehe.
Daher hätten die Museen gegen die Wikimedia Foundation und ihre deutsche Sektion, Wikimedia Deutschland, Unterlassungsansprüche geltend gemacht. Die Wikimedia Foundation und Wikimedia Deutschland vertreten hingegen die Auffassung, dass die Bilder als 1:1-Reproduktionen gemeinfreier Gemälde nicht dem Lichtbildschutz unterfielen und daher nicht nur die Gemälde, sondern auch die Fotographien der Gemälde gemeinfrei seien.
Die Reiss-Engelhorn-Museen erklären dazu:
Das Gericht hatte in den Urteilsgründen hierzu ausgeführt, dass es jedem fotografischen Laien bekannt sei, dass eine farb- und kontrastgetreue, nicht verzerrte Wiedergabe eines Gemäldes in Katalogbildqualität bei zufällig vorgefundenen Beleuchtungsverhältnissen nicht einfach so nur durch spontanes Abknipsen erzielt werden kann.
Im Gegenteil erfordere es “erheblichen Aufwand, die Ausleuchtung, Ausrichtung und Belichtung des Motivs so zu justieren, dass ein möglichst naturgetreues, detailliertes Foto des Gemäldes mit Tiefen in Details, Farben und Schattierungen, aber ohne störende Spiegelungen und Verzerrungen entsteht”.
Es geht um “Ob” und vor allem “Wie”
Auch unter dem Gesichtspunkt der Informationsfreiheit könne man zu keiner anderen Beurteilung kommen, so das Gericht, denn diese beinhalte nicht, dass sich jeder kostenfrei, tatsächlich also auf Kosten Dritter, das Foto eines Gemäldes beschaffen kann.
Prof. Dr. Alfried Wieczorek, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen, erklärte, man begrüße die Entscheidung des Gerichts. Es gehe “keineswegs darum, Wikipedia Schaden zuzufügen”. Im Gegenteil:
Wir haben große Sympathie für das Projekt Wikipedia und teilen uns mit Wikipedia die Aufgabe der Weitervermittlung von Wissen. In diesem Fall stellt sich für uns aber die Frage, wer die Entscheidung über das Ob und vor allem das Wie der öffentlichen Zugänglichmachung unserer Bestände haben soll.
Auch wenn man die freie öffentliche Zugänglichmachung der Kulturgüter über die Wikipedia befürworte, sei es für die Museen schwer nachzuvollziehen, dass ein einzelner Autor der Wikipedia für sich beanspruche, alleine darüber zu entscheiden, die mit öffentlichen Mitteln aufwendig erstellten Arbeitsergebnisse über Wikipedia weltweit jedermann zur freien und damit auch zur gewerblichen, beziehungsweise kommerziellen Nutzung zur Verfügung zu stellen.
Das Urteil des Berliner Landgerichts könnte möglicherweise einen Präzedenzfall für viele vergleichbare Situationen geschaffen haben – es bleibt abzuwarten, ob eine Klagewelle folgt.
Die Wikimedia hatte angekündigt, das Urteil anzufechten, da das Abfotographieren der Gemälde “auf möglichst geringe Abweichungen vom Original” abziele und “daher gerade kein Spielraum für irgendeine Individualität” bleibe, “die einen urheberrechtlichen Werkschutz rechtfertigen könnte”:
Wir sind davon überzeugt, dass das Gericht eine falsche Entscheidung gefällt und nicht berücksichtigt hat, welch langfristigen Schaden dieses Urteil für den Zugang zu gemeinfreien Werken darstellt, insbesondere in einer Welt, in der Menschen ihre Kultur zunehmend digital entdecken und erleben.
Der Rechtsstreit wurde beim Landgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 15 O 428/15 geführt. Inzwischen ist gegen das Urteil Berufung eingelegt worden beim Kammergericht mit Aktenzeichen 24 U 125/16, wie uns das Kammergericht Berlin auf Nachfrage mitteilte.
Das Urteil ist also nicht rechtskräftig. Da es eine dreimonatige Begründungsfrist für die beklagte Partei gibt und dann nochmals die klagende Partei um Stellungnahme gebeten wird, ist erst im Spätherbst mit der neuerlichen gerichtlichen Behandlung zu rechnen.
Wie haben nach einem der betroffenen Lichtbilder gesucht und es weiterhin verfügbar bei Wikimedia gefunden. Aus Sicht der Redaktion ist das eine unnötige Provokation.
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