Mannheim/Rhein-Neckar, 03. Dezember 2014. (red/ms) Oft muss man nur eine Sekunde unachtsam sein – und schon ist es zu spät. Erfahrene Taschendiebe haben ihre Vorgehensweisen routiniert und sich Tricks ausgedacht, die schwierig zu durchschauen und mindestens ebenso schwierig zurückverfolgbar sind. Aber wer sie kennt, wird nicht so leicht darauf hereinfallen. Deswegen geht die Polizei zur Präventionsarbeit auf die Straße und klärt potenzielle Opfer über die möglichen Maschen von Dieben und Betrügern auf.
Von Minh Schredle
Ein prall gefüllter Rücksack. An der äußersten Tasche zeichnet sich deutlich ein Umriss ab. Das geschulte Auge erahnt etwas Wertvolles. Vermutlich einen Geldbeutel.
Für einen geschickten Taschendieb wäre das ein gefundenes Fressen,
sagt Bernd Dannwolf. Er spricht die Rucksackträgerin an. Diese ist erst ein bisschen nervös, runzelt die Stirn und weiß offenbar nicht so recht, wie sie mit der Situation umgehen soll. Bald bemerkt sie aber, dass ihr hier niemand etwas Böses will. Im Gegenteil: Herr Dannwolf und seine Kollegin Frau Noll wollen ihr Ratschläge geben, wie sie sich gegen Taschendiebe schützen kann – und das nimmt sie dankend an.
Bernd Dannwolf hat 33 Jahre im Schichtdienst gearbeitet. Seit Mai ist er der Hauptzuständige für Präventionsarbeit auf dem Polizeirevier Innenstand in H4 und seit etwa drei Wochen geht Herr Dannwolf auf die Straße, um Leute über die Tricks und Maschen von Taschendieben aufzuklären. Denn hier hat es eine auffällige Häufung gegeben.
Dabei ist er immer in Begleitung. „Es kommt immer ein Kollege mit, wer gerade Zeit und Lust hat“, sagt er. Vor kurzem wären sie zu sechst unterwegs gewesen und hätten die Weihnachtsmärkte „abgeklappert“:
Überall dort, wo Situationen unübersichtlich sind und viele Menschen unterwegs sind, schlagen Taschendiebe besonders häufig zu.
Andere Brennpunkte seien beispielsweise Bahnhöfe oder Geschäfte.
Jedes Revier mit Präventionsexpertem
Laut Herrn Dannwolf sei es in Heidelberg schon seit Jahren üblich, auf jedem Revier einen Spezialisten für Präventionsarbeit zu haben. Im Zuge der Polizeireform habe man das auf Mannheim übertragen. Und die Maßnahme ist wirksam:
Erst seit drei Wochen gehen wir auf die Straße, um die Leute anzusprechen – aber man merkt schon deutliche Effkte. Die Leute werden wachsamer.
Pro Tag habe es davor durchschnittlich etwa sechs bis zehn Anzeigen wegen Diebstahls gegeben. Inzwischen sei diese Zahl gesunken. Man liege nun zwischen null und drei Anzeigen am Tag. Allerdings betont Herr Dannwolf noch im selben Atemzug, dass lange nicht alle Verbrechen, die in der Innenstadt ausgeübt werden, auch in der Innenstadt angezeigt werden:
Gerade bei Taschendiebstählen bemerken die Opfer nicht immer sofort, dass sie bestohlen worden sind. Häufig geschieht das erst Stunden später, etwa wenn sie wieder zuhause sind. Dann zeigen sie die Straftat bei dem Revier in ihrer Nähe an.
Außerdem ist die Zeitspanne viel zu kurz, um schon jetzt fundierte Aussagen treffen zu können. Wie effektiv die Präventionsarbeit wirklich ist, wird sich erst anhand der Polizeistatistiken für die kommenden Jahre beweisen lassen.
Kleines Gebiet – viele Aufgaben
Die H4-Wache steht immer mal wieder im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Mit etwa 100 Beamten gehört es zu den größten Revieren Mannheims – doch der Zuständigkeitsbereich ist verhältnismäßig klein. „Wir kümmern uns um den Jungbusch und die Quadrate, mit Ausnahme der Quadrate L, M und N“, sagt der Revierleiter, Polizeioberrat Joachim Scholl. Das sind etwa 4,5 Quadratkilometer.
Aufgrund verschiedener Ereignisse in der Vergangenheit, wird oft behauptet, die Wache habe nicht den besten Ruf. Davon ist auf den Straßen nichts zu merken. Die angesprochenen Personen sind dankbar für die Hinweise: „Heute haben wir Glück“, sagt Herr Dannwolf:
Es gibt auch Leute, die haben einfach ein schlechtes Bild von der Polizei. Da ist es schwierig, einen Zugang zu finden. Außerdem sind manche Menschen einfach beratungsresistent und lassen nicht mit sich reden.
Die mit dem großen I über dem Kopf
Unter allen Personen, die auf dem etwa halbstündigen Rundgang angesprochen wurden, war heute keine einzige dabei, die das negativ aufnahm. Ganz im Gegenteil. Vielleicht liegt das an dem freundlichen Umgang von Herrn Dannwolf – vielleicht auch an seiner ausgesprochen hübschen Kollegin, die ihn heute begleitet: Polizeiobermeisterin Noll arbeitet seit eineinhalb Jahren im Revier Innenstadt und hat eine sehr natürliche, zuvorkommende Ausstrahlung. Da passiert es schon, dass Passanten vorbeilaufen und freundlich von sich aus grüßen. Davor war sie bei der Bereitschaftspolizei in Bruchsal.
Dabei war es noch vor Wochen schwieriger – nach dem Tötungsdelikt direkt vor der H4-Wache, sei die Stimmung auf den Straßen noch grundlegend anders gewesen, erklärt die junge Polizistin:
Ungefähr einen Monat lang haben wir viel Feindseligkeit gespürt und immer wieder wurden uns schlimme Vorwürfe gemacht. Inzwischen hat sich das zum Glück beruhigt.
Von „Feindseligkeit“ kann tatsächlich keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Die Leute kommen auf die beiden Beamten zu und stellen ihnen Fragen: „Darf ich hier parken“ oder „Wo kann ich hier Zigaretten kaufen“. Frau Noll lacht und sagt:
Als hätten wir ein großes I über dem Kopf – wir sind so etwas wie ein mobiles Informationszentrum. Wenn wir Auskunft geben können, machen wir das gerne.
Doch im Vordergrund steht bei den Rundgängen natürlich die Präventionsarbeit. „Wir bemühen uns, vor allem diejenigen anzusprechen, die als Opfer in Frage kommen“, sagt Herr Dannwolf. Das sei potenziell zwar jeder – aber vor allem Frauen mit Handtaschen und Senioren.
„Nichts, was man nicht erlebt“
Diese bekommen einen Flyer und in einem kurzen Gespräch erleutern, was sie besser machen könnten. Etwa ihre Handtasche zu schließen und körpernah zu tragen. Oder Wertsachen nicht einfach erkennbar in den äußersten Taschen ihrer Rucksäcke zu tragen. Herr Dannwolf sagt über sein Vorgehen:
Manchmal mache ich mir einen Spaß daraus, potenziellen Opfern den Flyer schon in die Tasche zu stecken, bevor ich sie anspreche: „Schaun Sie mal in Ihre Tasche“, die gucken dann verdutzt und ich erkläre, dass man nicht nur einfach was reinlegen, sondern auch rausnehmen kann.
Dann sehen wir, wie eine älterere Frau, etwa um die 60 Jahre alt, eine Tasche unbeaufsichtigt lässt, während sie nach Kleidung schaut.
Herr Dannwolf freut sich: „Ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte“, sagt er mir. Seine Kollegin spricht die Frau an. Die entgegnet:
Mich bestehlen? Das soll sich erst mal jemand trauen. Dann sind die Eier aber ab. Ich kann Kampsport.
Ich bin sehr verblüfft und ein bisschen belustigt über die Oma, die etwa 150 Zentimeter groß ist. Die beiden Beamten scheint das dagegen kaum noch zu beeindrucken:
Wenn man viel auf den Straßen unterwegs ist und mit den unterschiedlichsten Leuten redet, gibt es nichts, was man nicht erlebt.
Trotz Kampfkunstkenntnissen solle man nicht unnötig leichtsinnig sein, macht Herr Dannwolf klar, als wir auch auf das Thema Zivilcourage zu sprechen kommen – der tragische Todesfall Tugce A. ist natürlich auch bei Mannheimer Polizisten Thema. Viele Konflikte könnten vermieden werden. Dazu gebe es viele einfach umzusetzende Methoden – auch hier bietet die Polizei Präventionsprogramme an. (Hier ein Bericht von uns dazu.)
Risiken reduzieren
Neben den Flyern, die auf den Straßen verteilt werden oder in den Revieren erhältlich sind, stellt die Polizei die wichtigsten Informationen online bereit. Auf der Internetseite der Bundespolizei findet man auch ein Video, in dem anhand nach gestellter Szenen die gängigsten Vorgehensweisen von Taschendieben aufgezeigt werden und, wie man sich dagegen schützen kann:
Taschendiebe gehen oft im Team vor. Einer lenkt ab, der andere beklaut das Opfer. Deswegen ist es wichtig, seine Wertgegenstände immer möglichst eng am Körper zu tragen und Taschen nie unbeaufsichigt zu lassen.
Es ist unmöglich, das Risiko durch Taschendiebe komplett aus der Welt zu schaffen. Erfahrene Diebe haben ihre Methoden routiniert und brauchen kaum mehr als ein wenige Sekunden. Und niemand kann in jeder Situation mit voller Aufmerksamkeit den Überblick über alles behalten. Aber das Risiko lässt sich reduzieren und das sollte auch getan werden – denn die Versicherung zahlt nichts, wenn man Opfer eines Taschendiebstahls wird.
Wichtig ist: Nicht jeder, der um Hilfe bittet oder jemandem etwas anbietet, ist automatisch ein Betrüger. Die meisten Menschen sind ehrlich und man sollte nicht zu skeptisch und misstrauisch sein. Aber im Zweifelsfall gilt es, wachsam zu bleiben und ein Auge auf seine Wertgegenstände zu behalten.
Zur Beratung und auch Einbruchsprävention können sich Bürger an jede Polizeidienststelle wenden und werden an die zuständigen Beamten weitervermittelt.