Ladenburg/Rhein-Neckar, 03. Dezember 2014. (red/ld) Die Landesregierung strebt an, die Inklusion von Kindern mit Behinderungen an Schulen voranzutreiben. Dafür ist für das kommende Jahr eine Änderung des Schulgesetzes vorgesehen, die bereits im nächsten Schuljahr greifen soll. Sonderschulpädagogen stehen diesen Plänen kritisch gegenüber. Ebenso Eltern von Kindern mit Behinderung. Am Dienstag kamen diese mit dem Landtagsabgeordneten Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) zu einer Diskussionsrunde im Ladenburger Domhof zusammen. Dazu hatte der Ladenburger Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen eingeladen.

Welche Aufgaben kommen durch Inklusion auf Eltern, Lehrer, Schulen und Kommunen zu? Viele Dinge müssen beachtet werden. Am Ende geht es um das Wohl des einzelnen Kindes.
Von Lydia Dartsch
„Mir fehlt dieses gewaltige „Ja!“ zu Inklusion an der Schule“, sagte eine Besucherin der Diskussionsrunde am Dienstagabend im Domhof in Ladenburg. Und tatsächlich zeigten sich die 30 Besucher, unter denen vor allem Sonderschulpädagogen, Lehrer und Eltern behinderter Kinder waren, skeptisch gegenüber den Plänen der Landesregierung.
Ab dem nächsten Schuljahr sollen Eltern von Kindern mit Behinderung frei wählen können, ob ihre Kinder in einer Sonderschule unterrichtet werden oder ob sie eine allgemeine Schule besuchen sollen. Die Pflicht zum Besuch einer Sonderschule wird damit aufgehoben. Diese soll in der Pflicht zum Besuch einer Grundschule und einer weiterführenden Schule aufgehen. Gleichzeitig sollen sich Sonderschulen auch für Kinder ohne Behinderung öffnen und sich weiterentwickeln zu Dienstleistern, die die betroffenen Schulen beraten und dabei unterstützen, Inklusion umzusetzen.
Mehr Schüler/innen im Schulversuch als gedacht
„Wie das laufen wird, weiß niemand“, sagte Uli Sckerl dazu am Dienstagabend. Es sei ein offener Prozess. Allerdings seien die Schulen im Schulamtsbezirk Mannheim besonders gut auf die Gesetzesänderung eingestellt, die im Schulversuch „Bildung junger Menschen mit Behinderung“ seit dem Schuljahr 2010/11 in den Bezirken Mannheim, Stuttgart, Freiburg, Konstanz und Biberach erprobt wird. In Mannheim gebe es derzeit an 44 Schulen inklusiven Unterricht. In Heidelberg an zehn und vier im Rhein-Neckar-Kreis.

Uli Sckerl: „Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
3.300 Schüler/innen in Baden-Württemberg nehmen teil, sagte Herr Sckerl: „Das sind deutlich mehr als wir am Anfang gedacht hatten.“ Rund ein Viertel der betroffenen Kinder. In dieser Zahl sind auch die Schüler/innen eingerechnet, die in sogenannten „Außenklassen“ an allgemeinen Schulen unterrichtet werden. Die anderen werden „zieldifferent“ und „gruppenbezogen“ unterrichtet – also mit einem anderen Bildungsziel als die Schüler ohne Behinderung und in einer Gruppe, wo sie von einem Sonderschullehrer zusätzlich betreut werden. Dadurch sollen die Kinder Kontakte zueinander bekommen.
Doch was nach einem Schritt in Richtung gesellschaftlicher Inklusion und Teilhabe aussieht, bereitet manchen Eltern Bauchschmerzen: “
Mich stört an dieser Diskussion, dass körperbehinderte Kinder auf Rollstühle reduziert werden.
sagte Dr. Stefan Stötzel, Elternbeiratsvorsitzender der Martinsschule und Vorsitzender des Arbeitskreises Sonderschulen Rhein-Neckar e.V. Auch verhaltensauffällige Kinder oder Kinder mit einer geistigen Behinderung würden bei der Diskussion vergessen.
Je nach Behinderung bräuchten die Kinder unterschiedliche Angebote: Manche bräuchten medizinische Hilfe. Also einen Krankenpfleger oder eine Krankenpflegerin, die einem dystonischen Kind beispielsweise Schmerzmittel verabreichen dürfen. Andere Kinder benötigen Angebote zur Bewegungsförderung. Auch dazu benötige man Fachkräfte, die schon jetzt selten seien, sagte Dr. Stötzel. Eine Lehrerin der Ladenburger Astrid-Lindgren-Schule berichtete von einer Schülerin, für die eigens ein Wickelraum geschaffen worden war: „Sie kommt jeden Morgen mit ihrem Rollstuhl in die Klasse und strahlt wie die Sonne“, sagte sie.

Arnulf Amberg: „Sonderschulen und inklusive Beschulung sind als gleichwertig zu sehen.“
Die Kosten für solche Umbauten könne das Land nicht tragen, sagte Herr Sckerl. Die Ressourcen seien derzeit gebunden durch den bereits bestehenden Sonderbedarf für Inklusion sowie für die Vorbereitungsklassen für Flüchtlingskinder, sagte er.
Inklusion sei außerdem eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um die Kommunen mit der Aufgabe nicht allein zu lassen, suche man derzeit nach Finanzierungsmöglichkeiten, um einen Fonds dafür einrichten, ähnlich dem Sonderprogramm zur Unterbringung von Flüchtlingen. Ein Sparmodell dürfe das Projekt aber nicht werden.
„Man muss aufpassen, dass Sonderschulen nicht zu Restschulen verkommen“, sagte Dr. Stefan Stötzel bei der Diskussion. Es bestehe die Gefahr, dass dann nur noch die Kinder in Sonderschulen gingen, die nicht inkludiert werden können. Arnulf Amberg, Rektor der Maria Montessori-Schule antwortete auf diese Befürchtung: „Beide Schulformen sind gleichwertig zu sehen. Wir machen ein qualitativ hochwertiges Angebot.“
„Man muss behutsam vorgehen“
Die Sonderschulen zu schließen habe man nie vorgehabt, sagte Uli Sckerl. Es gebe auch keinen Grund anzunehmen, dass diese zu „Restschulen“ verkommen. Stattdessen sollen Sonderschulen die gleichen Deputate erhalten, wie bisher. Als Eckpunkt der Gesetzesänderung ist vorgesehen, dass Sonderschullehrer/innen, die mehr als die Hälfte ihres Deputats an der allgemeinen Schule leisten, sollen dorthin versetzt werden. Zudem sollen sich die Sonderschulen auch für Kinder ohne Behinderung öffnen.
Wie genau alles funktionieren wird, wer die Reform am Ende bezahlt und ob der Klassenteiler für die Inklusion an Schulen gesenkt wird und ob nur Kinder mit ähnlicher Behinderung in eine Lerngruppe kommen, sind nur einige der Fragen, die gestellt wurden. Zudem ist die Wunschliste lang. Eines stellte Uli Sckerl aber klar:
Den Idealzustand, dass jedes Kind mit Behinderung auf die gewünschte Schule gehen kann, werden wir nicht erreichen.
Man müsse behutsam vorgehen und dem Vorhaben viel Zeit geben, sagte er. Ein Jahrzehnt werde es schon dauern. Herr Sckerl bot den Besucher/innen an, im kommenden Jahr eine weitere Diskussionsrunde zu dem Thema zu veranstalten, wenn die finanziellen Endverhandlungen im Januar abgeschlossen seien. Die Vorschläge in dieser Runde könnten dann in die Gesetzesänderung einfließen.
Hinweis der Redaktion: Am Nachmittag startete die landesweite Inklusionskampagne „DUICHWIR Alle inklusive“ der Landesregierung mit einer Auftaktveranstaltung auf dem Weihnachtsmarkt am Wasserturm in Mannheim. Für die auf ein Jahr angelegte Kampagne sind Kosten in Höhe von einer Million Euro geplant. Laut der Pressemeldung des Sozialministeriums ist das Ziel, „den Inklusionsgedanken in die Städte, Gemeinden und Nachbarschaften tragen“ und die Aufmerksamkeit der Bürger/innen auf das Thema lenken. Dazu sind landesweite Aktionen und Veranstaltungen geplant, die Neugier auf Inklusion wecken sollen und anhand von Beispielen zeigen sollen, wie Teilhabe und Gemeinschaft möglich sind. Die Menschen sollen zudem ermuntert werden, Inklusion selbst mitzugestalten.