Karlsruhe, 03. März 2016. (red/ms) Im Verbotsverfahren gegen die NPD muss das Bundesverfassungsgericht Klarheit finden, unter welchen Umständen eine Partei verboten werden kann. Dabei spielt auch eine Rolle, welche konkrete Bedrohung von der NPD für die freiheitlich demokratische Grundordnung ausgeht. Extremismusforscher sind sich einig, dass Forderungen und Weltsicht der NPD rassistisch, menschenverachtend und verfassungsfeindlich sind. Die Gefahr, die von den Rechtsradikalen ausgeht, wird dagegen sehr unterschiedlich eingeschätzt – vom „unbedeutenden Zwerg“ bis zur „Terrorspirale durch Staatsverbrechen“.
Von Minh Schredle
Es ist ein Bruch im Verfahren: Rechtsanwalt Christoph Möllers wirkt verunsichert. Nervös. Als einer von drei Anwälten vertritt er den Bundesrat im Verbotsverfahren gegen die NPD. Am Vormittag schien es dabei noch sehr gut für den Antragsteller zu laufen – doch gerade wurde der Extremismusexperte Prof. Dr. Eckhardt Jesse als Sachkundiger um seine Einschätzung gebeten. Und Herr Jesse sagt über die NPD:
Die Partei ist ein Zwerg und spielt politisch nicht die geringste Rolle.
Das passt nun überhaupt nicht in die Argumentation des Bundesrats, die bislang stark darauf bedacht war, die NPD als so bedrohlich wie nur möglich zu charakterisieren. Herr Möllers geht schließlich so weit, die wissenschaftliche Methodik von Herrn Jesse anzuzweifeln – und handelt sich dafür einen Tadel seitens des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ein, schließlich handelt es sich bei Herrn Jesse um einen der renommiertesten Extremismusforscher Deutschlands – mal abgesehen davon, dass seine Studien höchst umstritten sind.
„Geächtet und isoliert“
Laut Herrn Jesse finde die NPD „kaum Anklang in der Bevölkerung“, sie sei „geächtet und isoliert“ und damit „keine ernstzunehmende Bedrohung für die Demokratie“. Ein Verbot aufgrund der Inhalte, die die NPD verbreitet, sei aus seiner Sicht „möglich, aber nicht nötig“. Er selbst sehe sich als großen Verfechter der „streitbaren Demokratie“ und finde daher, die NPD „verdiene“ es „weiter vor sich hin zu vegetieren“, denn es gebe „keine konkrete Gefahr“.
Ziele und Ideologie der NPD wären zweifellos rassistisch, menschenverachtend und verfassungsfeindlich. Doch die Partei habe nicht einmal aus der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise politischen Profit schlagen können und die Kampagnenfähigkeit habe in der jungen Vergangenheit tendenziell sogar abgenommen. Etwas flapsig fasste Herr Jesse seine Einschätzung zur Bedrohung für die Demokratie durch die NPD zusammen:
Sie wollen, aber sie können nicht.
Zur Strategie der Partei gehöre es laut Herrn Jesse, den Eindruck von Dominanz zu erwecken. Dem dürfe man aber nicht auf den Leim gehen. Tatsächlich sei die Partei völlig unbedeutend und mache sich größer, als sie eigentlich sei.
Die NPD hat aktuell etwa 5.200 Parteimitglieder, fünf Landtagsabgeordnete und 360 Mandate auf kommunaler Ebene. Zunächst klingt das, als habe die NPD auf regionaler Ebene einigen Einfluss. Wie das Bundesverfassungsgericht allerdings mitteilt, gibt es insgesamt etwa 230.000 kommunale Mandate in Deutschland. Das sind 0,16 Prozent der Mandate für die NPD. Also ist auch hier der unmittelbare Einfluss der NPD auf die Politik insgesamt verschwindend gering.
„Keine flächendeckende Gefahr“
Damit liegt der Anschein nahe, dass die konkrete Bedrohung für eine Zerstörung des Verfassungsstaats sehr überschaubar ist. Diese Ansicht teilt auch der Politikwissenschaftler Dierk Borstel. Ihm zufolge habe die NPD zwar im östlichen Teil Deutschlands einige dörfliche Hochburgen aufgebaut. Allerdings fehle der Partei die Stärke diese „national befreiten Zonen“ wie in Jamel flächendeckend auf die ganze Republik auszuweiten.
Herr Borstel übt massive Kritik am Verbotsverfahren: Den Aufwand von Zeit und Geld hätte man besser dazu aufwenden können, Direktmaßnahmen vor Ort umzusetzen – nicht nur gegen die NPD, sondern gegen Rechtsextremismus im Allgemeinen. Herr Borstel erklärt ebenfalls, dass es teils große Schnittmengen und personelle Verflechtung zwischen der NPD und rechtsradikalen Kameradschaften gebe. Dieses Problem lasse sich aber nicht durch ein Parteiverbot beheben, dadurch verschwinde der Extremismus nicht.
Staatsfinanzierter Rechtsextremismus – Klima der Angst
Die eigentliche Gefahr, da sind sich die Experten vom BVerfG einig, gehen nicht von einer politischen NPD im Parlament oder Gemeinderäten aus – sondern vielmehr von einem rechtsradikalen Untergrund mit engen personellen Verstrickungen mit der NPD und teils noch rechteren und radikaleren Parteien (etwa „Der dritte Weg“ oder „Die Rechte“). Diese Strukturen würden mit einer legalen NPD durch Parteienfinanzierung durch Staatsgelder finanziert werden, bringen die Rechtsanwälte des Bundesrats in ihrem Verbotsantrag vor.
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Diese Darstellung bestätigt die Journalistin Andrea Röpke, deren Rechercheschwerpunkt im rechtsradikalen Milieu liegt. Vor dem Bundesverfassungsgericht schildert sie schockierende Szenen. Der Rechtsextremismus sei viel weiter verbreitet als gemeinhin angenommen. Dabei gebe es unter anderem militante Gruppen im Einsatz der NPD wie die „arische Bruderschaft“.
Gerade im Osten komme es laut Frau Röpke regelmäßig zu gewaltsamen Übergriffen auf Journalisten – viele würden sich deswegen gar nicht mehr trauen, von vor Ort zu berichten. In ganzen Landstrichen herrsche ein Klima der Angst, hervorgerufen durch Einschüchterungen und Drohungen. Es sei auch „kein Zufall, dass die meisten Asylbewerberheime in der Nähe von NPD-Hochburgen brennen“ würden.
Verschleierungstaktik der „parlamentarischen Spitze der Rechtsradikalen“
Die NPD sei eine „starke Bastion im Rechtsextremismus“ und habe sich über Jahrzehnte professionalisiert. Davon würden auch andere radikale Organisationen profitieren, denen die NPD noch zu „gemäßigt“ erscheine. Insgesamt gebe es zwar „keine einheitliche nationalistische Bewegung“, die NPD sei allerdings eindeutig die „parlamentarische Spitze“ der Rechtsradikalen.
Die NPD habe gelernt, das Parteibuch nicht mehr vor sich hinzutragen, sondern verschleiert vorzugehen. Dadurch seien radikale Standpunkte zunehmend in die politische Mitte gerückt – so sei der Kampfbegriff „Lügenpresse“ einmal exklusiv Nazi-Sprache gewesen. Die Mitgliederzahl der Partei selbst sei dabei nicht das entscheidende Kriterium, sondern die zunehmende Reichweite für ihre menschenverachtenden Forderungen.
„Zart Besaitete könnten sich fürchten“
NPD-Anwalt Peter Richter war anschließend um Relativierung bemüht – das wirkte wenig überzeugend. Er bezeichnete Frau Röpke als „Antifa-Journalistin“, die man nicht zu ernst nehmen solle, da sie Sachverhalte „völlig verfremdet und entartet“ darstelle. Auf viele dramatische Vorwürfe – etwa die ausgeprägten personellen Verflechtungen zwischen radikalen Vereinen und der NPD – ging Herr Richter nicht weiter ein. Stattdessen sagte er über die Angst vor dem Rechtsextremismus:
Es kann ja schon sein, dass irgendwelche Menschen Angst haben. Aber wir müssen prüfen, ob diese Angst auch gerechtfertigt ist. Man könnte ja auch ein paar zart Besaitete aussuchen, die auch Angst vor Gespenstern haben.
Vor dem Hintergrund all der Opfer rechtsextremer Straftagen wirkt diese Aussage zynisch und menschenverachtend. Zur Reichweite der NPD äußerte sich Herr Richter nicht.
Spiel mit Presse und Protestbewegungen
Holger Apfel, ehemaliger Bundesvorsitzender der NPD und inzwischen nicht mehr Parteimitglied, sagte am dritten Verhandlungstag in Karlsruhe, er teile die Einschätzung von Herrn Jesse. Die NPD sei ein „Popanz, der nicht ernst zu nehmen ist“. Strategie sei es immer gewesen, „mit geringem Aufwand größtmögliche Publizität“ herzustellen:
Das ist ein bewusstes Spiel mit Presse und Protestbewegungen. Die NPD bricht bewusst Tabus, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Die NPD bestehe nicht ausschließlich aus Nazis. Allerdings bewegten sich „große Teile der Partei noch in der Gedankenwelt des Dritten Reichs“. Er habe sich damals als Parteivorsitzender bemüht, die NPD zu modernisieren. Heute nennt Herr Apfel das „naives Wunschdenken“. Daran werde auch der neue Bundesvorsitzende Frank Franz scheitern.
Bedrohung durch die NPD unklar
Wie groß nun die konkrete Gefahr durch die NPD ist, bleibt auch nach den Anhörungen vor dem BVerfG unklar. Sämtliche Experten, die zu Wort gekommen sind, sind sich allerdings darin einig, dass die Ideologie der Partei menschenverachtend, rassistisch, anti-demokratisch und damit verfassungsfeindlich ist.
Ob das nun für ein Verbot reicht, bleibt abzuwarten. Eine verfassungsfeindliche Einstellung allein reicht dafür nicht aus. Wesentlich muss eine aktiv-kämpferische und aggressive Haltung nachgewiesen werden.
Ob die „Bemühungen“ der NPD dafür ausreichen, wird sich mit dem Urteil der Verfassungsrichter entscheiden. Aktuell scheint viel dafür zu sprechen.
Eigentlich können wir uns einen Reporter drei Tage vor Ort nicht leisten…
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