Ladendburg/Rhein-Neckar, 02. August 2013. (red) Der Rhein-Neckar-Kreis bringt seit Mittwoch dieser Woche bis Ende des Jahres bis zu 160 Asylbewerber in der alten Martinsschule unter. Bei einem Pressetermin am Freitag wurde von „Zwängen“ gesprochen, einer Notlage, einer Überrumpelungsaktion, einer Aktion ohne Alternative. Landrat Stefan Dallinger sprach von einer verbindlichen Übergangslösung, Bürgermeister Rainer Ziegler sagte die solidarische Unterstützung der Stadt zu.
Von Hardy Prothmann
71 Asylbewerber, davon 28 Kinder und Jugendliche, sind bereits in der alten Martinsschule eingezogen. Mitarbeiter des Kreises bereiten in großer Eile weitere Räume vor. Feldbetten werden aufgestellt, Herde und Waschmaschinen installiert, Sanitär-Container sind aufgestellt worden. Es muss schnell gehen, denn am Montag kommen weitere 60 Personen.
Der Pressetermin findet in einem ehemaligen Klassenzimmer der Schule statt. Die Stimmung ist nervös. Viele Fragen sind offen. Landrat und Bürgermeister betonen „unüberwindbare Zwänge“.
„Übergangssituation“
Die Asyl suchenden Menschen kommen aus Syrien, Afghanistan, Tschetschenien, Mazedonien, Kosovo. Sie werden für fünf Monate in Ladenburg „temporär“ untergebracht, sagte Landrat Stefan Dallinger:
Uns wurden die Asylbewerber vom Regierungspräsidium von heute auf morgen zugewiesen.
Man habe an Sporthallen gedacht, an Zelte, habe versucht, Hotels anzumieten – dann sei dem Landrat das „Überlaufgefäß“ Martinsschule eingefallen. Und klar sei, dass die Schule der Stadt ab dem 01. Januar 2014 zur Vergügung steht, um sie als Übergangsunterbringung für Schüler/innen während der Sanierung des Carl-Benz-Gymnasiums:
Wir stehen mit dem Rücken zur Wand, es ist unsere Pflicht, die Menschen würdevoll unterzubringen. Es ist aber auch klar, dass sich der Kreis an diese Zusage hält.
Ab 2014 sollen die Asylbewerber Ladenburg verlassen haben und im „nördlichen oder südlichen“ Teil des Kreises untergebracht werden – welcher Standort das sein wird, wollte der Landrat nicht sagen. Dort werde wieder eine „Übergangssituation“ für 200 Menschen geschaffen.
„Zahl der Menschen im Verhältnis zur Größe der Stadt akzeptabel“
Ladenburg sei eine weltoffene Stadt mit hoher Akzeptanz für Fremde:
Ich habe dem Bürgermeister keine Wahl gelassen und die Stadt überrumpelt,
sagte Landrat Dallinger und betonte, dass Bürgermeister Rainer Ziegler sofort seine solidarische Hilfe zugesagt habe:
Es ist nie einfach, Menschen in einer Stadt unterzubringen. Ich halte die Zahl der Menschen im Verhältnis zur Größe der Stadt akzeptabel.
Am 15. Juli habe der Landrat den Bürgermeister morgens um halb neun Uhr in Kenntnis gesetzt und ab zehn Uhr seien die ersten Wagen mit Material vorgefahren, um die Schule als Unterkunft auszustatten. So groß sei der Druck gewesen:
Es war nicht möglich, viele Fragen, wenn man solch ein Projekt angeht, im Vorfeld zu klären. Wir konnten die Anwohner nicht in dem von uns eigentlich gewünschten und erwarteten Ausmaß informieren. Wir konnten keine Bürgerinformationsveranstaltung machen. Das tut uns leid. Es war schlicht aufgrund der Zeitabläufe nicht möglich. Wir können uns auch um die Frage der Kinderbetreuung und der Schülerunterbringung erst jetzt strukturiert kümmern.
Man sei im Gespräch mit dem Staatlichen Schulamt Mannheim und dem Regierungspräsidium, eine Förderklasse für 14 Kinder in der Dalberg-Grundschule einzurichten. Sechs Jugendliche sollen in weiterführenden Schulen untergebracht werden. Auch für acht Kindergartenkinder suche man eine Lösung.
Menschen nehmen ein Grundrecht wahr
Die Asylsuchenden und ihre Familien leben eigenverantwortlich. Das heißt, sie bekommen keine Sach-, sondern Geldleistungen und müssen autark wirtschaften. Vor Ort sei eine Sozialbetreuung gegeben – zu „verlässlichen Zeiten“. Das bedeute auch, dass das Geld in der Stadt ausgegeben werde und hier bliebe:
Ich bin dem Bürgermeister, dem Gemeinderat, den Kirchen sehr dankbar für die Toleranz, dass wir gemeinsam diese Herausforderung angehen, um Menschen, die nichts anderes tun als ein Grundrecht in Anspruch zu nehmen, so behandeln, wie es angemessen ist.
Insgesamt hatte man zu Beginn des Jahres 514 Menschen in „vorläufiger Unterbringung“, sagte Kreisamtsleiter Stefan Becker:
Stand heute sind 675 Personen. Das zeigt schon, wie immens das gestiegen ist. Bis Ende Juni sind uns weitere 203 Personen zugewiesen worden. Allein im Juli weitere 151, Personen, sodass wir jetzt bei 354 Personen sind. Im Vergleich dazu: Im gesamten Jahr 2012 waren es 403 Personen. Wie werden im August weitere Personen zugewiesen bekommen und Mitte des Monats soviele, wie im gesamten Jahr 2012. Das zeigt, wie dramatisch die Zahlen gestiegen sind.
Man habe große Probleme, die Quoten zu erfüllen – wie andere Kreise auch. Bis Ende August, Anfang September sei die „volle Belegung“ erreicht. Landrat Dallinger:
Die ganze Situation wird noch verschärft, weil die Landesregierung ein Gesetz in die Anhörung gebracht hat, das die Quadratmeterzahl pro unterzubringenen Flüchting von 4,5 auf 7 Quadratmeter erhöht hat. Das bedeutet, dass wir 280 neue Plätze schaffen müssen. Wir können das nur in einer Drei-Schritt-Lösung schaffen, in dem wir zunächst in Ladenburg, dann in einer anderen Gemeinde für zwei Jahre Übergangslösungen schaffen, bis wir eine endgültige Lösung haben.
Bürgermeister Rainer Ziegler sagte, man habe die „Alternativlosigkeit“ erkannt:
Wir sind hier solidarisch. Es entspricht unserem Charakter. Wir sind offen und multikulturell und gastfreundlich eingestellt. Es ist klar, bei einer so großen Zahl von Menschen, die hier plötzlich untergebracht werden, entstehen bei den Anwohnern und der Bevölkerung auch Bedenken, Sorgen und vielleicht auch Ängste. Es ist für mich klar, dass wir den Gästen vorurteilsfrei gegenübertreten. Wir wollen den Menschen helfen. Es sollte gelingen, dass sie sich in unserer Gemeinschaft für eine Übergangszeit erträglich einfinden können.
Ab Januar 2014 Vorbereitung als Übergangsquartier für 700 Schüler/innen
Bei den Verhandlungen über die Martinsschule als Übergangslösung für 700 Schüler während der Sanierungszeit des CBG sei über eine solche Lösung nicht gesprochen worden. Ab Jahresanfang werde man die Schule vorbereiten und ab Pfingsten bereits nutzen.
Landrat Dallinger betonte, dass diese Menschen hier kein „All-inclusiv-Angebot“ hätten, sondern eigenverantwortlich leben. Und er sei froh über Signale, dass sich auch die Kirchen und andere vor Ort einbringen wollten:
Wir sind dankbar, wie man uns hier in Ladenburg aufgenommen hat für eine Nutzung, die nicht vorgesehen war.
„Ängste und Wut“
Der RNZ-Mitarbeiter Axel Sturm insistierte in der anschließenden Fragerunde, ob der Landrat „den Ärger, die Ängste, ja teils die Wut“ der Leute verstehen könne? Man habe sich abgesprochen, wenig zu berichten, „um den Ball flach zu halten“.
Der Landrat wies den Vorwurf zurück, man habe „bewusst“ diesen Ablauf gewählt und die Menschen vor „vollendete Tatsachen“ gestellt:
Ich habe Ihnen den Zeitablauf geschildert. Sonst hätten wir das anders vorbereitet. Ich bitte die Anwohner, mit uns zu kommunizieren, wenn dies noch gewünscht wird. Ängste muss man sicher nicht haben – wir haben an anderen Orten auch Asylsuchende, beispielsweise in Sinsheim in der Kernstadt über 400 Plätze. Das geht sehr gut miteinander. Ich verstehe den Ärger über den Verfahrensablauf, bin auch selbst unglücklich darüber, bitte aber um Verständnis. Und da es nur fünf Monate sind, halte ich das für akzeptabel.
Ein weiterer Mitarbeiter des Landratsamts sagte:
Anlass für dieses Dilemma, so sag ich jetzt mal, ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2012. Danach bekommen die Asylbewerber deutlich höhere Leistungen. Das hat zu einer regelrechten Völkerwanderung nach Deutschland geführt.
Man habe seitdem sehr aktiv Unterkunftsplätze gesucht. Es gäbe allerdings viele Schwierigkeiten wie Baurecht und Brandschutz. Man habe versucht, ganze Hotels anzumieten. Irgendwann sei der „Überlauf“ aber so hoch gewesen, dass Karlsruhe gesagt hätte:
Wir fahren Euch die Leute vor die Tür.
Die Länder erhalten Quoten, die sie zu erfüllen haben. Der Kreis habe die den Anteil an der Landesquote von 5,11 Prozent über Jahre erfüllt und übererfüllt, sagte Landrat Dallinger:
Das ganz ist ein atmendes System, weil sie sich Unterkünfte ja nicht aus den Rippen schneiden können. Es war klar, wenn wir übererfüllen, dass wir auch mal unter die Quote fallen, um den richtigen Platz zu finden. Damit die Größe zur Gemeinde passt und die Rahmenbedinungen wie Sozialbetreuung stimmen. Das war bis Mai/Juni problemlos möglich. Aktuell ist das nicht mehr so. Ich habe freitags einen Anruf aus Karlsruhe bekommen: Am Montag fährt ein Bus mit 60 Personen zu Euch – guckt, wie ihr die unterbringt.
Zu den Zuweisungen von 70-80 Personen pro Jahr. Dazu kämen Asylfolgeanträge, die den ursprünglichen Stellen automatisch zugewiesen würden:
Die kommen oben drauf. Das Land Baden-Württemberg hat entschieden, dass in das Gebiet des Balkans bis 31. Dezember nicht abgeschoben werden darf. Dann ist aber immer noch Winter und es wurde Monat um Monat verlängert. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie das auf Menschen wirkt, die schon mal bei uns waren. Ich kann das niemandem verdenken und ich will niemandem einen Vorwurf machen, aber das wird dort so verstanden: Komm nach Deutschland, stell einen Asylfolgeantrag und Du bist hier für sechs Monate versorgt, mit Heizung, Kleidung, Lebensmitteln. Ich weiß nicht, wie ich selbst reagieren würde, wenn ich in der Situation wäre.
„Russen-Welle“
Asylbewerber erhalten nach dem Urteil 336 Euro für den Familienvorstand sowie weitere 260 Euro für jedes Familienmitglied. Bislang habe es Wellen gegeben, im Herbst mehr, im Frühjahr weniger, erläuterte Stefan Becker. Das sei dieses Jahr nicht mehr so:
Jetzt ist ein Land dazugekommen, dass bislang keine Rolle spielte und zwar Russland. Die waren lange nicht unter den zehn am häufigsten vertretenen Zugangsländern, dieses Jahr ist es auf Platz eins. Relativ konstant sind Afghanistan, Pakistan, Iran und Irak, verstärkt kommen die Menschen auch aus Syrien. Der Zugang der Russen war nicht vorhersehbar.
Die Asylantragsteller vom Balkan würden in aller Regel abgelehnt werden. Genaue Zahlen, wie viele Asyl erhalten, konnte der Kreisamtsleiter Becker nicht nennen. Landrat Dallinger betonte, diese Fragen seien auch nicht Aufgabe des Kreises, sondern die Unterbringung. Früher habe es vier zentrale Auffanglager gegeben, mit zurückgehenden Zahlen seien diese Strukturen aufgelöst worden. Die Konversionsflächen wie die Tomkins-Barack in Schwetzingen seien aus vielen Gründen nicht geeignet:
Sie können da nicht einfach aufschließen und Leute reinstrecken. Es bedarf vieler Vorbereitungen, wenn es überhaupt möglich ist.
Noch keine Lösung für Schüler und Kindergartenkinder
Was die Sprachförderklasse angehe, prüfe das Regierungspräsidium zur Zeit. Es sei aber noch nicht entschieden. Bürgermeister Ziegler sagte, die Schulleitung sei informiert, man sei im Gespräch und selbstverständlich sei Ladenburg bei der Thematik Schule und Kindergarten der zuständige Partner des Kreises und man müsse schauen, wie man Lehrerkontigent, Raummöglichkeiten und andere Dinge organisieren könne. Andere Kosten würden der Stadt durch die Unterbringung nicht entstehen:
Beim Regierungspräsidium wird auch geprüft, ob die Schulpflicht ausgelöst sein wird. Wir sprechen ja nur über ein knappes halbes Jahr in Ladenburg. Es ist ja für die Kinder auch nicht einfach, in eine schulische Struktur zu kommen und sich dann wieder umgewöhnen zu müssen. Das muss man mit bedenken,
sagte Bürgermeister Ziegler. Die Zuständigkeit liege aber beim Regierungsprädidium und dem Schulamt. Als Schulträger stehe die Stadt selbstverständlich auch in der Pflicht.
Auf Nachfrage, ob es Angebote zur Ausübung der Religionsausübung der überwiegend muslimischen Flüchtlinge gebe, sagte Bürgermeister Ziegler, es gebe in Ladenburg einen regen türkisch-islamischen Kulturverein, der aber noch nicht einbezogen sei:
Wir werden alle Möglichkeiten suchen und prüfen, um das soziale Miteinander in der Stadt gut zu gestalten.
Auch die Polizei sei mit eingebunden. Auf die Frage, ob denn eine Bürgerversammlung angeboten werden soll, sagte Bürgermeister Ziegler:
Das fällt nicht in meine Zuständigkeit. Ich kann selbstverständlich anbieten, dass sich Bürgerinnen und Bürger jederzeit an mich oder das Landratsamt wenden können. Wenn es gewünscht wird oder wir das Gefühl haben, dass es nötig ist, werden wir auch eine Informationsveranstaltung anbieten.
Bürgerinformationsveranstaltung – wenn nötig
Der Pressetermin sei ein Schritt zur Öffentlichkeitsarbeit, ergänzte der Landrat. Ansonsten habe man die Kommunikationswege definiert. Bislang habe es noch keine Anrufe gegeben. Die Notwendigkeit einer Informationsveranstaltung müsse man vor der Dauer von fünf Monaten sehen, die man in der Stadt sei. Woanders sei man vor noch größere Aufgaben gestellt:
Wir haben fünf Monate hier in Ladenburg vereinbart. Sie können sich darauf verlassen, dass ich mich an diese Vereinbarung halte.
Die Kosten für den Kreis würden über eine nicht-kostendeckende Pauschale abgerechnet. Man versuche eine „Spitzabrechung“ zu erreichen. Momentan sei aber die Kostenfrage an zweiter Stelle, jetzt müsse erst die Unterbringung geregelt werden:
Das ist ein Grundrecht, dass die Menschen wahrnehmen.
Christoph Kölmel übernehme für den Kreis die Betreuung der Menschen in Ladenburg. Insgesamt rechne man mit wenig Problemen, weil überwiegend Familien untergebracht seien und die Erfahrung zeige, dass dies trotz unterschiedlicher Ethnien gut funktioniere.
Es ist sicherlich Aufgabe der Stadt, sich um Patenschaften zu kümmern. Es ist schön zu hören, dass sich bereits viele angeboten haben, sich einzubringen,
sagte Stadträtin Petra Erl.
[nggallery id=264]