Mannheim, 03. März 2016. (red/as) Durch den demografischen Wandel wird es immer mehr ältere und pflegebedürftige Menschen in Deutschland geben. Schon heute ist es vor allem sehr teuer, in einem Pflegeheim zu wohnen. Also was tun, wenn die Eltern nicht mehr zu Hause gepflegt werden können? Ein fiktives Fallbeispiel.
Von Annika Schaffner
Ilse ist 75 Jahre alt und lebt wie die meisten Mannheimer (29,4 Prozent), die über 65 Jahre alt sind, auf der Vogelstang. Sie leidet seit einigen Jahren an Demenz, kann ihren Haushalt aber noch allein organisieren. Ihr Mann ist schon vor vielen Jahren verstorben und so lebt sie wie 32 Prozent der älteren Menschen in Mannheim alleine.
Ihre Tochter Heidi lebt in Stuttgart, ist verheiratet und hat zwei Kinder, die noch zur Schule gehen. Ilse hat auch einen Sohn namens Ralf, der lebt aber in Frankfurt und arbeitet bei einer Bank. Er kommt sehr selten zu Besuch. Ilse hat sich damit abgefunden, dass sie die meiste Zeit alleine ist. Einmal die Woche kommt eine Pflegerin, die nach dem Rechten sieht.
Doch Ilse geht es zunehmend schlechter. Sie vergisst viel mehr und sogar ihre Medikamente nimmt sie nicht mehr regelmäßig. Ihre Tochter fallen diese Veränderungen sofort auf und sie diskutiert schon seit einiger Zeit mit ihrem Bruder, ob Ilse nicht in einem Altenpflegeheim besser aufgehoben wäre.
Hohe Kosten für alte Menschen
Ralf ist dagegen, da die Unterbringung in einem Heim sehr teuer wäre. Ilse würde “nur” in die Pflegestufe 0 einsortiert werden, da ihre Krankheit noch nicht so weit fortgeschritten ist und müsste den Aufenthalt komplett selbst zahlen.
Da käme einiges zusammen:
Das Albert-Schweitzer-Haus (Deutsches Rotes Kreuz) in der Schwetzinger Vorstadt würde monatlich 2.329,65 Euro kosten. Das Pflegeheim “Sandhofer Stich” von der avendi Senioren Service GmbH würde sogar 2.606,17 Euro kosten. Heidi sieht ein: Das kann sich Ilse von ihrer Rente niemals leisten.
Zunächst ist Heidi empört von diesen hohen Kosten. Doch sie überlegt: Zu den Pflegekosten, also Aufwand für Behandlungskosten und sozialer Betreuung kommen die ganz normalen Verpflegungskosten für das Zimmer und das Essen, sowie Investitionskosten für die Pflege des Hauses. Dazu kommt eine sogenannte Altenpflegeausbildungsumlage. Heidi kann nachvollziehen, dass dies alles nicht ganz billig sein kann.
Ilse hat eine für Deutschland durchschnittliche Rente von 844 Euro im Monat.
Damit hat sie noch einigermaßen Glück, denn die Frauen bekommen in den alten Bundesländern normalerweise im Durchschnitt nur 576 Euro Rente, Männer dagegen 994 Euro. Dieser große Unterschied zwischen Männer und Frauen lässt sich auf die Einkommensunterschiede zurückführen. In den neuen Bundesländern liegt die Durchschnittsrente dagegen bei 921 Euro.
Ilse muss in ein Pflegeheim
Doch Heidi findet auf der Broschüre der Stadt Mannheim “Pflegeheime in Mannheim” einige Beratungs- und Finanzierungstipps: Ilse könnte zum Beispiel Wohngeld beantragen, aber Heidi vermutet, dass dafür ihr Einkommen bzw. die Rente zu hoch ist. Aber Ilse könnte auch beim ihrem örtlichen Sozialamt Hilfe beantragen. Die Sozialhilfe kann in einigen Fällen die Heimkosten mitfinanzieren.
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Ilses Demenzkrankheit ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie einfache Arbeiten im Haushalt nicht mehr erledigen kann und es ihr schwer fällt, lange Sätze zu formulieren. Als Ralf nach einem längeren Zeitraum mal wieder zu Besuch kommt, erkennt sie ihn nicht wieder. Da merkt auch Ralf, dass sie Hilfe bei der Pflege für ihre Mutter brauchen. Es wäre fahrlässig, sie alleine in der Wohnung zu lassen.
Als Heidi und Ralf versuchen ihrer Mutter beizubringen, dass sie in ein Pflegeheim umziehen muss, wird sie sauer.
Früher haben die Kinder für ihre alten Eltern gesorgt und haben im selben Haus gewohnt! Und zwar bis zum letzten Ende! Und ihr wollt mich einfach weggeben!
Doch die Gesellschaft ist heute anders strukturiert. Es kommen schwierige Zeiten auf die Familie zu.
Heidi sucht nach Pflegeheimen
Heidi fängt an, sich nach einem geeigneten Pflegeheim umzusehen. In Mannheim gibt es 30 Altenpflegeheime und 27 davon bieten Hilfe für Demenzkranke an. Heidi kann sich bei der Auswahl an sogenannten Pflegenoten orientieren, die nach bundesweiten Qualitätsstandards überprüft werden und auf den Internetseiten der Heime veröffentlicht werden müssen.
Durch die fortgeschrittene Krankheit hat Ilse die Pflegestufe 2 erreicht (und gehört damit zu 11,6 Prozent der Pflegebedürftigen Mannheimer) und bekommt nun bei der Finanzierung Unterstützung von der Pflegeversicherung.
Diese zahlt einen Höchstbetrag von 1.279 Euro im Monat.
Für die Pflegestufe 1 wurde die Pflegekasse bis zu 1.023 Euro dazu zahlen, für die Stufe 3 1.550 Euro und für Härtefälle 1.918 Euro. Allerdings erhöhen sich logischerweise mit den Pflegestufen auch die Kosten für das Pflegeheim.
Ilse müsste dann beim Albert-Schweitzer-Haus monatlich 1.796,99 Euro und beim avendi in Sandhofen 2.089,61 Euro zahlen. Und das ist immer noch eine ganze Menge.
Doch Heidi gefallen viele Einrichtungen und Programme, die die Heime vor allem für Demenzkranke anbieten. Selbst Ilse findet die angebotenen Ausflüge gut und weigert sich nicht mehr ganz so sehr, umzuziehen. Ralf, der sich mit Finanzen auskennt, rechnet aus, dass sich das Heim finanzieren lässt, wenn Ilse ihre alte Wohnung vermietet. Ralf kann sich auch vorstellen, einen Teil seines Gehaltes für Ilse zur Verfügung zu stellen.
Kein freier Platz für Ilse – immer mehr Pflegebedürftige
Nachdem sich Heidi und Ralf geeignete Heime ausgesucht haben, rufen sie bei ihnen an, um einen Vertrag zu schließen. Doch schnell wird klar: Pflegeheime sind sehr beliebt und oft restlos ausgebucht.
Denn durch den demografischen Wandel gibt es in Deutschland immer mehr ältere Menschen. In Mannheim sind derzeit 18 Prozent der Bürger über 65 Jahre alt. Dies liegt zum einen an den verbesserten medizinischen Leistungen, wir Menschen können mehr Krankheiten bekämpfen und dadurch länger leben. Somit sinkt die Sterberate. Jedoch ist auch die Geburtenrate in den letzten Jahren drastisch gesunken. Dies kann Deutschland selbst durch Zuwanderung nicht ausgleichen.
So kommt es, dass immer mehr ältere als jüngere Menschen in Deutschland leben. Und dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Politik oder die Wirtschaft, sondern auch auf das alltägliche Leben.
Heidi und Ralf sind verzweifelt:
In einer so großen Stadt wie Mannheim kann es doch nicht so wenige Pflegeplätze geben!
In den 30 Pflegeheimen in Mannheim gibt es 3.253 Plätze. Doch in ganz Mannheim gibt es 7.452 pflegebedürftige Menschen, nur 33 Prozent (2.487) davon nehmen eine stationäre Dauerpflege in Anspruch (die Heime werden zusätzlich von kurzzeitigen Pflegefällen oder Pflegebedürftigen aus der Mannheimer Umgebung gefüllt).
Das heißt, dass 47 Prozent der Pflegebedürftigen in Mannheim von Angehörigen zu Hause gepflegt werden, wahrscheinlich in den meisten Fällen aus Kostengründen. 20 Prozent werden durch eine ambulante Pflege unterstützt.
Beruf Altenpfleger
Ilse macht sich derweil Sorgen: “Die Pfleger können mich doch gar nicht richtig behandeln!” Heidi und Ralf versuchen sie damit zu beruhigen, dass Altenpfleger eine dreijährige Ausbildung hinter sich haben.
Altenpfleger ist tatsächlich ein harter Job. Nicht jeder ist dafür geeignet. Denn die Arbeitsbedingungen können physisch und psychisch sehr belastend sein. Schichtarbeit und (Einstiegs-)Gehälter von 2.400 bis 2.500 Euro brutto im Monat machen den Beruf unattraktiv.
So kommt es (mit der Zunahme der Pflegebedürftigen) zu einem erheblichen Fachkräftemangel. Altenpfleger werden also nicht von hohem Gehalt oder einfacher Arbeit gelockt, sondern wohl eher aus Herz für die Arbeit. Ilse muss sich also keine Sorgen machen.
Gutes Ende für Ilse
Ilse und ihre Kinder haben Glück: Im Joseph-Bauer-Haus vom Caritasverband Mannheim e.V. in Käfertal ist ein Zimmer frei geworden, für das sie 1.993,82 Euro im Monat zahlt. Ilse kann zum nächsten Monat einziehen. Dass hierfür die vorherige Mieterin verstorben ist, verdrängt die Familie lieber… Doch nun kann Ilse mit altengerechter Pflege ihre letzten Lebensjahre genießen.
Ilse hatte Glück – doch wie sieht die Zukunft aus?
Die fiktive Ilse hatte durch die Unterstützung ihrer Familie und einer recht hohen Rente (im Vergleich zum Durchschnitt) viel Glück mit der Unterbringung in einem Pflegeheim. Denn ganze 47 Prozent der Mannheimer Pflegebedürftigen werden zu Hause von ihren Angehörigen versorgt, was viel Zeit und Geduld von diesen abverlangt.
Nach dem Pflegeheim-Rating-Report von 2015 werden 2030 3,5 Millionen pflegebedürftige Menschen in Deutschland leben, das sind 33 Prozent mehr als 2013. Vor allem die Zahl der Demenzkranken wird steigen. Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass bis 2030 40 Prozent mehr Menschen an Demenz leiden werden als heute.
Die Stadt Mannheim ist dabei noch gut aufgestellt: Die Pflegeprognose des Landes Baden-Württemberg rechnet für 2020 einen Bedarf zwischen 3.140 und 3.470 Dauerpflegeplätzen in der Stadt Mannheim.
Mit 3.253 jetzt schon existierenden Plätzen hat Mannheim also einigermaßen vorgesorgt. Viele Pflegeheime in Mannheim haben deshalb jetzt sogar Belegungsschwierigkeiten. Allerdings darf man nicht vergessen, dass nur 33 Prozent der Pflegebedürftigen derzeit einen Heimplatz in Anspruch nehmen, diese Zahl würde sich bei einer anderen Finanzierungsweise wahrscheinlich erhöhen.
Auch die Rentenversicherungen bekommen durch den demografischen Wandel Probleme: Es gibt immer weniger Beitragszahler für immer mehr Beitragsnehmer. Es muss darüber nachgedacht werden, ob das Umlageverfahren noch die richtige Arbeitsweise für Rentenversicherungen bleibt.
Durch die “Arbeitsmigranten” aus den 1960er und 1970er werden Menschen pflegebedürftig, die andere kulturelle und religiöse Prägungen haben. Auch zugewanderte Flüchtlinge werden im Alter pflegebedürftig und müssen versorgt werden. Pflegeheime müssen dann gegebenenfalls auf neue Anforderungen reagieren und beispielsweise ihre Speisekarten überarbeiten oder Pflegekräfte mit mehr Sprachkenntnissen einstellen. Schon jetzt haben 28 Prozent der über 65-jährigen Menschen in Mannheim einen Migrationshintergrund.
Änderungen in Pflegeheimen
Altenpflegeheime müssen sich also in den nächsten Jahrzehnten auf einige Änderungen einstellen. Die Kapazität der Pflegeplätze muss unbedingt erhöht werden, was auch eine höhere Anzahl von benötigten Fachkräften mit sich zieht.
Laut dem Pflegeheim-Rating-Report muss hierfür die Attraktivität des Berufs steigen, beispielsweise durch bessere Arbeitszeiten und mehr Gehalt. Da dadurch aber höhere Kosten für das Pflegeheim und damit wiederum für die Pflegebedürftigen entstehen würden, wären noch weitere Maßnahmen nötig. Vor allem aber muss es eine Reform in der Finanzierungsweise geben.
Für die Autoren des Pflegeheim-Rating-Reports wären diese ein konsequenter Bürokratieabbau, Zuwanderung qualifizierter Pflegekräfte, sowie mehr Einsatz von moderner Technik. Dies hieße, dass die Heimbewohner beispielsweise von Überwachungskameras beobachtet werden könnten, anstatt von Pflegern in der Nachtschicht. Ob dies auch eine menschlich und persönlichkeitsrechtmäßige, vertretbare Lösung wäre, ist fraglich.
Wie es im echten Pflegeheim ist, lesen Sie hier „Senioren brauchen Wahlfreiheit„.
Zur Person:
Die Autorin Annika Schaffner (19) ist Mannheimerin und studiert in Karlsruhe KulturMediaTechnologie (crossmedialer Journalismus) im vierten Semester.
Ihr Abitur hat sie am Johanna-Geissmar-Gymnasium abgelegt.
Seit 15. Februar 2016 absolviert sie bis 09. März 2016 ein redaktionelles Praktikum bei uns und wird – je nach zeitlicher Belastung durch das Studium – als freie Mitarbeiterin künftig für uns tätig sein.
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