Rhein-Neckar, 02. April 2017. (red/cr) Jeder kennt sie und bei den meisten sind sie unbeliebt: Behördengänge. Behörden gelten als langsam und veraltet. Damit die Digitalisierung nicht völlig an ihnen vorbeizieht, wurde die Metropolregion Rhein-Neckar vor mehr als 7 Jahren zum Modellprojekt „Kooperatives E-Government in föderalen Strukturen“ gemacht. Der Zwischenbericht zeigt, was in den ersten fünf Jahren erreicht wurde und was nicht, was die Ziele bis 2020 sind und was das alles eigentlich dem „Normalbürger“ bringt.
Von Christin Rudolph
Ob man umzieht, der Personalausweis abgelaufen ist oder man ein Auto anmelden muss – mit Behörden kommt jeder früher oder später in Kontakt.
Die meisten Bürger empfinden das als lästiges Übel, herrscht doch oft dieses Bild vor: Behörden sind langsam und veraltet. Oft muss man vor Ort komplizierte Papier-Formulare ausfüllen anstatt einfach und bequem eine Mail oder einen Scan zu versenden.
Wer überhaupt zuständig ist, bekommt man erst nach einer zähen Recherche und drei Telefon-Weiterleitungen heraus. Kurzum: Als benutzerfreundlich und praktisch gelten Behörden im Allgemeinen nicht, weder für Bürger noch für Unternehmen.
Digitaler, moderner, effizienter
Unter anderem deswegen wurde 2009 auf dem nationalen IT-Gipfel in Stuttgart die Empfehlung ausgesprochen, sogenannte Modellregionen für Bürokratieabbau und kooperatives E-Government einzurichten.
Die sollten nicht nur zur Digitalisierung der Verwaltung beitragen, sondern auch helfen, bestimmte rechtliche EU-Normen umzusetzen und die Effizienz zu erhöhen.
Außerdem kann im Rahmen eines Modellprojektes auch ausprobiert werden. So gibt es zum Beispiel entsprechende Experimentierklauseln, die in begrenztem Maße erlauben, von bestehenden rechtlichen Vorgaben und administrativen Regeln abzuweichen.
Dreiländereck als Reallabor
Welche Region könnte wohl als Modellregion geeignet sein? Die Wahl fiel aus einem ganz praktischen Grund auf die Metropolregion Rhein-Neckar: Die dortige Erfahrung. Denn aufgrund der geographischen Lage im Dreiländereck bestand bereits ein regionales Netzwerk für die länderübergreifenden Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung.
2010 wurde so in der Metropolregion Rhein-Neckar das Modellprojekt „Kooperatives E-Government in föderalen Strukturen“ gestartet. Grundlage ist eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.
Ziel war und ist, die Verwaltungsabläufe im Dreiländereck Baden-Hessen-Pfalz durch neue Formen der Zusammenarbeit und Informationstechnologie zu verbessern.
Pilotprojekt mit großen Zielen
Einfacher, schneller und kostengünstiger sollen die Abläufe werden. Bürgern und Unternehmen soll der Zugang zu Behörden erleichtert werden. Ermöglicht wird das durch die Vernetzung über Landesgrenzen und Ebenen hinweg.

Die Kooperationspartner des Modellvorhabens: Vertreter der Metropolregion und der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg; Foto: Metropolregion Rhein-Neckar GmbH / Tobias Schwerdt
Große Ziele also für das deutschlandweit erste Modellprojekt dieser Art. Aber was bringt das konkret den Bürgern? Einzelne Projekte wie etwa die einheitliche Behördennummer 115 sind bekannt und bereits durchgesetzt.
Andere Projekte mussten eingestellt werden, an einzelnen wird noch gearbeitet. Eine Zwischenbilanz zu den ersten fünf Jahren des Projekts wurde Mitte März vorgestellt.
Gut für Bürger, Unternehmen und Verwaltung
Im Zwischenbericht werden Erfolge präsentiert, aber auch aufgezeigt, wo noch Handlungsbedarf besteht. Die Internetseite verwaltungsdurchklick.de zum Beispiel bietet sowohl Bürgern als auch Unternehmen übersichtlich Informationen und Ansprechpartner gegliedert nach Lebenslagen von A wie „Arbeit“ bis U wie“Umzug“ . Oder im Falle von Unternehmen von A wie „Arbeitgeber sein“ bis W wie „Werbung“.
Vor allem zwei wichtige Anliegen haben Wirtschaftsvertreter beim Thema Verwaltung: Zum einen der Wunsch nach einem einheitlichen Zugang zur Verwaltung, unabhängig von den internen Zuständigkeitsregelungen. Diese Problem wurde mit dem Portal verwaltungsdurchklick.de angesprochen.
Zum anderen das Problem der redundanten Abfragen. Denn Unternehmen haben einige Informationspflichten gegenüber Behörden. Im Rahmen des Modellprojekts wird an digitalen Lösungen gearbeitet, die vermeiden sollen, dass Unternehmen dieselben Informationen immer wieder angeben müssen das sogenannte „Once-Only-Principle“.
Noch viel Potential
Das Fazit dazu im Zwischenbericht:
Positive Rückmeldungen von Unternehmen und die Zugriffszahlen zeigen, dass der einheitliche digitale Zugang zur Verwaltung gut ankommt. Perspektivisch soll aus dem Informationsportal ein Transaktionsportal werden, über das Behördenanliegen medienbruchfrei abgewickelt werden können. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.
Schon an diesem Beispiel werden zwei Charakteristika des Berichts deutlich: Zum einen wird bei vielen Teilprojekten noch Potential gesehen. Zum anderen kommt die Modernisierung der Verwaltung nicht nur Bürgern, sondern vor allem Unternehmen zugute.
Die Kooperationspartner des Modellvorhabens, nämlich die Metropolregion und die für Informationstechnik zuständigen Beauftragten der Länder, begreifen Verwaltungsmodernisierung als Standortfaktor für Unternehmen.
Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einbezogen
Die Vertreter der Metropolregion und der Bundesländer bilden den Lenkungskreis, der für die strategische Gesamtsteuerung des Modellprojekts zuständig ist.
Doch auch weil die Schnittstellen der Verwaltung zur Wirtschaft als so wichtig eingestuft werden, bleiben die Verwaltungsmitarbeiter nicht nur unter sich.
Zu verschiedenen Themen gibt es Arbeitskreise, wodurch in die konkreten Projekte externe Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik wie beispielsweise die Kammern der Wirtschaft, Ausländerbehörden oder Vergabestellen einbezogen werden.
Verschiedene Sichtweisen kommen zusammen
Außerdem werden alle Projekte, die kommunale Belange betreffen, über den Ausschuss für Regionalentwicklung und Regionalmanagement des Verbandes Region Rhein-Neckar politisch legitimiert.
Die Ergebnisse der Zusammenarbeit werden einmal jährlich im Rahmen der Regionalkonferenz „Wirtschaft trifft Verwaltung“ vorgestellt und diskutiert. Aber auch bei anderen Veranstaltungen fließen die Ergebnisse ein.
Etwa beim Digital-Gipfel der Bundesregierung. Am 12. und 13. Juni findet die ehemals IT-Gipfel genannte Veranstaltung statt, mit Ludwigshafen als Hauptaustragungsort. Hier wird bei einer eigenen Veranstaltung über das E-Government-Modellvorhaben berichtet.
Konkrete Erfolge
Nicht nur verwaltungsdurchklick.de hat sich in fünf Jahren Modellprojekt bewährt. Auch die anderen Erfolgsbeispiele verbessern vorrangig das Zusammenspiel von Verwaltung und Wirtschaft: die Website auftragsboerse.de erleichtert Kommunen die öffentliche Vergabe von Aufträgen an Firmen.
Die Einreiseoptimierung soll dem Umgang mit ausländischen Fachkräften erleichtern und mit der Client-Anwendung ELIS-A mobil lassen sich Daten automatisiert in Emissionsmessberichte einfügen.
Hinter der kryptischen Abkürzung P23R verbirgt sich ein methodisches, technisches und organisatorisches Prinzip, um Meldevorgänge zwischen Unternehmen und Behörden zu vereinfachen und damit Bürokratiekosten für Unternehmen zu senken.
Papier, Zeit und Nerven sparen
Für Privatpersonen besonders interessante erfolgreiche Projekte: In einem Pilotprojekt kann man seit März 2012 Kfz-Neuzulassungen, Umschreibungen, Um- und Abmeldungen sowie Halterdatenänderungen online erledigen und die Gebühren mittels E-Payment begleichen.
Ein virtuelles Bauamt soll ganz Berge von Papier – und Zeit – sparen. Im Zwischenbericht heißt es:
Eine aktuelle Studie für den Nationalen Normenkontrollrat geht von bis zu 25,5 Prozent Einsparpotenzial pro Antrag im Baugenehmigungsverfahren aus.
An einem Umsetzungskonzept, der technischen Umsetzung und einem Betreibermodell sowie einem Datenaustauschstandard wurde bereits gearbeitet. Ein Pilotprojekt soll allerdings erst in der zweiten Phase des Modellprojektes starten. Die Kooperation wurde nämlich bis 2020 verlängert.
Verlängerung bis 2020
Die Vereinbarung dazu wurde im März 2016 von den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der Region Rhein-Neckar unterzeichnet. Zum einen eine logische Konsequenz, weil die bisherige Bilanz positiv ausfällt. Das sind neben den genannten Projekten und der Auszeichnung mit dem Innovationspreis 2015 des Deutschen Beamtenbundes die Vorbildfunktion.
Denn das Modellprojekt soll, wie der Name schon sagt, Modell sein für andere Regionen. Seit 2012 gibt es im Rheinland ein ähnliches Vorhaben wie in der Metropolregion Rhein-Neckar, seit 2014 in der Metropolregion Nordwest. Außerdem sind einzelne Projekte, wie zum Beispiel die ELIS-A Emissionsmessberichte, für andere Regionen und Bundesländer nutzbar.
Zum anderen wird nach fünf Jahren Zusammenarbeit immer noch Handlungsbedarf gesehen.
Nicht nur Erfolge
Denn natürlich bestanden die vergangenen Jahre des Modellvorhabens nicht ausschließlich aus Erfolgen. Eine der Schwierigkeiten sprach Stefan Dallinger, Verbandsvorsitzender des Verbandes Region Rhein-Neckar und seit 2016 Thementreiber für E-Government, im Zusammenhang mit dem Zwischenbericht an:
In den letzten fünf Jahren haben wir gemeinsam schon ein gutes Stück auf dem Weg hin zu einer vernetzten Verwaltung zurückgelegt – am Ziel sind wir aber noch lange nicht. Das liegt nicht nur an den komplexen Themen, die wir im Modellvorhaben angegangen sind. Sondern auch an der Vielzahl von Akteuren, die mit ihren verschiedenen Arbeits- und Denkweisen in die Projekte einbezogen werden wollen.
Aber nicht nur das Einbezogen-werden-wollen, auch Einbezogen-werden-müssen stellte sich als Hürde heraus. So wird zum Beispiel im Zwischenbericht aufgezeigt, warum die Idee für ein regionales Portal zur CO2-Bilanzierung nicht umgesetzt wurde: Rund drei Viertel der Daten hätten das Statistischen Landesamt, die Arbeitsagentur, Energieversorger und andere Institutionen gestellt. Der Rest hätte von den Kommunen bereitgestellt werden müssen.
Leider liegen diese Daten in sehr unterschiedlicher und Güte vor, es wurden unterschiedliche Bilanzierungsmethoden angewandt. Der Aufwand wäre einfach nicht wirtschaftlich gewesen.
Aufwändige Prozesse
Aufwand und Mehrwert sollen immer in einem guten Verhältnis stehen. Auf Anfrage zeichnete eine Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums nach, wie ein Teilprojekt konkret abläuft. Ihre Antwort begann mit:
Die wohl größte Herausforderung ist, dass das Modellvorhaben nicht losgelöst von bestehenden Strukturen läuft, sondern länder- und kommunalspezifische Prozesse und heterogene IT-Landschaften berücksichtigt werden müssen.
Am Anfang müssten in einer Bestandsaufnahme sämtliche Regelungen und Abläufe in allen drei Landesteilen der Region erfasst werden. Erst dann könne entschieden werden, ob organisatorische und technische Lösungen auf regionaler Ebene überhaupt Sinn ergeben.
Beispiel einheitliche Behördennummer 115: Grundsätzlich sind alle Verwaltungen in der Region regelmäßig mit ähnlichen Anfragen konfrontiert. Jede Kommune für sich ein eigenes Telefon-Service-Center aufbauen zu lassen wäre daher extrem ineffizient.
Kosten-Nutzen-Verhältnis im Blick
Daher wurden stattdessen im Rahmen des E-Government-Modellvorhabens Kompetenzen gebündelt. So würden einerseits Kosten eingespart und andererseits eine hohe Servicequalität sichergestellt, so die Sprecherin.
E-Government ist kein Selbstzweck, sondern soll allen Beteiligten einen Mehrwert bringen.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass viele Projektideen am Ende nicht verwirklicht werden.
Finanzierung schwierig
Bei manchen Teilprojekten fehlten aber auch schlicht personelle oder finanzielle Ressourcen. Teilweise, „obwohl bereits vielversprechende Konzepte und technische Prototypen vorlagen“, so der Zwischenbericht.
Weiter, „andere Projekte wiederum wurden aufgrund veränderter Bedarfe im Projektzeitraum nicht fortgeführt oder aufgrund eines zu geringen Mehrwertes einer eigenen regionalen Vorgehensweise in ihrer Zielrichtung angepasst“. Doch dafür sei das Modell als Erprobungsraum schließlich gedacht – Projekte können auch eingestellt werden, ohne einen größeren Verlust oder „Schaden“.
Etwas euphemistisch als „besondere Herausforderung“ wird die Finanzierung gesehen. Denn Haushaltsmittel sind oft sehr eng an Zuständigkeiten gebunden – wer gibt da gerne etwas für ebenen- und ressortübergreifender Projektvorhaben ab, wenn das auch andere machen könnten?
Kaum Geld für Pionierarbeit
Bei den späteren Nutzern der Projekte ist ebenfalls kaum Geld „zu holen“, da man in frühen Phasen der Projekte bereits Geld für die Entwicklung benötigt. Zu dem Zeitpunkt lassen sich allerdings noch keine seriösen Berechnungen anstellen, wie hoch die Effizienzeffekte und Mehrwerte wirklich sind. Eine „Katze im Sack“ wollen die späteren Profiteure des Anwendungen selten kaufen.
Die einzig sichere Finanzierung ist die der Kooperationspartner, also der Länder und der Region. Die ist jedoch nur für die Geschäftsstelle, die das Gesamtvorhaben und die einzelnen Projekte auf operativer Ebene koordiniert und für die Kommunikation zuständig ist.
Wer bei Einzelprojekte die Trägerschaft übernimmt, muss immer konkret geklärt werden.
Ziele bis 2020
Doch nicht nur Ressourcen fehlen. So gibt es etwa nach wie vor sehr heterogene IT-Strukturen, die die regionale Vernetzung und Zusammenarbeit erschweren. Es sollen weiterhin auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene entwickelte Infrastrukturkomponenten fachübergreifend in die Praxis gebracht werden.
Bis 2020 sollen die bestehenden Projekte fortgeführt und „teilweise in einen größeren Handlungskontext gestellt werden“, so der Zwischenbericht. Weiter:
Neue Projektvorhaben werden nur ins Portfolio aufgenommen, wenn sie das Kriterium der länder- und ebenenübergreifenden Zusammenarbeit erfüllen. Der Bund wird sich zukünftig projektbezogen engagieren.
Außerdem sollen die Erkenntnisse aus dem Modellvorhaben in Zukunft „deutlich konsequenter als bisher“ in den IT-Planungsrat des Bundes eingebracht werden. Des Weiteren soll die Zusammenarbeit mit den anderen Erprobungsräumen und E-Government-Modellkommunen gefestigt werden. So sollen andere Regionen und Bundesländer von übertragbaren Lösungen mehr profitieren.
Noch ein weiter Weg
Randolf Stich, Innenstaatssekretär und IT-Beauftragter des Landes Rheinland-Pfalz, nannte im Zusammenhang mit der Vorstellung des Zwischenberichts Themenfelder für die Zukunft: unter anderem würden der Großraum- und Schwertransport sowie die Pilotierung des sogenannten „Once Only Principle für Unternehmen“ ins Auge gefasst.
Beim „Once Only Principle für Unternehmen“ sollen im Rahmen eines europäischen Projektes Unternehmen nur einmal zur Eingabe bestimmter Daten aufgefordert werden, anstatt sie immer wieder neu unter Angabe derselben Nachweise der Verwaltung abgeben zu müssen.
Es ist noch ein weiter Weg, bis die geplanten Projekte umgesetzt werden. Und ein noch weiterer, bis die Lösungen es über die Region hinaus schaffen und großflächig eingesetzt werden. Das ist den Kooperationspartnern klar.
Daher gilt nach wie vor die Aussage von Stefan Krebs, dem IT-Beauftragten des Landes Baden-Württemberg:
E-Government hat in einer modernen Verwaltung einen hohen Stellenwert und der muss weiter wachsen. Die öffentliche Verwaltung muss bei der Digitalisierung Vorreiter sein, die Menschen müssen auch online aufs Amt gehen können.