Mannheim/Rhein-Neckar, 03. April 2012. (red) Wer steckt hinter der illegalen Rodung eines Biotops an der Sandhofener Riedspitze? Unsere Recherchen ergeben ein dubioses Geflecht von Briefkastenfirmen und phantomhaften Personen. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim, Abteilung Wirtschaftskriminalität, gegen drei Personen wegen des Verdachts auf Betrug: Es geht um einen benannten Schaden von 1,92 Millionen Euro. Und es geht um Antworten auf sehr viele offene Fragen. Die Spur führt vom zerstörten Biotop im Mannheimer Norden zur verdächtigen Firma im sächsischen Ostritz über Frankfurt am Main zurück in die Mannheimer Innenstadt.
Von Hardy Prothmann und Jörg Theobald
Um Weihnachten im vergangenen Jahr geht es auf der Riedspitze (Sandhofen) gar nicht beschaulich zu. Schweres Gerät vernichtet ein vier Hektar großes Biotop für Niederwild, Eidechsen und Vögel. Innerhalb von zwei, drei Tagen ist der Lebensraum definitiv zerstört. (Siehe unseren Bericht.)
Kurz darauf werden in einer Nacht- und Nebelaktion rund 8.500 Photovoltaik-Paneele “verlegt” – man verteilt sie einfach auf dem holprigen Erdboden. Ein Spaziergänger wird irgendwann in dem abgelegenen Gebiet auf die Vorgänge aufmerksam und informiert den BUND. Der informiert die Hafengesellschaft und die Stadt. Sehr zäh fließen die Informationen, doch kurz darauf ist klar: Es gibt weder einen Bebauungsplan, noch einen Bauantrag, schon gar keine Genehmigung. In einer Presseinformation schreibt die Stadt Mannheim am 19. Januar 2012 mit Bezug auf den Fachbereich Baurecht und Umweltschutz, man habe “wegen eindeutigen Verstößen gegen das Baurecht, das Bundesnaturschutzgesetz und die Baumschutzsatzung, Strafanzeige erstattet”:
Die Rodung von vier Hektar Grünfläche in Mannheim-Sandhofen ist illegal. Es gab keinerlei Genehmigung der Stadt, dieser massive Eingriff in die Natur wäre auch nicht genehmigungsfähig gewesen.
Seitdem ermittelt auch die Staatsanwaltschaft, zunächst wegen der Zerstörung des Biotops, nun auch wegen des Verdachts auf Betrug. Geschädigter soll ein weltweit tätiger Solartechnikhersteller mit einer deutschen Dependenz in München sein. Rund 1,92 Millionen Euro soll der Schaden betragen. Auch wenn die Firma angeblich ihre Kollektoren wieder abgeholt hat. Der Verdacht auf Betrug bleibt im Raum.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen drei Personen – welchen Stand die Ermittlungen haben, ob der Aufenthaltsort der Personen bekannt ist, ob die Ermittlungen vor dem Abschluss stehen, ist auf Nachfrage nicht zu erfahren.
Briefkastenfirma im Osten
Unsere Recherchen ergeben, dass die verdächtige Firma die “Solar-Projekt Ostritz GmbH & Co. KG” sein soll. Sie firmiert unter der Adresse Bahnhofstraße 2-4 in Ostritz (Oberlausitz, Kreis Görlitz) direkt an der Grenze von Deutschland und Polen. Das ist auch die Adresse des Hotels “Neisseblick”.
Wir nehmen Kontakt auf und erfahren, dass im September 2011 zwei Geschäftsmänner vor Ort waren und auf drei Hektar Grundstück des Hotelbesitzers eine Solaranlage errichten wollten. Die Firmeneintragung beim Amtsgericht Dresden wurde auf die Adresse des Hotels vorgenommen. Wir erfahren weiter:
Seitdem habe ich keinen mehr gesehen, noch was gehört. Es kommt immer mal Post, aber ich weiß nicht, wohin ich die nachsenden könnte.
Weitere Briefkastenfirma in Frankfurt
Irgendjemand muss doch aber verantwortlich sein? Unsere weiteren Recherchen ergeben, dass es eine Beteiligungsfirma gibt, der die “Solar-Projekt Ostritz” gehört. Die Beteiligungsgesellschaft wiederum hat ihren Sitz in Frankfurt am Main in einem trostlosen Gebäude in der Friesestraße. Auch das nur eine Briefkastenadresse?
(Die Umgebung lässt sich auf Google-Streetview hier betrachten.)
Die nächste Spur führt nach Mannheim in die Traitteurstraße. Hier soll die Geschäftsführerin Sonja A. (Name von der Redaktion geändert) der Frankfurter “Solar-Projekt Ostritz Verwaltungs mbH” ihren Wohnsitz haben. Doch auf keinem der fast 100 Namensschilder des heruntergekommenen Betonblocks taucht deren Name auf. Wohl aber der einer Freundin von Sonja A. – auch das nur eine Briefkastenadresse?
Eine 22-jährige als “Kopf” dieser “Unternehmung” ist kaum zu glauben
Immerhin muss sich Sonja A. aber hier zumindest angemeldet haben, denn nach notarieller Urkunde hatte sie sich in Rimbach (Odenwald) beim Notar mit einem gültigen “amtlichen Lichtbildausweis” ausgewiesen, als sie die Firma am 10. November 2011 gegründet hat. Laut Dokumenten gab es am 30. November 2011 einen notariellen Nachtrag und ebenso am 24. Januar 2012. Bis zu diesem Datum ist ihre Spur aktuell zu verfolgen.
Die 22-jährige Geschäftsführerin dieser zwei Briefkasten-GmbHs gibt als Stammkapital 25.000 Euro an. Der Notar bestätigt. Nach unseren Recherchen hat sie die Julius-Springer-Berufsakademie in Heidelberg besucht oder besucht sie noch.
Auch der Einsatz der Baumaschienen geht sicherlich in die Tausende. Und wie schafft es eine 22-jährige, sich von einem weltweit agierenden Solarunternehmen ohne Sicherheitsleistung so viele wertvolle Paneele liefern zu lassen? Ruft man einfach irgendwo an, sagt: “Hey, ich bau nen Solarpark” und bekommt für nahezu zwei Millionen Waren geliefert? Woher hat eine junge Frau so viel Geld? Und wieso glaubt sie, Projekte in Millionenhöhe abwickeln zu können? Oder ist sie nur eine “Strohfrau” – hinter der andere Personen stecken? Und wenn ja, wer? Die beiden Männer, die in Ostritz aufgetreten sind, tauchen nirgends in den uns vorliegenden Dokumenten auf. Kann eine 22-jährige einen solchen “Deal” einfädeln? Kaum zu glauben.
Zweifelhafte Auskünfte der Hafengesellschaft
Dubios ist auch die Auskunft der Justiziarin der Hafengesellschaft, Frau Sulzmann. Angeblich habe die Hafengesellschaft nicht gewusst, dass es sich bei dem eigenen Gelände um eine Grünfläche handelt, mit Verdacht auf “Altlasten”:
Wir gingen davon aus, dass das betriebliches Hafengelände ist.
“Davon ausgehen” ist eine erstaunliche Begründung von einer Juristin, die im Studium doch sicher mal den Unterschied zwischen Vermutungen und Fakten gelernt hat.
Ebenfalls merkwürdig: Man habe mit der “Solar-Projekt Ostritz” einen Mietvertrag ausgehandelt, so Frau Sulzmann, nach dem der Mieter sich um alle notwendigen Genehmigungen kümmern musste. Mit wem wurde wann wie auf Basis welcher Angaben und Nachweise verhandelt? Liefen die Verhandlungen nur telefonisch? Dazu gibt es keine detaillierten Informationen von der Hafengesellschaft.
Dass man zur Errichtung eines Solarparks einen Bebauungsplan braucht, habe man angeblich auch nicht gewusst. Und dass das Gelände dafür gerodet werden musste? Auf diese Frage kommt wieder der Verweis, darum habe sich der Mieter zu kümmern gehabt.
Die Fläche ist doch im Flächennutzungsplan,
sagt Frau Sulzmann weiter: “Und es ist kein Naturschutzgebiet.” Das hat auch niemand behauptet – nur, dass es ein Biotop war. Mittlerweile ein zerstörtes.
Der Mietvertrag kam angeblich nie an. Und von den Bauarbeiten und dem Auslegen der Paneele habe man auch nichts gewusst, bis die Sache öffentlich geworden sei. Aktuell wird die weggeschobene Erde wieder zurückgeschoben: Auftraggeber ist die Hafengesellschaft. Angeblich wolle man das Gebiet renaturieren und sich mit Stadt und Umweltverbänden dazu im April treffen. Wie hoch die Kosten dafür veranschlagt werden, weiß Justiziarin Sulzmann nicht.
Nur soviel: Anzeige gegen die verantwortliche Firma “Solar Ostritz” habe man noch nicht erstattet:
Wir wissen ja nicht, wie hoch der Schaden ist.
Oder will man das gar nicht wissen?
Die dürftigen Auskünfte und die wenig erkennbare Bereitschaft der Aufarbeitung des Vorgangs könnten vermuten lassen, dass man es gar nicht so genau wissen will und die Öffentlichkeit es nicht wissen soll. Dann wird sie pampig:
Sie können alles dazu im Mannheimer Morgen nachlesen.
Leitbild Ökologie?
“Alles im Mannheimer Morgen nachlesen?” So einfach sich Frau Sulzmann die Sache machen will, wird sie nicht werden. Immerhin ist die Staatliche Rhein-Neckar-Hafengesellschaft Mannheim mbH (HGM) zu 100 Prozent im Besitz des Landes Baden-Württemberg. Und im Mannheimer Morgen waren bislang keine wesentlichen Hintergrundinformationen zu lesen.
In Leitbild der Hafengesellschaft stehen Sätze wie:
Umweltschutz und Energieeffizienz gehören zu den Leitsätzen des Hafens Mannheim. – Und- Der Hafen Mannheim hat in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang in Umweltschutzmaßnahmen investiert. Eigene Photovoltaikanlagen, die die selbst benötigte Energie produzieren, neue Beleuchtungsanlagen oder vorbeugende Maßnahmen, welche zum Beispiel wasserseitige Ölunfälle eindämmen, zeigen wie ernst das Thema im Hafen Mannheim genommen wird.
Die Hafengesellschaft betreibt also eigene Photovoltaik-Anlagen und weiß angeblich nichts darüber, ob seine Flächen dafür nutzbar sind oder nicht? Und dass es eines geregelten behördlichen Ablaufes bedarf, um solche Anlagen zu planen, zu bauen und in Betrieb zu nehmen?
Soll man das glauben? Und wenn ja, muss man dann nicht vermuten, dass auch in den vergangenen Jahren schon so verfahren wurde? Den Geschäftsführer, Hafendirektor Roland Hörner, können wir dazu nicht befragen, der ist diese und kommende Woche nicht vor Ort.
Aufsichtsrat Lothar Quast ist auch Chef des Bauamts
Im Aufsichtsrat, dem Kontrollorgan, sitzen neben den Staatssekretären Ingo Rust (SPD) und Dr. Gisela Splett (Bündnis90/Die Grünen) weitere honorige Persönlichkeiten wie Ministerialdirektoren und Ministerialräte und auch Mannheims Bürgermeister Lothar Quast. Seines Zeichens als Beigeordneter verantwortlich für Planung, Bauen, Umweltschutz und Stadtentwicklung. Mithin Chef des Bauamts.
Beim Bauamt gab man sich Anfang des Jahres bei unseren Recherchen zugeknöpft. Gegenüber dem Mannheimer Morgen wurde behauptet, es habe nie einen Kontakt zwischen der Stadt und der “Solar-Projekt Ostritz” gegeben. Merkwürdig nur, dass der Leiter des Fachbereichts Baurecht und Umweltschutz von der Zeitung zitiert wird, dass die Firma “Solar-Projekt Ostritz” sich “im bürokratischen Gestrüpp zwischen Grundbüchern und Flächennutzungsplänen verstrickt habe”. Woher weiß der Mann das? Eine Grundbucheinsicht bekommt man nicht einfach so – ein Kontakt zum Amt ist auf jeden Fall notwendig. Doch Baurechtsreferent Krah sagte der Zeitung:
Mit uns hat keiner gesprochen.
In einem anderen Text habe Herr Krah angeblich der Firma ein Ordnungsgeld angedroht und wird zitiert, es sei “undurchsichtig, wer überhaupt verantwortlich ist”. Wen man keinen Verantwortlichen ausmachen konnte, wem hat man dann ein Ordnungsgeld angedroht? Und in welcher Höhe? Und auf welcher Grundlage? Tatsächlich sind diese amtlichen Auskünfte ebenfalls mindestens “undurchsichtig”.
Und ist es für eine Rechtsaufsichtsbehörde wirklich so schwierig, die Geschäftsführerin einer Firma und deren Meldeadresse ausfindig zu machen? Noch dazu in der eigenen Stadt?
Im allgemeinen sind Geschäftsführer verantwortlich für die Geschäfte eines Unternehmens. Und die Geschäftsführerin der “Solar-Projekt Ostritz” wohnt in Mannheim.
Bei der Causa “Solarkrimi” sind viele Fragen offen
Kann man die verworrenen Angaben der Behörden also glauben? Oder dass eine 22-jährige Frau zwei Firmen gründet, eine im hessischen Frankfurt, eine im sächsischen Ostritz, so forsch ist, eben mal eine Bauunternehmung zu beauftragen 40.000 Quadratmeter Biotop ohne Genehmigungen zu roden und als Geschäftsführerin Ware im Wert von fast zwei Millionen Euro für eine komplexe technische Solaranlage bestellt, obwohl noch kein Kabel liegt, um den erzeugten Strom zu transportieren?
Und niemand bei der Stadt und der Hafengesellschaft hat von irgendetwas gewusst? Irgendeinen Verdacht gehabt? Ist allein eine 22-jährige mit ihren frisch gegründeten Firmen verantwortlich für das Desaster?
Oder trägt noch jemand eine Verantwortung? Was hat die Hafengesellschaft unternommen, um die Seriosität der Firma zu prüfen?
Es wird spannend werden zu erfahren, welche Ermittlungsergebnisse die Staatsanwaltschaft Mannheim zusammentragen wird. Eine Staatsanwaltschaft ist immer verpflichtet, “offen” zu ermitteln – also belastende Fakten als auch entlastende zu ermitteln – für alle Seiten. Die Causa “Solarkrimi” birgt noch viele Geheimnisse und deren Aufdeckung könnte so manchem nicht gefallen.