Mannheim, 03. Februar 2016. (red/me) Regelmäßig schaut ganz Deutschland nach Mannheim und will sich die Zukunft vorhersagen lassen. In N7 entstehen die Wahlprognosen der Forschungsgruppe Wahlen. Doch wenn die Zahlen nicht gefallen, kann man sich mit seinem Blick auch nach Berlin wenden, wo Infratest dimap seine Zahlen präsentiert. Oder man glaubt lieber den Zahlen des Kölner forsa-Instituts. Auch im Hinblick auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg hat das Rennen der Wahlforscher längst begonnen, um uns die Zukunft vorherzusagen. Oder um sie selbst mit zu beeinflussen? Sind Wahlprognosen mehr als nur Schlagzeilen wert?
Von Mathias Meder
Am 13. März um 18 Uhr schließen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Wahllokale und die Wahlhelferinnen und -helfer beginnen damit, die Wahlumschläge zu öffnen. Gegen 23 Uhr ungefähr verkündet der Landeswahlleiter das vorläufige amtliche Endergebnis. Das ist auch noch nicht endgültig und kann sich tatsächlich noch ändern. Erst drei Tage nach der Wahl wird das Ergebnis feststehen, auf die Kandidatinnen und Kandidaten, aber auch die Medien so lange warten mussten.
Wer möchte die Zukunft nicht schon heute wissen?
Für 2,99 Euro pro Minute kann man sich auf AstroTV die Karten legen lassen. Die großen Zeitungen und Fernsehanstalten bedienen sich hingegen seriös auftretender Institute, um Wahlen vorherzusagen. Ob die am Ende richtig lagen, interessiert dabei kaum noch jemanden. Es ist höchstens ein Indiz dafür, wie sehr man ihnen in Zukunft vertrauen kann.
Innerhalb von sieben Tagen veröffentlichten Ende Januar gleich drei Institute ihre Prognosen für Baden-Württemberg. Die Interpretation der Ergebnisse ist anschließend jedem frei möglich. SWR und Stuttgarter Zeitung berichteten über ein Patt der beiden Lager, der Spiegel beschäftigte sich in seiner Schlagzeile nur mit dem Ergebnis der AfD. Beim SWR dagegen wurde aufgrund der Wahlprognosen versucht, die Teilnehmer der Elefantenrunde festzulegen. Nicht nur die im Landtag vertretenen Parteien sollten eingeladen werden, sondern auch die nach Prognosen zu erwartenden zukünftig Gewählten.
Wahlumfragen heizen die Stimmung an
Die Aufgeregtheit der Wahlkämpfer wird nirgends so deutlich, wie nach der Veröffentlichung von Wahlprognosen. So bemühen sich alle Parteien, die Ergebnisse der Wahlprognose, die für sie am besten ausfällt, schnellstmöglich zu ihren Gunsten zu interpretieren. Und die Medien geben das Auf und Ab in den Wahlprognosen an ihre Leserinnen und Leser weiter.
Dabei vergisst man dann leicht, dass alle Wahlforscher in ihren Prognosen auch Fehler eingestehen. Bis zu drei Prozentpunkten können die Prognosen nach unten oder nach oben abweichen. Statt der prognostizierten 34 Prozent für die CDU, könnten es also auch 31 Prozent oder auch 37 Prozent sein. Die Forschungsgruppe Wahlen macht das auch immer wieder deutlich – allein es kümmert niemanden:
Der Fehlerbereich beträgt bei einem Anteilswert von 40 Prozent gut +/- drei Prozentpunkte und bei einem Anteilswert von 10 Prozent gut +/- zwei Prozentpunkte.
Die gleichen Fehlerquoten gestehen auch die anderen Meinungsforscher ein. Und trotzdem werden die Zahlen als „die Wahrheit“ interpretiert und von den Parteien für ihre Zwecke weiter verwendet.
Doch selbst diese Fehlerquoten werden immer häufiger angezweifelt. Denn da die Wahlumfragen telefonisch bei Festnetzkunden erhoben werden, kam in den letzten Jahren immer mehr Fragen auf, inwieweit hierdurch verlässliche Daten überhaupt noch zu gewinnen seien. Die Forschungsgruppe Wahlen selbst hat daher auch im April 2014 untersuchen lassen, inwieweit die Telefonnutzung Auswirkungen auf die Wahlumfragen hat:
Der Aufsatz geht der Frage nach, ob Bevölkerungsumfragen, die über Festnetzstichproben erhoben werden, vor dem Hintergrund wachsender Mobilfunknutzung noch als repräsentativ angesehen werden können.
Die Forschungsgruppe Wahlen kommt zum Schluss, dass auch in Zukunft die Umfragen über das Telefonfestnetz am besten sind, obwohl der Anteil der sogenannten „Mobil-Onlys“, also der Menschen ohne Festnetz- und nur Mobiltelefon gerade bei jüngeren Menschen immer größer wird. Man fragt sich, ob und wie lange diese Aussage noch Gültigkeit haben wird.
Wird Meinung gemessen oder gemacht?
Bleibt noch die Frage, ob durch die Wahlumfragen die politische Stimmung lediglich ermittelt wird oder ob sie durch die Wahlumfragen verändert wird. Anders gefragt: Findet bei Wahlumfragen eine Wählerbeinflussung statt? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich nur einmal zwei Grafiken anschauen, die am 21. Januar 2016 erschienen sind und die beide auf den Zahlen der identischen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen beruhen.

Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom 21.01.2016. Link zur Originalseite

Grafik der Landeszentrale für Politische Bildung zu den Ergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen vom 21.01.2016. Link zur Originalseite
Während die Forschungsgruppe Wahlen die Zahlen mit ihrer eigenen Analyse von Dezember vergleicht, stellt die Landeszentrale die Zahlen in Beziehung zur Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa vom Vortag, die natürlich anders ermittelt wurde als bei der Forschungsgruppe Wahlen.
Selbst die Landeszentrale für politische Bildung suggeriert Stimmungen
Obwohl beide Grafiken die gleichen Zahlen präsentieren, verweist die Forschungsgruppe Wahlen zum Beispiel bei der SPD auf ein Minus von drei Prozentpunkten, bei der Landeszentrale kann die SPD mit plus zwei Prozentpunkten das gleiche Ergebnis als Erfolg verbuchen.
CDU und Grüne sind um je ein Prozent abgesackt, obwohl die Forschungsgruppe Wahlen bei der CDU ein schlechteres Abschneiden um drei Prozentpunkte und bei den Grünen eine Verbesserung um einen Prozentpunkt ermittelt hat. Das ist Stimmungsmache durch die Landeszentrale für politische Bildung. Seriös ist anders.
Wahlumfragen als Orientierung für die Wahlentscheidung
Im Nachgang zur vergangenen Bundestagswahl gab es einige Untersuchungen, die das Abschneiden der FDP zum Thema machten. Noch wenige Tage vor der Wahl stand die FDP über fünf Prozent, selbst die Kanzlerin Angela Merkel versicherte damals, dass die Liberalen es packen würden und verweigerte sich einer Leihstimmenkampagne. Die FDP erreichte jedoch nur 4,8 Prozent und flog damit aus dem Bundestag. Die Wähler entschieden sich also anders als prognostiziert. Man war sich vielleicht auch aufgrund der Umfragen zu sicher?
Genau andersrum verhielt es sich wohl bei der Niedersachsen-Wahl im Januar 2013. In der BILD-Zeitung erklärte damals Klaus-Peter Schöppner vom Meinungsforschungsinstitut Emnid:
Weil fast drei Viertel der Wahlberechtigten im Vorhinein die Chancenlosigkeit der Regierungsbildung ohne FDP klar war, passierte einmalig Sonderbares: Eine Drei-Prozent-Partei katapultierte sich auf 9,9 Prozent.
Wahlumfragen sind also keineswegs nur ein Stimmungsbild der aktuellen politischen Stimmung, sondern immer auch Projektionsfläche für den politischen Wettbewerb kurz vor einer Wahl. Und je weniger Wählerinnen und Wähler vor einer Wahl wissen, wen sie wählen wollen, desto wichtiger werden Umfragen, an denen sie sich orientieren können. Die eigentliche Wahl gerät damit jedoch zum rein taktischen Manöver und nicht mehr zur Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen der Parteien.