Rhein-Neckar, 02. Oktober 2013. (red/ld) Sie schürten Angst vor einer Asylbewerberschwemme und gingen damit auf Stimmenfang – mit Erfolg. In Sinsheim, wo die meisten Asylbewerber im Rhein-Neckar-Kreis zentral untergebracht sind, konnte die rechtsextreme Partei ihr Ergebnis im Vergleich zu 2009 deutlich steigern. Der Stimmenanteil lag hier sogar doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt.
Von Lydia Dartsch
Die Bundestagswahl ist vorbei. Alle reden über die Koalitionsverhandlungen. Aber was ist mit der NPD? Klar, sie ist eine Splitterpartei – aber immerhin „wichtig“ genug, dass viele sie gerne verbieten würden. In ihrem Wahlkampf schürte sie mit fremdenfeindlichen Parolen Angst vor Asylbewerbern. Im Vorfeld der Wahl hielt sie zahlreiche Kundgebungen ab, veranstaltete ihren Parteitag in Weinheim-Sulzbach und es gab sogar das Gerücht, sie wolle im Weinheimer Vorort eine Gaststätte kaufen.
Die NPD ist präsent. In Weinheim geht das Innenministerium von einer „gefestigten rechten Szene“ aus – ebenso in der Region, vor allem im Kraichgau. Grund genug also, sich die Ergebnisse der rechtsextremen Partei genau anzusehen – angesichts ihrer Wahlkampfthemen mit einer zentralen Frage: Holt die NPD vor allem in Kommunen mit Asylbewerbern Stimmen?
20 Prozent der NPD-Stimmen aus Sinsheim
In den meisten Fällen trifft das zu. Für die wenigen Ausnahmen gibt es Gründe. 771 Asylbewerber sind derzeit im Rheinneckarkreis zentral in Heimen untergebracht. Die meisten von ihnen – 425 – wohnen in Sinsheim. Das Ergebnis der NPD lag hier fast doppelt so hoch wie das Ergebnis des Wahlkreises Rhein-Neckar.
2,4 Prozent der Erst- und 2,5 Prozent der Zweitstimmen erreichte sie in Sinsheim. In Zahlen sind das 414 von 2040 NPD-Erststimmen und 442 von 1.936 NPD-Zweitstimmen im gesamten Wahlkreis. Das bedeutet: Rund 20 Prozent der NPD-Wähler im Wahlkreis Rhein-Neckar wohnt also in Sinsheim.
Ebenfalls über dem Wahlkreisdurchschnitt, aber mit fallender Tendenz liegt das Ergebnis in Spechbach, wo 74 Asylbewerber untergebracht sind. Bei der Wahl 2005 erhielt die NPD 3,6 Prozent der Erststimmen. Im Jahr 2009 waren es noch 2,3 Prozent; in diesem Jahr noch 2,0 Prozent. Bei den Zweitstimmen gab es zwischen den Wahlen 2005 und 2009 einen Abfall von 0,6 Prozentpunkten. In diesem Jahr hielt sich die NPD bei 1,9 Prozent.
Schwankende Zahlen deutlich über dem Wahlkreisdurchschnitt gibt es in Mühlhausen. 20 Asylbewerber sind dort untergebracht – es ist die kleinste Gruppe im Rhein-Neckar-Kreis. Im Jahr 2005 gaben 2,1 Prozent der Wähler ihre Erststimme der NPD. 2009 waren es 2,4 Prozent; in diesem Jahr 1,9 Prozent. Bei den Zweitstimmen steigerte sich die NPD von 2005 auf 2009 um 0,1 Prozentpunkte auf 1,8 Prozent und fiel in diesem Jahr wieder zurück auf den Stand von 2005.
Rechtsextremismus ein Problem der Kommunalkultur?
In Ladenburg ist mit 161 Personen die zweitgrößte Gruppe Asylbewerber im Rhein-Neckar-Kreis untergebracht. Gleich zwei mal innerhalb weniger Wochen hat die NPD dort Kundgebungen abgehalten. Das Wahlergebnis ist trotzdem gefallen; liegt mit 0,8 Prozent der Erst- und 0,7 Prozent der Zweitstimmen nah am Wahlkreisdurchschnitt. Im Jahr 2005 waren es noch 1,2 Prozent der Erst- und 0,7 Prozent der Zweitstimmen. Bei der Wahl 2009 erhielten sie 1,1 Prozent der Erst- und 0,9 Prozent der Zweitstimmen.
Die Stadtverwaltung zelebriert bei interkulturellen Festen ihre Vorstellung einer bunten, toleranten Stadt. Bürger mobilisierten Gegendemonstrationen zu den Kundgebungen der NPD. Die Unterbringung der Asylbewerber in der alten Martinsschule weckte bürgerschaftliches Engagement: Arbeitskreise bildeten sich, die den Bewohnern helfen, die Sprache zu lernen und sich hier zurecht zu finden. Die Medienberichterstattung war umfangreich – unter anderem bei uns.
Ähnlich verhält es sich Neckargemünd, wo 49 Asylbewerber untergebracht sind. Die Wahlergebnisse der NPD sind hier fallend und liegen deutlich unter dem Wahlkreisergebnis: 2005 erhielt sie noch 1,1 Prozent der Erst- und 0,8 Prozent der Zweitstimmen. Im Jahr 2009 blieb der Erststimmenanteil gleich, der Zweitstimmenanteil fiel um 0,1 Prozentpunkte. Bei der Wahl 2013 verlor sie mehr als ein Drittel ihrer Wähler und erreichte nur noch 0,7 Prozent der Erst- und 0,5 Prozent der Zweitstimmen.
Auf Nachfrage teilt uns die Stadt Neckargemünd mit, dass es hier eine starke grüne Szene gebe, die mit dem Thema sehr offensiv umgeht. Nach dem Krieg habe die Stadt in den 50-er Jahren ein großes Kontingent Flüchtlinge aufgenommen. Diese Menschen könnten nachvollziehen, was die Asylbewerber auf ihrer Flucht durchgemacht haben. Zudem seien viele Menschen, die dort wohnen, an der Universität beschäftigt oder studieren. Interkulturelles Leben ist hier selbstverständlicher als anderswo.
Ähnlich dürfte auch die Begründung für die Ergebnisse der NPD in Walldorf lauten, wo mit der SAP AG als international tätigem Unternehmen Kontakte zu Menschen verschiedenster Herkunft selbstverständlich ist. 44 Asylbewerber hat der Rhein-Neckar-Kreis in Walldorf untergebracht. Das Wahlergebnis der NPD liegt ebenfalls unter dem Wahlkreisdurchschnitt: 2005 erhielt sie 1,5 Prozent der Erst- und 1,0 Prozent der Zweitstimmen. Bei der Wahl 2009 waren es 1,6 Prozent der Erst- und 0,9 Prozent der Zweitstimmen. In diesem Jahr erreichten sie 1,0 Prozent der Erst- und 0,7 Prozent der Zweitstimmen.
Die kulturelle Komponente und der Einfluss von internationalen Kontakten, beispielsweise durch Universitäten und Hochschulen auf den Erfolg rechtsextremer Parteien wird durch das Wahlergebnis in Heidelberg gestützt. Bei der Wahl 2009 erreichte die NPD noch 2,9 Prozent der Erst- und 0,7 Prozent der Zweitstimmen. Im Jahr 2009 schrumpften die Werte auf 0,7 Prozent der Erst- und 0,5 Prozent der Zweitstimmen und erreichte in diesem Jahr einen Tiefpunkt bei 0,5 Prozent der Erst- und 0,4 Prozent der Zweitstimmen.
Stimmgewinne für NPD-Kandidat in Mannheim
Im Wahlkreis Mannheim bleibt die NPD-Wählerschaft stabil, legte mit dem Kandidaten Silvio Waldheim sogar noch 0,1 Prozentpunkte zu: 2005 erzielte sie 1,3 Prozent der Zweitstimmen. Silvio Waldheim trat erst zur Bundestagswahl 2009 an und holte 1,8 Prozent der Stimmen – bei der diesjährigen Wahl waren es sogar 1,9 Prozent. Der Anteil der Zweitstimmen blieb 2009 bei 1,3 Prozent und fiel in diesem Jahr auf 1,2 Prozent.
502 Personen beziehen hier Mittel nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. 342 von ihnen leben in Gemeinschaftsunterkünften. Dennoch liegt das Wahlergebnis der NPD unter dem Ergebnis in Sinsheim und dem Ergebnis des Wahlkreis Rhein-Neckar. Seit 2009 liegen die Werte deutlich über den Landesergebnissen: Bei den Wahlen 2005 und 2009 gaben 1,6 Prozent der Wähler der NPD ihre Erststimme; 2013 fiel dieser Wert auf 1,2 Prozent. Bei den Zweitstimmen holte die NPD 2005 und 2009 1,1 Prozent und 2013 1,0 Prozent.
Rechtes Lager an der Bergstraße stark
Die Beispiele Neckargemünd und Walldorf zeigen, dass man dem Thema begegnen muss. Man muss die Menschen im Ort informieren, Angst vor Fremden ernst nehmen und durch Information und Möglichkeiten zur Begegnung abbauen – auch in Weinheim, wo der NPD-Kreisvorsitzende Jan Jaeschke wohnt und wo in diesem Jahr der NPD-Parteitag sowie mehrere Kundgebungen stattfanden.
Es reicht nicht, zu behaupten, Weinheim sei bunt und darüberhinaus nichts zu tun. 2,6 Prozent der Wähler gaben im Jahr 2005 ihre Erst- und 1,7 Prozent ihre Zweitstimme. Im Jahr 2009 waren erhielt Jan Jaeschke 1,5 Prozent der Erststimmen und die NPD 1,2 Prozent der Zweitstimmen. In diesem Jahr erreichte sie nur noch 1,1 Prozent der Erst- und 1,0 Prozent der Zweitstimmen. Ergebnis, das deutlich über dem Wahlkreisergebnis (0,7/0,7) liegt.
Das gleiche Bild in Hemsbach, wo weder die Stadtverwaltung noch die Gemeinderatsfraktionen auf unsere Anfrage nach einer Stellungnahme zu der Kundgebung am 31. August reagierte: Auch hier liegt die Zustimmung zur NPD deutlich über dem Wahlkreisergebnis. Bei der Wahl 2005 bekam die Partei 2,1 Prozent der Erst- und 1,4 Prozent der Zweitstimmen. 2009 waren es 1,8 Prozent der Erst- und 1,5 Prozent der Zweitstimmen. Bei der Wahl in diesem Jahr holte sie bei beiden Stimmen noch 1,0 Prozent.
Die NPD-Wahlergebnisse in den Wahlkreisen zum Vergleich
Die Stimmanteile für die NPD im Wahlkreis Rhein-Neckar (277) sind seit 2005 gefallen. Vor acht Jahren erreichten sie noch 2,0 Prozent der Erst- und 1,4 Prozent der Zweitstimmen. Bei der Wahl 2009 holten sie 1,9 Prozent der Erst- und 1,3 Prozent der Zweitstimmen. In diesem Jahr lag der Erststimmanteil noch bei 1,4 Prozent. Ihr Zweitstimmenanteil blieb stabil bei 1,3 Prozent.
Deutlichere Verluste gab es im Wahlkreis Heidelberg (274). Hier verlor die NPD seit 2005 50 Prozent der Erst- und 30 Prozent der Zweitstimmen. Wählten 2005 noch 1,4 Prozent der Wähler mit der Erststimme die NPD – 1,0 Prozent waren es bei der Zweitstimme – erreichten sie 2009 noch 1,0 Prozent der Erst- und 0,8 Prozent der Zweitstimmen. In diesem Jahr waren es nur noch 0,7 Prozent bei den Erst- und Zweitstimmen.
Nach verschiedenen Wahlanalysen könnten NPD-Anhänger teils auch der AfD mit deren eurokritischem Kurs ihre Stimme gegeben haben – „Raus aus dem Euro“ ist auch ein Slogan der NPD. Die Partei gilt zudem vielen Hardcore-Rechtsradikalen noch als zu „liberal“ – die rechte Szene organisiert sich zunehmen in Kameradschaften und anderen lockeren „Bündnissen“. Diese stellen sich nicht zur Wahl und sind statistisch nicht zu erfassen. Der Verfassungsschutz bezeichnet diese Szenen als „gefestigt“ – insbesondere im Kraichgau.
Obwohl das Wahlergebnis insgesamt schlecht für die NPD war – sie hat mehr als 0,5 Prozent der Stimmen bundesweit erreicht. Und kommt damit in den Genuss von Steuergeldern, mit denen sich die Verbreitung der rechtsradikalen, menschenverachtenden Botschaften weiter finanzieren lassen.
Anm. d. Red.: Wir haben alle Gemeinden in unserem Berichtsgebiet betrachtet, aber nur die positiv oder negativ auffälligen dargestellt. Die nicht genannten Gemeinden lagen irgendwo dazwischen.