Mannheim/Rhein-Neckar, 02. April 2015. (red/cb/pro) „Gegen das Vergessen“ heißt das Projekt, von dem Luigi Toscano eines ganz genau weiß: „Ich muss das machen.“ Er hat die Vision – wie die Umsetzung dann konkret sein wird, wird sich ergeben. Er weiß, dass er Menschen in großformatigen Abzügen porträtieren und im öffentlichen Raum installieren wird. Dafür reist er in die Geschichte der Menschen und lässt sie erzählen, um zu erinnern, was nicht vergessen werden darf. 70 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs und der Nazi-Diktatur besucht er Opfer, die überlebt haben. Zusammen mit seiner Kamerafrau Sofia Samoylova spricht er mit uns bei unserer öffentlichen Redaktionskonferenz über das Projekt im Casino des Capitols.
Von Hardy Prothmann, Mitarbeit: Carolin Beez
Wenn ich mir was in den Kopf gesetzt habe, dann versuch ich das zu machen, weißt Du,
sagt Luigi Toscano. Der Blick ist direkt, aber auch ein wenig nach innen, mit einem feinen Lächeln. Er hat schon viel gemacht, vielleicht ist manches auch nur ein Versuch geblieben. Wie das halt so ist im Leben.
Luigi Toscano ist ein Autodidakt. Einer, der versucht. Dass er heute ein hervorragende Fotograf ist, hat sich zufällig ergeben:
Es gab da mal ein tolles Angebot. Ich sah diese Kamera und wusste, die will ich haben. Also habe ich sie gekauft. Dann hab ich festgestellt, dass ich gar nicht richtig damit umgehen kann.
Er besucht einen VHS-Kurs, probiert die Kamera aus und lernt. Heute ist er ein Profi. Und lernt immer noch. Aktuell auf seinen Reisen zu Menschen, die vor 70 Jahren die Nazi-Verfolgung überlebt haben.
Er reist nach Russland, in die Ukraine, nach Israel – weitere Reisen stehen bevor. Er trifft Juden, Zwangsarbeiter und andere Opfer der Nazi-Verfolgung. Begleitet wird er von der jungen Kamerafrau Sofia Samoylova. Die Reisen sind anstrengend. Harte Arbeit. Es sind lange Wege. Und immer wieder intensive Momente:
Weißt Du, manchmal hab ich auch viel geweint mit den Menschen. Das geht gar nicht anders, wenn Du deren Schicksale erfährst.
Und manche dieser Menschen weinten ohne Tränen, „das wirkte, als hätten die so viel geweint, dass die Tränen erschöpft sind. Es gibt keine mehr, obwohl der Schmerz nie zu Ende geht.“
Wenn Luigi Toscano von seinen aktuellen Begegnungen mit Überlebenden von Holocaust und Zwangsarbeiter erzählt, dann werden seine Augen auch schon mal feucht. Er atmet durch und steckt sich eine Selbstgedrehte an. Er hat sich was in den Kopf gesetzt:
Das zieh ich durch, egal, was passiert.
Früher war mal Dachdecker, Fensterputzer und Türsteher. Sohn italienischer Gastarbeiter. In Mainz aufgewachsen, zur Ausbildung als Mediengestalter nach Mannheim gekommen und hier geblieben. Das Adria am Alten Meßplatz ist so eine Art Wohnzimmer für ihn. Wenn er hier sitzt, eine Minestrone ißt, zwinkert er diesem und jener zu. Viele kennen ihn und er kennt viele, als „der Luigi“.
2003 hat er seine erste Ausstellung. Irgendwann gilt er als Künstler. Sehr beeindruckend war das Projekt „Heimat-Asyl“ im vergangenen Sommer. Er hatte Portrait-Aufnahmen von Asylbewerbern in großformatigen Abzügen in die Fenster der Feuerwache installiert, um die Gesichter dieser Menschen unübersehbar zu machen:
Ich bin Fotograf und Filmemacher. Und neben meinen Aufträgen mache ich Installationen.
Das klingt bescheiden, ist es aber überhaupt nicht. Der Aufwand hinter seinem aktuellen Projekt „Gegen das Vergessen“ ist enorm. Schon physisch eine absolute Energieleistung. Er reist viel und weit – letztlich, um ganz nah an die Menschen heranzugehen. Stundenlange Gespräch. Emotionen. Näher geht nicht.
Aktuell hat er über 120 Überlebende des Holocaust, der Zwangsarbeit, der Verfolgung getroffen. Weitere Reisen und Begegnungen sind geplant.
In unserer öffentlichen Redaktionskonferenz sprechen wir heute ab 17 Uhr im Casino des Capitols mit Luigi Toscano und seiner Kamerafrau Sofia Samoylova über „Gegen das Vergessen“. Eine einmalige Gelegenheit die Menschen hinter der Installation zu erleben, die ab Herbst zu sehen sein wird. Wieder mit großformatigen Porträts an der Fassade der Feuerwache. Dazu wird es einen Fotoband und einen Dokumentarfilm geben. Gefördert wird das Projekt durch die Stadt Mannheim und die Baden-Württemberg-Stiftung, einen privaten Sponsor und vor allem durch den Willen, „zu erfahren, was man nicht vergessen darf.“
Video-Trailer gibt es bei Youtube.
Programm (hier geht es zum Termin auf Facebook):
17:00 Uhr. Wir begrüßen Edo Zanki, der am Abend im Capitol auftritt. Das Thema: „Der Vorhang fällt, die Show ist vorbei. Wie erlebt ein Musiker die Stille nach der Party?“
Gegen 17:30 Uhr: Blattkritik. Dr. Thomas Ott, Dipl.-Geograph, Berater der CDU-Gemeinderatsfraktion Weinheim und Mitglied in mehreren Ausschüssen lobt und tadelt unser redaktionelles Angebot.
Ab 17:40-18:45 Uhr: „Gegen das Vergessen.“ Luigi Toscano und Sofia Samoylova im Gespräch.
Der Eintritt ist frei und das Publikum ist herzlich eingeladen, sich zu beteiligen.