
Der Meister der Schmachtballaden: DTK.
Ladenburg, 02. Juli 2012. (red/la) Am Samstag war Ladenburg wohl die bunteste Stadt Deutschlands. Tausende Schlagerfans in Plateaustiefeln und Rüschenhemden pilgerten durch die Straßen in Richtung Festwiese. Dort wollten sie den Abend mit einem erfolgreichsten deutschen Schlagerbarden verbringen: Dieter Thomas Kuhn.
Mitte der 1990er löste der Tübinger Musiker Thomas Kuhn gemeinsam mit dem kurzzeitig erfolgreicheren Kollegen Guildo Horn die Neo-Schlagerwelle aus.Das einfache Konzept hieß Schlager nachspielen und noch übertriebener als die Originale sein. Im Gegensatz zu Grand-Prix-Teilnehmer Horn füllt Kuhn jedoch heute immer noch die Hallen und Festwiesen. Und das, obwohl er mehrere Jahre dem Schlager den Rücken gekehrt hatte. 2006 holte er den Paillettenanzug wieder aus der Mottenkiste und tourt wieder. Am Freitag erschien das neue Album: „Hier ist das Leben“.
Schmachten und jubeln.
7.500 Menschen lockt der 47-Jährige am Samstagabend auf die Festwiese. Weitere 350 Zaungäste machen es sich vor der Absperrung oder am Neckarhausener Ufer gemütlich. Um 20:06 Uhr ist es soweit: Zu „Musik ist Trumpf“ betreten Dieter Thomas Kuhn und Band in glitzernden Paillettenanzügen die Bühne. Sofort recken Hunderte Fans ihre Sonnenblumen jubelnd in die Höhe. Der „Kindergeburtstag“ beginnt. Während er „Sag mir quando“ schmachtet, öffnet die „singende Föhnwelle“ den oberen Teil seines rot-weiß glitzernden Hemdes. Zum Vorschein kommt das obligatorische Brusthaartoupet. Diesmal ist die Wolle herzförmig.
Über den lang gezogenen Catwalk schreitend steht Kuhn nun mitten im Blumenmeer der Fans. Die erste Sonnenblume fliegt in seine Richtung. Er fängt sie weitersingend mit einer lässigen Geste und lächelt. Wieder brandet Jubel auf. Kuhn wirft Handküsschen in die Menge.
Dann will Kuhn „Über den Wolken“ anstimmen, aber kommt über die ersten drei Worte nicht hinaus. Er stockt. Immer lauter sind die Worte „Dieter, Dieter Thomas Kuhn“ aus der Menge zu hören. Kuhn faltet die Hände und schüttelt sie dankend:
Ich habe Gänsehaut.
Die Stimmung auf der Festwiese ist locker und ausgelassen. Viele Frauen tragen Kleider mit Blümchenmuster oder in grellen Farben. Die eingefleischten Schlagerfans tragen Haarbänder und Plateaustiefel. Doch auch die Männer haben sich in Schale geworfen. Sie haben sich mit bunten Rüschenhemden, schwarze Afroperücken und rosa Brillen auf die Zeitreise in die goldene Zeit des deutschen Schlagers vorbereitet. Gerade Männer haben den Ruf „Dieter ich will ein Kind von Dir“ verinnerlicht. Es riecht überall nach Patchouli, nicht nach Hanf. Zwischendurch versuchen einzelne Fans, Massenpolonaisen anzustoßen.
Als die Band speziell für Griechenland „Griechischer Wein“ anstimmt, darf eine Frau im perfekten 70er-Outfit als erster Gast mit Kuhn auf die Bühne. Später werden einige mehr dazukommen.
Plötzlich jedoch ragt ein aufblasbarer Penis vor der Bühne in die Luft. „Wie bist Du mit dem Ding durch die Eingangskontrolle gekommen?“, ruft Kuhn dem Fan zu. „Schwein!“, setzt er amüsiert nach. Die weiter von der Bühne entfernt hochgehobene Gummipuppe ignoriert er.
Ekstase
Bei „Fremder ohne Freunde“ kommt der Tübinger von der Bühne und läuft ohne Unterbrechung singend durch die Zuschauer. Dutzende Fans umringen den Tübinger und zücken ihre Handys für ein Foto oder Video. Einige Frauen geraten nach einem Küsschen des Sängers in Ekstase. Ob diese nur gespielt oder doch echt ist, scheinen viele selbst nicht genau zu wissen.
Es ist Dieter Thomas Kuhns Erfolgsrezept die Grenzen zwischen Satire, Hommage und guter Musik so verschwimmen zu lassen, dass sich jeder darin wiederfinden kann. Er persifliert den freundlich-schmierigen Machismo der damaligen Stars ebenso, wie das realitätsentrückte eines Christian Anders. Alles zusammen ergibt einen so übertriebenen „Film“, den man nicht mehr ernst nehmen muss, sondern dem man sich bedenkenlos hingeben kann.
Auch wenn der größte Teil der Zuschauer „Ende Dreißig“ ist, sind auch etliche Teenager und Senioren zu sehen. Die Jungen sind eher neugierig: „Ich hab gehört, dass man das Ganze nur vollgesoffen ertragen kann“, sagt ein 16-Jähriger. Die Senioren, die einige der gecoverten Künstler live gesehen haben dürften, feiern ausgelassen mit.
Der perfekte Abend wird nur vom Wetter durchkreuzt. Gegen 21 Uhr nähern sich dunkle Wolken aus Richtung Süden. Da die Schlechtwetterfront Ladenburg wohl vor dem Konzertende erreichen wird, beendet der Veranstalter Demi Promotion den Abend bereits nach eineinhalb Stunden und Kuhn gibt ein letztes „Tränen lügen nicht“ mit auf den Weg. Normalerweise sind zwei Stunden das Minimum bei seinen Konzerten. Allerdings verspricht er seinen Fans noch, dass sie die verlorene Zeit im kommenden Jahr „doppelt und dreifach“ ersetzt bekommen.