Mannheim/Berlin/Bremen, 02. März 2015. (red/pro) Die bedrohlichen Szenarien durch Terroranschläge nehmen zu. Und die Zahl der Terrorakte konkret auch. Medien wie die taz müssen scheinbar „zwangsläufig“ – weil „systemkritisch“ – gegen das Gewaltmonopol des Staates argumentieren. Aber das ist ein Denkfehler. Leider.
Von Hardy Prothmann
Wenn ich aktuell an herausragende Journalisten denke, fallen mir nicht so viele Namen ein: Prantl, Fröhder, Schnibben, Leyendecker und andere sind so eine „old-school-Liga“, die ich seit Jahren schätze und von denen ich als jüngerer Journalist viel gelernt habe.
Es gibt noch ein paar andere und insbesondere Bettina Gaus. Wir haben uns nur ein paar Mal getroffen. Der Kontakt ist mehr als sporadisch, weil es halt so ist. Aber ich habe die Gespräche mit ihr genossen und sehr, sehr viele kluge Texte von ihr gelesen und sie im Fernsehen als reflektierte Journalistin gesehen.
Der aktuelle Kommentar „Vage Hinweise, zu große Geschütze“ in der aktuellen taz gefällt mir aber überhaupt nicht. Hieße denn nach einem Terroranschlag die Überschrift: „Konkrete Hinweise, zu kleine Geschütze“? Das kann es wohl nicht sein.
Prekäre Lage
Klug, wie die Kollegin Bettina Gaus ist, thematisiert sie die prekäre Lage der Sicherheitsbehörden. Jeder möchte bitte selbst den Artikel lesen, bis Frau Gaus zu dem Schluss kommt:
Der Eindruck verstärkt sich, dass derzeit noch der vageste Hinweis auf geplante Gewalttaten genügt, um die ganz großen Geschütze dagegen aufzufahren. Wenn es so bleibt, dann müssen Terroristen keine Attentate mehr verüben, um das Land von Grund auf zu verändern. Drohungen genügen.
Sie schreibt weiter:
Die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit fällt allerdings nicht in den Zuständigkeitsbereich von Fahndern und Polizisten, sondern ist Aufgabe von Politik und Gesellschaft. Ein altes Sprichwort sagt: Schiffe liegen am sichersten im Hafen – aber dafür werden sie nicht gebaut. Wenn Maschinenpistolen zum wichtigsten Instrument der Sicherung von Freiheit werden, dann ist die Freiheit schon verloren.
Liebe Frau Gaus, Sie haben im Durchdenken der Apokalypse recht. Aber Sie beschreiben ein Szenario, dass es in Deutschland (noch) nicht gibt. Bis jetzt. Vielleicht schauen Sie voraus – aber das haben Sie nicht geschrieben. Ebensowenig haben Sie die „besondere“ Situation in Bremen berücksichtigt – die Stadt gilt als Extremistenhochburg. Weiter ist Bremen nicht „die Gesellschaft“. Abstraktes Denken ist nie gut in pauschalen Formulierungen aufgehoben.
Es ist nicht Deutschland, es ist nicht deutsche Politik und es nicht europäisches Denken, das die Maschinenpistolen herausholt – es ist der weltweite Terror. Aktuell überwiegend islamistisch.
Fürchterliche Folgen des Terrors
Sie haben absolut Recht, dass die Folgen – auch ohne Attentate – fürchterlich sind. Aber Ihre Klage gegen die Schutzkräfte ist falsch. Denn Sie beschreiben nur einen Zustand, aber nicht die Konditionen. Sie weisen zurecht darauf hin, dass die Gesellschaft gefordert ist – aber fordern Sie diese auch? In Ihrem Text leider nicht.
Die Aufforderung an den Teil unserer (muslimischen) Gesellschaft, gegen den Terror zu stehen, vermisse ich. Ebenso wie Hinweise, dass muslimische Teile der Gesellschaft jemals bereits wesentlich dazu beigetragen haben, islamistischen Terror zu verhindern. Und damit meine ich nicht, dass Muslime sich entschuldigen müssen – ich meine damit, dass ich erwarte, dass diese sich aktiv gegen Terror einsetzen. Denn überall auf der Welt sind mehr Muslime durch Terror bedroht als eine verschreckte Bremer Stadtgesellschaft.
Waffen sind der Ausnahmezustand – immer und überall
Ich bin sehr froh, dass wir einen funktionierenden Rechtsstaat haben und eine funktionierende Polizei, die sogar und leider Maschinenpistolen gerade zum Schutz der Freiheit einzusetzen bereit sind, weil andere diese bedrohen.
Jeder mögliche Einsatz von Waffen ist ein Ausnahmezustand – aber mal ganz ehrlich, Frau Gaus, wer zwingt unsere Gesellschaft dazu? Sollen wir abwarten, bis eine Diskussiongesellschaft zusammengeschossen wird oder die taz-Redaktion eben mal ausgelöscht wird? Meinen Sie das wirklich ernst, dass Sie die „Nervosität“ der Sicherheitskräfte derart interpretieren, dass diese uns die Freiheit nehmen?
Ich frage das sehr ernst. Wollen Sie lieber frei sein zu sterben, als unfrei, indem Sie jemand beschützt und Ihnen ein Weiterleben ermöglicht? Das ist eine sehr entscheidende Frage.
Ganz klar, meine Frage ist rhetorisch. Ich bin wie Sie ein Verfechter der Freiheit und kein Freund von angeblichen Sicherheitsverschärfungen zu Lasten der Freiheit.
Aktuell, nach New York, London, Madrid, Paris und Kopenhagen bin ich aber geneigt, dem Terror jede Kante zu bieten, die möglich ist, um Freiheit zu gewähren.
RAF, Al-Qaida, IS ist Terror – aber nicht derselbe
Denn der Terror von heute lässt sich nicht im Ansatz mit dem Terror und der Reaktion des Deutschen Herbst vergleichen. Ich habe sowohl mit Ihrem von mir überaus geschätzten Vater Günter Gaus darüber lange gesprochen wie auch mit Herrn Gerhart Baum. Beide sind Zeitzeugen des RAF-Terrors gewesen und beide haben nach meinem Verständnis den repressiven Staat kritisch betrachtet.
Zu Recht, weil Maß und Mitte verloren waren. Sie haben den absoluten Vorzug als Tochter so viel mehr als ich von Ihrem Vater mit auf den Weg bekommen zu haben. Ihr Vater hat mir eine Episode in seinem Leben erzählt, in der er wohlwollend über Hitler gegenüber seinem Vater gesprochen hat. Ihr Opa muss wie Ihr Vater ein überaus beeindruckender Mensch gewesen sein, denn Ihr Opa hat Ihren Vater geohrfeigt und gemaßregelt, obwohl er sonst ein sanfter Mensch war.
Freiheit kommt niemals ohne Sicherheit aus – und umgekehrt
Wer Totalüberwachung fordert, gehört sofort überwacht – es geht ja um’s Totale. Ich wünsche mir aber wie alle anständigen Menschen Schutz vor Kriminellen und ich bin bereit, dafür konkret Einschränkungen zu akzeptieren. Die Alternative, für die „totale Freiheit“ unschuldige Tote akzeptieren zu müssen, erschließt sich mir nicht.
Und ich erdulde lieber eine demokratisch legitimierte Sicherheitsmaßnahme, als dass ich oder jemand anderes um sein Leben fürchten muss. Und wenn die Bedrohung zunimmt, müssen die Sicherheitsmaßnahmen verschärft werden.
Das ist so im Krieg. Denn der findet nicht mehr in der Komfortzone „weitweg“ statt, sondern mehr und mehr hier und jetzt und in unserem Leben.
Ich erkenne immer Bedrohungen der Freiheit – auch aus unserer Demokratie heraus – aber nach meiner Prioritätenliste gibt es viele unschöne Entwicklungen im „Innern“, aber deutlich bedrohlichere im „Äußeren“.
Und deshalb ist eine Reaktion auf „vage Hinweise“ besser als ein Terrorakt mit vielen Toten.
Anm. d, Red.: Lesen Sie nach diesem Beitrag den Text von Frau Gaus und dann auch sehr gerne Deutschlandfunk – und bilden Sie sich Ihre Meinung.