Mannheim, 01. Juli 2016. (red/me) Menschen aus Südosteuropa kommen bereits seit Jahren auch nach Mannheim und stehen hier mit Sprachdefiziten vor den Problemen des Alltags. Zuschüsse der Europäischen Union und der Bundesregierung werden in Mannheim in ein Projekt gesteckt, dass die Menschen fit machen will für diesen Alltag. Seit Mai wendet sich in vielen Stadtteilen „Anima“ an die Zuwanderer.
Die letzte Türe im Flur des Alten Volksbades hinten links trägt ein Schild mit kyrillischen Buchstaben. Die Frau vor der Türe klopft zaghaft an. Sie trägt ein Schreiben von der Rentenkasse mit sich.
Frau Sayvanska hat eigentlich jemand anderen erwartet. Doch nun steht die Dame in der Türe und sucht Hilfe bei ihr im Büro. Sie wird heute keine Hilfe bekommen. Bis ihre Probleme abgearbeitet sind, werden vermutlich rund drei Jahre vergehen. So lange dauert es im Durchschnitt, bis die Menschen ohne Betreuung zurecht kommen.
Um zu Gabriel Höfle, dem Quartiermanager in der Neckarstadt-West, zu gelangen, muss man durch das Büro in dem Frau Preslava Sayvanska sitzt. Sie ist eine der sechs Beraterinnen, die hier seit Mai für Anima tätig sind. Anima steht für „Ankommen in Mannheim“ und ist ein Projekt, das versucht, die Probleme von Zuwanderern aus Südosteuropa zu bewältigen.
Gabriel Höfle ist ihr Chef. Als Quartiermanager ist er in der Neckarstadt-West für die Umsetzung von Anima zuständig. Auch in anderen Mannheimer Stadtteilen wirkt Anima und wird dort von Diakonie und Caritas verantwortet.
Die Fördergelder der Europäischen Union werden in Mannheim gut investiert
Knapp eine Million Euro Fördergelder aus dem Europäischen Hilfsfonds für besonders benachteiligte Personen, kurz EHAP, erhält die Stadt Mannheim für das Projekt Anima.
Mit diesem Geld soll besonders benachteiligten EU-Zugewanderten der Zugang zu Beratungs- und Unterstützungsleistungen erleichtert werden. Neben der Europäischen Union fördert auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Projekt.
Preslava Sayvanska und Gabriel Höfle machen diese Arbeit in der Neckarstadt-West schon seit einigen Jahren. Vor Anima wurden die Integrationslotsen aus dem Integrationsfond der Stadt Mannheim unterstützt. Mit dem Projekt Anima hat man nun aber nochmal mehr geschaffen.
Umfassende Unterstützung
Statt sich um einzelne Probleme der betroffenen Menschen zu kümmern und diese zu lösen, will man die Menschen umfassender unterstützen. Denn oft ist ein einzelnes Problem nur die Spitze eines Eisbergs. Frau Sayvanska und ihre Kollegen wollen es schaffen, dass die Menschen fit darin werden, selbst Problemlösungen zu finden. Frau Sayvanska beschreibt das so:
Wir begleiten die Menschen auf dem Weg zum Verständnis der deutschen Kultur.
Vielen ist nicht klar, warum es hier Rundfunkgebühren gibt. Oder warum man eine Krankenversicherung bezahlen muss auch wenn man gar nicht krank ist. Um Probleme in Zukunft gar nicht erst entstehen zu lassen, sollen die Zuwanderer verstehen, wie das alles in Deutschland funktioniert.
Statt Probleme für die Menschen zu lösen, will man ihnen dabei helfen, ihr neues Leben in dem neuen Land so zu strukturieren, dass sie selbst erkennen, welche Baustellen des Lebens die wichtigsten sind und wie sie bearbeitet werden müssen.
Überblick verschaffen
Preslava Sayvanska bereitet einen leeren Ordner für ihren nächsten Klienten vor. Sie beschriftet ihn mit dem Namen und heftet schon einmal grüne Trennblätter ein: AOK, Rente, Beruf, Wohnung steht auf den Trennblättern.
Der Ordner soll helfen, das Durcheinander an Unterlagen erstmal zu ordnen und sich gemeinsam einen Überblick zu verschaffen. Dann erst wird entschieden werden, welche Themen für diese Person die wichtigsten sind, um die man sich gemeinsam kümmern wird.
Wir zergliedern unsere Mandanten in Fälle, die dann nach Prioritäten abgearbeitet werden.
Früher gab es nur einen Fall. Nur ein einziges Problem. Dieses wurde gelöst und damit war der Fall zu Ende. Doch verstanden, wie dieses Problem gelöst wurde und was da eigentlich passiert ist, haben es die Menschen meist nicht.
Tüten voller Papier
Darum wird die Dame mit dem Schreiben der Rentenkasse erstmal wieder nach Hause geschickt, um dort auch noch alle anderen Unterlagen zu holen, die sie besitzt. Für Frau Sayvanska ist es normal, wenn die Menschen mit vier Einkaufstüten voller Formulare, Briefe und Bescheinigungen wieder kommen.
Ich will Menschen haben, die wissens wie das Leben bei uns hier in Deutschland funktioniert und die auch anderen helfen können.
Das hat sich Gabriel Höfle auf die Fahnen geschrieben und beginnt damit, Geschichten zu erzählen, die ihn wütend gemacht haben. Eine bulgarische Familie, die in einem verwahrlosten Mietshaus mit schwarz verschimmelten Zimmern lebte, ist nur eines vieler Schicksale, die Höfle schon erleben musste.
Der Vermieter war ein solider Mannheimer Bürger. Die Krankenversicherung, die ein Versicherungsmakler einer bulgarischen Familie verkaufte, entpuppte sich als nutzlos.
Not der Zuwanderer wird ausgenutzt
Höfle ärgert sich darüber: „Wenn man betrachtet, wer und was da alles dahinter steckt, dann wird es einem schlecht. Dass die Nöte der Zuwanderer so ausgenutzt werden und da ein richtiges System aufgezogen wird, das ist der Wahnsinn! Das konnte ich mir früher auch nicht vorstellen.“
Normalerweise führt die Arbeit von Preslava Sayvanska die zugewanderten Menschen in eine bessere Zukunft. Über Sprachkurse und Zugang zu Bildungsangeboten erarbeiten sich diese selbst neue Chance auf dem Wohnungsmarkt und auf dem Arbeitsmarkt.
Das dauert seine Zeit, denn die jungen Zuwanderer haben in ihrer früheren Heimat oftmals kaum eine Schule besucht und beherrschen die deutsche Sprache meist gar nicht. Doch es gibt auch Rückschläge, die verarbeitet werden müssen. Da war zum Beispiel eine ehemalige Prostituierte:
Ich weiß nicht, wie sie heute zurechtkommt. Sie kommt auf jeden Fall nicht mehr.
Kleine Erfolge
Es war wohl zu frustrierend, ständig Rückschläge bei der Stellensuche einstecken zu müssen. Immer wieder hat etwas nicht geklappt wie erhofft und sie wurde immer unzufriedener und verzweifelt.
Da ist es schon ein kleiner Erfolg, wenn eine bulgarische Mutter die Halsschmerzen ihres Sohnes beim Arzt nicht mehr mit einem Notizblock und einzelnen übersetzten Worten erklären muss.
Wenn sie sich mit dem Kinderarzt selbst verständigen kann, werden für Preslava Sayvanska die Erfolge ihrer Arbeit sichtbar. Sie zieht für sich ein Fazit ihrer bisherigen Arbeit:
In den meisten Fällen konnten wir etwas bewirken und die Menschen haben auch wieder Hoffnung und ein besseres Gefühl bekommen.