Rhein-Neckar/Ludwigshafen/Speyer, 01. Juli 2017. (red/pro) Dr. Helmut Kohl ist im Alter von 87 Jahren vor kurzem verstorben. Wir haben eine boulevardeske Berichterstattung in diesem Zusammenhang eindeutig kritisiert. Warum wir nicht über die Trauerfeierlichkeiten berichten, erläutert der Redaktionsleiter Hardy Prothmann in einem differenzierten Kommentar. Es geht dabei um Respekt und Ressourcen. Und um Journalismus.
Kommentar: Hardy Prothmann
Soviel ist klar: Wir lassen uns die Chance entgehen, “historische” Fotos zu machen. Wir gehen nicht auf die Jagd nach Bildern, die möglicherweise eine sehr hohe Aufmerksamkeit erlangen. Zum einen ist das dem Mut zur Lücke geschuldet, zum anderen dem Respekt vor den Toten.
Altkanzler Dr. Helmut Kohl ist ein Sohn der Stadt Ludwigshafen, präzise, des Ortsteils Oggersheim. Der Pfälzer ist der bislang am längsten regierende Bundeskanzler gewesen, in dessen Amtszeit die Wiedervereinigung fiel. Aus unserer Sicht ist seine herausragendste Leistung die Versöhnung mit Frankreich.
Herr Kohl ist bis zu seinem Tod fast 20 Jahre Privatmann gewesen. Klar – wer wie er ein absolut großes politisches Rad dreht, ist nie mehr so richtig privat, auch, wenn er ein absolutes Recht darauf hat. Es lässt sich kaum vermeiden, dass Privates und Öffentliches gemischt wird. Darauf hat man nur noch wenig Einfluss und ist abhängig von anderen.
Unsere Redaktion trennt strikt zwischen privat und öffentlich. So sind die zerstrittenen familiären Verhältnisse der Familie Kohl für uns kein Thema, bei dem wir ins Detail gehen. Fest steht, es ist von öffentlichem Interesse, dass es diese Konflikte gibt. Fest steht aus unserer Sicht aber auch, dass diese im Detail weitestgehend keine öffentliche Relevanz haben.
Die Trauerfeierlichkeiten für Dr. Helmut Kohl stehen unter keinem guten Stern. Sie sind öffentlich, aber private Konflikte könnten diese beschatten. Auf dieses Parkett des absoluten Boulevards werden wir uns nicht begeben. Wir gehen nicht auf die Suche nach emotionalisierten Bildern der familiären Zerstrittenheit. Alle Medien, die das vorhaben und umsetzen sind nur für sich selbst verantwortlich. Wir gehören nicht dazu.
Beim Mut zur Lücke verzichten wir – aus ökonomischen Gründen – auch auf zeitgeschichtliche Fotos. Selbstverständlich wären Aufnahmen von den Trauerfeierlichkeiten aus gebotener Distanz möglich und auch im Interesse unserer Leserschaft. Dafür müssten wir aber einen organisatorischen und finanziellen Aufwand betreiben, den wir lieber in unsere aktuelle, hintergründige Berichterstattung stecken.
Wir berichten nur sehr verhalten über Geburten – Fotos von frisch geborenen Babys sind zwar “süß”, aber niemand fragt diese Menschlein nach ihren Rechten. Der Tod von Menschen ist immer emotional und damit von hoher Aufmerksamkeit geprägt. Aber welches öffentliche Interesse haben Informationen zur Trauerkleidung, zur Zahl der Trauergäste?
Geburt und Tod sind wie Sexualität die intimsten Momente des Lebens. Und sofern sie privat geschehen, sollte die Öffentlichkeit sich dafür nicht interessieren, zumindest nicht an konkreten Fällen. Über den Weg zum neuen Leben und das Ende von Leben kann man recherchieren und berichten, um für grundsätzliche Aufklärung zu suchen. Sobald es um den Einzelfall geht, ist öffentliches Interesse meist nicht angebracht.
Die Trauerfeierlichkeiten in Speyer für Dr. Helmut Kohl werden einen beispiellosen Medientross mobilisieren. Der überwiegende Teil der Medien wird die überwiegend selben Bilder zeigen. Es wird mit gedeckten Stimmen kommentiert werden und je nach medialer Ausrichtung gibt man sich staatstragend oder wird schmutzige Wäsche waschen.
Man könnte nun meinen, dass diese Trauerfeier irgendwie “historisch” wäre. Das ist sie. Aber nicht für eine aktuelle Berichterstattung, sondern eher für Historiker oder Biografen und eben nicht für eine aktuelle Berichterstattung.
Das Phänomen Dr. Helmut Kohl ist eins und ganz sicher werden sich Wissenschaftler und Medien noch über Jahre mit diesem Altkanzler beschäftigen. Der Mann hat ohne jeden Zweifel eine historische Rolle, die Würdigung soll und muss kritisch sein und hat bereits mehrere Wendungen genommen – abhängig vom Wissensstand.
Ich habe in einem Artikel meine persönlichen Eindrücke von Herrn Kohl geschildert. Wirklich beschämend fand ich, unabhängig von jeder kritischen Einordnung, wie er bei der Einweihung des “Platzes der Deutschen Einheit” in Ludwigshafen als Wrack im Rollstuhl vergessen worden ist.
Niemand hat das außer uns damals thematisiert. Es war erbärmlich. Vor allem der Auftritt der Eheleute Diekmann. Kai Diekmann, Ex-Chefredakteur der Bild, bis zuletzt enger Vertrauter erschien mit seiner Frau, die “High-Heels” zu kurzem Lederrock trug. Was das mit einer Platzeinweihung zur “Deutschen Einheit” zu tun haben könnte – darüber möchte ich auch nicht ansatzweise nachdenken. Es war erbärmlich geschmacklos. Ebenso, dass man den Altkanzler fürs Foto erst vergessen hatte und dann eiligst herbei karrte. Protokollnote: Setzen, sechs.
Was Helmut Kohl und seinem Andenken vermutlich erspart bleibt, sind Eierweifer. Wir haben keine Informationen, dass radikale Linke die Trauerfeierlichkeiten stören wollen – vermutlich ist man wegen G20 in Hamburg zu beschäftigt.
Journalistisch wird die Trauerfeier ganz überwiegend keinen Inhalt haben. Es geht um Voyeurismus im großen Stil und auch die Hoffnung, ob sich nicht noch der ein oder andere “private” Skandal abfischen lässt.
Helmut Kohl hat in seinem Leben viele Reisen unternommen. Nicht alle waren erfolgreich. Sein Tod war nur scheinbar die letzte. Jetzt reist sein Leichnam nach Straßburg und dann Speyer, wo er beerdigt wird.
Dort wünsche ich ihm eine verdiente letzte und respektierte private Ruhe.
Und wer einen Zusammenschnitt für öffentlich-private Auftritte möchte: