Ahrtal/Rhein-Neckar, 01. Dezember 2021. (red/pro) Johannes Neef ist einer der vielen unbekannten, freiwilligen Helfer im Ahrtal. Am 17. und 30. November hat er uns in langen Zuschriften beschrieben, was er wie erlebt hat und wie er das persönlich einordnet. Die Texte sind äußerst lesenswert, weil hier Lebenserfahrung, persönliches Empfinden, genaue Beobachtung des Umfelds ineinandergreifen.
Leserzuschrift: Johannes Neef
Zuschrift vom 17. November 2021
Meine Name Ist Johannes Neef. Ich komme aus dem Lahn-Dillkreis, einem Ortsteil der Stadt Haiger. Ich bin 63 Jahre alt, seit 1 1/2 Jahr in Altersteilzeit. Bin gelernter Betriebsschlosser, habe 48 Jahre in der Stahlindustrie Reparaturen aller Art gemacht. Ich bin das erste mal in der 3. Woche nach der Flut in Walporzheim in der Helferwerkstatt eingetroffen, die sich im Aufbau befand. Ich habe ihre Berichterstattung von Beginn an verfolgt. Wir sind uns auch in einem kurzen Moment am Helferzelt begegnet, haben kurz miteinander gesprochen.
Die ersten Tage waren von massiver arbeitsreicher Heftigkeit gezeichnet. Dass es zu keinen großen Unglücken gekommen ist, wundert mich heute noch! Auch wenn viele Fachleute am Werk waren, und viele bis zur totalen Erschöpfung gearbeitet haben, sind schwere Unfälle ausgeblieben, weil sehr viel Professionalität am Start war. Nach 3 Tagen habe ich die erste Pause von einer Woche eingelegt, weil ich von meiner Ausstattung her nicht gut ausgerüstet war, bin ich 150 km nach Hause gefahren.
Eine Woche Später bin ich wieder zurückgekehrt, besser ausgestattet und habe meine Arbeit wieder aufgenommen. Der Aufbau von Wilhelmshafen begann, wir haben in den Autos geschlafen, das Wetter war gut, es war trocken und warm, die Versorgung war spitze. Liegt auch daran, dass ich selbst keinen hohen persönlichen Anspruch habe und es ging gut voran! Nach einer Woche bin ich wieder nach Hause, weil verhältnismäßig viele Leute da waren und sich die erste Erschöpfung ankündigte.
Diese Pause war gut und hatte ein gutes Erholungsergebnis. Mitte August bin ich wieder zurückgekommen und habe meine Arbeit wieder aufgenommen. Aber es hatte sich Einiges, um nicht zu sagen Vieles, verändert. Die Stimmung war nicht gut, es gab immer wieder Auseinandersetzungen mit der Leitung, den Helfern untereinander, was vor allem daran lag, dass denen oft die fachliche Kompetenz fehlte. Und ein ganz wichtiges Ereignis war geschehen, der Staat mit seinen Behörden war aus dem Tiefschlaf erwacht.
Es wurden Zettel verteilt, die die Benutzung des Helferzeltes erlaubten, die Security drückte sich am Helferzelt und am Baustoffzelt herum, behinderte oft den Ablauf, die Versorgung wurde schlechter, die hygienischen Probleme wurden nicht gelöst, sondern vergrößert und es ging nicht nur um die Behindertentoiletten, sondern auch die Stimmung war gekippt. Manche gerieten wegen vieler Unwägbarkeiten, die sich aus dem Notbetrieb und fehlender Fachkompetenz entwickelte, oft hart aneinander. Die Harmonie der ersten Tage war vorbei! Eine Woche Pause schloss sich an.
Am 7. September bin ich wieder zurückgekehrt, es hatte sich wieder Einiges negativ verändert, der Kraftstoff wurde reglementiert, es ging schon wieder ums Essen für Helfer und Anwohner. Alles nicht schlimm, ich war ja zum Arbeiten da, aber nach wenigen Tagen wurde mir bewusst, dass ich mir irgendwas eingefangen hatte. Frieren, obwohl es 25° warm war, plötzlich Hautausschlag hatte und die Sanitäterin hat mich zum Arzt geschickt. Ich bin dann umgehend nach Hause abgerückt, um ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich hatte mir eine Infektion eingefangen, der unter den Begriff Gürtelrose bekannt ist. Diese Virusinfektion hat sich bei einigen Helfern im Ahrtal verbreitet, was nicht nur an der mangelnden hygienischen Verhältnissen liegt, sondern auch überwiegend an der psychischen Belastung, die man unterschwellig zuerst selbst nicht wahrnimmt!
Diese extremen Belastung zeigt sich, wenn bestimmte Trigger zustande kommen, bei mir war es oft der Trompeter vom Ahrtal, wenn der abends im Ahrtal zu hören war, dann wurde es plötzlich überall ganz still. Und sofort liefen die Tränen. Das ist ein erstes massives Signal der persönlichen massiven psychischen Überforderung! Und das ging nicht mir so, sondern vielen anderen auch.
Mir ist im nachhinein bewusst geworden, dass ich viele persönliche Erlebnisse der letzten Jahrzehnte mit mir herum trage, die bis heute ungelöst sind, die auch aus meiner humanitären Arbeit, die ich viel Jahre beim DRK in Hessen geleistet habe und den negativen Erlebnissen auf einmal wieder hochgekommen sind!
Nachdem ich halbwegs wieder hergestellt war, habe ich mich Anfang November wieder auf den Weg nach Walporzheim gemacht, da mein Gewissen mir immer wieder sagte, du musst dahin, du “begehst Verrat” an den Menschen, wenn du nicht weiter das machst.
Viele Freunde wieder getroffen, den Martin von der Helferwerkstatt, den Heinz.., Malte…, Kaiser vom Zelt, den Hühnerbaron, Louis und und und viel viele andere… Ich war irgendwie zu Hause angekommen.
Und plötzlich überkommt mich ein massives Unwohlsein… am selben Tag hatte ich wieder die gleichen Probleme, meine Psyche macht das alles nicht mehr mit, die Wahrnehmung der Situation, der Geruch, der sich nun über die Feuchtigkeit des Herbstes wieder ausbreitet, sofort war diese traumatische Belastung wieder da. Und bevor es zur gesundheitlichen Eskalation kommen konnte, habe ich das Tal am gleichen Tag wieder verlassen.
Das Resümee aus der ganze Aktion ist, die Situation im Tal ist immer noch die Katastrophe. Die Belastungen einzelner ist unmenschlich hoch, es hat sich im Wesentlichen an der Situation nicht wirklich viel positiv verändert. Und dass die Hardcore-Kämpfer, wie Pompi, Jasmin und viele andere immer noch da sind, ist ein sicheres und deutliches Signal dafür, dazu kommen die immer wieder auftretenden Suizide, sie zeugen davon, das nichts gut ist. Ich habe das Ahrtal aus Gründen des eigenen Schutzes verlassen, helfe nach meinen Möglichkeiten aus der Ferne, indem ich Ausstattung wie Werkzeuge, Leitern und Tritte, Gerüste und Ähnliches besorge. Aber ins Ahrtal zurückkehren wäre für mich persönlich ein massives Risiko.
Diese Erkenntnis ist deutlich bei mir angekommen, gerade jetzt wo Corona sich wieder massiv ausbreitet, die Menschen im Lande, sich gegenseitig verantwortlich machen, es immer mehr zur Eskalation kommt, wäre es für mich persönlich lebensgefährlich, mich wieder ins Ahrtal zu begeben, obwohl ich geimpft bin. Der Sommer bzw. der Herbst sind vorbei , die Bildung von Aerosolen in der Atemluft steigt massiv an, das Virus ist überlebensfähiger geworden, die Aktivitäten verschieben sich mehr und mehr in Innenräume, die Risiken steigen massiv.
Was das Versagen von Politik und Organisation im Ahrtal so wie an Erft und Eifel generell betrifft, gehört auch die gesellschaftliche Nicht-Akzeptanz von Notlagen, wie Katastrophen und Epidemien dazu. Diese Gesellschaft, die seit vielen Jahrzehnten keine Katastrophenlagen erlebt, die nur auf Zuwächse durch Konsum und Leidenschaft existenziell ist, bekommt einen Dämpfer nach dem anderen. Unsere überzogene Lebensweise hat dazu geführt, dass Perfektion bestimmend ist. Persönliche, körperliche und auch geistige Schwächen werden nicht akzeptiert, führen seit vielen Jahren zur Ausgrenzung. Es ist nichts Neues, wenn sich Gruppierungen bilden, die für sich spezielle Rechte einfordern, denn sie sind das Ergebnis von Verdrängung wirklicher Ereignisse die existenziell sind, die sich auch aus Gier und Hass auf andere Personengruppen ergeben.
Das Ende der Spaßgesellschaft wird durch Corona und den Klimawandel eingeleitet, in meiner Region findet ein massives Waldsterben seit einigen Jahren statt, die Zeichen aus der Welt und Umwelt, in der wir leben, sind eindeutig, Ich habe auf meinem Videokanal bei Youtube einige Berichte in den letzten Jahren dazu gemacht, die auch wieder nur regional Beachtung finden. Aber seit die “Sensation des Ahrtals” veröffentlicht wurde, explodieren die Likes regelrecht, das zeigt mir in aller Deutlichkeit, dass es um die Menschen in Europa nicht gut bestellt ist! Sie leben in einer Scheinwelt, die nur noch kurze Zeit bestehen kann. Deshalb sind die Aggressionen, der Hass und der Zorn, der durch die Netzwerke befeuert wird, da sie unreguliert und weitestgehend ungestraft sind, so hässlich!
Ich möchte sie nicht weiter mit meine Ausführungen belästigen aber es war mir persönlich wichtig meine Ansicht des jetzigen Zustandes und Aussicht für die Zukunft einmal darzustellen!
Zuschrift vom 30. November 2021
Dass Markus Wipperfürth Vieles erreicht hat, vielen Menschen eine Zuversicht und Zukunft ermöglicht hat, ist eindeutig und ich will diese Erfolge in keiner Weise schmälern. Aber es muss auch möglich sein, Dinge zu kritisieren. Denn es ist meiner Empfindung nach auch notwendig. Ich habe ihn in Walporzheim in der Ahruferstraße erlebt, und mir ist er nicht immer so positiv aufgefallen, wie viele sich ihn vorstellen.
Uns, den einfachen Helfern, wurde immer wieder gesagt, macht keine Fotos von Betroffenen diese Menschen, die haben auch ihre Würde!
Thomas Pütz erinnert jeden Tag die Helfer im Shuttle daran, sich respektvoll zu verhalten! Das sollten alle, die darüber berichten immer wieder verinnerlichen, das sollte vor allem für die Vorbilder gelten!
Wenn ich diese Menschen in einer persönlichen negativen Lage sehe, bleibt die Kamera zu live aus.
Wir sehen, was man bei Unfällen alles unternimmt, die “Persönlichkeit” der Betroffenen zu schützen. Warum schützt er sie hier nicht? Warum verzichtet es nicht auf das direkte Live in solchen Situationen? Ich habe auch Aufnahmen gemacht, auch ein Video zu meiner Arbeit im Ahrtal eingestellt, aber es sind keine Bertoffenen zu sehen, denn ich habe den privaten inneren Schmerz der Menschen erlebt, die tiefe Erschütterung nie dokumentiert, da diese nichts in der Öffentlichkeit zu suchen haben, denn sie zeigt die schwächsten Momente des menschlichen Daseins.
Diese beiden Menschen auf diese ehemaligen Landwirtschaftsbetrieb sind beide maßlos von der Situation, die schon vor der Flut nicht gut war, in der sie schon länger leben, überfordert.
Ich kenne ähnliche Fälle, die es überall auf dem Land gibt, wo diese Betriebe den Zeitensprung in der Landwirtschaft nicht überlebt haben! Das Wipperfürth sich in der Pflicht sieht, ist eindeutig erkennbar, und wie wir wissen, haben andere, schon im Vorfeld versucht, hier helfend zu regulieren und sind gescheitert.
Das man erneut Hilfestellung leisten will sehe ich nicht als falsch an.
Aber dieses hätte man weniger öffentlichkeitswirksam darstellen müssen, denn die beiden werden für die Zukunft einen schwereren sozialen Stand haben wie zuvor. Diese öffentliche, sicherlich nicht gewollte Brandmarkung dieser beiden Menschen, gehen vorerst im Heroentum und Glorienschein, von Herrn Wipperfürth und den anderen unter! Es wird diese beiden Menschen aber sehr lange begleiten, denn nicht alle Menschen sind stark und widerstandsfähig.
Sein größtes Problem ist, dass seine “Live”-Berichterstattung rein emotional ist, das kommt zwar bei den Leuten gut an, fördert das Tränenpotential, führt zur massiven Zustimmung. Wer sich mit argumentativer Kritik dagegen stellt, erntet sofort einen Shitstorm!
Ich habe ihn selbst erlebt, wie er sich hinein stürzt, ständig wuselnd dabei ist. Aber es erklärt auch, dass die fehlende notwendige Distanz, die Fehler, die er macht, somit andere Hilfestellungen verbaut. Denn es gibt sehr viele Menschen, die in und an ihren Lebensbedingungen gescheitert sind. Denn auch ein Markus Wipperfürth, und die vielen anderen, die sich ins Bild gesetzt haben, sind irgendwann weg, sie haben nichts dazu beigetragen, dass das direkte Umfeld sich daran beteiligt. Sondern diese zwischenmenschliche Distanz in deren Lebensraum ist nur noch größer geworden.
Wenn ich die vielen Kommentare lese, in denen er aufgefordert wird, einzuschreiten, Hilfestellung zu leisten, treibt es ihn bis in die totale sichtbare Erschöpfung. Wir erleben es ja nicht zu ersten Mal, dass er am Rande der körperlichen und psychischen Erschöpfung steht. Wenn er sagt, “die Schubladen meines inneren Schrankes sind voll und überfüllt”, ist das ein sicheres Signal für seine persönliche Überforderung.
Ich habe das Ahrtal verlassen, aus Gründen des Eigenschutzes, werde sicherlich irgendwann auch wieder dort aufschlagen, aber mit deutlich mehr Distanz. Es hat mir deutlich gemacht, dass diese Entscheidung richtig war. Ich wünsche ihm etwas Bedenkzeit, und etwas mehr persönliche Erholung! Denn die Zeit des blinden Aktionismus geht weitestgehend zu Ende und andere müssen nun zum Zuge kommen.
Was die Kritikunfähigkeit des Netzes betrifft, sind die meisten Nutzer nur Zaungäste, die aus der eigenen sicheren Entfernung weiterhin blinden Aktionismus, für sich, einfordern. Das ist für mich ein Bild aus der historischen Vergangenheit, aus dem alten Rom, wo die Masse den “Gladiatoren” in der Arena zujubelt, aber letztendlich bei seinem Versagen irgendwann seinen Kopf fordern wird.
Wir erleben derzeit einen massiven Wandel durch Naturkatastrophen, durch wirtschaftliche Niedergänge, die massive Folgen für die Schwachen unserer Gesellschaft haben, wir sehen die Reaktion der Spaßgesellschaft, die sie mit Hass und Wut überschüttet.
Dass man die menschliche Schicksale für die Sensationslust opfert, ist ein sicheres Zeichen für die massiven negativen Verwerfungen in der Gesellschaft.
Hinweis: Zuschriften im Original.