Heddesheim/Berlin, 01. Dezember 2011. Die so genannte Fischfutter-Affäre hat weite Kreise gezogen. Die Aufmerksamkeit war und ist hoch, dutzende Zeitungen und auch das Fernsehen haben berichtet. Hinter dem Einzelfall „Ströbele vs. Heddesheimblog“ steckt allerdings ein Prinzip – und das verdient Aufmerksamkeit. Ein offener Brief an MdB Hans-Christian Ströbele (Bündnis90/Die Grünen) und andere Abmahner.
Von Hardy Prothmann
Sehr geehrter Herr Ströbele,
leider hat bis heute kaum jemand verstanden, wie Sie einerseits behaupten können, für die Pressefreiheit einzustehen und sich andererseits verhalten, wie Sie es getan haben.
Mein ursprünglicher Bericht enthielt eine fehlerhafte Aussage, die ich umgehend korrigiert habe. Eine „Schuld“ kann ich bei mir nicht erkennen. Ich habe im Vorfeld mehrmals telefonisch den Kontakt gesucht und dann eine email geschickt, um Ihnen die Möglichkeit der Reaktion einzuräumen – die Fakten waren aber „ausrecherchiert“. Artikel in Blogs können aktualisiert werden, was auch hier geschehen ist. Ich habe sorgfältig recherchiert und mich auf eine Behördenauskunft verlassen. Aber natürlich trage ich als Redakteur und Autor die Verantwortung für die Veröffentlichung.
Öffentlich vs. privat
Ich kann nicht erkennen, wo Ihre Privatsphäre verletzt worden sein soll. Sie haben sich im öffentlichen Raum als Bundestagsabgeordneter per Visitenkarte ausgewiesen – damit waren Sie öffentlich und der Bericht thematisierte Ihr Verhalten, die körperliche Gewalt gegen den Jungen, der Aufwand mit Jugendamt und Anzeigenerstattung und einem langen Gespräch mit einem Vereinsmitglied, in dem Sie die Anzeige rechtfertigt haben. Ihre Frau hätte ich nicht benennen müssen – richtig. Wäre es besser gewesen „von einer Frau“ zu schreiben? Sicher nicht.
Selbstverständlich – das wurde auch in vielen Kommentaren zum Ausdruck gebracht – müssen der Schreck und der Ärger nach dem Treffer groß gewesen sein. Und ganz sicher fühlen das die meisten Leserinnen und Leser mit und sind froh, dass die Fischfutterkugel „nicht ins Auge gegangen ist“ und Ihre Frau keine schlimme Verletzung davongetragen hat.
Vielleicht interessiert es Sie, dass es ein zweites „Opfer“ gibt. Der Junge, dem die Fischfutterschleuder gehört (mit der ein anderer geschossen hatte), ist seit dem Vorfall nicht mehr angeln gewesen – der Vorfall hat ihn „nachhaltig“ beeindruckt und ihm bislang jegliche Lust auf sein Hobby genommen.
Angriff auf die Pressefreiheit.
Die durch Sie veranlasste Abmahnung gehört in die Kategorie der „juristischen Bedrohungen der Pressefreiheit“. Das grassierende Abmahnwesen in Kombination mit dem „fliegenden Gerichtsstand“ ist ganz grundsätzlich geeignet, die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Pressevielfalt nachhaltig zu beschädigen.
Es gibt immer weniger Journalisten und Blogger, die „sich was trauen“, weil jedem, der Öffentlichkeit herstellt, klar sein muss, dass es irgendwo da draußen jemanden geben kann, der gute Kontakte, viel Geld und den absoluten Willen hat, jemanden juristisch fertig zu machen.
Das durch Sie veranlasste Kostenrisiko beträgt vermutlich 3-5.000 Euro (Anwaltsgebühren, Gerichtsgebühren, Reisekosten, Verdienstausfall).
Abmahnunwesen.
Das geht nur mit einem „breiten Kreuz“ und noch besser mit der Solidarität der Menschen. Der Kollege Jens Weinreich konnte sich so erfolgreich und dank Spendengeldern gegen den DFB zur Wehr setzen, der Kollege Stefan Aigner (regensburg-digital.de) gegen einen Waffenhersteller und die katholische Kirche, der Kollege Hubert Denk (buergerblick.de) gegen einen Medizinmogul oder das Blog xtranews.de gegen OB Sauerland in Duisburg – um nur einige zu nennen, die mit Abmahnungen überzogen worden sind und sich erfolgreich zu Wehr setzen konnten.
In allen Fällen wurde nicht einmal eine „gütliche“ Einigung versucht, sondern sofort die juristische Keule ausgepackt. Große Verlagshäuser mit entsprechender finanzieller Ausstattung und Hausjuristen stecken das weg – kleine Angebote sind grundsätzlich immer existenziell bedroht und das wissen die Abmahner.
Solidarität.
Über die Solidarität und Unterstützung von mittlerweile über 70 Spenderinnen und Spendern bin ich sehr dankbar, denn das Spendengeld nimmt wenigstens den finanziellen Druck ein wenig weg. Die sonstige Belastung und deren Auswirkung auf die redaktionelle Arbeit kann keine Spende lindern. Und ich musste zuerst meinen „Stolz“ überwinden – ich habe mit 45 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben um Geld gebeten.
Ich bin aber froh, es getan zu haben, weil die vielen Zuschriften ganz klar meine Arbeit und die meines Teams honorieren. Die Spenden sehe ich als „Honorar“, als Ehrung unserer journalistischen Leistung. Verwendung findet das Geld aber als „Kriegskasse“ gegen Sie als Abmahner. Was übrig bleibt, kommt dem Verein Journalisten helfen Journalisten und deren wichtigem Einsatz zugute.
Das Gute zum Schluss.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen meinen Dank übermitteln – Sie haben durch Ihr Fehlverhalten dazu beigetragen, dass eine breite Öffentlichkeit Kenntnis vom Prinzip des oftmals scheinheiligen Abmahnunwesens erhalten hat. Die hergestellte Öffentlichkeit hat gezeigt, dass man Ihr Verhalten überwiegend ablehnt und verständnislos zurückweist. Und das ist gut so.
Klar – man muss sich im Zweifel per Abmahnung auch wehren können. Man sollte aber immer die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel „im Auge behalten“.
Außerdem haben Sie mich auf eine gute Idee gebracht: Ich werde zusammen mit Kollegen und Juristen einen Verein gründen, der ausschließlich dazu dient, Journalisten und Blogger bei Abmahnungen zu unterstützen. Auch Sie sind herzlich dazu aufgerufen, nach Gründung eine Spende zu leisten, um das Kampfmittel der juristischen Abmahnung gegen Journalisten zu entschärfen.
Mit freundlichen Grüßen
Hardy Prothmann
P.S.
Informationen zur Vereinsgründung finden Sie auf den Seiten von http://www.istlokal.de
Erste Zusagen zur Vereinsgründung haben abgegeben:
Stefan Aigner – Regensburg-Digital
Dominic Blim – Rechtsanwalt
Hubert Denk – Bürgerblick Passau
Peter Posztos – Tegernseer Stimme
Hardy Prothmann – Heddesheimblog