Weinheim/Rhein-Neckar, 01. September 2015. (red/ms) Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) hat allem Anschein nach vor drei Gerichten wissentlich falsche Angaben gemacht, um einen NPD-Bundesparteitag in der Stadthalle zu verhindern. Stadtrat Dr. Michael Lehner (Weinheimer Liste) sagte dazu im Juni: “Wer eine solche Rechtsauffassung vertritt, kann auch nicht Oberbürgermeister einer Stadt bleiben.” Die Weinheimer Liste will beantragen, Einsicht in die Prozessakten zu erhalten – doch das wird höchstwahrscheinlich nicht passieren. Denn die Mehrheit des Gemeinderats hat an einer Aufarbeitung offenbar kein Interesse.
Von Minh Schredle
Ist Weinheim auf dem Weg, eine NPD-Hochburg zu werden?
Zumindest wird die rechtsradikale Partei im November dieses Jahres zum dritten Mal in Folge ihren Bundesparteitag in der Stadt abhalten. Jan Jaeschke, NPD-Kreisverbandsvorsitzender und Landtagskandidat, gilt zudem als einer der aktivsten Neonazis Süddeutschlands.
2013 trafen sich die Rechtsradikalen im Ortsteil Sulzbach, in einer Gaststätte namens “Schwarzer Ochse” – das geschah eher heimlich, in “geschlossener Gesellschaft”. Inzwischen trauen sich die Neonazis, offen zu provozieren: 2015 wird der Parteitag in der Weinheimer Stadthalle stattfinden – wie bereits 2014.
Den ersten NPD-Bundesparteitag in der Stadthalle hatte Oberbürgermeister Heiner Bernhard verhindern wollen. Und setzte dafür offenbar unlautere Mittel ein.
Herr Bernhard behauptete gegenüber der NPD, die Stadthalle sei schon an allen denkbaren Terminen besetzt. Die NPD klagte dagegen, doch das Verwaltungsgericht Karlsruhe und der Verwaltungsgerichtshof Mannheim gaben dem Oberbürgermeister recht: Da die Stadthalle für politische Veranstaltungen verwendet werden darf, habe die NPD als zugelassene Partei aus juristischer Sicht zwar grundsätzlich das gleiche Anrecht, dort Veranstaltungen abzuhalten, wie alle anderen Parteien auch. Es gebe allerdings keinen Anspruch, die Räumlichkeiten zu verwenden, wenn diese bereits an andere Personengruppen vermietet sind, die ihre Anfragen vorher gestellt haben.
Oberbürgermeister täuscht drei Gerichte
Doch die Angaben von Oberbürgermeister Bernhard entsprachen nicht der Wahrheit, wie Recherchen des Rheinneckarblogs aufdeckten: Erst im Nachhinein wurde konstruiert, dass eine Kirchengemeinde ihre Anfrage vor der NPD gestellt hätte. Tatsächlich war die Stadthalle zum Zeitpunkt der Anfrage durch die NPD noch nicht verplant.
Der Staatsgerichtshof Baden-Württembergs hob schließlich die Urteile der Verwaltungsgerichte aus Karlsruhe und Mannheim auf. Die NPD hielt ihren Bundesparteitag in der Weinheimer Stadthalle ab – und reichte zusätzlich wegen einer mutmaßlichen Prozesslüge eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberbürgermeister Bernhard ein.
Wer kommt für die Kosten auf?
Auf Anfrage des Rheinneckarblogs teilt Herr Bernhard mit, dass die Kosten, welche die Stadt Weinheim nach dem verlorenen Rechtsstreit mit der NPD tragen muss, sich auf insgesamt 1.965 Euro belaufen. Davon entfielen 680 Euro auf Gerichtskosten und 1.285 Euro auf die Rechtsanwaltskosten der NPD als Klägerin.
Auf die Anfrage unserer Redaktion an den Oberbürgermeister, ob er bereit sei, persönlich für finanziellen Schaden aufzukommen, welcher der Stadt Weinheim durch seine falschen Angaben vor Gericht entstanden ist, antwortete dieser nur:
Die Tragung von Prozesskosten durch eine Prozesspartei kann meines Erachtens nicht automatisch als ein Schaden angesehen werden.
Das klingt eher nicht danach, als würde Herr Bernhard die Kosten übernehmen wollen.
Als Oberbürgermeister noch tragbar?
Im Juni hat die Weinheimer Liste ebenfalls beim Regierungspräsidium in Karlsruhe eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Man habe einige Monate warten wollen, um den Sachverhalt nüchtern und sachlich aufzuarbeiten, sagte der Stadtrat und Rechtsanwalt Dr. Michael Lehner (Weinheimer Liste).
Die Situation solle sich erst wieder beruhigen und man wolle auf keinen Fall mit der NPD in eine Ecke gestellt werden. Aber es könne nicht sein, dass ein Oberbürgermeister, der zudem noch selbst Jurist ist, drei Gerichte belügt, um etwas zu verhindern, was nicht in seine Gesinnung passt, aber parteirechtlich zugelassen ist:
Wer eine solche Rechtsauffassung vertritt, kann auch nicht Oberbürgermeister einer Stadt bleiben.
Die Dienstaufsichtsbeschwerden wurden vom Regierungspräsidium zurückgewiesen, da es aus dessen Sicht kein “Bescheidungsinteresse” mehr vorliege. Der Beschwerdeführer müsse ein rechtliches oder wirtschaftliches Interesse an der Entscheidung der Behörde über einen von ihm gestellten Antrag haben. Dies sei bei der Weinheimer Liste nicht gegeben und ebensowenig bei der NPD, da diese ihr Rechtsziel erreicht hätte: Sie konnten ihren Bundesparteitag abhalten und können das auch 2015 wiederholen – insofern gibt es aus Sicht des Regierungspräsidiums keine “Wiederholungsgefahr”. Der Sachverhalt sei somit erledigt.
Der Rechtsanwalt Dr. Michael Lehner sieht das anders. Für ihn ist der Fall noch nicht abgeschlossen. Jetzt wird die Weinheimer Liste im Gemeinderat Akteneinsicht anfordern – das ist den Stadträten bislang nicht möglich. Doch wahrscheinlich wird dieser Antrag abgelehnt.
Für eine Akteneinsicht müsste mehr als ein Viertel des Gemeinderats, also mindestens zehn Stadträte zustimmen. Die Weinheimer Liste verfügt nach dem Austritt von Christina Eitenmüller noch über drei Sitze und kann vermutlich mit Unterstützung durch die FDP und die Linke rechnen. Damit käme sie auf sieben Stimmen.
Die Fraktionen von SPD, Freien Wählern, CDU und Grünen schienen bislang noch nicht besonders um Aufklärung bemüht. Die Dienstaufsichtsbeschwerde der Weinheimer Liste wurde von ihnen mindestens harsch kritisert und teilweise missbraucht, um die Weinheimer Liste in eine rechte Ecke zu stellen.
Wechselseitiger erbärmlicher Populismus
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Holger Haring bezeichnete die “Angriffe” der Weinheimer Liste auf den Oberbürgermeister als “Tiefpunkt der politischen Auseinandersetzung”. Sie seien “schlicht unglaubwürdig, unredlich, beschämend” und würden die Mitglieder der Weinheimer Liste als “Hau-Drauf-Verein” entlarven.
Laut der SPD sei die Beschwerde der Weinheimer Liste ein “rein populistischer und persönlicher Akt, der die Person des Oberbürgermeisters beschädigen soll”. Das Verhalten der Weinheimer Liste sei “erbärmlich”. Die Freien Wähler unterstellten sogar, die Weinheimer Liste würde der NPD absichtlich in die Hände spielen wollen. Dem Oberbürgermeister spreche man dagegen “volles Vertrauen” aus.
Rechthaberei
Kürzlich kritisierten die Grünen Weinheims das Vorhaben, die Akten einsehen zu wollen. “Schluss mit der Rechthaberei”, forderten sie und der Stadtrat Dr. Alexander Bugoslawski wirft Dr. Lehner vor, es gehe ihm gar nicht um Aufarbeitung; er versuche nur “sein Süppchen weiter am Kochen zu halten”:
Viel wichtiger als das Engagement der Verwaltung nachträglich weiter zu kritisieren, darin ist sich die GAL einig, ist es doch jetzt, dass alle Fraktionen im Gemeinderat zusammen ein starkes politisches Signal gegen die fortdauernden Versammlungen der NPD in Weinheim aussenden.
Herr Lehner müsse sich in Acht nehmen, nicht “objektiv betrachtet das Geschäft der NPD zu betreiben”.
Dr. Lehner reagiert mit einem offenen Brief an die Weinheimer Grünen auf diese Vorwürfe. Darin heißt es:
Warum habt Ihr eigentlich nicht gleich die Richter des obersten Verfassungsgerichts des Landes, des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg oder die Richter der Verwaltungsgerichtshofs Mannheim in Eure Kritik mit aufgenommen? Die müssten doch folgerichtig mit ihren gegen die Stadt Weinheim gerichteten (Aufhebungs)Urteilen und damit Wiederherstellung von Recht und Gesetz in Weinheim in Euren Augen gleichfalls objektiv das Geschäft der NPD betrieben haben?
Außerdem führt er aus:
Demokratie und Rechtsstaat bilden eine Symbiose. Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Wer die Regelungen des Rechtsstaats missachtet, verneint somit die Demokratie.
Aus seiner Sicht gebe es hinreichend Indizien dafür, dass Oberbürgermeister Bernhard vor drei Gerichten wissentlich und willentlich falsche Angaben gemacht habe, um die Justiz zu täuschen und eine rechtlich zugelassene Partei gezielt zu benachteiligen. “Diese Vorwürfe stehen nach wie vor im Raum und es hat immer noch keine Stellungnahme von Herrn Bernhard”, sagt er.
Warum gegen eine Einsicht sein?
Es sei notwendig, hier Klarheit zu schaffen. Aus Sicht von Dr. Lehner gebe es “keinen vernünftigen Grund”, die Einsicht in die Prozessakten zu verweigern – es sei denn, man wolle die Verwaltung und den Oberbürgermeister schonen und eine Aufklärung verschleiern. Oder: “Solange es gegen die NPD geht, sind auch unrechte Mittel recht.” Dies sei aber nicht mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu vereinen. Dr. Lehner sagt dazu:
Wer wirklich für den Rechtsstaat ist, muss für die Akteneinsicht stimmen.
Es wird spannend bleiben, zu sehen, wie sich der Weinheimer Gemeinderat nach der Sommerpause entscheidet. Und ob eine Mehrheit erneut versuchen wird, die Weinheimer Liste als “Steigbügelhalter für die NPD” zu diffamieren, weil sie sich für eine Aufarbeitung des Sachverhalts einsetzt.
“Der Aufklärer” ist verstummt
Wie steht eigentlich der Landtagsabgeordnete und Weinheimer Stadtrat Hans-Ulrich Sckerl (Grüne) zu den Vorwürfen gegen Oberbürgermeister Bernhard? Eigentlich gefällt sich Herr Sckerl ja in der Rolle des Aufklärers. Bis jetzt konnten wir allerdings noch nicht feststellen, dass er sich irgendwie für die Aufarbeitung dieses Sachverhalts eingesetzt hätte. Gegenüber der Rhein-Neckar-sagte am 19. Juni:
Wo ist der Grund für die Beschwerde bei der Rechtsaufsicht? Die Rechte des Gremiums und der WL wurden nicht verletzt.
Ansonsten ist unserer Redaktion keine Äußerung von Herrn Sckerl im Zusammenhang mit den “Weinheimer NPD-Prozessen” bekannt. Offenbar scheint Herr Sckerl kein Interesse daran zu haben, sich zu dieser Angelegenheit zu äußern. Wir fragten ihn am 26. August per Mail an, ob er sich zu dem Sachverhalt äußern wolle. Von seinem Wahlbüro erhielten wir darauf knapp 30 Minuten später die Antwort, dass Herr Sckerl momentan verreist sei. Es wurde allerdings nicht erwähnt, wie lange Herr Sckerl im Urlaub sein wird und ob wir mit einer Äußerung rechnen können. Also fragten wird das nach. Auf eine Antwort warten wir bis heute.
Wer bereitet wem den Weg?
Unabhängig davon stellt Dr. Bugoslawski im Namen der Weinheimer Grünen eine mögliche willentliche Falschaussage vor Gericht als “Engagement der Verwaltung” dar und das gutzuheißen, wird offenbar als ein “starkes politisches Signal” interpretiert. Was ist das für ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie?
Die entscheidende Frage ist: Wer bereitet der NPD wirklich den Weg? So bitter und ätzend es auch sein mag, das akzeptieren zu müssen: Wenn ein Oberbürgermeister vor Gericht lügt, um eine demokratische zugelassene Partei gezielt zu benachteiligen, dann ist dieser Oberbürgermeister im Unrecht und die Partei im Recht – selbst dann, wenn es die NPD ist. Zumindest so lange sie nicht verboten ist. Aber das ist eine ganz andere Grundsatzfrage.
Deutlich ist jedenfalls: Dieser Sachverhalt ist eben alles andere als abgeschlossen. Und der Gemeinderat ist tief gespalten. Souverän wäre es von Oberbürgermeister Heiner Bernhard nun endlich Stellung zu beziehen, die Beweggründe hinter seinem Handeln offen darzulegen und Verantwortung dafür zu übernehmen – ob es jemals dazu kommen wird, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich.