Ilvesheim/Mannheim, 01. Juli 2017. (red) Die Lokalzeitung Mannheimer Morgen entwickelt sich mehr und mehr zum Krawallblatt. Vergangene Woche warf sie “Zweifel” in den Raum, ob der Polizeieinsatz wegen eines Banküberfalls möglicherweise fehlerhaft war. Dafür präsentierte man “Zeugen” – also Bürger, die sich an die Zeitung gewandt haben. Bei RNB lesen Sie, wie man das einordnen sollte, um sich seriös eine Meinung zu bilden.
Von Hardy Prothmann
Am frühen Morgen des 25. Juni 2019 wird die Filiale der VR-Bank in der Schlossstraße in Ilvesheim überfallen. Die Polizei umzingelt das Gebäude. Über Lautsprecher ertönt: “Achtung, hier spricht die Polizei. Das Gebäude ist umstellt. Sie haben keine Chance. Widerstand ist zwecklos. Kommen Sie mit erhobenen Händen aus der Bank.”
Möglicherweise stellt sich so mancher Lokaljournalist die Szenerie wie beschrieben vor. Klare Ansagen, klares Handeln, Fall erledigt. Tatsächlich würde ein solches Vorgehen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Desaster mit Opfern führen. Mal angenommen, niemand außer dem Räuber käme zu Schaden: Selbst ein erschossener Straftäter ist für die Polizei kein Erfolg. Denn die Polizei hat nicht zu richten, schon gar nicht über Leben und Tod, sondern Straftäter der Justiz zu übergeben und Beweise zu sammeln, anhand derer diese verurteilt werden können.
Beim Raub auf die VR-Bank-Filiale hält sich die Polizei mit Details zurück – der Einsatz wird zuerst, wie übrigens jeder Einsatz, intern aufbereitet. Das bedeutet, die beteiligten Beamte müssen Protokolle schreiben, die möglicherweise Nachfragen auslösen, die wiederum geprüft werden müssen. Es waren gut 130 Beamte vom Polizeipräsidium Mannheim sowie Einsatz (Göppingen) beteiligt, die alle nach dem Überfall ganz normal ihre Dienste schieben und aktuelle Problemlagen bewältigen müssen – dazu kommt die Bürokratie. Eine solche Großlage wertet man nicht in wenigen Tagen aus.
Wie der Einsatz vermutlich abgelaufen ist
Dabei gibt es viele Hinweise, wie der Einsatz abgelaufen ist und warum die Polizei insgesamt – anders als die Darstellung in der Zeitung – sehr besonnen gehandelt hat.
Um 7:47 Uhr geht aus der Bankfiliale in Ilvesheim ein Alarm bei einer Sicherheitsfirma ein – die informiert die Polizei gegen 7:50 Uhr. Sofort fahren Streifen an – aber eben nicht vor die Bank. Denn es ist noch unklar, wie viele Täter es sind und wo diese sich aufhalten. Es könnte auch ein Fehlalarm sein, denn die Bank hat noch geschlossen und der “klassische Banküberfall” findet in der Schalterhalle statt.
Anders als in Filmen mit Bruce Willis – die möglicherweise die Wissensgrundlage von Lokalredakteuren bilden – legt es die Polizei nicht auf den maximal möglichen Schaden an und meistens hat sie es auch nicht mit international tätigen Terroristen zu tun, die für spannende eineinhalb Stunden Unterhaltung sorgen. Und um auch hier diverse Lokalredaktionen zu enttäuschen – nein, es sitzen nicht in jedem Präsidium 24/7 bis an die Zähne bewaffnete Nah- und Häuserkampfspezialisten rum, die es mal wieder ordentlich krachen lassen wollen.
Banküberfälle mit möglichen Geiselnahmen – das weiß man spätestens seit Gladbeck – überfordern die Fähigkeiten der Schutz- und auch der Kriminalpolizei. Dafür sind sie nicht ausgebildet, das müssen sie auch nicht sein, weil solche Einsatzlagen nicht eben Alltagsgeschäft sind. Dafür hat man die Spezialeinsatzkommandos (SEK) und Mobilen Einsatzkommandos (MEK).
Die ersteren sind die, die wie Soldaten aussehen, die anderen sind eher zivil unterwegs (mobiler), beide können aber in etwa dasselbe. Die SEKs sind eher auf statische Lagen spezialisiert, die MEKs, wenn wundert es, auf mobile.
Und beide müssen erstmal vor Ort kommen – manchmal geht das sehr schnell, weil sie gerade in der Nähe sind, meistens müssen sie anfahren (bei sehr brisanten Lagen kommen sie auch im Hubschrauber, aber das kostet viele Steuergelder).
Fakt ist: Nach rund drei Stunden waren die Bankmitarbeiter befreit, die Lage geklärt. Aber der Täter war zunächst verschwunden.
Die Sache mit den “Zeugen”
Wenn nun ein Zeuge behauptet, er habe um 08:15 Uhr Geld in der Vorhalle abgehoben und niemand habe ihn gewarnt und damit sei er ihn Gefahr geraten, dann kann man das als Lokalzeitung so raunen, also berichten, man kann aber auch den Hinweis bemerken, dass die Polizei Kontakt zu den eingeschlossenen Mitarbeitern hatte.
Dann stellt sich die Einschätzung anders dar. Dann weiß die Polizei nämlich, dass es keine unmittelbare Bedrohung für diese Personen gibt. Im Vorraum ist der Täter kaum zu vermuten – was sollte er da anstellen? Sich von Kameras filmen lassen, die Automaten sprengen oder vielleicht nur seine Kontoauszüge abholen? Ja, er könnte auch versuchen, weitere Geiseln zu nehmen, aber warum? Er hatte schon welche und jede Person mehr, verschlechtert seine Lage, wenn er alleine ist.
Wenn ein Familienangehöriger eine Bankangestellte vor die Bank fährt, zu einer Zeit, in der zunächst erste Kräfte von außen die Lage versuchen einzuschätzen, dann ruft auch kein Polizist quer über die Straße: “Rennen Sie weg, da findet gerade ein Überfall statt.” Denn das würde den Räuber warnen und mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer statischen Lage mit Geiselnahme führen und damit ein erheblich größeres Bedrohungsszenario erzeugen. Je nervöser und gestresster ein Täter ist, umso gefährlicher und unberechenbarer wird er.
Sicher werden Personen bemerkt, die irgendwelche Zeichen machen, aber ganz sicher werden diese Personen nicht die Einsatztaktik der Polizei lenken. In diesem Fall vom Vizepräsidenten Siegfried Kollmar, der den Einsatz persönlich leitete.
Wovon leider viele Lokalredakteure noch nie etwas gehört haben, ist der Begriff der “Aufklärung”. Was Zaungäste und Anwohner bei einem Polizeieinsatz “sehen”, ist eben nur das, was sie aus ihrer persönlichen Perspektive, lokal begrenzt, sehen und nichts anderes. Was um die Ecke passiert, sieht man nicht. Welche weiteren Maßnahmen laufen, “sieht” man auch nicht. Warum welche Maßnahmen laufen, erfährt man nicht – wer so etwas tatsächlich fordern sollte, der kann auch gleich fordern, dass es doch bitte etwas mehr Bruce Willis im Alltag geben sollte.
Erst Informationen sammeln, dann zugreifen
Dass die Polizei auf bedrohliche Lagen schnell und in erheblichem Umfang reagiert, zeigen die ersten Informationen zum Einsatz. Mal eben 130 Beamte nach Ilvesheim zu senden, ist beeindruckend. Dazu gab es eine Ringfahndung und aufklärende Elemente – wie zum Beispiel die Aufnahme von Fahrzeugdaten über Typ und Nummernschilder, wodurch letztlich über – hier hat Europa geholfen – das Schengenabkommen schnell Infos der französischen Behörden flossen, dass ein Fahrzeug mit französischem Kennzeichen als gestohlen oder mindestens “entwendet” eingeordnet wurde. Das war eine erste Spur und letztlich die, die zur Ergreifung des Räubers führte.
Wann genau und wie der Räuber die Bank verlassen konnte, ist noch nicht bekannt, wird aber spätestens beim Prozess wohl aufgearbeitet werden. Fest steht – der 57-jährige tatverdächtige Franzose konnte zunächst fliehen.
Die Polizei musste, zur Sicherheit der Bankmitarbeiter und der eigenen Leute auch davon ausgehen, dass er noch in der Bank ist (wo ihn die Mitarbeiter nicht sehen, hören, riechen konnten) oder in der unmittelbaren Umgebung. Also arbeitete man sich zügig, aber mit der notwendigen Absicherung vor. Nicht, weil man leichtfertig Bürger oder gar “Schulkinder” gefährden wollte, sondern ganz im Gegenteil. Ein nicht bedrängter Täter stellt eine eher geringe Gefahr dar als einer, der keinen Ausweg mehr sieht, als gewalttätig zu werden.
Können Sie sich noch an die Geißelnahme im Kinopolis Viernheim vor zwei Jahren erinnern? Auch hier wurde zunächst von außen nach innen gesichert und letztlich hatte man sich entschlossen, schnell vorzugehen, damit keine statische Lage eintritt. SEK-Beamte stürmten das Kino, der 19-jährige Geißelnehmer tat so, also würde er feuern wollen und wurde erschossen. Er hatte nur “Anscheinswaffen”, also Spielzeugwaffen, was aber für die Beamten nicht erkennbar war.
Kontrollierte Festnahme
Nachdem die eingesperrten Mitarbeiter in der VR-Bank-Filiale gesichert und befreit werden konnte, ging die Arbeit auf Hochtouren weiter. Irgendwann setzte sich der Räuber in das “entwendete” Auto und fuhr von Ilvesheim nach Seckenheim, vermutlich in Richtung Autobahn. Auf der Umgehungsstraße Suebenheimer Allee / Ecke Schwabenstraßeschlug dann ein MEK zu, stoppte die Fahrt, verhaftete den (bis zur Verurteilung) mutmaßlichen Räuber. An einer Stelle außerhalb von Ilvesheim und Seckenheim, sprich, außerhalb von möglichen Bedrohungslagen für die Bevölkerung. Das RNB geht davon aus, dass die Polizei genau wusste, wo das Fahrzeug ist und wohin es bewegt wurde. Details erfahren auch wir nicht, aber auf Nachfrage soviel: “Wir wussten, wo das Fahrzeug ist”, teilte uns ein Sprecher mit.
Die Lokalzeitung empörte sich auch, dass “eine Schulklasse” die Bank passieren konnte. Zu welcher Uhrzeit das war, ist unklar, aber auch das spielt keine Rolle, wenn die Polizei bereits davon ausging, dass der Täter flüchtig ist. Aber hätte man nicht gerade dann die Bevölkerung warnen müssen? Ja, könnte man tun. Dann müsste die Bevölkerung täglich gewarnt werden, ja nicht auf die Straße zu gehen, weil man dort Opfer von Verbrechern werden könnte.
Bankräuber wollen Geld rauben – nicht mehr und nicht weniger. Und dann fliehen sie, in der Hoffnung nicht geschnappt zu werden. “Geißelnahme” ist eine andere Nummer und die von Schulklassen auf offener Straße durch einen Einzeltäter wäre vermutlich historisch einmalig.
Jeder Raub ist ein “Einzelfall” unter jeweils eigenen Bedingungen. Natürlich hat die Polizei “Standards”, wie sie darauf reagiert und agiert. Dabei kommt es auf alle Details an, die Umgebung, die Zeit, die Zahl von möglicherweise Betroffenen, das Vorgehen der Räuber und so weiter.
Und die Auswertung wird zeigen, ob sich bei künftigen Lagen Verbesserungspotenzial ergibt oder noch besser, präventive Maßnahmen möglich sind.
Der aktuelle Fall ist gut ausgegangen – niemand wurde ernsthaft verletzt (ein Angestellter wurde malträtiert, was die Polizei nie hätte verhindern können, alle betroffenen Angestellten haben die Situation erleben müssen und werden unterschiedlich damit umgehen), der mutmaßliche Täter ist festgenommen und befindet sich in Untersuchungshaft, die Beute ist sichergestellt.
Und eine Lokalzeitung mit offenkundig ahnungslosen Redakteuren, was Polizeiarbeit angeht, hat nichts Besseres zu tun, als diesen glimpflich und erfolgreich ausgegangenen Einsatz mit Zweifeln zu belegen, deren einzige “Belege” Aussagen von “Zeugen” sind, die nichts als ihre persönliche Situation erlebt haben.
Dafür braucht es Chuzpe oder möglicherweise auch auch eine absolut negative Haltung gegenüber der Polizei, die man zum Ausdruck bringen möchte.
Vertrauen der Bürger in die Polizeiarbeit schafft man damit nicht – ganz im Gegenteil. Man beschädigt ohne Not die Polizeiarbeit.