Ludwigshafen, 01. Juli 2016. (red/cr) Geflüchtete und Einheimische treffen sich auf dem Meer. Sie begegnen sich. Im Theaterstück „Friedensstraße“ zeigen Jugendliche, was Gemeinschaft ist, und was jeder von ihnen mitbringt. Am vergangenen Donnerstag feierte das Laientheater-Projekt mit, von und für Geflüchteten und Einheimischen Premiere im Pfalzbau.
Von Christin Rudolph
Machmal geht es nicht darum, Theater zu spielen, sondern darum, sich selbst zu zeigen.
Jede Woche treffen sich Jugendliche im Theater im Pfalzbau. Trinken Tee. Reden miteinander. Singen zusammen. Nähen Texte aneinander. Sitzen in einem Boot.
Es geht um Begegnung
Lernen voneinander. Sie lernen Deutsch und vieles andere voneinander. Sie sind zwischen 14 und 18 Jahren alt. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Deutschland.
Mit dabei ist Dramaturgin, Autorin und Regisseurin Luise Rist. Mit dem „boat people project“ macht sie in Göttingen seit 2009 Theater mit Geflüchteten. Beim Festival „Offene Welt“ leitete sie im vergangenen Jahr unter dem Namen „Mahala International“ einen Workshop mit geflüchteten Kindern.
Daraus wurde ein wöchentliches Treffen mit Geflüchteten aus der Unterkunft an der Friedensstraße und einheimischen Jugendlichen.
Aufbruch ins Ungewisse
Am vergangenen Donnerstag zeigten 13 der Jugendlichen ein berührendes Stück Theater. Und ein Stück von sich selbst.
Sie sitzen in einem Boot. Die Mädchen. Die Jungen liegen davor auf den Boden.
Aufbruch mit fünfzehn oder sechzehn Jahren
Aufbruch ins Ungewisse. Für den Chor der Mädchen ist es ein Aufbruch in den ersten Urlaub am Meer ohne Eltern. Für die Gruppe der geflüchteten Jungen ist es ein Aufbruch in ein hoffentlich besseres Leben.
Chöre, Dialoge, Monologe
Aus dem Boot der Mädchen fällt ein Buch ins Wasser. Schon ist die Verbindung zwischen den beiden Welten hergestellt. In surrealistische Szenen begegnen sich die Jugendlichen in verschiedensten Konstellationen. Chöre, Dialoge, Monologe, Gesten, Blicke, Musik – die Jugendlichen müssen nicht sprechen, um sich auszudrücken.
Sie bewegen sich auf Gebetsteppichen. Die Teppiche sind Inseln im Mittelmeer, korallenbewachsene Steine und die Basis für eine gemeinschaftliche Runde Tee. Eine Bühne im üblichen Sinne gibt es nicht. Der Raum, der bespielt wird, endet dort, wo die Füße der Zuschauer in der ersten Reihe enden.
In einem Probenraum. Etwa 50 Zuschauer – eine intime Atmosphäre.
Wort, Musik und Gesten
Die Texte sind hauptsächlich auf deutsch, einige Stellen auf arabisch. Das erste Wort wird jedoch nicht gesprochen: In die Ruhe und Unaufgeregtheit des Stückes hinein beginnt Katrin Fissl zu singen.
Die Musik erfüllt sie total,
freute sich Dramaturgin Luise Rist. Ohne Musik würde die Arbeit mit den Jugendlichen nicht so funktionieren.
In Liedern drücken sie aus, was sie gesprochen und auf deutsch noch nicht sagen können oder wollen. Oder was Musik einfach besser sagen kann.
Türen öffnen
Die Musik öffnet Türen – für andere und in sich selbst. So erinnert sich Frau Rist etwa, dass ein Junge aus Afghanistan, Kashmir Ammarhel, so gut wie nie gesprochen hat. Er sei durch Erfahrungen mit den Taliban traumatisiert. Doch dann habe er von sich aus gesagt, er wolle ein Lied singen.
Die meisten Geflüchteten in der Gruppe sind seit einigen Monaten in Deutschland. Sie bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit. Einige konnten zum Beispiel in die Schule gehen, andere nicht. Auch ihre Deutschkenntnisse sind sehr unterschiedlich.
Einige sprechen schon gut deutsch. Sami Jowhans aus Eritrea hingegen ist erst vor drei Wochen in Deutschland angekommen. Viel versteht er noch nicht. Seinen Satz im Stück sagt er jedoch konzentriert und deutlich. Und nach der Aufführung strahlt er über das ganze Gesicht.
Kein Theater, sondern echt
Nicht jeder trifft beim gemeinsamen Singen alle Töne. Unter den 13 Laien ist das schauspielerische Talent unterschiedlich ausgeprägt. Das Stück hat Längen und holprige Übergänge.
Aber es ist authentisch. Es berührt. Es versucht weder, Mitleid zu erheischen, noch Universallösungen zu liefern. Als Omar Al Falousi davon erzählt, wie der Krieg alles kaputt gemacht hat, fragen die Mädchen:
Wie ist Krieg?
Darauf antwortet er mit einem Schulterzucken. Keine Antworten zu geben heißt jedoch nicht, keine Botschaft zu haben. Das Stück lässt sich sehr frei interpretieren. Was wohl trotzdem jeder mitgenommen hat: Geflüchtete sind Menschen.
Sich selbst und gleichzeitig alle spielen
Die Jugendlichen werden nicht darauf reduziert, geflüchtet zu sein. Genauso wie die andere Hälfte der Gruppe nicht darauf reduziert wird, schon immer in Sicherheit zu leben und eine Perspektive zu haben.
Sie spielen keine Rollen. Jeder schenkt ein Stück von sich. Drückt sich individuell aus. Jeder hat seinen ganz eigenen besonderen Moment im Stück.
Trotzdem ist es keine Ansammlung von Individualisten und Schicksalen. Tiefe Verbundenheit und ein Gemeinschaftsgefühl sind greifbar. Sie sind eine Gruppe, in der jeder so ist, wie er ist. Das macht die Gruppe und das Ereignis ihrer Zusammenarbeit sehr menschlich.
Gute Resonanz
Die Zuschauer der ausverkauften Premiere zeigten sich begeistert und verlangten Zugaben. Darunter auch ein paar Freunde der Geflüchteten aus der gleichen Unterkunft. Sie schienen fast genauso stolz wie die Darsteller.
Auch Pfalzbau-Intendant Tilmann Gersch zeigte sich beeindruckt und lobte den Mut der Darsteller. Einige Besucher diskutierten sogar, warum so ein Stück nicht in einem größeren Saal gezeigt würde.
Dabei ist nicht nur das Ergebnis, sondern auch dessen Erarbeitung unkonventionell. Das Angebot „Mahala International“ von Luise Rist gibt es seit Januar 2015. Dabei ging es zuerst nicht darum, etwas zu erarbeiten. Eher um Kennenlernen und Austausch.
Wechselnde Konstellationen
Wer zu den wöchentlichen Treffen kam, wechselte oft. Luise Rist berichtete, es war vor allem Ausprobieren. An einigen Tagen hätte sie mit erwachsenen Syrern zusammengesessen und die Lage in deren Heimatland diskutiert.
Früher seien viele Kinder aus Roma-Familien gekommen. Doch die Syrer hätten Arbeit gefunden oder mussten umziehen, die Roma wurden abgeschoben. So änderte sich die Besetzung oft.
Bei der gemeinsamen Arbeit sei es aber wichtig, sich kennenzulernen. Die aktuelle Besetzung wurde erst zwei Wochen vor der Premiere festgelegt.
Gemeinsames Ausprobieren
Es gab die Ausgangssituation – die Mädchen, die Urlaub machen, und die Flüchtlinge, die im Meer treiben.
Alle folgenden Texte, Szenen und Lieder wurden von und mit den Jugendlichen erarbeitet.
Unterstützt wurde Luise Rist dabei vom Theaterpädagogen Martin Jurk, dem Musiker Hans Kaul und Sonja Elena Schroeder an der Bühnen- und Videotechnik.
In der Woche vor der Premiere wurde jeden Tag geprobt. Kurzfristig Texte geändert und anders aufgeteilt.
Begegnung auf, vor und hinter der Bühne
In kurzer Zeit sind 13 junge Menschen zu einer Gruppe zusammengewachsen. Wo sich jeder ausdrücken kann, ob mit Worten, Musik oder Gesten. Das ist der eigentliche Zauber des Projektes: Begegnung von Mensch zu Mensch.
Keine klaren inhaltlichen Antworten. Aber Gemeinschaft vorleben.
Die Aufführung am Freitagabend ist bereits ausverkauft. Wer schnell ist, kann sich noch Karten für Samstag, 18:00 Uhr sichern. Außerdem soll es eine Aufführung bei der nächsten Ausgabe des Festivals „Offene Welt“ im Oktober geben.
Zusätzlich ist geplant, Auszüge in drei Ludwigshafener Flüchtlingsunterkünften zu spielen und das Projekt dort vorzustellen.
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