Rhein-Neckar, 01. Dezember 2014. (red/ms) Seit Jahrzehnten gehen Staaten „organisiert“ gegen „Drogenkriminalität“ vor, in dem sie die Droge Marihuana verbieten – besonders erfolgreich sind die Verbote nicht. Aber dafür extrem teuer. Es ist Zeit, umzudenken, meint Minh Schredle in unserer neuen Kolumne Montagsgedanken.
Von Minh Schredle
Die Legalisierung von Cannabis (Marihuana) wird zunehmend zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen und dabei gibt es immer mehr Befürworter aus akademischen und gutbürgerlichen Kreisen.
Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU) äußerte sich in diesem Zusammenhang zur Debatte – gegen einen erlaubten Konsum. Auf ihrer Homepage heißt es:
Eine Legalisierung von Cannabis ist aus gesundheitlicher Sicht nicht zu verantworten. Die Freigabe wäre ein falsches Signal.
Nicht die Legalisierung sei der richtige Weg, sondern eine gute Aufklärungsarbeit. Ein weiterer Grund der dagegen spreche:
In der Drogenkonvention der Vereinten Nationen (VN), darunter Deutschland und auch die USA, haben sich 184 Staaten verpflichtet, den Umgang mit Cannabis und anderen Drogen ausschließlich zu medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken zuzulassen. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es hierzu weltweit einen breiten Konsens.
In der internationalen Politik wird das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft angestrebt – doch das ist nicht besonders realistisch. In allen Zeitaltern und in jeder Kultur wurden unabhängig vom sozialen Stand Rauschmittel konsumiert. Und es ist nicht abzusehen, dass sich daran etwas ändert. Jedenfalls nicht durch Verbote.
Die Drogenpolitik ist ein immenser Aufwand für den Staat
Pro Jahr gibt es in Deutschland etwa 250.000 Rauschgift-Delikte, mehr als die Hälfte davon hängen mit Cannabis zusammen. In den meisten Fällen werden einfache Konsumenten angezeigt: Auf 120.000 Konsumdelikte kommen knapp 27.000 Handelsdelikte im größeren Rahmen, wie aus dem Jahresbericht des Bundeskriminalamtes hervorgeht.
Die Kosten der Repression für Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte und Gefängnisse belaufen sich nach den Schätzungen einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung auf etwa 3,3 bis 4,3 Milliarden Euro pro Jahr – wie gesagt, mehr als die Hälfte betrifft Canabis. Insgesamt habe der Kampf gegen die Drogen die BRD schon um die 200 Milliarden Euro gekostet – ohne erkennbare Veränderungen.
„Notorisches Scheitern“
Das Drogenverbot ist nicht nur sehr kostspielig – sondern auch ziemlich nutzlos. Man kommt zu dem Ergebnis, die Politik der kriminalrechtlichen Prohibition sei „von einem notorischen Scheitern geprägt“, so die Studie:
Ihre Wirkung beschränkt sich auf eine kontinuierliche Zunahme von Verfolgungen und Verurteilungen, ohne dass Nachfrage und Angebot messbar über die Jahre gesunken wären.
Auch wenn es häufig befürchtet werde, zeige die Erfahrung aus anderen Ländern, dass „die Zahl der Konsumenten ohne die Repressionen nicht höher wäre“.
In den Niederlanden ist so beispielsweise der Pro-Kopf-Konsum von Cannabis geringer als in Deutschland, obwohl die Droge dort in Coffeshops erworben werden kann, ohne Strafverfolgung fürchten zu müssen.
Prohibition schafft Probleme
Auch in Staaten mit strikteren Rechtslagen gebe es zahlreiche Beispiele für einen noch höheren Konsum als in Deutschland. Demnach scheinen auch strengere Strafen wenig abschreckend auf diejenigen zu wirken, die sich den Konsum in den Kopf gesetzt haben.
Aber nicht nur, dass die Repression immense Kosten mit sich bringt und wenig nutzt – sie schafft anscheinend noch neue Probleme. In der Studie heißt es:
Die Mehrheit der Konsumenten illegaler Drogen pflegt einen kontrollierten Konsum und leidet hierdurch unter keinen signifikanten Problemen.
Vielen Konsumenten zufolge kämen die meisten Probleme durch die staatliche Verfolgung. Etwa wenn jemand in der Jugend mit Drogen erwischt worden ist und wegen eines Eintrags im Führungszeugnis nun Schwierigkeiten hat, einen Beruf zu finden.
Mangelhafte Kontrolle
Durch die Illegalität ist ein enormer Schwarzmarkt entstanden, von dem unter anderem Terrororganisationen und mafiöse Strukuren profitieren. Dealer machen sich in der Regel wenig Gedanken um Jugendschutz und verkaufen im schlimmsten Fall Drogen an Kinder, die womöglich noch gestreckt sind.
Die fehlende Qualitätskontrolle ist eine zusätzliche Gefährdung für die Gesundheit der Konsumenten. Drogen werden unter falschen Bezeichnung verkauft und können falsch dosiert lebensbedrohlich werden. Außerdem kommen Konsumenten durch Dealer in den Kontakt mit härteren Drogen – dass Cannabis als Einstiegsdroge liegt, wird zwar häufig behauptet, aber von der Forschung bestritten:
Auch wenn viele Heroinabhängige früher Cannabis geraucht haben, ist der Umkehrschlus falsch: Nur ein geringer Anteil der Cannabiskonsumenten steigt langfristig auf andere Drogen um,
heißt es auf der Internetseite der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung.
Gute Drogen, schlechte Drogen?
Durch die Rechtslage werden Drogenkonsumenten stigmatisiert und ihre Mündigkeit gilt als eingeschränkt. Aber macht es wirklich Sinn, jemandem grundsätzlich Unvernunft zu unterstellen, wenn er sich gelegentlich berauscht? Und wenn ja, warum ist der Alkohol dann eine Ausnahme?
Das subjektive Empfinden und die messbare Realität können manchmal meilenweit von einander entfernt sein – besonders deutlich zeigt sich das an den Drogen. Gängige Meinungen sind: Alkohol und Tabak sind legal und somit gut und unbedenklich. Illegale Drogen sind verboten und somit schlecht.
Legale Drogen bringen mehr Tode
Doch das ist absurd. Jedes Jahr sterben in Deutschland 110.000 Menschen an den Folgeschäden des Rauchens und knapp 75.000 Menschen durch den Alkohol. Wenn man alle Tode, die durch illegale Drogen verursacht worden sind, zusammenrechnet, kommt man im Schnitt auf etwa 1.000 pro Jahr.
Mehr als 30 Prozent der angezeigten und aufgeklärten Gewaltverbrechen werden in Deutschland unter Alkoholeinfluss begangen. Eine ähnliche Korrellation zwischen Cannabis und Gewaltbereitschaft scheint es dagegen nicht zu geben.

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung auf Twitter. Ist das ein „richtiges Signal“? Braucht die Landesgruppe das zu medizinischen Zwecken? Oder geschieht das im Dienste der Wissenschaft?
Laut den Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen mehr als zehn Prozent der Bevölkerung ein Alkoholproblem haben – trotzdem ist die Droge immer noch gesellschaftsfähig.
Groteskes Zerrbild
2012 wurde am Imperial College in London eine Studie veröffentlicht, in der die Gefahren von 20 verschiedenen Drogen gegenübergestellt wurden. Dabei wurde sowohl die Gefahr für den Konsumenten selbst, als auch für andere Personen einbezogen und auf einer Skala gelistet, wobei 100 Punkte für die größt denkbare Gefährdung steht. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Auf Platz 1 liegt mit 72 Punkten der Alkohol – noch deutlich vor den harten Drogen Heroin (55 Punkte) und Crack (54 Punkte). Tabak wird mit 26 Punkten als nur geringfügig weniger schädlich als Kokain (27 Punkte) beurteilt. Cannabis liegt mit 20 Punkten auf Platz 8.
Erstaunlich: Die vermeintlich harten Drogen Extasy, LSD und psychoaktive Pilze haben jeweils weniger als 10 Punkte in dieser Beurteilung und sind den Autoren der Studie zufolge bei gelegentlichem Konsum weitgehend unbedenklich. Sie erwähnen allerdings auch, dass diese Ergebnisse noch nicht final seien und weiterhin untersucht werden sollten.
Die Menge macht das Gift
So etwas wie objektive Wahrheiten gibt es über Drogen nicht – jeder verträgt unterschiedliche Substanzen auf eine andere Weise und erlebt die Rauschzustände anders intensiv.
Trotzdem lässt sich unter Berücksichtigung verschiedener Forschungsergebnisse wohl kaum bestreiten, dass Alkohol zumindest nicht weniger gefährlich als Cannabis ist – dementsprechend sollten die Stoffe in der Rechtssprechung auch nicht so unterschiedlich beurteilt werden.
Sollte nun deswegen Alkohol und Tabak ebenfalls verboten werden? Ich finde nicht. Es ist unbestreitbar, dass von Drogen Gefahren ausgehen. Und zwar von allen. Ob sie legal oder verboten sind oder als Medikament bezeichnet werden – überall macht die Menge das Gift. Und nicht immer muss Konsum schädlich sein.
Prävention statt Propaganda
Die prohibitive Politik hat sich als wirkungslos erwiesen. Und an jedem Tag, den sie aufrecht erhalten wird, werden weitere Gelder verschwendet, die so viel sinnvoller verwendet werden könnten.
Prävention sollte auch wirklich Prävention sein – und keine Propaganda. Auf Basis wissenschaftlicher Untersuchung müssen Fakten vermittelt werden. Und zwar möglichst ohne dabei zu verherrlichen oder zu verteufeln, sondern angemessen.